Generation Freddy, Teil 3: Das Letzte

Nach den Achtungserfolgen von Teil 1 und Teil 2 nun der dritte, überraschend lineare Teil meiner ansonsten non-linearen Nightmare-on-Elm-Street-Retrospektive.

Jetzt bitte alle die Freddy-Vision-Brillen aufsetzen, denn es ist Zeit für Freddy’s Finale – Nightmare on Elm Street 6.

Nightmare 6 war tatsächlich der letzte Teil der Serie, aber irgendwie auch nicht so richtig. Es ist ein 3D-Film, aber nicht ganz. Er spielt in einer postapokalyptischen nahen Zukunft (von uns aus gesehen eine postapokalyptische nahe Vergangenheit), in der es keine Teenager mehr gibt, weil Freddy Krueger sie alle abgemurkst hat. Aber irgendwie gibt es doch noch welche. Das Worldbuilding hat es nicht so mit der Eindeutigkeit. Es gibt Gastauftritte von Leuten, die mal berühmt waren (Roseanne Barr, Tom Arnold, Johnny Depp), und Alice Cooper. Johnny Depp spielt hier eine andere Rolle als im ersten Nightmare. Der Film nimmt es also mit der Kontinuität ebenfalls nicht allzu genau.

Bei aller konzeptioneller Lieblosigkeit gibt es doch ein paar inspirierte Szenen, und zwar vor allem im vergnüglichen zweiten Akt, wo Filme traditionell eher durchhängen (kann Nightmare 6 denn gar nichts richtig machen?). Die Kopfexplosion durch nervige Tafelkratzgeräusche und das Videospielduell gegen Freddy, bei dem angeblich mutwillig ein Nintendo-Copyright verletzt wurde, haben genau die richtige Mischung aus Horror und Humor, die der Serie zum Markenzeichen wurde. Freddy-Darsteller Robert Englund hat man auch schon mal unmotivierter gesehen. Obwohl ich manchmal hätte schwören können, dass er hier von Ed O’Neill gedoubelt wurde.

Letztendlich kann man sagen: Eine halbe Stunde trostlose Langeweile, eine halbe Stunde flotte Unterhaltung. Und dann kommt die Freddy-Vision.

Nightmare 6 wurde als 3D-Film beworben, tatsächlich ist allerdings nur eine kurze Passage im Showdown wirklich in 3D. Das ist vielleicht gut so. Von Metalstorm über Tutti Frutti bis zur beängstigend langen 3D-Idiotie der Nuller- und 10er-Jahre war die dritte Dimension noch nie eine, die bei Bewegtbildwerken irgendetwas besser gemacht hätte. Nightmare 6 ist da keine Ausnahme.

Wenn die Charaktere im Film nach einer äußerst windigen Erklärung ihre 3D-Brillen aufsetzen, sollte das Kinopublikum das ebenfalls tun. Der Film wird dann zu einer schluderig gemachten Geisterbahnfahrt durch Freddys Bewusstsein. Leider werden die guten, dramatischen Charaktermomente dabei stets unterbrochen, weil wieder irgendwas in die Kamera fliegen muss. Wegen besagter guter Momente kommt mir Nightmare 6 heute immerhin nicht mehr wie der Totalausfall vor, an den ich mich zu erinnern glaubte. Ein würdiger Abschluss sieht trotzdem anders aus.

Bevor es weitergeht, reden wir ausnahmsweise mal Klartext: Ich bekomme NICHTS dafür, dass ich das hier mache. Außer Liebe. Aber für Liebe kann man sich bekanntlich nicht mal Lakritzschnecken kaufen. Und es kommt noch bunter: Ich habe bei dieser Retrospektive sogar draufgezahlt. Und zwar 330 Yen Leihgebühr für Nightmare 6. Die anderen bislang besprochenen Filme gab es alle im regulären Hulu-Programm, für das ich eh schon bezahle, um ständig über die neuesten Castingshow-Ergebnisse informiert zu sein. Nightmare 6 war von diesem Schein-Gratisprogramm ausgenommen. Der nächste Film, New Nightmare, gar nicht erst im Angebot. Könnte ich mir anderswo kostenpflichtig leihen, aber irgendwann ist es auch mal gut mit meiner Bereitschaft, immer nur zu geben und zu geben und zu geben und nichts zurückzubekommen (außer Liebe). Sicher, ich könnte auch meine eigene DVD suchen, die bestimmt in irgendeinem Einsteckordner steckt (oder bewahrt ihr die ganzen Umverpackungen auf?). Hätte ich damals bei der Bestückung der Ordner irgendeine Ordnung walten lassen, wäre das in Betracht zu ziehen. Habe ich aber nicht, als ich meine Nightmare-DVDs für immer verlor, irgendwo zwischen Citizen Kane und Josie and the Pussycats.

Um Zeit zu gewinnen, beschloss ich, etwas Tolldreistes zu wagen: Mir das Nightmare-Remake von 2010 anzusehen. Man muss wohl nicht extra erwähnen, dass das nicht Teil meines ursprünglichen Plans war. Nun rationalisierte ich, dass es zwei gute Gründe gäbe, diesem Werk doch noch eine Chance zu geben. Zum einen wird es ja nun wirklich von allen gehasst, also stehen die Chancen gut, dass ich ihm etwas abgewinnen kann. Denn ich habe schließlich nichts im Leben außer meinen kindisch-konträren Meinungen. Zweitens sah ich es zum ersten und bislang einzigen Mal in einem sehr angespannten Lebensabschnitt, in dem ich rückblickend manchem Film Unrecht getan hatte. Ich arbeitete in einem bürgerlichen Beruf, der mir einiges abverlangte (vor allem Zeit, die sich sinnvoller hätte nutzen lassen), und an einigen Tagen besuchte ich danach noch die Abendschule für den Fremdsprachenunterricht. An solchen Tagen war es Tradition, bei meiner späten Heimkehr eine Flasche Wein und den neuesten Umschlag der Versandvideothek zu öffnen, und mich gefälligst gut unterhalten zu lassen. Oft konnte ich die Augen nicht bis zum Schluss des Films offen halten, was ich dem Film ankreidete, und nicht etwa den ausbeuterischen Gesellschaftsverhältnissen oder dem Weine. Als ich so eines Nachts das Nightmare-Remake ansah (oder eben nicht ansah), erinnerte ich mich an meinen eigenen Großvater, als wir einmal spät nachts im großelterlichen Wohnzimmer nach der Ziehung der Lottozahlen und der Sportschau Godzilla gesehen hatten. Wenn solche Filme im Fernsehen liefen, musste ich als kleiner Bub bei meinen Großeltern übernachten, weil ich sie zu Hause nicht sehen durfte. Mein Großvater verschlief den Großteil des Films, wachte aber gelegentlich kurz auf, grummelte: „Was ist denn das für ein Quatsch?“, und schlief dann gleich wieder ein. Haargenau so habe ich beim ersten Mal A Nightmare on Elm Street von 2010 erlebt, nur dass ich jetzt selbst der Opa war.

Bonusgrund für einen Neuversuch: Ich habe theoretisch gar nichts gegen Remakes. Bloß praktisch. Prinzipiell finde ich es legitim, klassische Stoffe zu aktualisieren, neu zu interpretieren, aus anderen Perspektiven zu betrachten, dabei unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Ist beim Theater gang und gäbe. Da wird zwar auch nicht jede Neuinszenierung von Publikum und Kritik mit der gleichen Wärme empfangen, aber wenigstens fehlt der Chor bärtiger Muttersöhnchen in Heavy-Metal-T-Shirts, die jedes Mal reflexartig lamentieren: „Uäh, nicht noch ein Macbeth-Remake!“

Einen Haken hat die Sache selbstverständlich: Film-Remakes werden nie aus den richtigen Gründen gemacht. Film-Remakes werden gemacht, weil sich die Verantwortlichen denken: Hat schon mal Kasse gemacht, macht bestimmt wieder Kasse. Und man muss sich im Vorfeld nicht so viele von diesen lästigen kreativen Gedanken machen wie bei Originalstoffen.

Vielleicht ist es beim Nightmare-Remake ja anders.

Nach einer 20-minütigen Lektion in erbärmlichster cineastischer Ideen-, Lust- und Leidenschaftslosigkeit zitierte ich wieder meinen Großvater, schaltete den Fernseher aus und begann wie von Sinnen meine DVD von New Nightmare zu suchen. Ich fand sie in keinem meiner Einsteckordner, also vermutete ich, sie könnte noch Teil eines der wenigen Boxsets sein, die ich intakt gelassen und nicht zerrupft habe, aus Gründen der Platzersparnis und als Protest gegen den kapitalistischen Sammelfetischismus. Ich schaute in allen klassischen DVD-Box-Geheimverstecken nach. Im obersten Regal im Kinderzimmer, in den Einbauschränken und Muji-Schubladengarnituren des Master Bedrooms, in der Fernsehkommode ebendort und der im Wohnzimmer, im Sicherungskasten im Flur. Ich machte ein paar erfreuliche Überraschungsfunde, doch hinsichtlich Nightmare überall Fehlanzeige.

Ein Wendepunkt in meinem Verhältnis zu materiellem Besitz war selbstverständlich mein Umzug nach Japan gewesen. Nicht jeder kleine Trash konnte damals mit auf die Arche. Dieses Loslassen vom Tand war sehr befreiend. Aber dass ich nicht sentimental genug gewesen sein sollte, meine Nightmare-Box oder zumindest ihren Inhalt einzupacken, kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht dachte ich mir damals: Kaufe ich mir wahrscheinlich eh bald als Blu-ray nach. So weit ist es allerdings nie gekommen, und heute kommt mir dieser unpraktische, unansehnliche Kunststoffschrott nicht mehr ins Haus.

Also bezahle ich eben doch die Leihgebühr – für EUCH!

Freddy’s New Nightmare (im Original weniger volkstümlich Wes Craven’s New Nightmare) ist nur bedingt eine direkte Fortsetzung der vorangegangenen Filme, da hier diverse Schauspieler und Kreativköpfe der Serie sich selbst spielen und die bisherigen Filme zur Fiktion innerhalb der Fiktion erklärt wurden. New Nightmare war ein Meta-Horrorfilm, bevor ‚meta‘ zu einem Augenroll-Wort wurde.

Beim ersten Sehen dachte ich: Zu wenig Horror und zu viele Szenen mit Menschen, die auf Parkbänken sitzen und weinen. Bei meiner ersten Retrospektive vor schätzungsweise 20 Jahren dachte ich: Stimmt, immer noch zu wenig Horror und zu viel Parkbank-Heulerei. Heute denke ich: Ich verstehe diese Menschen, die da auf den Parkbänken weinen! Der reine Horror!

Bei aller Ablehnung gegen melodramatische Klischeephrasen muss ich sagen: A-ha-ha-hals Va-ha-ha-hater sehe ich den Film heute vielleicht tatsächlich anders. Oder genauer. Oder fühle ihn anders. Oder genauer. Aber Gefühlen sollte man freilich ohne wissenschaftliche Überprüfung nicht trauen. Auch Meinungen und Gefühle von Nicht-Eltern haben weiterhin ihre Gültigkeit.

Nach wie vor finde ich, dass der Film seine satirische Ebene und seine Horrorebene nicht befriedigend zusammenbringt. So mega meta ist er letztendlich doch nicht. Irgendwann ist die Selbstreferenzialität kaum mehr als ein zu vernachlässigendes Gimmick in einer soliden Freddy-Fortsetzung. Immerhin ist es ein besseres Gimmick als Freddy-Vision. Deshalb bin ich froh, dass meine Retrospektive mit diesem schönen Film endet, dessen Längen mir früher deutlich länger vorkamen.

