Generation Freddy, Teil 3: Das Letzte

Nach den Achtungserfolgen von Teil 1 und Teil 2 nun der dritte, überraschend lineare Teil meiner ansonsten non-linearen Nightmare-on-Elm-Street-Retrospektive.

Jetzt bitte alle die Freddy-Vision-Brillen aufsetzen, denn es ist Zeit für Freddy’s Finale – Nightmare on Elm Street 6.

Nightmare 6 war tatsächlich der letzte Teil der Serie, aber irgendwie auch nicht so richtig. Es ist ein 3D-Film, aber nicht ganz. Er spielt in einer postapokalyptischen nahen Zukunft (von uns aus gesehen eine postapokalyptische nahe Vergangenheit), in der es keine Teenager mehr gibt, weil Freddy Krueger sie alle abgemurkst hat. Aber irgendwie gibt es doch noch welche. Das Worldbuilding hat es nicht so mit der Eindeutigkeit. Es gibt Gastauftritte von Leuten, die mal berühmt waren (Roseanne Barr, Tom Arnold, Johnny Depp), und Alice Cooper. Johnny Depp spielt hier eine andere Rolle als im ersten Nightmare. Der Film nimmt es also mit der Kontinuität ebenfalls nicht allzu genau.

Bei aller konzeptioneller Lieblosigkeit gibt es doch ein paar inspirierte Szenen, und zwar vor allem im vergnüglichen zweiten Akt, wo Filme traditionell eher durchhängen (kann Nightmare 6 denn gar nichts richtig machen?). Die Kopfexplosion durch nervige Tafelkratzgeräusche und das Videospielduell gegen Freddy, bei dem angeblich mutwillig ein Nintendo-Copyright verletzt wurde, haben genau die richtige Mischung aus Horror und Humor, die der Serie zum Markenzeichen wurde. Freddy-Darsteller Robert Englund hat man auch schon mal unmotivierter gesehen. Obwohl ich manchmal hätte schwören können, dass er hier von Ed O’Neill gedoubelt wurde.

Letztendlich kann man sagen: Eine halbe Stunde trostlose Langeweile, eine halbe Stunde flotte Unterhaltung. Und dann kommt die Freddy-Vision.

Nightmare 6 wurde als 3D-Film beworben, tatsächlich ist allerdings nur eine kurze Passage im Showdown wirklich in 3D. Das ist vielleicht gut so. Von Metalstorm über Tutti Frutti bis zur beängstigend langen 3D-Idiotie der Nuller- und 10er-Jahre war die dritte Dimension noch nie eine, die bei Bewegtbildwerken irgendetwas besser gemacht hätte. Nightmare 6 ist da keine Ausnahme.

Wenn die Charaktere im Film nach einer äußerst windigen Erklärung ihre 3D-Brillen aufsetzen, sollte das Kinopublikum das ebenfalls tun. Der Film wird dann zu einer schluderig gemachten Geisterbahnfahrt durch Freddys Bewusstsein. Leider werden die guten, dramatischen Charaktermomente dabei stets unterbrochen, weil wieder irgendwas in die Kamera fliegen muss. Wegen besagter guter Momente kommt mir Nightmare 6 heute immerhin nicht mehr wie der Totalausfall vor, an den ich mich zu erinnern glaubte. Ein würdiger Abschluss sieht trotzdem anders aus.

Bevor es weitergeht, reden wir ausnahmsweise mal Klartext: Ich bekomme NICHTS dafür, dass ich das hier mache. Außer Liebe. Aber für Liebe kann man sich bekanntlich nicht mal Lakritzschnecken kaufen. Und es kommt noch bunter: Ich habe bei dieser Retrospektive sogar draufgezahlt. Und zwar 330 Yen Leihgebühr für Nightmare 6. Die anderen bislang besprochenen Filme gab es alle im regulären Hulu-Programm, für das ich eh schon bezahle, um ständig über die neuesten Castingshow-Ergebnisse informiert zu sein. Nightmare 6 war von diesem Schein-Gratisprogramm ausgenommen. Der nächste Film, New Nightmare, gar nicht erst im Angebot. Könnte ich mir anderswo kostenpflichtig leihen, aber irgendwann ist es auch mal gut mit meiner Bereitschaft, immer nur zu geben und zu geben und zu geben und nichts zurückzubekommen (außer Liebe). Sicher, ich könnte auch meine eigene DVD suchen, die bestimmt in irgendeinem Einsteckordner steckt (oder bewahrt ihr die ganzen Umverpackungen auf?). Hätte ich damals bei der Bestückung der Ordner irgendeine Ordnung walten lassen, wäre das in Betracht zu ziehen. Habe ich aber nicht, als ich meine Nightmare-DVDs für immer verlor, irgendwo zwischen Citizen Kane und Josie and the Pussycats.

Um Zeit zu gewinnen, beschloss ich, etwas Tolldreistes zu wagen: Mir das Nightmare-Remake von 2010 anzusehen. Man muss wohl nicht extra erwähnen, dass das nicht Teil meines ursprünglichen Plans war. Nun rationalisierte ich, dass es zwei gute Gründe gäbe, diesem Werk doch noch eine Chance zu geben. Zum einen wird es ja nun wirklich von allen gehasst, also stehen die Chancen gut, dass ich ihm etwas abgewinnen kann. Denn ich habe schließlich nichts im Leben außer meinen kindisch-konträren Meinungen. Zweitens sah ich es zum ersten und bislang einzigen Mal in einem sehr angespannten Lebensabschnitt, in dem ich rückblickend manchem Film Unrecht getan hatte. Ich arbeitete in einem bürgerlichen Beruf, der mir einiges abverlangte (vor allem Zeit, die sich sinnvoller hätte nutzen lassen), und an einigen Tagen besuchte ich danach noch die Abendschule für den Fremdsprachenunterricht. An solchen Tagen war es Tradition, bei meiner späten Heimkehr eine Flasche Wein und den neuesten Umschlag der Versandvideothek zu öffnen, und mich gefälligst gut unterhalten zu lassen. Oft konnte ich die Augen nicht bis zum Schluss des Films offen halten, was ich dem Film ankreidete, und nicht etwa den ausbeuterischen Gesellschaftsverhältnissen oder dem Weine. Als ich so eines Nachts das Nightmare-Remake ansah (oder eben nicht ansah), erinnerte ich mich an meinen eigenen Großvater, als wir einmal spät nachts im großelterlichen Wohnzimmer nach der Ziehung der Lottozahlen und der Sportschau Godzilla gesehen hatten. Wenn solche Filme im Fernsehen liefen, musste ich als kleiner Bub bei meinen Großeltern übernachten, weil ich sie zu Hause nicht sehen durfte. Mein Großvater verschlief den Großteil des Films, wachte aber gelegentlich kurz auf, grummelte: „Was ist denn das für ein Quatsch?“, und schlief dann gleich wieder ein. Haargenau so habe ich beim ersten Mal A Nightmare on Elm Street von 2010 erlebt, nur dass ich jetzt selbst der Opa war.

Bonusgrund für einen Neuversuch: Ich habe theoretisch gar nichts gegen Remakes. Bloß praktisch. Prinzipiell finde ich es legitim, klassische Stoffe zu aktualisieren, neu zu interpretieren, aus anderen Perspektiven zu betrachten, dabei unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Ist beim Theater gang und gäbe. Da wird zwar auch nicht jede Neuinszenierung von Publikum und Kritik mit der gleichen Wärme empfangen, aber wenigstens fehlt der Chor bärtiger Muttersöhnchen in Heavy-Metal-T-Shirts, die jedes Mal reflexartig lamentieren: „Uäh, nicht noch ein Macbeth-Remake!“

Einen Haken hat die Sache selbstverständlich: Film-Remakes werden nie aus den richtigen Gründen gemacht. Film-Remakes werden gemacht, weil sich die Verantwortlichen denken: Hat schon mal Kasse gemacht, macht bestimmt wieder Kasse. Und man muss sich im Vorfeld nicht so viele von diesen lästigen kreativen Gedanken machen wie bei Originalstoffen.

Vielleicht ist es beim Nightmare-Remake ja anders.

Nach einer 20-minütigen Lektion in erbärmlichster cineastischer Ideen-, Lust- und Leidenschaftslosigkeit zitierte ich wieder meinen Großvater, schaltete den Fernseher aus und begann wie von Sinnen meine DVD von New Nightmare zu suchen. Ich fand sie in keinem meiner Einsteckordner, also vermutete ich, sie könnte noch Teil eines der wenigen Boxsets sein, die ich intakt gelassen und nicht zerrupft habe, aus Gründen der Platzersparnis und als Protest gegen den kapitalistischen Sammelfetischismus. Ich schaute in allen klassischen DVD-Box-Geheimverstecken nach. Im obersten Regal im Kinderzimmer, in den Einbauschränken und Muji-Schubladengarnituren des Master Bedrooms, in der Fernsehkommode ebendort und der im Wohnzimmer, im Sicherungskasten im Flur. Ich machte ein paar erfreuliche Überraschungsfunde, doch hinsichtlich Nightmare überall Fehlanzeige.

Ein Wendepunkt in meinem Verhältnis zu materiellem Besitz war selbstverständlich mein Umzug nach Japan gewesen. Nicht jeder kleine Trash konnte damals mit auf die Arche. Dieses Loslassen vom Tand war sehr befreiend. Aber dass ich nicht sentimental genug gewesen sein sollte, meine Nightmare-Box oder zumindest ihren Inhalt einzupacken, kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht dachte ich mir damals: Kaufe ich mir wahrscheinlich eh bald als Blu-ray nach. So weit ist es allerdings nie gekommen, und heute kommt mir dieser unpraktische, unansehnliche Kunststoffschrott nicht mehr ins Haus.

Also bezahle ich eben doch die Leihgebühr – für EUCH!

Freddy’s New Nightmare (im Original weniger volkstümlich Wes Craven’s New Nightmare) ist nur bedingt eine direkte Fortsetzung der vorangegangenen Filme, da hier diverse Schauspieler und Kreativköpfe der Serie sich selbst spielen und die bisherigen Filme zur Fiktion innerhalb der Fiktion erklärt wurden. New Nightmare war ein Meta-Horrorfilm, bevor ‚meta‘ zu einem Augenroll-Wort wurde.

Beim ersten Sehen dachte ich: Zu wenig Horror und zu viele Szenen mit Menschen, die auf Parkbänken sitzen und weinen. Bei meiner ersten Retrospektive vor schätzungsweise 20 Jahren dachte ich: Stimmt, immer noch zu wenig Horror und zu viel Parkbank-Heulerei. Heute denke ich: Ich verstehe diese Menschen, die da auf den Parkbänken weinen! Der reine Horror!

Bei aller Ablehnung gegen melodramatische Klischeephrasen muss ich sagen: A-ha-ha-hals Va-ha-ha-hater sehe ich den Film heute vielleicht tatsächlich anders. Oder genauer. Oder fühle ihn anders. Oder genauer. Aber Gefühlen sollte man freilich ohne wissenschaftliche Überprüfung nicht trauen. Auch Meinungen und Gefühle von Nicht-Eltern haben weiterhin ihre Gültigkeit.

Nach wie vor finde ich, dass der Film seine satirische Ebene und seine Horrorebene nicht befriedigend zusammenbringt. So mega meta ist er letztendlich doch nicht. Irgendwann ist die Selbstreferenzialität kaum mehr als ein zu vernachlässigendes Gimmick in einer soliden Freddy-Fortsetzung. Immerhin ist es ein besseres Gimmick als Freddy-Vision. Deshalb bin ich froh, dass meine Retrospektive mit diesem schönen Film endet, dessen Längen mir früher deutlich länger vorkamen.

