Mont-Blanc Monogatari

Ich erinnere mich genau: Es war ein Morgen Anfang 2012, als ich meinen ersten Mont-Blanc hatte. Nur wusste ich da noch nicht, dass es ein Mont-Blanc war. Es hatte überraschend Schnee gegeben in Tokio, meine Lebensgefährtin war Geldverdienen gegangen, ich erholte mich von meinem ersten Marathon und überlegte, wo ich frühstücken sollte. Ich muss in diesen Fällen nie lange überlegen, ich gehe immer zu Doutour, aus nostalgischer Verbundenheit, weil ich mich früher in Japan nichts anderes getraut habe als die Filialen dieser schlichten Café-Kette. Ich warf einen letzten Blick auf die verschneiten Gipfel von Sengoku und machte mich auf den Weg.

Bis ich unten war, hatte sich die Lage dramatisch zugespitzt und ich hatte mir nach anstrengendem Marsch durch weiße Pracht das redlich verdient:

(Dieses Bild hatte ich übrigens einmal bei einem Fotowettbewerb zum Thema Japan eingereicht, und ich bin noch immer ein wenig verstimmt, dass ich nichts gewonnen habe.)

Es gibt bei Doutour nicht unbedingt den besten Kaffee des Landes. Allerdings wird Kaffee im Allgemeinen nirgends auf der Welt ernster genommen als in Japan, deshalb ist auch der mittelmäßigste Vertreter im internationalen Vergleich immer noch ziemlich spitze. Nach einer Tasse wie dieser (nicht genau diese) und einem belegten Brot [Abb. fehlt] wollte ich mir noch eine Süßigkeit gönnen, deutete auf eine gut aussehende Kreation hinterm Tresen, sagte „das da bitte“ und genoss es sehr. Leider war ich noch nicht japanisiert genug, um von jeder Kleinigkeit, die ich zu mir nehme, ein Foto zu machen, deshalb kann mein Original-Mont-Blanc an dieser Stelle nicht gezeigt werden. Später konnte ich in einem Buchladen-Café in Jimbocho dieses Exemplar vor die Linse bekommen:

Am Abend meines ersten Mont-Blanc-Verzehrs ergab sich folgender Dialog:

Lebensgefährtin: „Wo hast du gefrühstückt?“

Ich: „Doutour.“

„Seufz.“

„Ich hatte auch noch einen Kuchen, der ganz gut war.“

„Welchen denn?“

„Du weißt doch, dass ich mir nichts aus Kuchenbezeichnungen mache. So einen kegelförmigen, mit einer gewissen Spaghetti-Textur.“

„Mont-Blanc?“

„Was?“

„Mont-Blanc?“

„Nie gehört.“

„Mont-Blanc!“ Sie machte das internationale Handzeichen für Berg.

„Mont-Blanc – hab ich schon verstanden. Ich weiß den Namen halt nicht.“

„Du willst mir doch nicht sagen, dass du noch nie was von Mont-Blanc gehört hast?!“

„Vom Berg schon, aber nicht vom Kuchen.“

„Aber der kommt aus Deutschland!“

„Das glaube ich nicht …“

„Ich bin mir ziemlich sicher!“

„Vielleicht ist das so wie mit dem Baumkuchen, der den Deutschen auch egal ist, und der nur für die japanischen Touristen noch gebacken wird …“

„Aber den kennst du zumindest namentlich!“

Die Diskussion drehte sich dann noch eine ganze Weile darum, wie unglaublich es war, dass ich diesen deutschen Gebirgskuchen nicht kannte. Ich hatte leider einen schweren Stand, da wir eine frappierend ähnliche Diskussion schon einmal zum Schreibgerätehersteller Montblanc hatten. Ich kannte die Marke zwar, habe aber verbissen abgestritten, dass es sich um eine deutsche handelte. Ich hatte unrecht, und sowas verjährt nie.

Ziemlich genau zwei Jahre später

Inzwischen habe ich einige Mont-Blancs mehr gegessen (der bei Doutour war nicht gerade der beste, doch ich bestelle ihn dort weiterhin gerne, aus nostalgischen Gründen), bin einen weiteren Marathon gelaufen, habe meine Lebensgefährtin zu einer ehrenhaften Frau gemacht und bin nach Tokio zurückgekehrt, um meine Schwiegerfamilie zu bespaßen und ein paar Morde zu planen (zwischen diesen Dingen besteht kein Zusammenhang). Meine Frau war schon vorgereist und empfängt mich mit einem Ironiewillkommensgeschenk, einem englischsprachigen Gratis-Magazin für Touristen. Ich schlage willkürlich eine Seite auf, und da sehe ich ihn: den Mont-Blanc. Auf einer appetitlichen Doppelseite, die überschrieben ist mit: Tastes of Tokyo!

In stummer Anklage und feistem Triumph halte ich den Artikel meiner Frau unter die Nase, dort steht es weiß auf rosa: es handelt sich um ein Gebäck aus Esskastanienpüree und Schlagsahne, erfunden in der gleichnamigen Konditorei in Jiyugaoka, einer angesagten Gegend im Viertel Meguro.

Meine Frau schaut kurz auf, sagt: „Oh, dann habe ich mich wohl geirrt“, und damit ist das Thema für sie beendet.

Da wir nun um die Herkunft des Gebäcks wissen, ist eine Expedition zum Ground Zero des Mont-Blanc in Jiyugaoka ein Leichtes.

Dort wird das Mont-Blanc-Konzept inzwischen so kreativ erweitert, dass das ursprüngliche Design, das tatsächlich an den schneebedeckten Berg erinnern sollte, kaum noch zu erkennen ist.

Im der Konditorei angeschlossenen Café gibt es eine Warteliste, viele Frauen und kaum Männer. Nachdem unser Name aufgerufen wurde, bekommen wir Kaffee und Kuchen.

Ist das der beste Mont-Blanc, den ich je gegessen habe? Ich mag mich nicht recht entscheiden. Der in Jimbocho war auch ganz gut. Und der bei Doutour hat den süßen Geschmack von 2012. Eigentlich macht man mit Mont-Blanc nie etwas verkehrt.

Im Original-Mont-Blanc-Café tragen übrigens die Stühle kleine Söckchen:

Und mit diesem Bild möchte ich schließen.