Ich bin ebenfalls froh, dass ich es überhaupt gemacht habe (in 20 Jahren wieder, versprochen, behaupte ich mal so). Selbst wenn ich hier und da ein bisschen gemein gewesen sein sollte (so wird man halt im Alter), hatte ich unterm Strich doch mehr Spaß als Verdruss.

Und ich bin froh, dass es nun erst mal wieder vorbei ist. In den letzten knapp drei Wochen habe ich nicht nur acht themenrelevante Spielfilme und einen Zerquetschten gesehen, sondern auch zwei Nightmare-Dokumentationen mit insgesamt fast 6 Stunden Laufzeit. Jetzt kann ich damit bestimmt beim Großen Preis auftreten. Ich schicke gleich mal meine Bewerbungsunterlagen inklusive vorfrankiertem Rückumschlag ans ZDF.

Generation Freddy (Teil 2 von 3)

Was bisher geschah: Siehe letzte Woche.

Wo waren wir stehen geblieben? Wen kümmert’s, weiter geht es bei meiner non-linearen Nightmare-on-Elm-Street-Retrospektive mit Freddy vs. Jason. Zu meiner eigenen Überraschung, denn den wollte ich eigentlich aussparen. Doch der Algorithmus spülte ihn mir hoch, und das Herz begehrt nun mal, was das Herz begehrt. Da kann der Verstand mitunter nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und kapitulieren.

Freddy vs. Jason ist einer dieser Filme, an dessen Skript sich angeblich jahrelang diverse prominente Horrorautoren versucht haben. Zum Schluss schlackerte der Endverbraucher mit den Ohren, rieb sich die Augen und fragte baff: „Und dann habt ihr das genommen?“ Das Autorengespann Dings und Bums hatte vor Freddy vs. Jason nichts gemacht und wurde hinterher zu Baywatch verdonnert. Eigentlich handelt es sich bei ihrem Debüt nicht, wie man angesichts des Titels meinen könnte, um ein demokratisches Crossover der Nightmare- und Freitag-der-13.-Serien, sondern um eine Fließband-Nightmare-Folge mit ein paar Gastauftritten von Freitagskiller Jason. Angesichts des unüberbrückbaren Niveaugrabens zwischen den Franchises muss man sagen: Zum Glück.

Freddy vs. Jason war seinerzeit eine einzige Enttäuschung. Doch muss ich zugeben, dass mich jede Wiederholung ein wenig milder stimmt. Was mir dieses Mal etwas klarer wurde als bei früheren Versuchen: Das Skript und die Darsteller haben durchaus ihren augenzwinkernden Spaß mit den Horrorstereotypen, die hier breitgetreten werden. Das Ganze erreicht sicherlich nicht die selbstreferenziellen Meta-Ebenen von Scream oder Wes Craven’s New Nightmare, aber es hilft ein wenig. Da mir das vorher nicht aufgefallen ist und ich mir nun bei Tageslicht nicht mehr sicher bin, ob ich das nicht bloß hineininterpretiert habe, muss die provokante Frage erlaubt sein: Ist Freddy vs. Jason etwa zu … subtil?

Zumindest die erste Stunde vergeht dank Regisseur Ronny Yu (The Bride with White Hair, Bride of Chucky, Bride …, nee, das war’s) wie im Flug. Leider nimmt der Film im letzten Akt seinen Titel viel zu ernst und wird zu einer einzigen Monsterkeilerei, in der menschliche Charaktere kaum noch etwas zu tun haben. Wen interessiert das? Vielleicht Fans von amerikanischen Schau-Ringkämpfen. Der Reiz dieses bizarren Phänomens hat sich mir nie erschlossen.

Nightmare on Elm Street 4 (das ist tatsächlich der offizielle deutsche Titel – richtig viel Mühe gegeben) hat mit Freddy vs. Jason gemein, dass hier ein patenter Regisseur die Kohlen aus dem Feuer holt. Und damit hat er alle Hände voll zu tun. Unter den Nightmare-Filmen nimmt dieser eine Sonderstellung ein: Es ist die einzige Hollywood-Autopilot-Standard-Fortsetzung der Serie. Jeder andere Teil ringt dem Konzept irgendetwas Neues ab (der ebenfalls stark standardisierte Freddy vs. Jason läuft hier außer Konkurrenz). Bloß Nightmare 4 macht einfach dasselbe wie Nightmare 3, nur nicht so frisch. Was daran trotzdem gut ist, ist es wegen Regisseur Renny Harlin. Weil er die Serie versteht, das Genre versteht und Film versteht. Noch besser wäre es freilich gewesen, wenn die Drehbuchautoren auch etwas von alledem verstanden hätten. Der Film ist gut inszenierter Quatsch mit Soße.

Jahrelang habe ich mich über Renny Harlin lustig gemacht, weil sein Stil so pompös ist und er auf Fortsetzungen, Vorgeschichten, Spin-offs, Reboots und dergleichen abonniert zu sein scheint. So langsam allerdings werde ich Fan. Das Pompöse steht ihm. In der vierstündigen Nightmare-Dokumentation Never Sleep Again gibt es ein paar anrührende Anekdoten zu hören, wie streng Harlin vor seiner finalen Verpflichtung gerochen haben soll, weil er sich keine Dusche leisten konnte, nachdem er von Riihimäki nach Hollywood rübergemacht hatte, mit nichts als einem finnischen Filmwissenschaftsdiplom in der Tasche. Man muss ihn einfach ins Herz schließen.

Huch, ich merke gerade, ich habe schon lange keine provokante Außenseitermeinung mehr vertreten. Also Renny Harlin: Sein Exorzist-Prequel ist besser als das von Paul Schrader. Und nicht nur so ein bisschen. Es ist genau die bildgewaltige Horrorshow, die der Stoff verdient. Das ist doch keine Arthouse-Mumblecore-Franchise, Menschenskinder.

Was ich mich heute frage: Begann mit Nightmare 4 eigentlich die moderne Unsitte, am Anfang einer Fortsetzung die letzten Überlebenden des Vorgängerfilms auch noch abzumurksen? Ein älteres Beispiel fällt mir nicht ein. Anfang dieses Jahrtausends bedienten sich in schneller Folge Anatomie-, Grudge- und Bourne-Fortsetzungen dieses blöden Tricks (Franka Potente scheint da besonders viel Pech gehabt zu haben), und inzwischen ist es ein Klischee zum Stöhnen und Augenrollen. Finde ich jedes Mal respektlos gegenüber den Figuren, den Intentionen des vorangegangenen Films und der emotionalen Bindung, die das Publikum zu diesen Figuren über die Laufzeit jenes Films hinaus aufgebaut hat.

Nightmare 4 ist ein Film, dem alles egal ist. Warum lebt Freddy wieder? Weil ein Hund namens Jason im Traum Feuer auf sein Grab gepinkelt hat. Was kann man dagegen machen? Ungefähr dasselbe wie im dritten Teil (Spoiler: Hat da bereits nicht geklappt). Die Tode sind allesamt Lachnummern, eine Geschichte im landläufigen Sinne ist nicht auszumachen. Dennoch war es der kommerziell erfolgreichste Film der Serie. Und warum auch nicht? Millionen fliegen irren nicht, wenn sie sagen: Besser Lachnummern als gar keine Nummern.

Bringen wir nach dem vierten schnell den dritten Teil hinter uns. Nightmare III – Freddy Krueger lebt ist der Film, auf den ich mich bei dieser Retrospektive am wenigsten gefreut habe. Ach herrje, kommt jetzt etwa wieder so eine wichtigtuerische, angestrengt-konträre Minderheitenmeinung zur allseits beliebtesten Nightmare-Fortsetzung? Nein, nein. Gut, doch, irgendwie schon. Zunächst ist es ja durchaus ein sehr unterhaltsamer Film, meistens sogar aus den richtigen Gründen (gruseln und lachen an den dafür vorgesehenen Stellen). Deshalb ist einer der Gründe, warum mein Enthusiasmus ein wenig abgeflacht ist, der, dass ich den Film ein bisschen zu oft gesehen habe. Das hat allerdings nicht zuletzt mit Gruppenzwang zu tun. Ich war damals ebenfalls froh, dass Nightmare 3 nach dem unbeliebten (weil missverstandenen) Nightmare 2 eine Kurskorrektur vorgenommen hatte. Während jedoch die anderen Kinder ganz aus dem Häuschen waren, fragte ich mich insgeheim, ob diese Action- und Klamauk-betonte Dark-Fantasy-Richtung wirklich der bestmögliche andere Kurs war. Frage ich mich nach wie vor.

Seinerzeit hatte ich übrigens eine Novellette zum Film gelesen, die sich stark vom tatsächlichen Film unterschied. (Hätte ich das Büchlein noch, hätte ich inzwischen dank eBay bestimmt ausgesorgt. „Story meines Lebens“, wie die Anglophilen sagen.) Das Prosawerk ging noch stärker in eine Fantasy-Richtung, komplett mit Drachen und Schlössern. Vermutlich basierte der Text auf einer früheren, unrealisierbaren Fassung des Drehbuchs. Und vermutlich können wir dankbar sein, dass man damals noch Drachen und Schlösser bauen musste, wenn man Drachen und Schlösser in seinen Filmen haben wollte.

Nightmare 3 ist eine Achterbahnfahrt. Einerseits ist das eine Aussage, die man als Kritikerlob gerne auf das Plakat klatscht. Andererseits ist eine 90-minütige Achterbahnfahrt nicht jedermanns Vorstellung von einem gelungenen Filmabend. Man könnte auch sagen: Nightmare 3 ist wie Forrest Gumps Pralinenschachtel: Manche der Schokohäppchen schmecken gut, andere sind zu süß und klebrig, und an einem Stück will man die Schachtel ganz bestimmt nicht aufessen.

Alles zu versöhnlich? Nun gut, dann eine weitere unbequeme Aufregermeinung (in Bezug auf Nightmare 3, aber auch ganz allgemein): Bitte nie wieder Stop-Motion-Effekte in Filmen, die keine Stop-Motion-Filme sind! Sieht immer wie Knetgummianimation aus dem klassischen Kinderfernsehen aus und ist ungefähr genauso gruselig. Hatte sich in den 80ern längst überlebt, vermutlich schon in den späten 70ern. Was kommt als nächstes? Freddy vs. Augsburger Puppenkiste? (Gut, das würde ich mir anschauen.) In Anlehnung an das traditionelle orientalische Sprichwort, es sei besser, in einem BMW zu weinen, als auf einem Fahrrad zu lachen (Dalai Lama), sage ich: Gebt mir liebe schlechte CGI als gute Stop-Motion. Mir egal, wie viel Liebe und Hobbykellerstunden für ein paar Sekunden Ruckel-Zuckel-Skelett aufgewendet wurden – das Ruckel-Zuckel-Skelett muss rucki-zucki weg. Ray Harryhausen, Ray Harryhausen – ich kann es nicht mehr hören und will es nicht mehr sehen. Zumindest nicht in einem Film, der nach 1973 gemacht wurde.

Wie hieß noch mal der Sänger von Rucki-Zucki?

Bevor ich mich noch aufrege, machen wir lieber Schluss für heute. Ich merke gerade, ich habe fast keines der Ankündigungsthemen vom letzten Mal aufgegriffen. Weil ich so verwegen und unberechenbar bin. Auch beim nächsten (und letzten) Mal, versprochen.

Generation Freddy (Teil 1 von 2. Oder 3. Oder 4, wenn es komplett aus dem Ruder läuft.)