Ich bin ebenfalls froh, dass ich es überhaupt gemacht habe (in 20 Jahren wieder, versprochen, behaupte ich mal so). Selbst wenn ich hier und da ein bisschen gemein gewesen sein sollte (so wird man halt im Alter), hatte ich unterm Strich doch mehr Spaß als Verdruss.

Und ich bin froh, dass es nun erst mal wieder vorbei ist. In den letzten knapp drei Wochen habe ich nicht nur acht themenrelevante Spielfilme und einen Zerquetschten gesehen, sondern auch zwei Nightmare-Dokumentationen mit insgesamt fast 6 Stunden Laufzeit. Jetzt kann ich damit bestimmt beim Großen Preis auftreten. Ich schicke gleich mal meine Bewerbungsunterlagen inklusive vorfrankiertem Rückumschlag ans ZDF.

Generation Freddy (Teil 2 von 3)

Was bisher geschah: Siehe letzte Woche.

Wo waren wir stehen geblieben? Wen kümmert’s, weiter geht es bei meiner non-linearen Nightmare-on-Elm-Street-Retrospektive mit Freddy vs. Jason. Zu meiner eigenen Überraschung, denn den wollte ich eigentlich aussparen. Doch der Algorithmus spülte ihn mir hoch, und das Herz begehrt nun mal, was das Herz begehrt. Da kann der Verstand mitunter nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und kapitulieren.

Freddy vs. Jason ist einer dieser Filme, an dessen Skript sich angeblich jahrelang diverse prominente Horrorautoren versucht haben. Zum Schluss schlackerte der Endverbraucher mit den Ohren, rieb sich die Augen und fragte baff: „Und dann habt ihr das genommen?“ Das Autorengespann Dings und Bums hatte vor Freddy vs. Jason nichts gemacht und wurde hinterher zu Baywatch verdonnert. Eigentlich handelt es sich bei ihrem Debüt nicht, wie man angesichts des Titels meinen könnte, um ein demokratisches Crossover der Nightmare- und Freitag-der-13.-Serien, sondern um eine Fließband-Nightmare-Folge mit ein paar Gastauftritten von Freitagskiller Jason. Angesichts des unüberbrückbaren Niveaugrabens zwischen den Franchises muss man sagen: Zum Glück.

Freddy vs. Jason war seinerzeit eine einzige Enttäuschung. Doch muss ich zugeben, dass mich jede Wiederholung ein wenig milder stimmt. Was mir dieses Mal etwas klarer wurde als bei früheren Versuchen: Das Skript und die Darsteller haben durchaus ihren augenzwinkernden Spaß mit den Horrorstereotypen, die hier breitgetreten werden. Das Ganze erreicht sicherlich nicht die selbstreferenziellen Meta-Ebenen von Scream oder Wes Craven’s New Nightmare, aber es hilft ein wenig. Da mir das vorher nicht aufgefallen ist und ich mir nun bei Tageslicht nicht mehr sicher bin, ob ich das nicht bloß hineininterpretiert habe, muss die provokante Frage erlaubt sein: Ist Freddy vs. Jason etwa zu … subtil?

Zumindest die erste Stunde vergeht dank Regisseur Ronny Yu (The Bride with White Hair, Bride of Chucky, Bride …, nee, das war’s) wie im Flug. Leider nimmt der Film im letzten Akt seinen Titel viel zu ernst und wird zu einer einzigen Monsterkeilerei, in der menschliche Charaktere kaum noch etwas zu tun haben. Wen interessiert das? Vielleicht Fans von amerikanischen Schau-Ringkämpfen. Der Reiz dieses bizarren Phänomens hat sich mir nie erschlossen.

Nightmare on Elm Street 4 (das ist tatsächlich der offizielle deutsche Titel – richtig viel Mühe gegeben) hat mit Freddy vs. Jason gemein, dass hier ein patenter Regisseur die Kohlen aus dem Feuer holt. Und damit hat er alle Hände voll zu tun. Unter den Nightmare-Filmen nimmt dieser eine Sonderstellung ein: Es ist die einzige Hollywood-Autopilot-Standard-Fortsetzung der Serie. Jeder andere Teil ringt dem Konzept irgendetwas Neues ab (der ebenfalls stark standardisierte Freddy vs. Jason läuft hier außer Konkurrenz). Bloß Nightmare 4 macht einfach dasselbe wie Nightmare 3, nur nicht so frisch. Was daran trotzdem gut ist, ist es wegen Regisseur Renny Harlin. Weil er die Serie versteht, das Genre versteht und Film versteht. Noch besser wäre es freilich gewesen, wenn die Drehbuchautoren auch etwas von alledem verstanden hätten. Der Film ist gut inszenierter Quatsch mit Soße.

Jahrelang habe ich mich über Renny Harlin lustig gemacht, weil sein Stil so pompös ist und er auf Fortsetzungen, Vorgeschichten, Spin-offs, Reboots und dergleichen abonniert zu sein scheint. So langsam allerdings werde ich Fan. Das Pompöse steht ihm. In der vierstündigen Nightmare-Dokumentation Never Sleep Again gibt es ein paar anrührende Anekdoten zu hören, wie streng Harlin vor seiner finalen Verpflichtung gerochen haben soll, weil er sich keine Dusche leisten konnte, nachdem er von Riihimäki nach Hollywood rübergemacht hatte, mit nichts als einem finnischen Filmwissenschaftsdiplom in der Tasche. Man muss ihn einfach ins Herz schließen.

Huch, ich merke gerade, ich habe schon lange keine provokante Außenseitermeinung mehr vertreten. Also Renny Harlin: Sein Exorzist-Prequel ist besser als das von Paul Schrader. Und nicht nur so ein bisschen. Es ist genau die bildgewaltige Horrorshow, die der Stoff verdient. Das ist doch keine Arthouse-Mumblecore-Franchise, Menschenskinder.

Was ich mich heute frage: Begann mit Nightmare 4 eigentlich die moderne Unsitte, am Anfang einer Fortsetzung die letzten Überlebenden des Vorgängerfilms auch noch abzumurksen? Ein älteres Beispiel fällt mir nicht ein. Anfang dieses Jahrtausends bedienten sich in schneller Folge Anatomie-, Grudge- und Bourne-Fortsetzungen dieses blöden Tricks (Franka Potente scheint da besonders viel Pech gehabt zu haben), und inzwischen ist es ein Klischee zum Stöhnen und Augenrollen. Finde ich jedes Mal respektlos gegenüber den Figuren, den Intentionen des vorangegangenen Films und der emotionalen Bindung, die das Publikum zu diesen Figuren über die Laufzeit jenes Films hinaus aufgebaut hat.

Nightmare 4 ist ein Film, dem alles egal ist. Warum lebt Freddy wieder? Weil ein Hund namens Jason im Traum Feuer auf sein Grab gepinkelt hat. Was kann man dagegen machen? Ungefähr dasselbe wie im dritten Teil (Spoiler: Hat da bereits nicht geklappt). Die Tode sind allesamt Lachnummern, eine Geschichte im landläufigen Sinne ist nicht auszumachen. Dennoch war es der kommerziell erfolgreichste Film der Serie. Und warum auch nicht? Millionen fliegen irren nicht, wenn sie sagen: Besser Lachnummern als gar keine Nummern.

Bringen wir nach dem vierten schnell den dritten Teil hinter uns. Nightmare III – Freddy Krueger lebt ist der Film, auf den ich mich bei dieser Retrospektive am wenigsten gefreut habe. Ach herrje, kommt jetzt etwa wieder so eine wichtigtuerische, angestrengt-konträre Minderheitenmeinung zur allseits beliebtesten Nightmare-Fortsetzung? Nein, nein. Gut, doch, irgendwie schon. Zunächst ist es ja durchaus ein sehr unterhaltsamer Film, meistens sogar aus den richtigen Gründen (gruseln und lachen an den dafür vorgesehenen Stellen). Deshalb ist einer der Gründe, warum mein Enthusiasmus ein wenig abgeflacht ist, der, dass ich den Film ein bisschen zu oft gesehen habe. Das hat allerdings nicht zuletzt mit Gruppenzwang zu tun. Ich war damals ebenfalls froh, dass Nightmare 3 nach dem unbeliebten (weil missverstandenen) Nightmare 2 eine Kurskorrektur vorgenommen hatte. Während jedoch die anderen Kinder ganz aus dem Häuschen waren, fragte ich mich insgeheim, ob diese Action- und Klamauk-betonte Dark-Fantasy-Richtung wirklich der bestmögliche andere Kurs war. Frage ich mich nach wie vor.

Seinerzeit hatte ich übrigens eine Novellette zum Film gelesen, die sich stark vom tatsächlichen Film unterschied. (Hätte ich das Büchlein noch, hätte ich inzwischen dank eBay bestimmt ausgesorgt. „Story meines Lebens“, wie die Anglophilen sagen.) Das Prosawerk ging noch stärker in eine Fantasy-Richtung, komplett mit Drachen und Schlössern. Vermutlich basierte der Text auf einer früheren, unrealisierbaren Fassung des Drehbuchs. Und vermutlich können wir dankbar sein, dass man damals noch Drachen und Schlösser bauen musste, wenn man Drachen und Schlösser in seinen Filmen haben wollte.

Nightmare 3 ist eine Achterbahnfahrt. Einerseits ist das eine Aussage, die man als Kritikerlob gerne auf das Plakat klatscht. Andererseits ist eine 90-minütige Achterbahnfahrt nicht jedermanns Vorstellung von einem gelungenen Filmabend. Man könnte auch sagen: Nightmare 3 ist wie Forrest Gumps Pralinenschachtel: Manche der Schokohäppchen schmecken gut, andere sind zu süß und klebrig, und an einem Stück will man die Schachtel ganz bestimmt nicht aufessen.

Alles zu versöhnlich? Nun gut, dann eine weitere unbequeme Aufregermeinung (in Bezug auf Nightmare 3, aber auch ganz allgemein): Bitte nie wieder Stop-Motion-Effekte in Filmen, die keine Stop-Motion-Filme sind! Sieht immer wie Knetgummianimation aus dem klassischen Kinderfernsehen aus und ist ungefähr genauso gruselig. Hatte sich in den 80ern längst überlebt, vermutlich schon in den späten 70ern. Was kommt als nächstes? Freddy vs. Augsburger Puppenkiste? (Gut, das würde ich mir anschauen.) In Anlehnung an das traditionelle orientalische Sprichwort, es sei besser, in einem BMW zu weinen, als auf einem Fahrrad zu lachen (Dalai Lama), sage ich: Gebt mir liebe schlechte CGI als gute Stop-Motion. Mir egal, wie viel Liebe und Hobbykellerstunden für ein paar Sekunden Ruckel-Zuckel-Skelett aufgewendet wurden – das Ruckel-Zuckel-Skelett muss rucki-zucki weg. Ray Harryhausen, Ray Harryhausen – ich kann es nicht mehr hören und will es nicht mehr sehen. Zumindest nicht in einem Film, der nach 1973 gemacht wurde.

Wie hieß noch mal der Sänger von Rucki-Zucki?

Bevor ich mich noch aufrege, machen wir lieber Schluss für heute. Ich merke gerade, ich habe fast keines der Ankündigungsthemen vom letzten Mal aufgegriffen. Weil ich so verwegen und unberechenbar bin. Auch beim nächsten (und letzten) Mal, versprochen.

Generation Freddy (Teil 1 von 2. Oder 3. Oder 4, wenn es komplett aus dem Ruder läuft.)