Um gleich auf die Überschrift einzugehen und ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern: Unter diesem Titel (‚Generation Freddy‘) habe ich 2009 (ja, ich habe nachgesehen) zum ersten Mal versucht, ein sentimentales Memoir über meine Liebe zum Horrorgenre Verlagen zur Publikation anzubieten, quasi eine punktuelle Autobiografie des Horrorfans als Horrorfan. Meine Agentin fand die Idee nicht schlecht, doch verlagsseitig kam immer nur: „Wir auch nicht, aber Horrorfans lesen leider nicht.“ Ich habe immer mal wieder am Konzept herumgefeilt, die Agentur hat immer mal wieder angeboten, stets ohne Erfolg. Jetzt dient der Titel eben als Überschrift für den großen Abschluss meiner Trilogie der Couch-Retrospektiven der drei großen Horrorfranchises der 1980er: Freitag, der 13., Halloween und nun A Nightmare on Elm Street, oder schlicht Nightmare, wie man damals in Westdeutschland sagte, und was wir uns auch hier wieder angewöhnen wollen, der Text wird eh lang genug.

Etwas unterscheidet Nightmare von Halloween und Freitag, der 13. und somit meine Grundeinstellung bei dieser Retrospektive: Nightmare fand ich tatsächlich gut. Gelinde gesagt. Ich sah den ersten Film kurz nach seiner regulären Laufzeit im Bremer Cinema Ostertor bei einer nachmittäglichen Doppelvorstellung (für nächtliche Doppelvorstellungen war ich zu jung) mit Halloween (damals wie heute unbeeindruckend) und war hin und weg. Vermutlich war es meine Geburtsstunde als Horrorfan. Zuvor war ich lediglich gelegentlicher Gutfinder des einen oder anderen Schauerschinkens im Spätprogramm unserer drei Fernsehsender gewesen.

In Nightmare – mörderische Träume geht es um den untoten Kinderschänder Freddy Krueger, der sich an den Kindern seiner Lynchmörder rächt, indem er sich in deren Träumen manifestiert. Das soll hier als Inhaltsangabe reichen; in den Fortsetzungen geht es halt um dasselbe. Man findet jedes Mal eine neue todsichere Methode, Freddy Krueger diesmal aber wirklich für immer zu verbannen, nur um im nächsten Jahr herauszufinden, dass es so einfach doch nicht gewesen sein konnte. Obwohl das Konzept also im Verlauf der Serie fraglos überstrapaziert wird und mir schon damals bewusst war, dass es sich nicht bei jeder der Fortsetzungen um eine große cineastische Einzelleistung handelte, fand ich stets, dass Nightmare als Serie ein höheres Durchschnittsniveau hielt als all die vielen anderen Horrorserien, die in jener Ära Schachtelkinocenter und Videotheken vollmachten. Selbst die schwächsten Folgen hatten noch genügend bizarre Einfälle und visuelles Flair, um einem das eine oder andere Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern. Und darauf kommt es bei Horrorfilmen doch letztendlich an.

Ich erwarte nicht, dass ich das heute anders sehen werde. Was stimmt mich bloß derartig optimistisch? Noch etwas unterscheidet meine Nightmare-Retrospektive von meinen Halloween- und Freitag-der-13.-Retrospektiven: Die letzte ist gar nicht so lange her. Vielleicht zwanzig Jahre. Ich weiß, dem Jungvolk scheint das viel, reicht die Spanne doch aus, um einen Neugeborenen zu einem vollwertigen Erwachsenen heranwachsen zu sehen, der vielleicht, vermutlich versehentlich, selbst bereits neues Leben gezeugt hat. Zwanzigjährige also so, mit ihrem schreienden Nachwuchs im Arm: Mein lieber Scholli, eine verdammt lange Zeit ist das – ein ganzes Leben! Sicherlich, mit 20 hat man einen anderen Geschmack als damals, als man selbst noch fröhlich unter dem Mobile sabberte. Zwischen dem 55-jährigen und 35-jährigen Ich dürfte es derweil eine größere geschmackliche Schnittmenge geben. Damals legte ich mir jedenfalls eine Box mit allen Nightmare-Filmen auf DVD zu, zog mir einen nach dem anderen rein, wie wir schon damals nicht mehr sagten, und erlebte dabei nur zwei Überraschungen; eine große und eine kleine (zu beiden später mehr). Auf sieben Filme hochgerechnet ist das nicht viel.

Vielleicht habe ich die Box noch, vielleicht auch nicht. Wer weiß im Streaming-Zeitalter schon so genau, wo die ganzen DVDs abgeblieben sind. Zum Glück tauchten jüngst so gut wie alle relevanten Nightmare-Filme im japanischen Hulu-Programm auf, und ich habe sie mir – für euch! – alle noch einmal angeschaut, bevor sie wieder verschwinden.

In der Filmliebhaberei ist kein Platz für buchhalterische Marotten, deshalb fing ich mit Teil 5 an. A Nightmare on Elm Street 5 – das Trauma ist nämlich der, an den ich mich stets am wenigsten erinnere, und auf den ich mich somit stets am meisten freue. Ich erinnere mich sehr wohl daran, dass er mir bei der Erstveröffentlichung gut gefiel, womit ich recht alleine dastand.

Die erste brennende Frage, die der fünfte Nightmare-Film aufwirft: Was machen diese Schauspieler wohl heute so? Sind schließlich ungefähr im selben Alter wie man selbst, also im besten überhaupt. Der erste Gedanke: Wahrscheinlich verkaufen sie ihre Autogramme, ihr Lächeln und ihren Smalltalk bei Mehrzweckhallen-Händeschüttel-Events in Las Vegas und Mannheim gegen Bargeld an Menschen, die sich noch en détail an Nightmare 5 erinnern können. Der zweite Gedanke: Höchstwahrscheinlich verdienen sie mit diesem unwürdigen Prozedere mehr als ich mit meiner redlichen Arbeit und meinem Gratislächeln. Der dritte Gedanke: Herzlichen Glückwunsch – alles richtig gemacht, liebe Altersgenossen!

Wenn ich mich als damaliger Fangoria-Abonnent richtig erinnere, gab es irgendwelche Probleme mit dem Drehbuch. Es ging, meine ich, durch diverse Hände diverser Romanciers, die mit der sogenannten Splatterpunk-Bewegung in Verbindung gebracht wurden, bevor man einen Profi ranließ. Und zwar einen professionellen Session-Musiker (u. a. für Sparks), dessen einzige vorherige Drehbucherfahrung eine Zusammenarbeit mit Hollywoodlegende Alan Smithee war. Die Story macht nicht allzu viel aus ihrer nicht uninteressanten Prämisse, und Protagonisten sind kaum auszumachen. Aber man muss auch bedenken: Freddy verwandelt sich u. a. in einen Comic-Superhelden, eine Plazenta und ein Motorrad. Rhetorische Frage: Wie cool ist das denn? Was mir an Nightmare 5 immer gefiel und nach wie vor gefällt, ist seine forsche Energie. Er taucht nur selten zum Luftholen aus Freddys Alptraumwelt auf. Ein trippiger Spaß, damals wie heute. Sollen die Hater doch eingeschnappt brodeln. Ich hole mir vielleicht auch ein paar Autogramme, wenn ich das nächste Mal in Mannheim bin.

Nach Teil 5 war ich folgerichtig in Stimmung für Teil 2. Nightmare 2 – die Rache sorgte bei meiner letzten Retrospektive vor geschätzten 20 Jahren für die größere der beiden erwähnten Überraschungen: Der Film gefiel mir plötzlich. Als ich ihn jedoch bei der Premiere im großen Saal der Stern-Lichtspiele hinter Horten sah, meinte ich mit dem Rest der Welt: Nicht so glibberig wie der erste, und hat nicht mal dessen Konzept richtig verstanden. Wären wir bereits so eloquent gewesen wie die Menschen des 21. Jahrhunderts, hätten wir gesagt: Meh. Inzwischen denke ich: Glibberig genug, und es sind eher wir, die den Film damals nicht verstanden haben. Es handelt sich um eine Fortsetzung, die das Originalkonzept nicht einfach wiederholen mag, sondern es sinnvoll weiterentwickeln möchte. Hätte einerseits etwas deutlicher herausgearbeitet werden können. Andererseits habe ich eine Schwäche für Filme, die ihr Publikum für voll nehmen und ihm nicht jeden Bissen vorkauen. Und selbst als langjähriger Wellensittichhalter konnte ich über die Mini-Hitchcock-Hommage mit dem explodierenden Sittich herzhaft lachen. Vor 40 Jahren, vor 20 Jahren, und vor zwei Tagen.

Nicht nur bei mir hat mittlerweile eine Neubewertung von Nightmare 2 – die Rache stattgefunden. In Teilen der queeren Gemeinde gilt er als Kultfilm (Kultfilmen ist natürlich stets mit Misstrauen zu begegnen). Das liegt vor allem daran, dass Hauptdarsteller Mark Patton dem Regisseur und vor allem dem Drehbuchautor vorwirft, seine damals noch verschleierte Homosexualität ausgenutzt und den Film zu schwul gemacht zu haben. Es gibt dazu einen von Mark Patton produzierten Dokumentarfilm, der länger ist als der Spielfilm selbst. Er beleuchtet vor allem, welch ein Geschenk an die Menschheit dieser Mark Patton ist, und wie ungerecht es war, dass er die Hauptrolle in einem Hollywood-Blockbuster spielen durfte, und wie dieser Umstand selbstverständlich sein unverzügliches Karriere-Aus bedeutete (kennt man ja, diese Blockbuster: absolutes Karrieregift!). Anfangs vergleicht Patton sich mit Greta Garbo und Brad Pitt, am Ende reiht er sich bei all den historischen Märtyrern ein, die unter lebensgefährlichen Umständen selbstlos für die Rechte sexueller Minderheiten gekämpft haben. Was dazwischen passiert und behauptet wird, ist kaum faktenbasierter.

Nichtsdestotrotz muss ich sagen: Weiß man um die Diskussion, sieht man die Homoerotik in Nightmare 2 in jedem Frame. Genauso sage ich: Wüsste ich von nichts, sähe ich es wahrscheinlich auch heute noch nicht. Wie heißt es bei den Freud-Skeptikern so schön: Manchmal ist eine Bockwurst in einem Brötchen bloß ein Hotdog. Mein stets geschärfter Hetero-Blick sieht im Film allerdings nach wie vor jede Menge gut gebauter Bikini-Mädchen, die sich lasziv aus Swimming Pools an Land hieven. Möglicherweise sieht er sogar mehr davon, als tatsächlich da sind. Ist eben immer eine Frage der Perspektive und widdewidde wie sie mir gefällt.

Trallari trallahey tralla hoppsasa – es ist Zeit für den ersten Film, Nightmare – mörderische Träume. Dieser bescherte mir bei erneuter Durchsicht in meinen 30ern die zweite der beiden besagten Überraschungen. Doch zunächst einmal das wenig Überraschende: Der Film ist so großartig, dass man ihm seine offensichtlichen Schwächen noch im Vollzug verzeiht. Das ist 2025 nicht anders, als es 1984 war. Diese Schwächen wären ein paar alberne Spezialeffekte (ja, liebe Kinder, die waren schon damals albern) und eine Klimax, die fast so antiklimaktisch ist wie die von Suspiria (hat dem auch nicht geschadet). Wie schön, dass alles andere nach wie vor vom Feinsten ist und kein bisschen Patina angesetzt hat: das wohltemperierte Erzähltempo, die selbstbewusst-unaufgeregte Inszenierung, das bestens ausgewählte und aufeinander abgestimmte Ensemble und die Musik, die man fast nicht bemerkt (wie es sich für vernünftige Filmmusik gehört). Und natürlich mindestens zwei Jugendzimmersterbeszenen, die man sein Lebtag nicht vergessen wird.