Um gleich auf die Überschrift einzugehen und ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern: Unter diesem Titel (‚Generation Freddy‘) habe ich 2009 (ja, ich habe nachgesehen) zum ersten Mal versucht, ein sentimentales Memoir über meine Liebe zum Horrorgenre Verlagen zur Publikation anzubieten, quasi eine punktuelle Autobiografie des Horrorfans als Horrorfan. Meine Agentin fand die Idee nicht schlecht, doch verlagsseitig kam immer nur: „Wir auch nicht, aber Horrorfans lesen leider nicht.“ Ich habe immer mal wieder am Konzept herumgefeilt, die Agentur hat immer mal wieder angeboten, stets ohne Erfolg. Jetzt dient der Titel eben als Überschrift für den großen Abschluss meiner Trilogie der Couch-Retrospektiven der drei großen Horrorfranchises der 1980er: Freitag, der 13., Halloween und nun A Nightmare on Elm Street, oder schlicht Nightmare, wie man damals in Westdeutschland sagte, und was wir uns auch hier wieder angewöhnen wollen, der Text wird eh lang genug.

Etwas unterscheidet Nightmare von Halloween und Freitag, der 13. und somit meine Grundeinstellung bei dieser Retrospektive: Nightmare fand ich tatsächlich gut. Gelinde gesagt. Ich sah den ersten Film kurz nach seiner regulären Laufzeit im Bremer Cinema Ostertor bei einer nachmittäglichen Doppelvorstellung (für nächtliche Doppelvorstellungen war ich zu jung) mit Halloween (damals wie heute unbeeindruckend) und war hin und weg. Vermutlich war es meine Geburtsstunde als Horrorfan. Zuvor war ich lediglich gelegentlicher Gutfinder des einen oder anderen Schauerschinkens im Spätprogramm unserer drei Fernsehsender gewesen.

In Nightmare – mörderische Träume geht es um den untoten Kinderschänder Freddy Krueger, der sich an den Kindern seiner Lynchmörder rächt, indem er sich in deren Träumen manifestiert. Das soll hier als Inhaltsangabe reichen; in den Fortsetzungen geht es halt um dasselbe. Man findet jedes Mal eine neue todsichere Methode, Freddy Krueger diesmal aber wirklich für immer zu verbannen, nur um im nächsten Jahr herauszufinden, dass es so einfach doch nicht gewesen sein konnte. Obwohl das Konzept also im Verlauf der Serie fraglos überstrapaziert wird und mir schon damals bewusst war, dass es sich nicht bei jeder der Fortsetzungen um eine große cineastische Einzelleistung handelte, fand ich stets, dass Nightmare als Serie ein höheres Durchschnittsniveau hielt als all die vielen anderen Horrorserien, die in jener Ära Schachtelkinocenter und Videotheken vollmachten. Selbst die schwächsten Folgen hatten noch genügend bizarre Einfälle und visuelles Flair, um einem das eine oder andere Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern. Und darauf kommt es bei Horrorfilmen doch letztendlich an.

Ich erwarte nicht, dass ich das heute anders sehen werde. Was stimmt mich bloß derartig optimistisch? Noch etwas unterscheidet meine Nightmare-Retrospektive von meinen Halloween- und Freitag-der-13.-Retrospektiven: Die letzte ist gar nicht so lange her. Vielleicht zwanzig Jahre. Ich weiß, dem Jungvolk scheint das viel, reicht die Spanne doch aus, um einen Neugeborenen zu einem vollwertigen Erwachsenen heranwachsen zu sehen, der vielleicht, vermutlich versehentlich, selbst bereits neues Leben gezeugt hat. Zwanzigjährige also so, mit ihrem schreienden Nachwuchs im Arm: Mein lieber Scholli, eine verdammt lange Zeit ist das – ein ganzes Leben! Sicherlich, mit 20 hat man einen anderen Geschmack als damals, als man selbst noch fröhlich unter dem Mobile sabberte. Zwischen dem 55-jährigen und 35-jährigen Ich dürfte es derweil eine größere geschmackliche Schnittmenge geben. Damals legte ich mir jedenfalls eine Box mit allen Nightmare-Filmen auf DVD zu, zog mir einen nach dem anderen rein, wie wir schon damals nicht mehr sagten, und erlebte dabei nur zwei Überraschungen; eine große und eine kleine (zu beiden später mehr). Auf sieben Filme hochgerechnet ist das nicht viel.

Vielleicht habe ich die Box noch, vielleicht auch nicht. Wer weiß im Streaming-Zeitalter schon so genau, wo die ganzen DVDs abgeblieben sind. Zum Glück tauchten jüngst so gut wie alle relevanten Nightmare-Filme im japanischen Hulu-Programm auf, und ich habe sie mir – für euch! – alle noch einmal angeschaut, bevor sie wieder verschwinden.

In der Filmliebhaberei ist kein Platz für buchhalterische Marotten, deshalb fing ich mit Teil 5 an. A Nightmare on Elm Street 5 – das Trauma ist nämlich der, an den ich mich stets am wenigsten erinnere, und auf den ich mich somit stets am meisten freue. Ich erinnere mich sehr wohl daran, dass er mir bei der Erstveröffentlichung gut gefiel, womit ich recht alleine dastand.

Die erste brennende Frage, die der fünfte Nightmare-Film aufwirft: Was machen diese Schauspieler wohl heute so? Sind schließlich ungefähr im selben Alter wie man selbst, also im besten überhaupt. Der erste Gedanke: Wahrscheinlich verkaufen sie ihre Autogramme, ihr Lächeln und ihren Smalltalk bei Mehrzweckhallen-Händeschüttel-Events in Las Vegas und Mannheim gegen Bargeld an Menschen, die sich noch en détail an Nightmare 5 erinnern können. Der zweite Gedanke: Höchstwahrscheinlich verdienen sie mit diesem unwürdigen Prozedere mehr als ich mit meiner redlichen Arbeit und meinem Gratislächeln. Der dritte Gedanke: Herzlichen Glückwunsch – alles richtig gemacht, liebe Altersgenossen!

Wenn ich mich als damaliger Fangoria-Abonnent richtig erinnere, gab es irgendwelche Probleme mit dem Drehbuch. Es ging, meine ich, durch diverse Hände diverser Romanciers, die mit der sogenannten Splatterpunk-Bewegung in Verbindung gebracht wurden, bevor man einen Profi ranließ. Und zwar einen professionellen Session-Musiker (u. a. für Sparks), dessen einzige vorherige Drehbucherfahrung eine Zusammenarbeit mit Hollywoodlegende Alan Smithee war. Die Story macht nicht allzu viel aus ihrer nicht uninteressanten Prämisse, und Protagonisten sind kaum auszumachen. Aber man muss auch bedenken: Freddy verwandelt sich u. a. in einen Comic-Superhelden, eine Plazenta und ein Motorrad. Rhetorische Frage: Wie cool ist das denn? Was mir an Nightmare 5 immer gefiel und nach wie vor gefällt, ist seine forsche Energie. Er taucht nur selten zum Luftholen aus Freddys Alptraumwelt auf. Ein trippiger Spaß, damals wie heute. Sollen die Hater doch eingeschnappt brodeln. Ich hole mir vielleicht auch ein paar Autogramme, wenn ich das nächste Mal in Mannheim bin.

Nach Teil 5 war ich folgerichtig in Stimmung für Teil 2. Nightmare 2 – die Rache sorgte bei meiner letzten Retrospektive vor geschätzten 20 Jahren für die größere der beiden erwähnten Überraschungen: Der Film gefiel mir plötzlich. Als ich ihn jedoch bei der Premiere im großen Saal der Stern-Lichtspiele hinter Horten sah, meinte ich mit dem Rest der Welt: Nicht so glibberig wie der erste, und hat nicht mal dessen Konzept richtig verstanden. Wären wir bereits so eloquent gewesen wie die Menschen des 21. Jahrhunderts, hätten wir gesagt: Meh. Inzwischen denke ich: Glibberig genug, und es sind eher wir, die den Film damals nicht verstanden haben. Es handelt sich um eine Fortsetzung, die das Originalkonzept nicht einfach wiederholen mag, sondern es sinnvoll weiterentwickeln möchte. Hätte einerseits etwas deutlicher herausgearbeitet werden können. Andererseits habe ich eine Schwäche für Filme, die ihr Publikum für voll nehmen und ihm nicht jeden Bissen vorkauen. Und selbst als langjähriger Wellensittichhalter konnte ich über die Mini-Hitchcock-Hommage mit dem explodierenden Sittich herzhaft lachen. Vor 40 Jahren, vor 20 Jahren, und vor zwei Tagen.

Nicht nur bei mir hat mittlerweile eine Neubewertung von Nightmare 2 – die Rache stattgefunden. In Teilen der queeren Gemeinde gilt er als Kultfilm (Kultfilmen ist natürlich stets mit Misstrauen zu begegnen). Das liegt vor allem daran, dass Hauptdarsteller Mark Patton dem Regisseur und vor allem dem Drehbuchautor vorwirft, seine damals noch verschleierte Homosexualität ausgenutzt und den Film zu schwul gemacht zu haben. Es gibt dazu einen von Mark Patton produzierten Dokumentarfilm, der länger ist als der Spielfilm selbst. Er beleuchtet vor allem, welch ein Geschenk an die Menschheit dieser Mark Patton ist, und wie ungerecht es war, dass er die Hauptrolle in einem Hollywood-Blockbuster spielen durfte, und wie dieser Umstand selbstverständlich sein unverzügliches Karriere-Aus bedeutete (kennt man ja, diese Blockbuster: absolutes Karrieregift!). Anfangs vergleicht Patton sich mit Greta Garbo und Brad Pitt, am Ende reiht er sich bei all den historischen Märtyrern ein, die unter lebensgefährlichen Umständen selbstlos für die Rechte sexueller Minderheiten gekämpft haben. Was dazwischen passiert und behauptet wird, ist kaum faktenbasierter.

Nichtsdestotrotz muss ich sagen: Weiß man um die Diskussion, sieht man die Homoerotik in Nightmare 2 in jedem Frame. Genauso sage ich: Wüsste ich von nichts, sähe ich es wahrscheinlich auch heute noch nicht. Wie heißt es bei den Freud-Skeptikern so schön: Manchmal ist eine Bockwurst in einem Brötchen bloß ein Hotdog. Mein stets geschärfter Hetero-Blick sieht im Film allerdings nach wie vor jede Menge gut gebauter Bikini-Mädchen, die sich lasziv aus Swimming Pools an Land hieven. Möglicherweise sieht er sogar mehr davon, als tatsächlich da sind. Ist eben immer eine Frage der Perspektive und widdewidde wie sie mir gefällt.

Trallari trallahey tralla hoppsasa – es ist Zeit für den ersten Film, Nightmare – mörderische Träume. Dieser bescherte mir bei erneuter Durchsicht in meinen 30ern die zweite der beiden besagten Überraschungen. Doch zunächst einmal das wenig Überraschende: Der Film ist so großartig, dass man ihm seine offensichtlichen Schwächen noch im Vollzug verzeiht. Das ist 2025 nicht anders, als es 1984 war. Diese Schwächen wären ein paar alberne Spezialeffekte (ja, liebe Kinder, die waren schon damals albern) und eine Klimax, die fast so antiklimaktisch ist wie die von Suspiria (hat dem auch nicht geschadet). Wie schön, dass alles andere nach wie vor vom Feinsten ist und kein bisschen Patina angesetzt hat: das wohltemperierte Erzähltempo, die selbstbewusst-unaufgeregte Inszenierung, das bestens ausgewählte und aufeinander abgestimmte Ensemble und die Musik, die man fast nicht bemerkt (wie es sich für vernünftige Filmmusik gehört). Und natürlich mindestens zwei Jugendzimmersterbeszenen, die man sein Lebtag nicht vergessen wird.