Die kleine Überraschung von vor 20 Jahren: Ich konnte mich nicht mehr ganz dem Konsens anschließen, Freddy Krueger sei im ersten Film düster und gruselig und würde erst in den Folgefilmen zu einem kalauernden Clown. Er kam mir nun schon im ersten ziemlich clownesk vor (ähnlich wie Tim Burtons Batman-Filme ihrerzeit als recht düster galten und heute von der Fernsehserie aus den 1960ern kaum noch zu unterscheiden sind). Diese Überraschung reproduzierte sich diesmal nicht (zu meiner Überraschung – ha!). Die Kalauerdichte ist in den späteren Filmen durchaus um einiges höher. Vermutlich schärft die nicht-chronologische Herangehensweise meine Wahrnehmung. Wer also über untote Kinderschänder mal so richtig ablachen möchte, ist mit den Fortsetzungen besser beraten.

Aber herrjeh – nicht mehr heute! Guckt denn hier keiner mal auf die Uhr? Es geht ja schon wieder auf die 2.000 Wörter zu, und wir haben erst drei Filme geschafft. Wer soll denn so lange Texte auf diesen flackernden Computermonitoren lesen? Knipsen wir das Modem erst mal aus und legen uns ein bisschen aufs Ohr. Und falls wir wieder aufwachen, geht es hier bald weiter. Mit Kakerlakenmenschen, Feuer pinkelnden Höllenhunden, Johnny Depps Gehirn auf Drogen und den Fat Boys.

Life-Hack: Was man mit 24 Dosen Kaffee-Limetten-Brause und zwei hinterhergeworfenen Dosen Weizenbier alles machen kann (Spoiler: Pyramide schwierig, trinken geht)

Es muss in meinem zweiten Vollzeitjahr in Japan gewesen, als ich zum ersten Mal einen Espresso mit Zitronenlimo on the rocks trank und danach nur noch ungern etwas anderes trinken wollte. Das Sommergetränk ist wohlgemerkt nicht mal im geschmackvollen Japan so beliebt, dass seine saisonale Verfügbarkeit alljährlich garantiert wäre. Es ist stets eine rechte Zitterpartie, ob die lokalen Filialen der entsprechenden Kettencafés sich dazu durchringen können, den Drink ins Programm zu nehmen, oder ob man sich über die Nachbarschaftsgrenzen hinausbewegen muss, was im Sommer eigentlich von niemandem verlangt werden kann. Hier eine Archivaufnahme des Getränks mit subtilem Werbeeffekt:

Diese Saison ließ sich gut an. Nicht nur hatte eines meiner üblichen Arbeitscafés die Zitronen-Variante bereits früh auf der Karte, es erhöhte sogar nicht viel später auf Limette. Beinahe noch glücklicher aber machte mich ein Fund in einem Supermarkt abseits meiner üblichen Routen: Espresso-Limetten-Tonic aus der Dose. In der Espresso-Zitrusfrucht-Schorlen-Liebhaber-Community wird zwar drauf geschworen, dass es am besten doch in der Gastronomie schmeckt, wo ein gelangweilter Nebenjobber den Espresso authentisch aus der Maschine zapft, mit einer kleinen Dose Schweppes überschüttet und zur Zierde eine vorgehackte Portion Showkräuter ins Glas schmeißt. Dennoch: Die Supermarktvariante Tully‘s Fizzpresso schmeckte mir sehr gut, und ständig vor die Tür gehen ist ja auch nicht so gesund.

Ich wollte mir einen Vorrat anlegen, doch das gestaltete sich schwierig. Kein Supermarkt, kein Convenience Store, kein Kaufhaus in meiner Reichweite führte das Produkt. Ich spitzte den Rest der Familie ebenfalls an, die Augen offen zu halten, jedoch ohne Erfolg. Bis meine fünf Jahre jüngere Frau (damit wird man ja wohl mal prahlen dürfen) eine ihrer jugendlichen Flausenideen hatte. „Wie wär’s denn mit dem Internet?“, fragte sie.

„Mit dem was?“, fragte ich zurück.

„Dem Internet“, sagte sie. „Du schreibst gerade darin.“

„IN GESCHIRRSPÜLMITTEL?!“ Meine Hand zuckte sofort vor der Tastatur zurück.

„Nein, im Internet“, sagte meine Frau und legte ihre Hand beruhigend auf meine, sie sanft zurück auf die Tasten führend. „Du musst dich verhört haben.“ Das mochte sein. Der moderne Mensch nennt es ‚Halluzinationen‘ und meint, daran müsse man sich gefälligst gewöhnen. „Im Internet“, erklärte meine Frau weiter, „kannst du Dinge bestellen, die dir dann direkt ins Haus geliefert werden. Dafür wurde es erfunden.“

Tatsächlich fand ich Fizzpresso bei einem Internethändler. Ich war hocherfreut, dass die Dosen nicht einzeln abgegeben wurden, sondern man mindestens 24 Stück auf einmal ordern musste. Das schien mir gerade so zu reichen, wenn man bedachte, dass es noch rund eineinhalb Wochen waren, bis ich mich in den Auslandsurlaub verabschieden würde.

Als der Karton eintraf, nahm ich ihn erst mal in den Arm und versuchte dann, aus dem Inhalt eine Pyramide zu bauen. Das war aufgrund der flaschenförmigen Dosenform nicht ganz einfach, aber die alten Ägypter haben ja auch nicht gesagt: „Das wird nicht ganz einfach, lassen wir es lieber.“ (Die hatten natürlich geometrisch dankbarere Bauelemente.) Es ist mir gelungen, allerdings nicht lang genug, um ein Foto davon zu schießen.

Am Abend des Tages, an dem der Fizzpresso geliefert wurde, gab es ein weiteres erfreuliches Dosenerlebnis. Wir gingen mit einer befreundeten Familie in einem Restaurant der Kette Schmatz essen. Mit Japanern essen zu gehen ist immer so eine Sache. Meist eine lustige, weil Alkohol im Spiel ist. Möchte man allerdings etwas Bestimmtes essen, sollte man lieber alleine gehen, oder mit eigenbrötlerischen Deutschen, die wissen, was sich gehört. Anfangs fand ich die orientalische Sitte, alle bestellten Speisen in die Mitte zu stellen und zu teilen, ganz goldig. Dieser Gemeinschaftsgeist! Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl! Inzwischen würde ich gerne mal wieder das essen, was ich bestellt habe, und zwar in der Menge, die ich bestellt habe. Natürlich möchte man nicht der sein, der sich gierig mehr als zwei kleine Stücke von der Gemeinschaftscurrywurst abschneidet, also hält man sich an die Beilagen. Und so hat man am Ende des Abends für recht viel Geld vor allem Pommes gegessen. Macht auch satt. Aber nicht glücklich.

Mit Schrecken beobachte ich, wie sich diese Essensstrategie globalisiert, und alle finden es herrlich. Ich lese (eigentlich) gerne die wöchentliche Serie Blind Date in der Zeitung The Guardian, wo es genau um das geht, was man sich denken kann. Wenn beide Kandidaten am Ende getrennt voneinander befragt werden, graust es mir lediglich bei der Frage nach den Tischmanieren des anderen. So sicher wie das Amen in der Kirche kommt dann: „Tadellos! Er/sie hat sein/ihr Essen gerecht mit mir geteilt.“

Dazu sage ich ganz ruhig und gefasst: Neeeiiin!!! Das Teilen von Essen ist nicht Teil des westlichen Sittenkanons und sollte es nicht werden! Unsere Essgewohnheiten wollen frei sein und dürfen sich nicht vom Gruppenzwang unterjochen lassen! Gute Tischmanieren sind, zum Beispiel, wenn einem nicht ständig die halbzerkaute Frikadelle zurück in die Soße fällt, weil man mit vollem Mund spricht. Meinetwegen gehört außerdem dazu, dass man nicht allzu oft das Messer ableckt und den Champagner nicht direkt aus der Flasche trinkt, wenn gerade jemand guckt. Gerne würde ich in den Blind-Date-Antworten zu der Manierenfrage lesen: „Tadellos! Er/sie wusste genau, was er/sie wollte, ebenso wie ich, und wir haben beide genau das gegessen, was wir wollten. Geteilt haben wir liebend gerne Anekdoten, Komplimente und Verschwörungstheorien, aber bestimmt nicht das Essen, und ganz bestimmt nicht die Rechnung.“

Aber zurück zum eigentlichen Thema: Dosengetränke. Als die Schmatz-Rechnung gezahlt war, drückte der Kellner jedem Erwachsenen eine Dose Weizenbier der hauseigenen Brauerei in die Hand. Die Schmatz-Biere sind ganz reell, kosten im Handel allerdings fast so viel wie im Ausschank, das sehe ich meist nicht ein. Weizenbier sei in Japan nicht sonderlich bekannt, erläuterte der Kellner, deshalb wolle man ein wenig dafür werben. Ich übersetzte innerlich aus dem Japanischen: Das Zeug werden wir partout nicht los, schon gar nicht zu unseren Wucherpreisen, also nehmen Sie es zu unserer Entlastung, bevor es schlecht wird.

Wie im letzten Blogbeitrag bereits erwähnt, muss man für Weizenbier in der richtigen Stimmung sein, und das ist man eigentlich nie. Wird es einem aber aufgedrängt, trinkt man, was auf den Tisch kommt, und merkt schnell, dass diese Weizen-Phase, die jeder mit Anfang 20 hatte, so ganz unbegründet auch nicht war.

Zu Hause stritten wir ein bisschen, wie das Weizen richtig zu lagern wäre. Meine Frau sagte: „Der Typ hat gesagt, wir müssen es auf den Kopf stellen.“ (Sie meinte, die Dose umdrehen; nicht auf der eigenen Schädelplatte balancieren.)

Ich sagte: „Wenn ich im Leben eines gelernt habe, dann den verantwortungsvollen Umgang mit Bier.“ Also mannklärte ich: „Ganz falsch ist das nicht, weil sich auf den Böden von vernünftigen Weizenbieren immer ein sogenannter Sabber absetzt. Damit sich der Sabber besser im Bier verteilt, empfiehlt sich tatsächlich ein temporäres Umstülpen, jedoch sicherlich kein permanentes. Dann würde ja nur unten das neue Oben, und man hätte dasselbe Problem in Grün.“

Sind hier Bierbesserwisser anwesend, die mich dringen korrigieren oder meine Angaben präzisieren möchten? Dann schreibt eure Besserwisserei in die Kommentare! Ach nein, die Kommentarfunktion ist ja ausgeschaltet. Tja, dann wird’s wohl nichts.

Die Rückkehr nach Donki

Es war Sonntagvormittag, und wir brauchten dringend Alkohol. Nicht den stark verdünnten zum Trinken; davon hatten wir mehr als genug im Haus, nachdem unsere verweichlichte Samstagsgesellschaft sich in erster Linie an Dosenkaffee und Bubbletea gehalten hatte. Wir brauchten den hochprozentigen Stoff zur Oberflächenreinigung. Irgendeine Oberfläche gibt es ja immer zu reinigen, auch ohne besoffene Gäste. Irgendein Alkoholreiniger sollte es derweil nicht sein, wo kämen wir da hin, sondern der, den wir immer benutzen. Den gibt es selbstredend nicht in jedem x-beliebigen Drogeriemarkt. „Wo gibt es den denn?“, fragte ich meine Frau.

Nach reiflicher Überlegung sagte sie: „Bei Donki auf jeden Fall.“

Ich betrete nur ungern die Filialen der Schnickschnack-Kaufhauskette Donki (eigentlich Don Quijote), weil mich die urdeutsche Todesangst plagt, für einen Touristen gehalten zu werden („Hände hoch und sofort die Tüte voller Schrumpelpflaumen-KitKat fallen lassen!“). Das liegt natürlich daran, dass ganz tief in mir sehr wohl ein Tourist dahinvegetiert, der sich liebend gerne mal wieder ins Donki-Gewühl stürzen würde. Also schob ich meine Teenager-Tochter vor. So ein Ausflug schien eine exzellente Gelegenheit, ihr zu beweisen, dass Papa auch coole Sachen machen kann. Eines Tages, so musste ich feststellen, erreichte ‚Hoppe, hoppe, Reiter‘ einfach nicht mehr denselben Fun-Faktor. Wo sind die Jahre hin? Also fragte ich: „Möchtest du mitkommen, wenn ich zu Donki gehe, um Alkohol zu kaufen?“

Ihre Augen leuchteten wie ca. gestern noch bei ‚Hoppe, hoppe, Reiter‘. „Klarometer, Daddy-O!“, sagte sie in typischem Jugendjargon.

Ich recherchierte die Donki-Filialen in unserem Umkreis und konnte noch einen draufsetzen: „Möchtest du zum normalen Donki oder zu … Mega Donki?“

„Mega Donki!“

„Mega Donki ist ein bisschen weiter mit dem Zug, allerdings vom Bahnhof weniger zu laufen.“

„Mega Donki!“

„Bei Mega Donki sind höchstwahrscheinlich noch mehr verdammte Touristen.“

„Mega Donki!“

Wir sprühten uns gegen Sonne und Insekten ein, legten unsere Kältekragen an, füllten unsere Wasserflaschen, überprüften den Akkustand unserer Handventilatoren und machten uns vorsichtig auf den Weg zu Mega Donki in Shibuya. Dort war ich zunächst vor allem damit beschäftigt, möglichst demonstrativ all die Geisha-, Samurai-, Godzilla-, Sushi-, Sumo-, Bonsai- und Winkekatzen-T-Shirts zu ignorieren, die mir überall im Weg rumhingen.

Apropos T-Shirt (um diesem Blog ein bisschen von seiner guten alten Apropos-Qualität zurückzugeben): Wir haben Nachbarn. Aber nicht mehr lange. Jedenfalls nicht dieselben. Die Nachbarn, die wir jetzt haben, ziehen bald weg. Es handelt sich um ein japanisch-französisches Paar mit einem Sohn im ungefähren Alter unserer Tochter. Klingt nach besten Voraussetzungen für eine wunderbare Freundschaft (zumindest auf Elternebene), aber Pustekuchen. Es ist keineswegs das Gegenteil eingetreten, also kein schlagzeilenreifer Krieg um Fahrradstellplätze oder Müllentsorgungsmanieren, doch auch keine Spur von Nutzung der erheblichen potenziellen Synergieeffekte. Da ist nur ein höfliches Ignorieren und gelegentliches Zunicken, wie unter guten Nachbarn üblich. Mit dem Mann habe ich in den letzten fünf Jahren vielleicht fünf Sätze gewechselt, was zwischen Männern natürlich relativ viel ist. Mit der Frau vielleicht drei. Ebenfalls normal; seit Überwindung meiner Midlife-Crisis quatsche ich nicht mehr so viele fremde Frauen an.

Damit kann man leben, doch beiden Parteien ist bewusst, dass wir angesichts unserer besonderen Konstellation eigentlich enge Vertraute hätten werden müssen, die bei ausschweifenden Rotweinabenden Kindergeschichten und Ausländeranekdoten austauschen. Deshalb herrscht bei unseren zufälligen Zusammentreffen auf der Straße stets eine etwas betretene Atmosphäre.

Warum habe ich das gleich erzählt? Richtig – T-Shirt. Was die Situation noch unangenehmer macht, ist die Tatsache, dass der Mann und ich dasselbe Pac-Man-T-Shirt besitzen. Und manchmal tragen. Und manchmal gleichzeitig tragen. Und uns dabei manchmal über den Weg laufen. O! M! G!, sage ich nur. Ich könnte jedes Mal vor Scham im Boden versinken. (Selbstverständlich laufe ich unter normalen Umständen eh nicht als Gratis-Werbefläche durch die Gegend, aber den Weg zwischen Haus und 7-Eleven sehe ich als erweiterte Terrasse; da darf man sich etwas legerer kleiden.)

Jedenfalls kann ich das T-Shirt wieder ohne Bangen überstreifen, wenn diese eigentlich ganz netten Menschen endlich weg sind. Damit zurück zu Donki.

Den Alkohol, den wir suchten, fanden wir nicht. Dennoch fanden wir beide etwas, was den Ausflug zu einem gelungenen machte. Nämlich die Liebe zwischen Vater und Tochter! Nein, Quatsch – ich billiges Bier und sie teures Shampoo.

Was ich entweder nicht mehr wusste oder noch nie gewusst hatte, ist, dass Donki eine Billig-Eigenmarke namens Do vertreibt und innerhalb dieser auch Bier. Lagerbier für Normalos, Craft-Bier für Spackos. Selbst die Dosen der Craft-Linie sind günstiger als die Mainstream-Biere der Traditionsbrauereien. Da schrillten bei mir sofort alle Alarmglocken. Sie schrillten: Kauf mich! Kauf mich! Was kann schon schiefgehen?

Sie schrillten nicht laut genug, um gleich die gesamte Produktlinie zu testen. Ich entschied mich gegen das IPA, weil IPA, und gegen das Weizen, weil man für Weizen in Stimmung sein muss, und wann ist man das schon. Ich entschied mich für das Mainstream-Lager und das Pale Ale aus der Craft-Reihe.

Das Urteil: Das Lager hat eine flache und ölige Qualität, die ich bei schweren, starken Bieren durchaus zu schätzen weiß, solange es geschmackvoll gemacht ist. Doch von einem Lager erwarte ich mehr Leichtigkeit und Frische. Dennoch muss ich sagen: In dieser Preisklasse vermutlich das beste Bier, das ich jemals getrunken habe. Und das schlechteste. Ich glaube nicht, dass ich mich jemals zuvor getraut habe, in dieser Preisklasse zu trinken. Soll auch nicht wieder vorkommen.

Das Pale Ale hat ebenfalls etwas weniger Zisch, als ich das von einem Bier seiner Art erwarte, ist jedoch ansonsten sehr ordentlich. Ich würde es wieder kaufen, falls ich noch mal bei Donki vorbeikäme. Was eher unwahrscheinlich ist. Ich bin ja kein Tourist.

Eigentlich ein schöner Schlusssatz, doch möchte ich schnell noch alle Handlungsfäden auflösen: Wir haben den Reinigungsalkohol, den wir eigentlich kaufen sollten, schließlich in dem x-beliebigen Drogeriemarkt gefunden, an dem wir auf dem Heimweg zufällig vorbeikamen. Die Tochter fand den Ausflug mega und ist mit ihren neuen Haarpflegeprodukten vollauf zufrieden. Happy End.

Vergleichende Filmkritik: Angel (1984) vs. Die Wildgänse kommen (1978)

Heute eine weitere Folge der beliebten Sendereihe ‚Filme, die ich längst gesehen haben sollte, aber irgendwie jetzt erst geschafft habe‘. Diesmal mit Angel (minderjährige Straßenprostituierte und ihre riesige Magnum jagen Serienkiller) und Die Wildgänse kommen (alte weiße Männer ballern in Afrika rum). Klingt nach zeitlosen, vorteilhaft gealterten Meisterwerken für Klassenfahrten und therapeutische Einrichtungen? Wir werden es herausfinden.

Wir erinnern uns: Angel lief seinerzeit in Bremen im U. T. 4 an, also dem zweitgrößten der sechs Säle. Der, in dem auch Dario Argentos Phenomena und Jim Drakes Police Academy 4 – und jetzt geht’s rund liefen. Die Annonce für Angel im freitäglichen Kinoprogramm übte eine gewisse Faszination auf mich aus. (Ja, das war noch bevor dieser neumodische Quatsch mit den Filmstarts am Donnerstag losging (1985). Wird sich ohnehin nicht durchsetzen.)

Es war eine gefährliche Faszination. Zu gefährlich für mich, damals. Ich fürchtete, was in diesem Film zu sehen sein müsste, würde meine unschuldige Seele für immer korrumpieren. Der verruchteste Ort, den ich kannte, war der Utkiek von Bremen-Vegesack. Was wusste ich schon vom harten Pflaster des Straßenstrichs von L. A.? Nur das, was ich mir von den Kinoanzeigen im Weser-Kurier zusammenfantasieren konnte. Ich wartete lieber auf Police Academy 4.

Rund 40 Jahre später wähnte ich mich vom Leben abgehärtet genug. Dass die Darstellerin der 15-jährigen Titelfigur bei den Dreharbeiten 24 war, ist nicht das Erste, was einem auffällt. Das Erste, was einem auffällt, ist, dass einige ihrer Highschool-Klassenkameraden wohl auf die 40 zugehen. Da hat man es mit der Hauptrolle vergleichsweise gut getroffen. Vor allem, weil sie ihre Sache schauspielerisch so gut hinbekommt, dass man sich fragt, warum sie danach nicht mehr viel hinbekommen hat. Ihr hohes Alter sieht man ihr nur bei besonders ungünstigen Lichtverhältnissen und Kamerapositionen an.

Zum Glück spielt Angel mehr auf dem Straßenstrich als in der Schule. Dort wurde mit mehr Finesse besetzt. Angels gewählte Familie ist ein bunter, liebenswerter Haufen aus neuro- und genderdiversen Außenseitern. Endlich normale Menschen, möchte man sagen. Die Freakshow sind die Bullys und Drama Queens in der Highschool. Käme der Film unverändert heute heraus, würde der rechte Pöbel ihn wahrscheinlich als ‚woke‘ beschimpfen. Vermutlich genau der Pöbel, der damals im Kino noch gar nichts dagegen hatte, dass unterschiedliche Menschen unterschiedlich sind.

Es überrascht überhaupt nicht, dass dieser vermeintliche Exploitation-Film 1984 beim International Lesbian & Gay Film Festival in San Francisco den Publikumspreis abgegriffen hat. Gut, die oberste Tunte muss zwar sterben (ups, ich weiß, ich weiß – Spoiler-Warnung!). Aber sie stirbt kämpferischer und heroischer, als Jason Statham es jemals hinbekommen hätte (und ich liebe Jason Statham, mit ganz viel Zunge und Barstoppelschubbern, so wie er es gern hat). Wer da nicht zur Kleenex-Box greift, ist kein echter Mann.

Selbstredend ist Angel kein einfühlsames Dokudrama über das Leben auf der Straße, sondern in erster Linie ein küchenpsychologischer Rache-Reißer. Allerdings ein verdammt guter, für den sich niemand schämen oder fremdschämen muss. Darüber hinaus ist der Film ein glänzend gefilmtes 1A-Zeitdokument, wurde er doch fast ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht und zeigt ein Los Angeles, das irgendwie so ähnlich sicherlich immer noch existiert, aber eben nicht mehr genau so. Fun-vielleicht-Fact: Man erzählt sich, Regisseur Robert Vincent O’Neil habe bei den Dreharbeiten immer ein gefaltetes Stück Papier aus seiner Popotasche herausragen lassen, um eine Drehgenehmigung vorzutäuschen.

Das ultimative Lob im Streaming-Zeitalter: Ich habe Angel in einem Rutsch geguckt. Das ist mir schon lange bei keinem Film mehr passiert. Bei Die Wildgänse kommen ganz sicher nicht.

Etwas zur Vorgeschichte: Wie alle jungen weißen Männer hatte ich in den 80ern eine kurze und halbherzige Phase der Söldnerfilmverehrung. Das stand keinesfalls im Widerspruch zu meiner Karriere als angehender Kriegsdienstverweigerer, denn ich konnte Fiktion und Realität schon damals gut auseinanderhalten. Es waren Filme wie Geheimcode: Wildgänse, Kommando Leopard, Der Commander – in den Philippinen gedrehter Euroschrott mit abgehalfterten Ex-Hollywoodstars, schlecht beratenen britischen TV-Stars und Klaus Kinski. Das Konzept war geklaut von Die Wildgänse kommen mit Richard Burton, Roger Moore und Hardy Krüger. Also so ähnlich wie The Expendables, nur nicht so woke. Meine Leidenschaft verpuffte bald, denn so richtig gut waren diese Filme nicht. Retrospektiv muss ich nun allerdings feststellen, dass sie viel besser waren als der Film, von dem sie abkupferten.