Die kleine Überraschung von vor 20 Jahren: Ich konnte mich nicht mehr ganz dem Konsens anschließen, Freddy Krueger sei im ersten Film düster und gruselig und würde erst in den Folgefilmen zu einem kalauernden Clown. Er kam mir nun schon im ersten ziemlich clownesk vor (ähnlich wie Tim Burtons Batman-Filme ihrerzeit als recht düster galten und heute von der Fernsehserie aus den 1960ern kaum noch zu unterscheiden sind). Diese Überraschung reproduzierte sich diesmal nicht (zu meiner Überraschung – ha!). Die Kalauerdichte ist in den späteren Filmen durchaus um einiges höher. Vermutlich schärft die nicht-chronologische Herangehensweise meine Wahrnehmung. Wer also über untote Kinderschänder mal so richtig ablachen möchte, ist mit den Fortsetzungen besser beraten.

Aber herrjeh – nicht mehr heute! Guckt denn hier keiner mal auf die Uhr? Es geht ja schon wieder auf die 2.000 Wörter zu, und wir haben erst drei Filme geschafft. Wer soll denn so lange Texte auf diesen flackernden Computermonitoren lesen? Knipsen wir das Modem erst mal aus und legen uns ein bisschen aufs Ohr. Und falls wir wieder aufwachen, geht es hier bald weiter. Mit Kakerlakenmenschen, Feuer pinkelnden Höllenhunden, Johnny Depps Gehirn auf Drogen und den Fat Boys.

Eraserhead in Vegesack

Lange (und damit meine ich: relativ kurz) habe ich überlegt, ob ich überhaupt etwas über David Lynch schreiben sollte, jetzt, wo Sie wissen schon. Man schreibt bei diesen Anlässen ja letztendlich doch nur über sich selbst, und das scheint unangebracht und anmaßend im Schatten dieses viel größeren Geistes.

Doch dann zwitscherte mir im Morgengrauen ein kleines Vöglein von seinem Ast zu (es konnte, im Gegensatz zu vielen anderen Vögeln, meine Gedanken lesen): „Wovon solltest du denn sonst schreiben, wenn du über David Lynch schreibst? Zum abertausendsten Male analysieren, was das alles zu bedeuten hat? Seine Werk- und Lebensstationen runterbeten? Das kann die New York Times auch. Du bist doch wohl besser als das.“ (Der Vogel sprach in Anglizismen, er war schlecht synchronisiert.)

„Was?“, fragte ich, der ich nicht in jedem Morgengrauen mit Vögeln kommunizierte.

„Folge deinem Herzen. Wenn du gerne etwas über David Lynch und dich selbst schreiben möchtest – go crazy, auf gut Deutsch gesagt. Wem sollte das denn schaden?“

„Nein, ich meine kannst du das noch mal sagen, wo ich besser bin als die New York Times? Ich habe denen nämlich mal was geschickt, und die so: Nee, das ist irgendwie so ein 90er-Jahre-mäßiger Taz-Bremen-Stil …“

„nebah tmuärteg ud tssum saD“, behauptete der Vogel, begann auf seinem Zweig einen hypnotischen Tanz, und ich wusste, dass es nun an der Zeit war, mit dem Schreiben zu beginnen.

Erledigen wir die Formalitäten gleich vorweg: David Lynch war der wichtigste und einflussreichste in meiner Lebenszeit aktive Künstler. Es ist schwer vorstellbar, dass es so schnell einen anderen geben wird, der das Regelwerk von so ziemlich allem so allumfassend umformulieren, korrigieren und erweitern wird, wie er es getan hat. Darüber hinaus fand ich ihn auch richtig gut. Liebe und Bewunderung sind ja zweierlei, aber bei David Lynch war es mir einerlei, also beides. Allerdings nicht von Anfang an.

Meine früheste Erinnerung an David Lynch ist mein Eraserhead-T-Shirt. Ich kaufte es mir als Drei-Käse-Hoch im örtlichen Plattenladen, der schon früh die Zeichen der Zeit erkannt und auch Non-Platten-Produkte ins Programm genommen hatte (genützt hat es ihm auf lange Sicht trotzdem nichts). Es war das erste Mal, dass der milieustimmig mürrische Plattenverkäufer meinen Kauf anerkennend kommentierte, oder überhaupt das Wort an mich richtete. Oder mich überhaupt wahrnahm. Ich wusste nicht so ganz genau, welche Art von Musik Eraserhead spielten, aber das T-Shirt hatte mich schon lange in seinen Bann gezogen, wie es so monatelang ungekauft im Schaufenster hing. Es war einfach zu cool für Vegesack, ich musste es haben.

Es wird nicht viel später gewesen sein, dass der Film Eraserhead den Weg zu mir fand, per Zufall oder Schicksal. Ich hatte ein paar Videokassetten mit raubkopierten Horrorfilmen bei einem Raubkopierer bestellt, der in Liebhabermagazinen annonciert hatte. Es gehörte damals unter solchen Raubkopierern zum guten Ton, Gratis-Bonusfilme auf die Kassetten zu spielen, so noch Platz war, wegen der Customer Experience. Und so fand ich sozusagen auf der Rückseite meiner herrlich verwaschenen Kopie von Hellbound: Hellraiser II David Lynchs Langfilmdebüt. Ich staunte nicht schlecht: Das war die größte Portion gequirlten Bockmists, die ich jemals gesehen hatte, mein lieber Scholli! Das T-Shirt trug ich weiterhin, jetzt allerdings ironisch. So frech war die Jugend von damals.

Wenn uns David Lynch eines lehrt, dann dass nichts so ist, wie es scheint. Eraserhead kann ja gar nicht meine erste Begegnung mit seinem Werk gewesen sein. Hellraiser II kam schließlich lange nach Der Wüstenplanet heraus, und den hatte ich im Kino gesehen. Er hatte mir nur so lala gefallen, aber immerhin besser als das Buch, soweit ich das beurteilen konnte. In so ziemlich jedem meiner Lebensjahrzehnte habe ich mindestens einmal versucht, es zu Ende zu lesen. Beim letzten Versuch habe ich immerhin über die Hälfte geschafft. Vielleicht klappt es noch, bevor ich David Lynch die Astralhand schütteln und persönlich hauchen darf: „Sir, thank you for your service.“

Vermutlich hatte ich ebenso Blue Velvet bereits gesehen und für gut befunden, weil man das damals so gemacht hat (nach wie vor wünschte ich mir aber, Lynch hätte sich zur fraglichen Zeit für Die Rückkehr der Jedi-Ritter entschieden, wie man es ihm angeboten hatte). Meine aufrichtige Liebe erklärte ich erst anlässlich Twin Peaks und Wild at Heart. Ich kann nicht zählen, wie oft ich letzteren im Kino gesehen habe. Und niemand kann zählen, wie oft ich ihn danach auf Video gesehen habe. Es reicht auf jeden Fall. Irgendwann ist auch mal gut.

Soll ich jetzt noch erzählen, wie ich bei einer Twin-Peaks-Party in einer Diskothek bei einem Twin-Peaks-Nerd-Quiz ein „Who killed Laura Palmer?“-T-Shirt gewonnen habe? Damit die Geschichte richtig rund wird, quasi von T-Shirt zu T-Shirt? Nein, runde Geschichten sind so was von prä-Lynch.

„Ich kann immer noch nicht fassen, was du da über Eraserhead gesagt hast“, zwitschert das Vöglein von vorhin. „Gequirlter Bockmist? Echt jetzt?“

„Nein, nein!“, rufe ich. „Die Geschichte hat ja noch ein Nachspiel!“

Etliche Jahre später, auf meiner ersten oder zweiten Japanreise, vielleicht auch meiner dritten, kaufte ich bei Tower Records in Shibuya Eraserhead auf DVD. Ein bisschen aus Schalk, doch auch in der vagen Hoffnung, ich möge ihn mittlerweile mit anderen Augen sehen, nun, da ich ein bis zwei Käse höher war, vor allem intellektuell. Hat geklappt. Leider hatte ich das T-Shirt nicht mehr. Ich hatte es getragen und getragen, bis es den Weg alles Stofflichen gegangen war und mir selbst Freunde aus der Punkrock-Szene zuflüsterten, dass es vielleicht so langsam an der Zeit wäre, leise servus zu sagen. Doch im Herzen werde ich es weiterhin tragen. Das T-Shirt, und alles andere auch.

(„Silencio.“)

Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest Teil 2: Ho-Ho-Horror-Special

Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, möchte ich eine kleine Anekdote von neulich loswerden, die gar nichts mit dem Thema zu tun hat, obwohl ich, wie ich mich kenne, trotzdem krampfhaft einen Übergang versuchen werde.

Neulich lud mich eine Geschäftsfreundin zu einem Catch-up-Mittagessen (nicht zu verwechseln mit einem Ketchup-Mittagessen) in den etwas vornehmen Tokyo American Club ein. Besorgt, dass ich womöglich als Junge vom Lande nicht mit den Gepflogenheiten urbaner Erwachsener vertraut wäre, sagte sie gegen Ende der Terminabsprache: „You have to wear a shirt with a collar.“ Ich sollte also ein kragenbewehrtes Hemd tragen, so ich Zutritt zum Speisesaal begehrte. Das war natürlich kein Problem; abgesehen von Unterhemden habe ich gar keine Hemden ohne Kragen, und nur fürs Unterhemd ist es jetzt (endlich) zu kalt. Allerdings war unsere Internet-Telefonverbindung nicht gerade von Fünf-Sterne-Qualität und die Geschäftsfreundin saisonbedingt arg verschnupft, deshalb verstand ich: „You have to wear a shirt with the colors.“

Da dachte ich mir: Die sind aber streng geworden! Das letzte Mal, dass ich mich im TAC verlustieren durfte, musste man kein Hemd in den amerikanischen Farben tragen. Ist das wegen Trump? Ist diese vormals gar nicht so unsympathische Ausländerorganisation jetzt auch eingeknickt? Dann vielleicht doch lieber Ketchup-Mittagessen bei Mos Burger.

Glücklicherweise fragte ich noch zweimal nach, und das Missverständnis klärte sich auf. Weder erschien ich zur Verabredung angetan wie ein Rodeo-Clown noch zornig mit Protestbanner. Das Erstaunliche an dieser kleinen Schnurre ist meines Erachtens, dass ich den Gedanken, ich könnte mich eingangs NICHT verhört haben, zwar ein wenig absurd fand, aber nicht völlig undenkbar. Vielleicht sind wir schon so weit gekommen. Vielleicht bin auch nur ich schon so weit gekommen.

Das ist ein idealer Übergang zu meinem eigentlichen Thema: Amerikanische Filme. Speziell amerikanische Weihnachtsfilme. Heute insbesondere amerikanische Weihnachtshorrorfilme. Und einer kommt nicht mal aus Amerika.

Es geht also um das sogenannte Ho-Ho-Horror-Subgenre. Bitte vergessen Sie meine Titelankündigungen aus der letzten Folge, ich habe es auch längst getan. Manchmal hat das Schicksal andere Pläne, und dann macht man Limonade. Oder holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank, um beim Thema zu bleiben.

Hand aufs Herz: Weihnachtshorrorfilme sind selten gut. Zumindest selten richtig gut. Kein Wunder, schließlich bringen Weihnachtshorrorfilme nur an Weihnachten die Kassen zum Klingeln, und dann wahrscheinlich sogar unabhängig von ihrer Qualität (also wie alle anderen Weihnachtsfilme auch). Da muss man sich keine Mühe geben. Da kann man ruhig mal Fred Olen Ray anstatt David Cronenberg ranlassen, denkt man sich in der Filmproduktionsbuchhaltung. Doch Wunder gibt es immer wieder, und in diesem Jahr ist mir das eine oder andere geschehen. Ich rede dabei nicht von Violent Night, dem Saison-Hit von vor zwei Jahren mit dem Weihnachtsmann als Action-Held, den ich nach kurzer Zeit abgebrochen habe. Das hätte ich mit 12 Jahren vermutlich im Brustton der Überzeugung als „messerscharfe Satire“ gepriesen, aber heute ist es mir zu stumpf. Apropos Messer.

Angesichts des bescheuerten Titels hätte ich mir It’s a Wonderful Knife beinahe gar nicht erst angeschaut. Doch mir blieb buchstäblich kaum eine Wahl. Zum Glück. So viel Spaß hatte ich mit einem Weihnachtsfilm schon lange nicht mehr. Wie der Filmtitel ist die Handlung eine Annäherung an den Weihnachtsklassiker It’s a Wonderful Life (das entschuldigt natürlich nichts): Einer jungen Frau, die sich eines Nachts im Affekt wünscht, nie geboren worden zu sein, wird paralleldimensional vor Augen geführt, wie viel schrecklicher die Welt ohne sie darin wäre; insbesondere in Bezug auf den maskierten Serienmörder, der sich äußerst negativ auf die Stimmung und die Einwohnerzahl in ihrem Heimatort auswirkt.

Erfrischenderweise betet das Skript nicht die falschen Götzen des Plots und der überraschenden Handlungswendungen an. Ein gesundes Tempo und liebevoll gezeichnete Figuren sind ihm wichtiger. Die Geschichte wird kaum über die Prämisse hinaus entwickelt, und selbst deren innere Logik wackelt arg, wenn man unbedingt Spielverderber sein muss und allzu verbissen drüber nachdenkt. Oder überhaupt drüber nachdenkt. Doch vor der öden, buchhalterischen Logiklückenerbsenzählerei mancher angeblicher Filmfreunde sollten wir zumindest an Weihnachten Aug und Ohr fest verschließen, dafür unser Herz so sperrangelweit öffnen, als wäre es ein sternebestrahltes Scheunentor in Betlehem.

Kritiker waren übrigens von It’s a Wonderful Knife nur mäßig begeistert. Das hat der Film heute mit It’s a Wonderful Life damals gemeinsam. Ich meine ja nicht, ich sage ja nur.

Norwegischer Horror scheint so langsam ein Ding zu werden, wie wir Berufsjugendlichen sagen. Ist das N-Horror? No-Horror? No-Ho-Ho-Horror? An der Verschlagwortung muss noch gefeilt werden. There’s Something in the Barn ist so etwas wie das norwegische Gremlins, nur mit lieben Elfen/fiesen Elfen anstatt Mogwais/Gremlins. Wer Gremlins mag und etwas für Norwegen übrig hat, kann damit nichts falsch machen.

Silent Night – leise rieselt das Blut von 2012 ist angeblich ein Remake von Stille Nacht – Horror Nacht von 1984, den ich in meinen Flegeljahren höchstwahrscheinlich mindestens einmal gesehen habe. Es stellte sich allerdings beim Ansehen des neueren Films kein Ach-ja-Effekt ein. Vielleicht ist es nur ein Remake dem Namen nach, um sich bei den Horrorfans anzubiedern. Die sind ja bekanntlich ganz verrückt nach Remakes, können gar nicht genug davon bekommen, schreiben zu Abertausenden tagtäglich das Internet voll: „Mensch, wann kommt endlich mal wieder ein Remake? Immer nur Originalstoffe, Originalstoffe, Originalstoffe! Den Studios fällt auch echt nichts Altes mehr ein!“

Mein Verhältnis zu Silent Night – leise rieselt das Blut ist ein wie von einer großen, scharfen Axt gespaltenes: Einerseits hat der Film ein paar gut gespielte exzentrische Charaktere deutlich über Slasher-Film-Niveau, die für vereinzelte Momente von regelrechter Tiefganggefahr sorgen. Andererseits werden die stets von so maßlosen Gewaltexzessen abgebrochen, dass man sich fragt: Ist das noch Unterhaltung, oder kann das weg? Gut möglich natürlich (nein, eigentlich nicht), dass genau das künstlerische Absicht war: Das Genre und das Publikum entlarven und letzterem einen Spiegel vors Gesicht halten, auf dass es seine eigene hässliche Fratze erkenne und ihm das Ho-Ho-Ho im Halse steckenbleibe. Aber wir sind hier ja nicht bei Michael Ho-Ho-Haneke.

So, machen wir an dieser Stelle mal einen Cut (Mann, bin ich heute in Form!) und sehen uns zum allerallerallerletzten Teil kurz vor Weihnachten noch mal wieder, so alles gutgeht. Dann unter anderem mit der Endschlacht der Titanen: Red One – Alarmstufe Weihnachten gegen Is it Cake? Holiday.

Mein Halloween mit Halloween

Die Jüngeren wissen es vielleicht noch nicht: Ich kann Halloween nicht leiden. Weder das kulturell entwurzelte Importfest, diese Horror-Amateurveranstaltung (alternativer Bindestrich: Horroramateur-Veranstaltung), noch die Filmserie, die niemals eine hätte werden dürfen. Also bekomme ich zur Halloween-Zeit immer ganz miese Laune und hervorragende Ideen, diese noch zu steigern. Diesmal: Warum gucke ich mir nicht mal wieder alle Halloween-Filme an? Und falls damit nicht genug Zeit verschwendet sein sollte: Warum schreibe ich nicht meine Gedanken und Gefühle dazu in meinen Blog hinein?

Ganz so schwer wollte ich es mir dann allerdings doch nicht machen und beschloss, mich allein auf die erste Staffel zu konzentrieren (1978 – 1995). Die Rob-Zombie-Filme habe ich stets gemieden und möchte es dabei belassen. Ich nehme Rob Zombie ab, dass er Horrorfan ist. Horrorregisseur ist er nicht. Und die aktuelle Trilogie ist mir zu aktuell, darüber mache ich mir in frühestens dreißig Jahren Gedanken. H20 von 1998 habe ich als „ganz gut“ in Erinnerung, und gute Filme sind hier nicht Sinn der Sache.

Außerdem hatte ich beschlossen, nicht in chronologischer Reihenfolge vorzugehen, sondern in lustbasierter. Los ging es (nerviges Synthie-Gegniedel setzt ein) mit Halloween II: Das Grauen kehrt zurück von 1981, weil ich den Verdacht hatte, diesem Film zeit meines Lebens Unrecht getan zu haben. Das erste und bislang einzige Mal sah in ihn als Teil einer Gruppe betrunkener männlicher Teenager in der VHS-Ära. Es war nicht der erste Film des betreffenden Abends, und ich muss wohl eingeschlafen sein. In jugendlicher Arroganz rechnete ich das stets dem Film an, nicht etwa dem Dosenbier.

Diesmal blieb ich wach. Schönster Moment des Films: Nachdem die Trottel vom Haddonfield PD auf der Jagd nach Michael Myers gerade versehentlich einen unschuldigen minderjährigen Passanten überfahren und in Brand gesteckt haben (damals explodierten amerikanische Polizeiautos ja noch sofort bei Zusammenstößen mit Fußgängern), damit der meschuggene Dr. Loomis ihn nicht abknallen kann, hält sich keiner der Beteiligten lange mit Gewissensbissen, Schuldgefühlen oder Selbstkritik auf. Auch später, als kein Zweifel mehr daran besteht, dass der Falsche verschmort wurde, legen die Männer eine bemerkenswert gelassene „Tja, dumm gelaufen“-Attitüde an den Tag.

Schönster Dialog außerhalb des Films:

Ehefrau: „Oh, ist das Sigourney Weaver?“

Ehemann: „Nein, die andere.“

Ehefrau: „Ach ja, genau.“

Gut, ist vielleicht nicht gerade Shakespeare. Dasselbe lässt sich allerdings auch über die Dialoge in Halloween II sagen. Über die Handlung sowieso. Die einzige Überraschung ist, dass Laurie sich als die Schwester von Michael herausstellt. Darauf baut der gesamte Rest der Serie auf, und damit wäre Halloween II so etwas wie das Das Imperium schlägt zurück unter den Halloween-Filmen.

Ich bin übrigens fest davon überzeugt, dass Das Imperium schlägt zurück von den sogenannten Star-Wars-Fans in der Luft zerrissen würde, käme derselbe Film heute raus. Zu viele unvorhergesehen Wendungen und Enthüllungen. Die massive Amateurkritik an Die letzten Jedi ist schließlich nahezu komplett erfasst mit: „In unsrem Alter möchten wir um Gottes Willen von nichts mehr überrascht werden und nichts erfahren, was über unsere eigenen Spekulationen hinausgeht.“ Aber das nur am Rande; hier soll es ja, wie gesagt, nicht um gute Filme gehen.

Obwohl ich gestehen muss, dass mir Halloween II als aufs Wesentliche reduzierte Vintage-Unterhaltung durchaus gut gefallen hat. Wenig Handlung, wenig Figurenentwicklung, wenige dramaturgische Durchhänger. Danach hatte ich tatsächlich doch ein bisschen gute Laune und Lust bekommen, weiterzumachen. Also nach Teil 2 gleich Teil 4.

War der zweite Film mental und ästhetisch noch fest in den geschmackssicheren 70ern verankert (kulturell lassen sich Dekaden ja nicht nach Kalenderangaben trennen), so ist Halloween IV: Michael Myers kehrt zurück voll und ganz in den 80ern angekommen. Das merkt man schon daran, dass die neue Protagonistin keine Halbstarke ist, sondern ein waschechtes Kind. Die kleine Danielle Harris macht ihre Sache sehr gut. Leider kann ich das von den Großen nicht behaupten. Wer auch immer das Drehbuch geschrieben hat (es nachzuschlagen, wäre zu viel der Ehre), hat sich rein gar nichts einfallen lassen. Die Handlung ist mit dem Filmtitel erschöpfend zusammengefasst. Ein Großteil der Morde findet abseits der Kamera statt. Merke: Was in einer Agatha-Christie-Verfilmung funktioniert, funktioniert nicht zwangsläufig in einem Slasher-Film.

Optisch merkt man dem Film sein Alter beziehungsweise seinen Mangel an Alter daran an, dass sich die Verantwortlichen hier bereits bewusst gewesen sein mussten, dass er im Kino nicht viel reißen würde. Mit vielen Nahaufnahmen und Halbtotalen und einer Farbdramaturgie ohne Eier in der Hose ergibt sich Halloween IV den Anforderungen des Heimkinomarktes. Dass die Fernseher mal größer, breiter und hochauflösender würden, konnte damals noch keiner ahnen. Selbst wenn, hätte es wohl keinen Unterschied gemacht, denn dieser Film war bestimmt nicht für die Ewigkeit gedacht. Dass er dennoch überdauert hat, ist ein Irrtum der Geschichte.

Gott sei Dank hatte ich nun wieder schlechte Laune, also gleich weiter mit Halloween V: Die Rache des Michael Myers. Danielle Harris ist wieder die Wucht in Tüten, und der Film ist um einiges dynamischer erzählt als sein Vorgänger, aber in meinem Zustand konnte man mir gar nichts rechtmachen. Viel zu hektisch und hysterisch das Ganze. Was soll das denn um diese Uhrzeit? Die Leute wollen schlafen!