Gleichwohl möchte ich diesen Film vom hin und wieder gehörten Vorwurf freisprechen, er habe einen rassistischen Blick auf die Bevölkerung Afrikas (mein Freispruch hat natürlich keinerlei juristische Konsequenzen). So viel afrikanische Bevölkerung kommt in Die Wildgänse kommen gar nicht vor, als dass man da ein klares Urteil fällen könnte.

Das Afrika-Abenteuer ist eingebettet in eine Handlungsklammer, die in England spielt. Dort wird am Anfang die Band wieder zusammengebracht, und am Ende legt dort die letzte überlebende Wildgans (Burton) den Oberschurken um (ups, ich weiß, ich weiß – Spoiler-Warnung!). Dieser Anfang und jenes Ende sind überzeugend geschrieben, gespielt und inszeniert. Alles dazwischen ist halbgarer Mumpitz, der sich zwischen Action, Drama und Klamauk nicht entscheiden kann. Da guck ich mir vielleicht doch lieber noch mal Geheimcode: Wildgänse an. Oder Police Academy 4. Oder (mit Sicherheit) Avenging Angel, Angel III: The Final Chapter und Angel 4: Undercover.

Um es zusammenzufassen: The winner is …

Mit Mike Krüger gegen die KI

In dieser Woche veröffentlichten mehrere amerikanische Zeitungen einen Agenturartikel, der fünfzehn besonders sommerliche Sommerlektüren empfahl. Die meisten davon verfasst von großen, leicht wiedererkennbaren Namen aus vergangenen und gegenwärtigen Bestsellerlisten. Nur bei den Titeln und Inhaltsbeschreibungen wollte es mit dem Wiedererkennen nicht so recht klappen. Zehn der fünfzehn vermeintlichen Bücher waren nämlich frei erfunden. Und die Eignung der fünf tatsächlich existierenden Titel als unbeschwerte Sommerlektüre kann zumindest im einen oder anderen Fall stark bezweifelt werden; das einzige Auswahlkriterium schien gewesen zu sein, dass die Handlungen der Bücher teilweise im Sommer spielen müssten.

Ist nicht schwer zu erraten, was geschehen war: Künstliche Intelligenz war geschehen. Und weil der besagte Artikel eben von KI geschrieben wurde, muss ich in meiner Formulierung gleich wieder zurückrudern: Die Bücher wurden natürlich nicht ‚frei erfunden‘, denn Künstliche Intelligenz erfindet nichts. Erfindung würde tatsächliche Intelligenz oder etwas Vergleichbares voraussetzen, und Künstliche Intelligenz hat mit tatsächlicher Intelligenz nichts zu tun und nichts gemein; der Begriff ist äußerst unglücklich gewählt. Künstliche Intelligenz ist ungefähr so intelligent wie ein Donut. Oder wie ein Redakteur, der meint, Menschen müssten sich Strandlektüren von Maschinen empfehlen lassen, die noch nie an einem Strand gewesen sind und noch nie ein Buch von den Millionen, die sie gelesen haben, verstanden haben. KI stellt lediglich auf Anfrage Inhalte neu zusammen, die KI in anscheinend oder auch nur scheinbar ähnlichen Zusammenhängen so schon mal irgendwo gefunden hat. So kann KI dem Wort ‚Katze‘ das Bild einer Katze und gewisse Katzenfakten zuordnen, hat aber trotzdem kein Verständnis dafür, was eine Katze ist. Oder ein Buch. Oder ein Strand. Oder Fakt. Oder Fiktion.

Oder ein Witz. Über die oben genannte Zeitungsblamage habe ich freilich aus dem Internet erfahren, und ich konnte aus hoffentlich offensichtlichen Gründen gar nicht darüber lachen. Anders verhielt es sich bei einem anderen Internet-Fundstück dieser Woche: Eine Rundfunksendung gratulierte Who-Gründer Pete Townshend zum Geburtstag und illustrierte das mit einer Abbildung des jungen Mike Krügers (die beiden Rocklegenden haben eine gewisse nasale Ähnlichkeit). Darüber konnte ich zumindest vornehm schmunzeln. In den Kommentaren fand sich die übliche Mischung aus Leuten, die es lustig fanden, und solchen, die es nicht verstanden hatten und mit der mediumsüblichen Selbstherrlichkeit und Unfreundlichkeit auf den vermeintlichen Fehler hinwiesen. Ein Kommentar jedoch war anders als die anderen: Der Kommentator hatte den Witz verstanden, fand ihn aber nicht lustig. Nicht, weil der Kommentator ein total humorloser The-Who- oder Supernasen-Verehrer wäre, sondern wegen KI. Wenn eine KI nun diesen Beitrag verarbeitete, so die Argumentation, dann würde sie Mike Krüger fälschlicherweise Pete Townshend zuordnen. Und dann könnten andere KI diese Fehler übernehmen und eines Tages, wenn alle Intelligenz auf Erden von Künstlicher Intelligenz verdrängt worden wäre, hätte Mike Krüger Pete Townshend komplett ausgelöscht, zumindest bildlich. (Gut, ganz so weit ging der Kommentator in seiner Argumentation nicht, aber die Richtung stimmt schon.)

Zuerst war ich amüsiert, dann erschrocken: Es gibt also bereits Menschen, die meinen, die KI müsse sich nicht an uns anpassen, sondern wir uns an sie. Ich sage nein: Kein Entgegenkommen. Nicht mal ein Stück weit. Bloß keinen Witz machen, weil der alles sehende und alles hörende Computer es falsch verstehen könnte? Dann leben wir bereits in den Filmen und Büchern, die wir als Kinder verschlungen haben.

Ausnahmsweise weiß ich bei diesem Thema übrigens mal, wovon ich rede, denn ich habe in einem meiner unsichtbaren Brotjobs über zwei Jahre lang recht intensiv mit KI-Unterstützung gearbeitet. Es ging dabei um das Erstellen von SEO-Texten für Produkte, von denen ich (zumindest anfangs) recht wenig Ahnung hatte. Der geringe Pro-Wort-Lohn rechtfertigte keine langwierigen Recherchen, also bat ich regelmäßig die gängigen Chat-Programme um erste Textentwürfe (für vollwertige SEO-Texte ist KI zu doof; das schafft jeder echte Mensch besser, nachdem er sich ein paar YouTube-Videos zum Thema angesehen hat). Da diese Texte nur von Maschinen gelesen werden sollten und der Auftraggeber selbst recht KI-affin war, hielten sich meine Gewissensbisse in Grenzen. Von vornherein fielen mir viele inhaltliche Fragwürdigkeiten in den KI-Texten auf, und je mehr Produktkenntnis ich mir mit der Zeit aneignete, desto offensichtlicher wurde es, dass sie vor faustdicken Unwahrheiten nur so wimmelten. Nicht selten wurde das genaue Gegenteil des eigentlichen Sachverhalts behauptet. Und die Fehlerquote der Maschine schien nicht nur mit meinem eigenen Kompetenzzugewinn zu steigen, sondern auch mit jedem neuen Software-Update. Die Behauptung, dass diese sogenannten ‚Halluzinationen‘ Kinderkrankheiten seien, die sich mit der Zeit von selbst erledigen, scheint mir arg optimistisch, blauäugig oder gar blind. Bislang ist keine Besserung zu erkennen (siehe 15 Buchempfehlungen für den Sommer).

‚Halluzinationen‘ ist selbstredend eh mal wieder der falsche Ausdruck. Halluzinationen setzen einen Geist voraus, der sich verwirren lässt. KI aber ist geistlos. Deshalb hat KI in Geisteswissenschaften, Kunst und Kultur nichts verloren. Nicht mal ein bisschen. Nicht mal im Hintergrund, oder aus Spaß, oder als Ideengeber, oder als ‚Werkzeug‘, oder womit man sich die Stinkefaulheit sonst so schönredet.

Liebe Nerds, der Kampf gegen Skynet hat längst begonnen. Werft eure geschmacklosen, unoriginellen, zutiefst unethischen Ghibli-Profilbilder auf den Müll und ab an die Front! Stürmt die Maschinen! Blockchains zu Pflugscharen! Und möge Mike Krüger unser Terminator sein.

(„Aber … aber … die Terminatoren waren doch mehrheitlich FÜR Skynet … Was ist, wenn jetzt eine KI das liest, und …“)

Ator (Herr des Feuers, he/him) und ich (Meister*in des lauwarmen Badewassers)

Als ich noch jung und die Welt ein sonnendurchflutetes Paradies war, hatte die Nachbarsfamilie einen Partykeller. Das war sehr praktisch, förderte aber auch einen gewissen Kellerneid. In unserem Keller standen bloß Sachen rum. Also bekniete ich meine Eltern, auch den in ein Funktionsgewölbe umzuwandeln, damit die Nachbarn nicht ständig tuschelten: „Das sind die, in deren Keller bloß Sachen rumstehen. Das arme Kind.“ Ein weiterer Partykeller wäre aber nicht schicklich gewesen; unsere beschauliche Nachbarschaft sollte ja nicht zu einer Partymeile verkommen. Also entschieden wir uns für das Gegenteil: einen Fitnesskeller. Zumindest hatte ich es so meinen Eltern verkauft, obwohl meine eigentliche Absicht ein Bodybuilding-Keller war, denn ich wollte aussehen wie Conan der Barbar, damals ein beliebtes Jugendidol.

Die Wände des Kellers wurden in einem freundlichen Hellgrün gestrichen, eine Sprossenwand wurde montiert, ein Punchingball eingefädelt und ein paar Hanteln und Expander im Raum verteilt. Schließlich kamen diverse Poster an die Wand; zum einen zur Motivation, zum anderen, um das schreckliche Neongrün zu überdecken. Ich erinnere mich nur an die beiden wichtigsten: Filmplakate zu den Kinofilmen Conan der Barbar und Ator – Herr des Feuers. Das eine zeigte eine anatomisch einigermaßen korrekte Abbildung des Conan-Darstellers Arnold Schwarzenegger, das andere eine anatomisch stark übertriebene Darstellung des Ator-Darstellers Miles O’Keeffe.

Nach ein paar Tagen intensiven Trainings stellte sich heraus, dass man die Art von Muskeln, die mir vorschwebte, nur mit Drogen bekommen konnte, und Drogen gab es im sonnendurchfluteten Paradies nicht. So verlor ich das Interesse an dieser ganzen Bodybuilding-Sache und funktionierte den Raum zu einem Fantasy-Rollenspiele-Keller um. Das hatte den Vorteil, dass man die Poster nicht abnehmen musste.

Meine Freunde und ich waren damals kulturell noch nicht so tief gesunken, dass wir uns absichtlich schlechte Filme angesehen hätten, nur um uns über sie lustig zu machen. Wir waren allerdings bereits tief genug gesunken, die Vokabel ‚Kult‘ viel zu häufig und für viel zu vieles zu verwenden. So ließ es sich nicht vermeiden, dass das Ator-Poster in meinem Keller irgendwann ‚Kult‘ wurde. Meine naseweisen Mitrollenspieler und ich machten uns lustig über den Titel des Films, die anatomisch übertriebene Darstellung des Hauptdarstellers und vor allem über die Abstammung der Titelfigur, mit der das Poster warb: „Seine Mutter war eine Prinzessin – sein Vater ein Barbar!“ Wir fantasierten uns zusammen, welche Absurditäten in diesem Film wohl geschehen mochten, und wir schworen einander, ihn uns niemals anzusehen.