Also mittendrin umgeschaltet zu Halloween III, dem einzigen Film der Serie, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, und der einzige Film der Serie, der kein Film der Serie ist, sondern nur so heißt. Über ihn wurde damals nach dem ersten Schock so ausdauernd und beharrlich behauptet, dass er total unterbewertet sei, dass er heute total überbewertet ist. Mich erinnerte er ein wenig an die Fernsehserie Evil, nur ohne das sympathische Ermittlertrio. Und ohne all die anderen Qualitäten.

Bald hatte ich etwas viel Besseres gefunden, als Halloween III zu gucken: So lange immer wieder stupide die Aktualisieren-Schaltfläche des Browsers zu bedienen, bis die nächste Staffel von Evil endlich auftauchte.

Also erst mal zwei Folgen Evil, dann weiter mit Halloween III. Das ging mir alles viel zu langsam. Also zurück zu Halloween V. War leider immer noch nicht besser geworden. In seinen schlimmsten Momenten, und das sind nicht wenige, wirkt dieser Halloween-Film wie ein Freitag-der-13.-Film. Ich weiß, das klingt gemein, aber es ist wahr.

Der eine Film langweilte mich, der andere nervte. Und nachdem ich wegen Kurzurlaub eine zweitägige Halloween-Zwangspause einlegen musste …

… sah ich die Lösung meines Problems klar vor meinen Augen: Einfach aufgeben! Niemand zwang mich!

So kam es, dass ich nach der Heimkehr sofort alle Halloween-Filme aus meiner Liste löschte, die danach weitaus verführerischer aussah. Ich würde Teil 3 und 5 nicht mehr zu Ende sehen, und mit Teil 6, dessen Existenz ich im Vorfeld völlig vergessen oder verdrängt hatte, ebenso wenig anfangen wie mit dem ersten, den ich bisher in keinem Lebensalter mehr als „ganz okay“ zu finden gelernt habe (oh, was habe ich es versucht).

So fühle ich mich nun wieder frei. Der Fluch des Michael Myers ist nahezu buchstäblich von mir genommen. Genauso wie „die Rückkehr“ und „die Rache“. Ich kann mich nun wieder angenehmeren Projekten widmen, beispielsweise meinen geplanten Subspecies– und Maniac Cop-Retrospektiven. Und ich kann mich auf erfreulichere Feiertage freuen.

Tarako Shampoo

Das da oben wäre ein guter Titel für eine schrullige kleine Independent-Film-Dramedy, finde ich. Eine Story wird sich schon ergeben. Vielleicht etwas über irgendeinen Mann, der sich in irgendeiner Krise befindet (Midlife? Quarterlife?) und eines Tages eine herrlich verrückte junge Frau mit kurzen Haaren kennenlernt (U-Bahn? Schnellimbiss?), die sein Leben ganz schön auf den Kopf stellt (aus der Bahn wirft? durcheinanderwirbelt?). Zum Schluss ist die Frau wieder weg, weil man Paradiesvögel nicht in Käfige sperren kann, und der Mann ein kleines bisschen wehmütig. Aber die Krise immerhin ist vorbei, und er kann die Welt mit neuen Augen sehen. Sundance Publikumspreis.

Aber genug von Tarako Shampoo, reden wir über Weihnachtsfilme. Sie schauen ja hoffentlich auch seit mindestens vier Wochen nichts anderes. Sollten Sie noch nicht angefangen haben, wird es höchste Eisenbahn. Mit diesem kurzen, unvollständigen Ausschnitt aus meiner diesjährigen Weihnachtsfilmkonsumhistorie möchte ich teils anregen, teils warnen.

Unsere Saison begann mit einem kleinen Familienstreit. Meine Frau und ich waren uneins, welcher Film missratener wäre: Last Christmas (basierend auf den Werken George Michaels) oder The Family Stone (basierend auf einem Drehbuch von Außerirdischen, die noch nie einem Erdenmenschen begegnet sind). Ausnahmsweise musste meine Frau meiner Argumentation schließlich zustimmen: Beide Filme sind Schmarrn, aber Last Christmas ist zumindest aufrichtiger Schmarrn, der nicht vorgibt, irgendetwas anderes zu sein. The Family Stone hingegen versucht sich am großen amerikanischen Familiendrama, kommt jedoch nur bei Figuren an, die einander und vor allem den Zuschauern gehörig auf die Nerven fallen. Ungeachtet der offensichtlich hohen Ambitionen wird das Ganze als volksnahe Komödie verkauft, deshalb fällt zweimal jemand hin.

Last Christmas hat zunächst nur peripher etwas mit den Liedern von George Michael zu tun. Wird einer unsanft aus dem Schlafe geweckt, läuft halt … Sie wissen schon. Bis man am Schluss voller Freude über so viel Mut zum Schmalz feststellt, dass der Titelsong bereits einen RIESEN-SPOILER (!!!) enthält: „Last Christmas, I gave you my HEART…“ Ein Hoch auf die wortwörtliche Interpretation! Der ganze Filme quasi eine Nachricht von Sam äh Tom! The Sixth Sense! Fight Club! Und alles als romantische Weihnachtskomödie! Aber ich möchte nicht zu viel verraten.

Alle Jahre wieder schmeißt uns Netflix gefühlt ein paar hundert lieblos und dilettantisch runtergekurbelte Weihnachtsfilme unter den Baum und lässt uns hoffnungsvoll nach dem einen qualitativen Ausreißer suchen. Single All The Way war er es schon mal nicht. Der Titel-Single lebt wegen Beruf und Lebensstil in San Francisco. Als er zum Weihnachtsfest in die kleinstädtische Heimat fährt, nimmt er aus Gründen, die ich bereits wieder vergessen habe, seinen Mitbewohner und besten Freund mit. Im Kleinstadtidyll müssen die beiden freilich – ganz langsam und gegen innere Widerstände – einsehen, dass es vielleicht etwas noch Besseres als Freundschaft zwischen ihnen geben könnte.

Es ist schwierig, etwas Gemeines über einen Film zu sagen, der so gut gemeint ist, und in dem alle Menschen so nett zueinander sind. Also werde ich das auch nicht tun, schon gar nicht so kurz vor Weihnachten.

In The Happiest Season ist im Vergleich zu Jingle All The Way einiges umgekehrt: In die Kleinstadt reisen zwei junge Frauen statt Männer, sie sind bereits ein Paar, statt grenzenloser Offenheit gibt es Geheimnisse über Geheimnisse, und alle Beziehungen sind so konfliktbeladen, dass man meinen könnte, diese Menschen wären bei anderen Menschen besser aufgehoben. Trotzdem habe ich mir das über weite Strecken gerne angesehen. Vielleicht wegen der nerdigen Schwester, die an ihrem Fantasy-Romanepos arbeitet, oder Daniel Levi, der hier glücklicherweise dieselbe Rolle spielt wie in Schitt’s Creek, nur unter anderem Namen (man kann mir nichts vormachen). Man muss den Film schon für eine sehr angestrengt vorbereitete Pointe lieben, bei der sich eines der Mädchen in einem Wandschrank versteckt, nur damit die Dame des Hauses bei Entdeckung fragen kann: „What are you doing in the closet?“ (Tsching-bum.)

Der sehenswerte Netflix-Überraschungsweihnachtsfilm in diesem Jahr heißt leider Love Hard, er ist für Menschen mit Niveau und Anstand also besonders leicht zu übersehen, klingt der Titel doch nach einer dieser Spritz- und Gröl-Komödien für ungezogene Kinder. Es handelt sich dabei um eine Verquickung von Love Actually und Die Hard. Darauf bin ich allerdings auch erst einige Zeit nach Filmende gekommen. Als Titel also nicht ideal. Zumal die ewige Menschheitsfrage, welcher der beiden dabei vermischten Filme der beste Weihnachtsfilm aller Zeiten wäre, in Love Hard zwar durchaus verhandelt wird, aber kaum eine derart zentrale Rolle spielt, dass man gleich den ganzen Film danach benennen müsste. (Welchen deutschen Titel hat Love Hard eigentlich erhalten? Liebe langsam?)

Von Inhaltsangaben halte ich noch weniger als von hypersensibler Spoiler-Hysterie, also sehen Sie selbst:

Zum Schluss kriegen die beiden sich übrigens. Wunderschöne Szene, die dann tatsächlich Schlüsselszenen aus Love Actually und Die Hard verquickt. Hätte man trotzdem anders nennen können.

Dieses Jahr habe ich selbst einmal den Direktvergleich Die Hard vs. Love Actually gemacht. Dabei ist herausgekommen, dass beide herausragende Vertreter ihrer Gattungen sind, ich Die Hard aber schon dermaßen auswendig kenne, dass ich mir nicht mehr einreden kann, der Spaß daran sei ungetrübt. Einmal pro Jahr Love Actually sollte derweil nicht zu viel verlangt sein. Und bitte laut mitsingen.

Überhaupt: Wer glaubt, Die Hard sei ein Weihnachtsfilm, der glaubt auch, Coco-Cola hätte den Weihnachtsmann erfunden. Beides typische Klugscheißer-Meinungen und allenfalls Fakten der alternativen Sorte. Echte Fakten: Nicht jeder Film, der an Weihnachten spielt, ist ein Weihnachtsfilm, und den Weihnachtsmann gibt es bereits seit 1821 in Rot und Dick und mit Rentieren. Coca-Cola gibt es erst seit 1886 und den Coco-Cola-Weihnachtsmann erst seit 1931. Yippie Yah Yei, Schweinebacke.

Ebenfalls kein Weihnachtsfilm ist The Advent Calendar, wie sich herausstellt. Gefunden habe ich ihn beim auf Horror spezialisierten Streaming-Dienst Shudder, also hatte ich schon so einen Verdacht. Über Shudder dachte ich immer: Die haben nur zwei Sorten von Filmen: Solche, die ich bereits unzählige Male gesehen habe, und solche, die ich kein einziges Mal sehen möchte. Über normalerweise gut unterrichtete Quellen (Kommentare in Horrorfan-Facebook-Gruppen) war mir derweil zu Ohren gekommen, dass es dort doch zwei oder drei Titel gäbe, für die ich mich schon lange interessierte, wenngleich nicht genug, um sie mir für viel Geld als Hardcopy aus Übersee kommen zu lassen. Man weiß ja, wie das läuft mit diesen Streaming-Diensten: Man denkt sich: Die paar interessanten Filme reiß ich in der Gratiswoche runter, danach sehen die mich nie wieder. Dann allerdings findet man ein paar interessante Filme mehr und entscheidet: Gut, einen Monat kann ich das ruhig bezahlen, aber dann bin ich raus aus der Sache. Und schließlich findet man: Auf ein Abo mehr oder weniger kommt’s jetzt auch nicht mehr an, und Hulu macht’s bestimmt eh nicht mehr lange.

The Advent Calendar ist jedenfalls ein französischer Horrorfilm über einen bösen deutschen Adventkalender. Als Maso-Deutscher liebte ich ihn bereits, bevor ich ihn gesehen hatte. Danach allerdings nicht mehr ganz so sehr. Man erwartet von französischen Horrorfilmen ja entgegen allzu vieler Belege immer, dass sie irgendwie substanzieller, existenzieller, zumindest aber transgressiver als der Bubblegum-Horror amerikanischer Machart daherkämen. The Advent Calendar ist leider so konventionell, dass ich fest damit gerechnet hatte, dass aus dem letzten Türchen Freddy Krueger springen und irgendwas Lustiges sagen würde. Die einzige Überraschung war, dass das nicht passierte.