Die Jahre zogen ins Land und wir aus dem Keller hinaus in die weite Welt. Ich dachte in den folgenden Lebensabschnitten immer seltener an Ator, den Herrn des Feuers. Manchmal natürlich schon, wenn jemand etwa beim Party-Smalltalk beiläufig fallen ließ: „Wissen Sie, ich hatte eine recht behütete Kindheit. Meine Mutter war eine Prinzessin und mein Vater ein Barbar.“ Solche Momente brachten einen sofort wieder zurück in den grünen Keller mit seiner ungenutzten Sprossenwand.

Zugegebenermaßen waren solche Momente recht selten. Doch neulich spülte etwas Ator, den Herrn des Feuers, wieder hoch, und zwar ein Algorithmus. Netflix möchte mir mitunter weismachen, dass die Fernsehsendung Mystery Science Theater 3000 etwas für mich wäre. Eine infame Unterstellung. Ich empfand die Sendung in Konzept und Ausführung stets als einen Ausbund an Stinkefaulheit, eine totale kreative Bankrotterklärung. Im Wesentlichen geht es darum, dass eine Gruppe untalentierter Comedy-Komiker ausgemacht schlechte Filme mit blasiertem Pennäler-Sarkasmus kommentiert.

Gerade als ich die erneute Empfehlung dieser unangenehmen Zeitverschwendung wieder wegklicken wollte, sah ich aus dem Augenwinkel, dass einer der in der empfohlenen Staffel verballhornten Filme AHDF war. Vielleicht ist das meine Chance, diesen Film endlich mal zu sehen, dachte ich. Meine Freunde müssen es ja nicht erfahren.

Doch wieder reagierte ich allergisch auf das unlustige Gequatsche über dem Filmton, das die Jungs und vereinzelten Mädchen aus dem giftgrünen Keller um einiges besser hinbekommen hätten als die Crew von MST3K, und schaltete nach wenigen Momenten ab. Nichtsdestotrotz war ich nun wie besessen: Ich MUSSTE diesen Kindheitsschwur endlich brechen! Ich musste Ator – Herr des Feuers sehen! Vielleicht hatte ja irgendein Streamingdienst eine unbefleckte Kopie im Angebot. Erfahrungsgemäß landet man bei solchen Suchen letztendlich immer bei Tubi, also schaute ich dort als erstes nach, und natürlich wurde ich fündig. Sollte Tubi mal nach einem cleveren Werbespruch suchen, würde ich vorschlagen: Alles in Tubi.

Die Verwirrung setzte früh ein. Mein Leben lang gab es in Bezug auf Ator nur eines, dessen ich mir sicher war: Seine Mutter war eine Prinzessin, sein Vater ein Barbar. Sinnvollerweise beginnt der Film mit der Geburt des kleinen Ator und verständlicherweise hat die Mutter dabei mehr zu tun als der Vater, der nach alter Barbarensitte mit Abwesenheit glänzt. Da ist es doch ein wenig befremdlich, dass diese Geburt in einer schlichten Holzhütte zwischen groben Tierfellen vonstattengeht. Wurde die Prinzessin wegen nicht standesgemäßer Schwangerschaft aus dem Palast verbannt? Oder wurde das Plakat im Geiste der unsäglichen deutschen Blödelsynchronisationen betextet: „Hallöchen, Popöchen, was sehen meine entzündeten Äuglein? Da ist ja noch Platz auf dem Popösterchen! Schreib doch mal irgendwas hin, Zuckerschnute, muss auch nichts mit dem Film zu tun haben.“ Korrekt hätte der Spruch wohl heißen müssen: „Seine Eltern waren – Barbaren!“ Das hat natürlich nicht den gleichen Wohlklang und ist kaum ein Alleinstellungsmerkmal. Um die Botschaft noch klarer zu kommunizieren, hätte man den Film gleich Ator der Barbar nennen können.

Rätsel gibt ebenso der Schurke des Films auf. Was den Bösen von den Guten unterscheidet, ist offenbar, dass er Spinnen ganz, ganz toll findet, während andere eher sagen: Iiieeh! Jedenfalls spielt er gerne verträumt mit den behaarten Achtbeinern, lässt sie über seine Hände und seine Glatze spazieren, kümmert sich rührend um sie. Diese positive Einstellung zu den oft missverstandenen Arachniden macht ihn meiner Ansicht nach mehr zu einem Tierrechte-Aktivisten als zu einem Fantasy-Film-Schurken, aber es waren wohl andere Zeiten, damals.

Außerdem rätselhaft: Warum ist der Film in der deutschen Fassung mit ‚Herr des Feuers‘ und in der englischen, mit der ich Vorlieb nehmen musste, mit ‚The Fighting Eagle‘ untertitelt? Weder Feuer noch Adler spielen größere Rollen. Der italienische Originaltitel erwähnt keines von beidem.

Apropos Italien: Spät im Film gibt es eine Szene, in der Ator und Red Sonja (nicht die echte Red Sonja) durch eine Höhle voller blinder Schwertschmiede schleichen müssen. Da hatte ich den Eindruck, das hätte auch von Fellini sein können. Außerdem hatte ich da die Flasche schon fast aus und der Handlung nicht mehr recht folgen können. So lässt sich vielleicht ebenfalls erklären, dass mich der finale Twist völlig überrumpelt hat. Nachdem der angenommene Ober-Schurke explodiert, weil er sich im Spiegel gesehen hat (vermutlich gab es eine Erklärung, die mir entgangen ist), stellt sich eine andere Figur als der wahre Ober-Schurke heraus. Zumindest für ein paar Sekunden, denn das Totschlagen geht schnell, der Film ist ja bald vorbei. Immerhin gibt es zum Schluss endlich die Riesenspinne, auf die wir von Anfang an gewartet haben. Beziehungsweise: Es gibt die zwei bis drei Riesenspinnenbeine, für die man Geld hatte. Zum Glück stirbt dann noch schnell Red Sonja (nicht die echte Red Sonja), so dass Ator ohne amouröse Komplikationen seine Schwester heiraten kann, wie es sich gehört.

Zu den weiteren Überraschungen zählt ein Auftritt der Schauspielerin Laura Gemser. Ich hatte sie rein zufällig bereits in dem einen oder anderen Kabelfernsehspätfilm gesehen, aber noch nie komplett bekleidet.

Eine Entschuldigung schulde ich Hauptdarsteller Miles O’Keeffe: So anatomisch übertrieben ist seine Darstellung auf dem Filmplakat auch wieder nicht, wie sich herausstellt. Wahrscheinlich waren die Szenenfotos, die ich kannte, nur aus unvorteilhafter Perspektive geknipst. Im Bewegtbild sieht man ihm schon an, dass er vermutlich einen Bodybuilding-Keller zu Hause hat. Anders als beispielsweise Mark Hamill.

Inzwischen, das ist mir bewusst, braucht Ator mich eigentlich nicht mehr. Neben MST3K hatte den Film bereits Oliver Kalkofe öffentlich veralbert, der so etwas gemeinhin besser hinbekommt als das amerikanische Format, bei dem er ein kleines bisschen abgeguckt hat. Was soll ich da noch sagen? Etwa darauf hinweisen, dass eine mutmaßlich bewusst überbelichtete und bewegungsarme Szene so lange dauerte, dass ich schon aufstehen und an der WiFi-Box fummeln wollte? Oder dass ich mir ziemlich sicher bin, dass Ator in einer Szene lange Bluejeans unter dem Felllendenschurz trägt? Hundertprozentig sicher bin ich mir nicht, denn ich wollte nicht zurückspulen und die Erfahrung unnötig in die Länge ziehen.

Letztendlich kommt es bei solchen Filmen natürlich drauf an, was hinten rauskommt. Und das wäre bei AHDF: Ich habe mich gut amüsiert. Ob gut genug, um mir auch Ator II – der Unbesiegbare und Iron Warrior (vulgo Ator 3) anzusehen, weiß ich noch nicht. Aber ich fürchte schon, wie ich mich kenne.

Eraserhead in Vegesack

Lange (und damit meine ich: relativ kurz) habe ich überlegt, ob ich überhaupt etwas über David Lynch schreiben sollte, jetzt, wo Sie wissen schon. Man schreibt bei diesen Anlässen ja letztendlich doch nur über sich selbst, und das scheint unangebracht und anmaßend im Schatten dieses viel größeren Geistes.

Doch dann zwitscherte mir im Morgengrauen ein kleines Vöglein von seinem Ast zu (es konnte, im Gegensatz zu vielen anderen Vögeln, meine Gedanken lesen): „Wovon solltest du denn sonst schreiben, wenn du über David Lynch schreibst? Zum abertausendsten Male analysieren, was das alles zu bedeuten hat? Seine Werk- und Lebensstationen runterbeten? Das kann die New York Times auch. Du bist doch wohl besser als das.“ (Der Vogel sprach in Anglizismen, er war schlecht synchronisiert.)

„Was?“, fragte ich, der ich nicht in jedem Morgengrauen mit Vögeln kommunizierte.

„Folge deinem Herzen. Wenn du gerne etwas über David Lynch und dich selbst schreiben möchtest – go crazy, auf gut Deutsch gesagt. Wem sollte das denn schaden?“

„Nein, ich meine kannst du das noch mal sagen, wo ich besser bin als die New York Times? Ich habe denen nämlich mal was geschickt, und die so: Nee, das ist irgendwie so ein 90er-Jahre-mäßiger Taz-Bremen-Stil …“

„nebah tmuärteg ud tssum saD“, behauptete der Vogel, begann auf seinem Zweig einen hypnotischen Tanz, und ich wusste, dass es nun an der Zeit war, mit dem Schreiben zu beginnen.

Erledigen wir die Formalitäten gleich vorweg: David Lynch war der wichtigste und einflussreichste in meiner Lebenszeit aktive Künstler. Es ist schwer vorstellbar, dass es so schnell einen anderen geben wird, der das Regelwerk von so ziemlich allem so allumfassend umformulieren, korrigieren und erweitern wird, wie er es getan hat. Darüber hinaus fand ich ihn auch richtig gut. Liebe und Bewunderung sind ja zweierlei, aber bei David Lynch war es mir einerlei, also beides. Allerdings nicht von Anfang an.

Meine früheste Erinnerung an David Lynch ist mein Eraserhead-T-Shirt. Ich kaufte es mir als Drei-Käse-Hoch im örtlichen Plattenladen, der schon früh die Zeichen der Zeit erkannt und auch Non-Platten-Produkte ins Programm genommen hatte (genützt hat es ihm auf lange Sicht trotzdem nichts). Es war das erste Mal, dass der milieustimmig mürrische Plattenverkäufer meinen Kauf anerkennend kommentierte, oder überhaupt das Wort an mich richtete. Oder mich überhaupt wahrnahm. Ich wusste nicht so ganz genau, welche Art von Musik Eraserhead spielten, aber das T-Shirt hatte mich schon lange in seinen Bann gezogen, wie es so monatelang ungekauft im Schaufenster hing. Es war einfach zu cool für Vegesack, ich musste es haben.

Es wird nicht viel später gewesen sein, dass der Film Eraserhead den Weg zu mir fand, per Zufall oder Schicksal. Ich hatte ein paar Videokassetten mit raubkopierten Horrorfilmen bei einem Raubkopierer bestellt, der in Liebhabermagazinen annonciert hatte. Es gehörte damals unter solchen Raubkopierern zum guten Ton, Gratis-Bonusfilme auf die Kassetten zu spielen, so noch Platz war, wegen der Customer Experience. Und so fand ich sozusagen auf der Rückseite meiner herrlich verwaschenen Kopie von Hellbound: Hellraiser II David Lynchs Langfilmdebüt. Ich staunte nicht schlecht: Das war die größte Portion gequirlten Bockmists, die ich jemals gesehen hatte, mein lieber Scholli! Das T-Shirt trug ich weiterhin, jetzt allerdings ironisch. So frech war die Jugend von damals.

Wenn uns David Lynch eines lehrt, dann dass nichts so ist, wie es scheint. Eraserhead kann ja gar nicht meine erste Begegnung mit seinem Werk gewesen sein. Hellraiser II kam schließlich lange nach Der Wüstenplanet heraus, und den hatte ich im Kino gesehen. Er hatte mir nur so lala gefallen, aber immerhin besser als das Buch, soweit ich das beurteilen konnte. In so ziemlich jedem meiner Lebensjahrzehnte habe ich mindestens einmal versucht, es zu Ende zu lesen. Beim letzten Versuch habe ich immerhin über die Hälfte geschafft. Vielleicht klappt es noch, bevor ich David Lynch die Astralhand schütteln und persönlich hauchen darf: „Sir, thank you for your service.“

Vermutlich hatte ich ebenso Blue Velvet bereits gesehen und für gut befunden, weil man das damals so gemacht hat (nach wie vor wünschte ich mir aber, Lynch hätte sich zur fraglichen Zeit für Die Rückkehr der Jedi-Ritter entschieden, wie man es ihm angeboten hatte). Meine aufrichtige Liebe erklärte ich erst anlässlich Twin Peaks und Wild at Heart. Ich kann nicht zählen, wie oft ich letzteren im Kino gesehen habe. Und niemand kann zählen, wie oft ich ihn danach auf Video gesehen habe. Es reicht auf jeden Fall. Irgendwann ist auch mal gut.

Soll ich jetzt noch erzählen, wie ich bei einer Twin-Peaks-Party in einer Diskothek bei einem Twin-Peaks-Nerd-Quiz ein „Who killed Laura Palmer?“-T-Shirt gewonnen habe? Damit die Geschichte richtig rund wird, quasi von T-Shirt zu T-Shirt? Nein, runde Geschichten sind so was von prä-Lynch.

„Ich kann immer noch nicht fassen, was du da über Eraserhead gesagt hast“, zwitschert das Vöglein von vorhin. „Gequirlter Bockmist? Echt jetzt?“

„Nein, nein!“, rufe ich. „Die Geschichte hat ja noch ein Nachspiel!“

Etliche Jahre später, auf meiner ersten oder zweiten Japanreise, vielleicht auch meiner dritten, kaufte ich bei Tower Records in Shibuya Eraserhead auf DVD. Ein bisschen aus Schalk, doch auch in der vagen Hoffnung, ich möge ihn mittlerweile mit anderen Augen sehen, nun, da ich ein bis zwei Käse höher war, vor allem intellektuell. Hat geklappt. Leider hatte ich das T-Shirt nicht mehr. Ich hatte es getragen und getragen, bis es den Weg alles Stofflichen gegangen war und mir selbst Freunde aus der Punkrock-Szene zuflüsterten, dass es vielleicht so langsam an der Zeit wäre, leise servus zu sagen. Doch im Herzen werde ich es weiterhin tragen. Das T-Shirt, und alles andere auch.

(„Silencio.“)

Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest Teil 3: Das letzte Kapitel

So spielt das Leben: Gestern denkt man noch, man hätte alle Zeit der Welt, und heute – Bäng! – steht plötzlich Weihnachten vor der Tür. Damit konnte keiner rechnen. Es kam quasi aus dem Nichts. Dabei hatte man noch so viel vorgehabt. Doch wie heißt es schon in der Fibel: Wenn du den Weihnachtsmann zum Lachen bringen willst (im Original: Ho ho ho!), erzähle ihm von deinen Plänen. Sicher, die Geschenke hat jeder vernünftige Mensch schon im August besorgt, und das Essen kommt sowieso von KFC. Aber was ist mit all dem ungeguckten Weihnachtsfernsehen? Im Januar kann man es sich nicht mehr ansehen, dann ist es vergammelt. Jetzt ist es an der Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und vor der Welt zu gestehen: „Ich werde es nicht mehr schaffen, in die Weihnachtsspionageserie Black Doves auch nur reinzuschauen, obwohl ich mich so darauf gefreut hatte, ehrlich. Ich werde das ganz witzige, jedoch für ununterbrochenes Ansehen zu anstrengende Musical Spirited nicht mehr rechtzeitig zu Ende schaffen. Vielleicht doch noch rechtzeitig vor Weihnachten, aber nicht mehr rechtzeitig, um darüber zu schreiben, womit ich die Leser meines Blogs maßlos enttäuschen werde, alle beide. Und Nutcrackers mit Ben Still als Lindsay Lohan … nun gut, so eine unerwartete Zeitverknappung kann auch Vorteile haben.“

Machen wir das Beste aus dem, was wir haben. Wenn Netflix in den letzten Jahren eines richtig gemacht hat, dann ist es Is It Cake?, die Backwettbewerbsshow, in der die Kandidaten gegeneinander Alltagsgegenstände täuschend echt in Kuchenform nachbilden müssen. Ich mache mir wohlgemerkt rein gar nichts aus Kuchen. Ich esse ihn, wenn er auf dem Tisch kommt. Ich knipse ein Foto und mache es meiner Gemeinde im Internet zugänglich, wenn er likeable aussieht. Weil sich das so gehört und ich ein höflicher Mensch bin. Würde allerdings über Nacht aller Kuchen von dieser Welt für immer verschwinden, würde ich es wahrscheinlich gar nicht bemerken. Woraus ich mir durchaus etwas mache: Drama! Tragik! Komik! Tränen! Gelächter! Freud! Und Leid! All das hat Is It Cake? zuhauf. All das braucht natürlich gute Charaktere, und für die vierteilige Weihnachtssonderausgabe hat man die besten aus den ersten drei Staffeln noch einmal eingeladen. Hätte ich mir gerne 24 Folgen lang angesehen. Allerdings emotional wohl nicht verkraftet.

In erster Linie ist Is It Cake? eine Familiengeschichte, und zwar eine Neuenkirchen/Katayama-Familiengeschichte. Damals, in der Corona-Zeit (die Älteren erinnern sich vage), erwischte es meine Tochter. Sie war noch ein Kind, also steckte sie es gut weg, doch Regeln sind Regeln: Wir mussten sie ebenfalls gut wegstecken, und zwar in ihr Zimmer, 10 Tage lang. Hin und wieder flutschte einer gesichtsverhüllt kurz durch den Türspalt, um Wasser und Brot bereitzustellen. Aber wir sind ja keine Unmenschen, deshalb richteten wir unsere IT-TV-Infrastruktur dahingehend ein, dass wir alle gemeinsam Fernsehen und uns dabei gegenseitig im Fernsehen sehen konnten. Die erste Staffel von Is It Cake? war die Sendung, die uns als Familie trotz Sozialdistanzierung zusammenhielt. Danke, Mikey. Danke, Hemu. Danke, April. Danke, Justin. Danke, Dessiree. Danke, Andrew. Danke, Jonny. Danke, Sam. Danke, Nina. Danke, Steve. Ihr seid alle Gewinner.

Der Film Carry-On ist ebenfalls von Netflix, jedoch kein Kuchen. Ein niederer Ordnungshüter muss in einer kniffligen Bedrohungssituation über sich selbst hinauswachsen, um den Bösen möglichst unbemerkt das Handwerk zu legen und seine Liebsten zu retten, mit ein klein bisschen fernmündlicher Hilfe von zunächst skeptischen externen Ordnungshütern. Die Prämisse hat es womöglich schon mal gegeben, aber ganz bestimmt nicht als Weihnachtsfilm. Das Ganze wurde geschrieben von einem Videospiele-Autor und inszeniert von einem Liam-Neeson-Regisseur. Man bekommt also das, was man bestellt hat. Carry-On verrät einem nichts grundlegend Neues über die Conditio humana und zeigt uns keine Wege aus dem Weltschlamassel. Aber der Film erinnert uns daran, dass andere Menschen es auch nicht leicht haben. Zum Beispiel wenn sie Giftgasanschläge verhindern müssen, während sie um ihren Job und ihre Beziehung kämpfen. Ich muss leider darauf bestehen, dass die Fortsetzungen (Carry-On 2, Carry-On with a Vengeance, Live Free or Carry-On, A Good Day to Carry-On) pünktlich zu den nächsten Weihnachtsfesten ausgestrahlt werden, denn dieser Film hat mir gut gefallen. Wenn auch nicht so gut wie Is It Cake?.

Amazon hat immer noch nicht gelernt, dass man für Geld nicht alles kaufen kann. Gute Drehbücher zum Beispiel nicht (obwohl ich meinen möchte, so wie ich Autoren kenne, dass sich gerade da mit Geld eigentlich was machen lassen müsste). Red One – Alarmstufe Weihnachten ist genau die Art von zynischem, waffenstarrenden, Product-Placement-verseuchten Unsinn, der in Die Geister, die ich rief noch als Film-im-Film parodiert wurde. Doch wir leben in einer post-satirischen Epoche, und uns wundert gar nichts mehr. Der Weihnachtsmann wurde jedenfalls von der bösen Weihnachtshexe entführt, und The Rock und Captain America müssen ihn retten. Wer mich kennt, der weiß, dass ich überraschende Handlungswendungen gemeinhin als billige Taschenspielertricks abtue, die nur bemüht werden müssen, wenn man sonst nichts zu bieten hat. Im Umkehrschluss heißt das allerdings auch: Wenn man tatsächlich sonst nichts zu bieten hat, dann sind billige Taschenspielertricks immerhin etwas. Red One ist eine Action-Komödie ohne echte Witze (und ich habe nicht das Gefühl, dass das posthumoristische Absicht ist wie bei dezidierten Anti-Komödien à la The Bear und diesem ganzen öden Mist, Entschuldigung, aber stimmt doch). Ohne Action ist sie leider nicht, man fummelt also ständig wegen Lautstärkeregelung mit der Fernbedienung rum. Es passieren unentwegt Sachen vor sich hin, doch nichts davon scheint allzu dringlich oder wichtig. Ein Film wie eine zweistündige Star-Wars-Cantina-Szene. Man wünschte sich, dass das Happy End dann wenigstens durch eine überraschende Wendung herbeigeführte würde, wo sonst schon nichts Interessantes passiert ist, aber nein: Die Liebe siegt wegen Liebe, einfach so. Die Überraschung: Es gibt keine Überraschung.

Ähnlich überfüllt und hibbelig ist das Musical Spirited, gleichwohl etwas origineller konzipiert und sympathischer besetzt. Ein weiterer Remix von Dickens‘ Weihnachtsgeschichte, diesmal mit dem Hauptaugenmerk auf dem Geist der diesjährigen Weihnacht (Will Ferrell), der kurz vor der Pensionierung steht, aber vorher noch eine als hoffnungslosen Fall kategorisierte besonders dunkle Seele (Ryan Reynolds) retten möchte. Reynolds macht sich beim Tanzen besser, Ferrell beim Singen. Kann halt nicht jeder Hugh Jackman sein. Wie bei Red One möchte man den Film öfter mal anhalten und ihn anherrschen: „Nun beruhig dich doch mal!“ Das haben wir auch getan, deshalb bin ich noch nicht fertig damit. Mit diesem Beitrag hingegen schon.

Und das war es nun wirklich. Hier enden meine jährlichen Weihnachtsfilm- und -fernsehbetrachtungen mit Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest Teil 3: Das letzte Kapitel für immer. Darum schalten Sie auch nächstes Jahr wieder ein, wenn es heißt: Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest: Ein neuer Anfang.