Gleich zwei Weihnachten-Origin-Storys gibt es auf Netflix: Klaus und A Boy Called Christmas (in christlich geprägten Kulturgegenden noch nicht auf Netflix, wie ich hörte). Klaus geriert sich so lange in banalem Klamauk und ausgemachter Tristesse, dass es mir, als es dann doch weihnachtlicher wurde, auch egal war. Bei A Boy Called Christmas haben wir den umgekehrten Fall: Erst ganz sympathisch, dann nur noch Rambazamba. Gut, ist halt für junge Leute; die mögen wahrscheinlich Rambazamba. Ab einem gewissen Alter ist hier die eigene Meinung genauso irrelevant wie bei Superhelden-Filmen oder Erdbeergummis.

Apropos Erdbeergummis: Die Marvel-Weihnachtsserie Hawkeye ist wirklich ganz herzallerliebst. Ich bin allerdings im Internet auf Wortmeldungen Minderjähriger gestoßen, die das Gegenteil behaupten. Vermutlich haben die recht.

Auch kein Film im strengen Sinne, aber zu drollig, um hier unerwähnt zu bleiben: Trolls Holiday. Ich habe meine Tochter zwingen müssen, sich dieses Special mit mir anzusehen (sie studiert dieser Tage lieber Minecraft- und Animal-Crossing-Vlogs, um ihr Spiel zu perfektionieren), und wir haben es beide nicht bereut. Seit die Muppets müde geworden sind, haben die Menschen die Trolls, um die Generationen vor dem Fernseher zu versammeln.

Überraschende Wendung zum Schluss: Ich habe Shudder doch gekündigt. Noch vor Ablauf der Gratiswoche. Eiskalt, als hätten wir eine weiße Weihnacht. Denn mehr Filme heißt ja nicht automatisch mehr Zeit, um sie zu sehen. Und gerade an diesen Tagen wollen wir unsere Zeit natürlich mit unseren Lieben verbringen. Vor dem Fernseher, mit Weihnachtsfilmen. Echten Weihnachtsfilmen. Ein gesegnetes Fest allerseits.

Die Ballade von Botox-Baldi

Wie jeder erwachsene Mensch aus Fleisch und Blut habe ich mir die eine oder andere sentimentale Brücke in meine Kindheit und Jugend bewahrt, allerdings nicht unbedingt in meine allerfrüheste Kindheit. Bussi Bär im limitierten Sammelschuber oder Rappelkiste in der Blu-ray-Steelbox wird man in meinem Haushalt nicht finden. Daher wundert es mich selbst, dass ich bis heute an Baldi-Hund festhalte, meinem ersten Stofftier. Irgendwie ist er immer mitgekommen. Nicht mit ins Büro oder in die Kneipe, aber er hat jeden Umzug mitgemacht. Schon lange schläft er nicht mehr bei mir im Bett, keine Sorge. Das würde er auch gar nicht mehr aushalten. Denn Baldi ist alt geworden:

Baldi heißt so, weil ich als Kind das W nicht gescheit aussprechen konnte. Das Problem habe ich zwar inzwischen in den Griff bekommen, möchte das Tier aber dennoch nicht umbenennen. Einen Waldi-Hund kann schließlich jeder haben.

Zuletzt stand Baldi eingequetscht zwischen zwei Aktenordnern (okay, ungeordneten Aktenbehältern) auf meiner Schreibkommode, weil er ohne Hilfe nicht mehr stehen konnte. Er erinnerte mich dabei ein bisschen an diese japanischen Bäume, die schon längst tot umgefallen wären, würden japanische Baumliebhaber ihnen nicht ständig neue Krücken unters Geäst stellen.

Ich sagte einmal meiner Frau, dass ich diese Krückengeschichte für Schummelei halte, man solle doch die Bäume einfach in Würde sterben lassen. Daraufhin sagte sie, es sei doch nett, dass man sich so rührend um die alten Bäume kümmerte. Diese Einstellung übernahm ich fürs erste. Nach einer Weile allerdings hatte ich wieder bei jedem Vorbeiflanieren an Krückenbäumen dieses Flüstern im Kopf: „Erlöse mich! Nimm einfach die Krücken weg und lass mich gehen!“ (Gehen ohne Krücken ist natürlich ein schiefes Bild in diesem Zusammenhang, aber ist ja nur Internet.)

Gut dass ich meine Frau erwähnt habe, denn die brauchen wir jetzt. Beim obligatorischen Durchblättern alter Familienfotos stieß sie einmal einen spitzen Schrei aus und rief: „Baldi war mal… weiß!“

Ich sagte: „Frau, du redest Unsinn!“ Gleich darauf entschuldigte ich mich, weil sie keinen Unsinn redete. Leider kann ich das Foto gerade nicht wiederfinden, vermutlich ist es in einem ungeordneten Aktenbehälter, doch es existiert. Ich hatte das freundliche Grau stets als seine Originalfärbung wahrgenommen, schließlich war die Ergrauung ein schleichender Prozess gewesen.

Nun hatte meine Frau sich in den Kopf gesetzt, den Original-Baldi rekonstruieren zu lassen. Es gäbe da eine wunderliche Alte, sagte sie, die lebe zurückgezogen in den Bergen, und sie kreiere Kunst aus ausgestopften Tieren. Außerdem mache sie veraltete Stofftiere in einem dreimonatigen Prozess wieder wie neu, für nur 30.000 Yen.

Ich stieß einen spitzen Schrei aus und rief mit der Stimme meiner Mutter: „30.000 Yen? Das sind ja fast 500 Mark! Wie viele fabrikneue Baldis könnten wir dafür kaufen?!“

Meine Frau sprach die Antwort aus, die ich längst kannte: „Aber die wären nicht Baldi.“

Also schickten wir ihn in die Bergklinik. Vorher dokumentierte ich noch die Altersspuren:

Die Künstlerin bot uns an, nach Eintreffen des Tieres eine Einschätzung abzugeben, ob es in unserem Fall schneller und günstiger gehen könnte. Die Antwort kam schnell: Nein, das ginge ganz sicher nicht.

Wir durften ihn in den drei Monaten nicht besuchen. Oft malte ich mir aus, wie er nun dalag, allein auf einem Seziertisch in einer dunklen Berghütte, aufgeschnitten und ausgespreizt, die Felllappen mit Haken und Ketten in Position gehalten, wie eine sadomasochistische Fantasie aus einem Hellraiser-Film für Stofftiere.

Als Baldi zurückkam, erfuhren wir zuerst, was die Künstlerin am liebsten bei der Arbeit trank, offenbar in größeren Mengen.

Dann sahen wir ihn, und er sah uns.

Er sah uns sogar aus neuen Augen. Die alten hatte die Künstlerin separat mitgeliefert (unten auf der Abbildung unten).

Er ist heller und fülliger geworden. Das Fell ist nicht einfach nur mit Perwoll gewaschen. Es ist neu.

Im Schnauzenbereich ist er noch ein bisschen kahl, wie früher. Ich bin überzeugt, dass die Künstlerin dort bewusst ausgespart hat, um Baldis tatsächliches Alter zu würdigen. Sie hat es geschafft, seine Seele zu bewahren, obwohl sie wohl so ziemlich alles außer dem Halsband ersetzt hat. Jetzt kann ich ihn endlich wieder bedenkenlos mit ins Bett nehmen.

Das war also die Ballade von Botox-Baldi. Streng betrachtet handelt es sich nicht um eine Ballade, doch als Mensch aus Fleisch und Blut kann ich einfach keiner naheliegenden Alliteration aus dem Weg gehen. Könnte ich malen, hätte ich eher ein Bild gemalt. So wie meine Tochter es unaufgefordert getan hat: Baldi im Kreis der Familie, inklusive seiner alten Augen.

Mein Orientierungsjahr 2016: Abschließender Geschäftsbericht

Das Jahr 2016 scheint vor allem dafür bekannt, dass in seinem Verlauf, zumindest nach Augenmaß, überdurchschnittlich viele Personen des öffentlichen Lebens gestorben sind, die einem etwas bedeuten, so man in eine gewisse Altersspanne fällt. Abseits dieser Altersspanne wurde dieser Umstand mit weniger Wut, Trauer und Betroffenheit aufgenommen. In der Zeit (glaube ich) oder einer ihrer Ablegerpublikationen (könnte sein) erschien seinerzeit ein vieldiskutierter (meistens zurecht verlachter) Artikel eines Nachwuchsjournalisten, dessen Grundtenor war: Meine Freunde und ich kennen diesen Prince gar nicht, er kann also kaum so wichtig gewesen sein wie Justin Bieber oder Maximo Park. Jenseits des anderen Endes der Altersspanne wird, beispielsweise, „dieser Prince“ auch für, beispielsweise, meine Eltern kaum mehr gewesen sein als eine vage Erinnerung aus meinem Kinderzimmer. Vielleicht verwechselten sie ihn sogar mit „diesem Adam Ant“.

Offenen Auges müsste man zugeben, dass es 2016 durchaus wichtigere Nachrichten gab als tote Prominente, so sehr der eine oder andere Verlust tatsächlich schmerzte. Hat man allerdings gerade im fortgeschrittenen Alter einen Überseeumzug gestemmt, hat man zunächst gänzlich andere Prioritäten als die Sondierung der internationalen Nachrichtenlage. Da geht es um die Grundbedürfnisse des Menschen, die essenziellen Fragen, wie zum Beispiel: Werde ich ein Nudelrestaurant in meiner Nähe finden, in dem ich von nun an fast jeden Tag essen werde, und zwar fast jeden Tag dasselbe?

Ich habe meines gefunden, es sieht so aus:

Dort esse ich fast jeden Tag Mazesoba. Hier im Urzustand:

Dann so: maze, maze, maze.

Und dann essen, und dann war es wie immer gut.

Die Nudeln müssen mit Geld bezahlt werden. Nur ist das mit dem Geld so eine Sache, und zwar eine ungerechte. Mein Plan war es, das Nudelgeld mit dem Schreiben von Büchern und Zeitungs- beziehungsweise Zeitschriftenartikeln zu verdienen. Grob gerechnet bekommt man für drei oder vier Artikel in einigermaßen großen Publikationen (ein paar Tage Arbeit) so viel Geld wie für ein Buch in einem relativ kleinen Verlag (ein paar Monate Arbeit). Leider macht aber das Schreiben von Büchern mehr Spaß als das Schreiben von Artikeln (fürs Schreiben im eigenen Blog bekommt man übrigens gar kein Geld, so man keine unseriösen Reklameanzeigen nebenan haben mag). Zum Glück bin ich modern genug, mich eine Weile von meiner Frau aushalten zu lassen. Drum entschloss ich mich, in diesem Jahr rein nach Spaßprinzip zu schreiben. Also erstens Bücher, zweitens einfach so drauf los. Normalerweise misstraue ich Buchideen, bei denen sich nicht zumindest Anfang und Ende innerhalb von fünf Minuten von selbst offenbaren. Aber diesmal wollte ich so schreiben wie früher, als die Welt noch jung und die Zukunft ungeschrieben war und jeder Morgen nach frisch gemähtem Rasen und Aufbruch duftete. Deshalb habe ich nun einiges gänzlich Unerwartetes in der virtuellen Schublade, zum Beispiel:

  • Die ersten Worte einer interdimensionalen, ultrabrutalen, mechaerotischen Weltraumoper (also wahrscheinlich Jugendbuch).
  • Fragmente eines großstädtischen Quatschkopfromans, mit dem ich es in erster Linie auf den Ingeborg-Bachmann-Preis und/oder eine Verfilmung im Stile Woody Allens abgesehen habe.
  • Und natürlich – was soll man in Tokio auch anderes schreiben? – einen High-Concept-Entwurf für eine München-Moosach-Krimireihe.

Vielleicht sollte ich per Publikumsvotum entscheiden lassen, was ich davon ernsthaft weiterverfolge. Sollte es die Weltraumoper werden, müsste ich allerdings herausfinden, wie ich das Gesicht meiner Agentin verletzungsfrei wieder aus ihren Handflächen entfernen kann.

Nicht aufgeführt sind übrigens die zweieinhalb Projekte, bei denen ich vorsichtig optimistisch davon ausgehe, dass sie bald tatsächliche Spruchreife erlangen, ebenso wie die zwei vorläufig ausgereiften Projekte, die bereits hoffnungsfroh ihre Verlagsrunden drehen. Faul war ich also nicht, ich sah nur aus der Ferne so aus.

Sind die Nudelfragen geklärt und summt und brummt die Arbeitsroutine verlässlich vor sich hin, ist es auch im Neuen Leben an der Zeit, sich wieder für das Weltgeschehen zu interessieren. Schon früh hatte ich den Entschluss gefasst, mein Neues Leben solle langsamer und analoger werden – weniger postfaktisches Internet, mehr gedruckte Lügenpresse. Drum abonnierte ich sofort alles, was mir in die Quere kam und neuen Abonnenten einen Gratis-Jutebeutel versprach. Und kam bald mit der Lektüre nicht mehr hinterher.

Nun gibt es nichts Bekloppteres als den Spruch, nichts sei so alt wie die Zeitung von gestern. Wer nach Gesichtspunkten der Tagesaktualität Zeitung liest, bräuchte das wirklich nicht zu tun, da haben die Digitalhektiker ausnahmsweise recht. Qualitätsjournalismus lese ich auch gerne mal ein paar Tage oder eine Woche später. An den Weltereignissen ändert es ja nichts, ob ich sofort von ihnen erfahre oder erst nach allen anderen. Wenig ist mir so zuwider wie die polternde Beschwerde, diese oder jene Medien (im Zweifelsfall das deutsche Fernsehen) berichteten nicht schnell und live genug von den neuesten Gräueltaten. Informationsjunkies sind eben auch nur Junkies, zu beschönigen oder gar zu glorifizieren gibt es an diesem Zustand nichts.

(Wenn ich von mir ausgehe – und von wem sollte ich sonst ausgehen? – , dann glaube ich übrigens, dass die Fernsehnachrichten vor den Tageszeitungen aussterben werden. Zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sitzen und in eine bestimmte Richtung sehen zu müssen, um in vorgeschriebenen Tempi und starren Formaten informiert werden zu dürfen, erscheint mir schon heute absurd. Doch das nur am Rande.)

Dennoch: Wenn Entschleunigung in Überforderung umschlägt, muss eingeschritten werden. Es geht nicht an, dass hier noch ungelesene Zeitungen von vorm Nikolaus liegen. So habe ich gleich meinen ersten Vorsatz fürs Neue Jahr: Mindestens die Hälfte meiner Abonnements wieder abbestellen. (Das wird wohl auch dich betreffen, lieber New Yorker. Es liegt nicht an dir, es liegt an mir. Deine Cartoons sind zwar so überschätzt wie die Interviews im Playboy, aber deine längeren Artikel habe ich stets gern gelesen. Beziehungsweise lesen wollen, wenn ich die Zeit gehabt hätte. Habe ich jedoch nicht. Nicht jede Woche. Wenn du dich zu einem monatlichen oder quartalsweisen Erscheinungsturnus entscheiden könntest, würde ich es mir noch mal überlegen. Was ich eigentlich sagen wollte: Den Abonnenten-Jutebeutel, der mir vertraglich zusteht, möchte ich trotzdem noch haben. Alle anderen Zeitschriften haben mir den Abonnenten-Jutebeutel unaufgefordert zugeschickt. Also bitte zack-zack.)

Für die wirklich wichtigen Nachrichten müssen wir heuer selbstverständlich einen bangen Blick nach Amerika werfen: Rogue One. Oft hörte ich die Einschätzung: Erst gähn, dann geil. Mir ginge es, falls ich mich überhaupt jetzt schon zu derlei extremen Urteilen hinreißen lassen müsste, eher umgekehrt. Eigentlich geht es mir hier aber gar nicht um die Qualität des Films, die kann man bei einem emotional so komplexen Lebensaspekt wie Krieg der Sterne ohnehin frühestens nach vier oder fünf Durchläufen vorläufig abschließend beurteilen, sondern darum: Es scheint, als war 2016 das Jahr, in dem Krieg-der-Sterne-Filme ganz normal geworden sind. Schon weiterhin Eventereignisfilme, auf die man sich flatternden Herzens freut. Doch flattert es nicht mehr gar so stark, dass man vorher nächtelang nicht schlafen kann (anders also als letztes Jahr noch). Seit Disney dankenswerterweise das ganze Unternehmen übernommen hat, ist bekannt, dass es fortan jährlich einen neuen Krieg-der-Sterne-Film geben wird. Wenn nicht Episode-Irgendwas, so doch irgendein Spinoff-Prequel-Oneshot-Standalone-Crossover-Hastenichgesehn-Dingsbums. Ein Film pro Jahr ist noch kein Overkill, hatte ich gedacht, und das ist es auch nicht. Nichtsdestotrotz bemerke ich bereits einen starken Gewöhnungseffekt und hoffe, dass es nicht soweit kommen wird wie bei den Superheldenfilmen, die ich nun immer häufiger auslasse (letzter ausgelassener war der letzte Gruppe-X-Film, nächster wird der nächste Guardians of the Galaxy). Das wäre schade, denn meine Familie gibt mir nur zu Krieg-der-Sterne- und Godzilla-Filmen frei.

Den letzten Godzilla-Film kann ich leider nicht beurteilen, weil ich leichtsinnig vor dem Film ein Bier getrunken hatte und dann im Kino eingeschlafen bin. Das ist jetzt so das Alter, und das wird im nächsten Jahr bestimmt nicht besser.

Bring mich zum Kopf von Godzilla [Kaiho-Kolumne]

In der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift der Deutsch-japanischen Gesellschaft in Bayern ist meine aktuelle Kolumne Nagoya, mon amour fou zu lesen. Drum gibt es die vorletzte Kolumne nun hier für alle Welt in Zweitverwertung.

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Es ist eine Unsitte unter Bewohnern und Besuchern gewisser Städte bei jeder Begegnung mit vermeintlich Exzentrischem der Welt lauthals zu verkünden: „Nur in New York!“ Beziehungsweise: „Nur in Berlin!“ Oder eben: „Nur in [Städtenamen selbst einsetzen]!“ Meistens sind die so geadelten Phänomene keineswegs sonderlich ortsgebunden, und der „Nur in XY!“-Rufer beschreibt weniger die Exzentrizität der gemeinten Stadt als vielmehr die Begrenztheit seines eigenen Horizontes. Ich bemühe mich also, nicht jedes Mal „Nur in Tokio!“ zu krakeelen, wenn ebendort eine bemerkenswerte Person, ein bemerkenswertes Ereignis oder ein bemerkenswertes Nudelgericht meinen Weg kreuzt.

Bei meinem letzten Besuch sah ich allerdings ein Hinweisschild an einem Gebäude, das man so wahrscheinlich tatsächlich „nur in Tokio!“ finden wird (und dass man schon zu lange dort ist, merkt man daran, dass man es zunächst kein bisschen seltsam findet):

1. Stock: Läden und Restaurants, 8. Stock: Café Bon Jour und Godzilla-Kopf

Ich muss zugeben, dass ich nicht gänzlich zufällig an dem Schild vorbeigekommen bin. Ich hatte es zwar nicht explizit gesucht, aber doch das, was es annoncierte: den Godzilla-Kopf. Der wurde vor nicht allzu langer Zeit auf dem Vordach eines Hotels in Kabukicho installiert, in Lebensgröße über das Vergnügungsviertel wachend, wenn nicht über die gesamte Stadt.

War meine Vorfreude groß, so wich sie zunächst einer milden Enttäuschung, als ich die Skulptur das erste Mal mit eigenen Augen sah. Es ist wie bei vielen Berühmtheiten, die man nur aus den Medien kennt. Sieht man sie auf der Straße, denkt man: Ich hatte ihn mir irgendwie größer vorgestellt. Dabei ist es tatsächlich so, wie die japanische Tagespresse es angekündigt hatte: Man muss Godzilla nicht lange suchen, wenn man sich Kabukicho nähert. Er ist schwer zu übersehen auf der Vordachterrasse des Gracery-Hotels. Und trotzdem ist der erste Anblick unspektakulär. Im ohnehin bunten, reklameüberfrachteten Straßenbild könnte der Saurier nichts weiter als eine weitere Werbefigur sein. Der Eindruck bestärkte sich noch dadurch, dass Sony gerade zum Zeitpunkt meines Besuches eine Werbebanderole unter dem Viech angebracht hatte, die ein neues Godzilla-Videospiel ankündigte. Einerseits: Wenn nicht hier, wo dann? Andererseits verlieh die Werbung dem Kunstwerk etwas Flüchtiges und Vulgäres. Heute Godzilla, morgen Naruto, übermorgen Kleenex. Dabei sollte Godzilla doch hier sein, um zu bleiben.

Die Enttäuschung wich zum Glück wieder einer erhabenen Freude, als ich dem besagten Schild in den achten Stock gefolgt und ganz nah bei Godzilla war. Aus unmittelbarer Nähe ist er so imposant wie gewünscht, gegen ihn sieht der Rest der Stadt klein aus. Sein Kopf ragt aus dem Dach, als hätte er es gesprengt. Er krallt sich an dessen Rand mit fürchterlichen und wunderbaren Klauen. Am Sockel erinnern Reliefs an seine schönsten Filmmomente.

Als ich vollends zufrieden wieder gehen möchte, pfeift mich der uniformierte Godzilla-Aufpasser zurück. Habe ich etwas falsch gemacht? Steuere ich den falschen Ausgang an? Nein, der ernste Herr bedeutet mir, eine verborgene Stelle am hinteren Teil der Skulptur anzufassen. Das tue ich, und daraufhin röhrt aus Godzillas Maul das charakteristische Godzilla-Röhren. Das Pärchen, das genau dort gerade steht, bekommt einen riesen Schrecken. Der Aufpasser und ich lachen verschwörerisch. Bald lachen wir alle, denn Godzilla ist unser Freund, und das macht uns alle zu Freunden.

Godzilla ist endlich ein originäres Wahrzeichen für Tokio. Denn wollen wir mal ehrlich sein: der Tokyo Tower ist charmant in seiner stählernen Archaik, aber letztlich nur vom Eiffelturm abgekupfert. Die Rainbow Bridge ist doch sehr kalifornisch. Der Skytree etwas zu streberhaft in seinen Ausmaßen und Anmaßungen, außerdem architektonisch so beliebig gefallsüchtig, dass er genauso gut in Schanghai oder Dubai stehen könnte. Godzilla ist ein stimmiges Symbol für Tokio: ein liebenswertes und etwas unförmiges Monster, von keiner Krise kleinzukriegen. Eine überdimensionierte Schöpfung, die sich immer wieder neu erfindet. Godzillas Symbolgehalt geht dabei über die Hauptstadt hinaus. Sein erster Filmauftritt ist längst als Klassiker kanonisiert, und trotzdem ist er nach wie vor aktiver Teil der Popkultur. Wer könnte also besser dieses Neben- und Miteinander von Tradition und Moderne vertreten, das Japan so gebetsmühlenhaft nachgesagt wird? Darüber hinaus ist die atomar verstrahlte Echse ein treffliches Energie- und Umwelt-Mahnmal in Post-Fukushima-Zeiten. Möge ihr Röhren noch lange aus Kabukicho heraus in die Welt tönen.