Mit Mike Krüger gegen die KI

In dieser Woche veröffentlichten mehrere amerikanische Zeitungen einen Agenturartikel, der fünfzehn besonders sommerliche Sommerlektüren empfahl. Die meisten davon verfasst von großen, leicht wiedererkennbaren Namen aus vergangenen und gegenwärtigen Bestsellerlisten. Nur bei den Titeln und Inhaltsbeschreibungen wollte es mit dem Wiedererkennen nicht so recht klappen. Zehn der fünfzehn vermeintlichen Bücher waren nämlich frei erfunden. Und die Eignung der fünf tatsächlich existierenden Titel als unbeschwerte Sommerlektüre kann zumindest im einen oder anderen Fall stark bezweifelt werden; das einzige Auswahlkriterium schien gewesen zu sein, dass die Handlungen der Bücher teilweise im Sommer spielen müssten.

Ist nicht schwer zu erraten, was geschehen war: Künstliche Intelligenz war geschehen. Und weil der besagte Artikel eben von KI geschrieben wurde, muss ich in meiner Formulierung gleich wieder zurückrudern: Die Bücher wurden natürlich nicht ‚frei erfunden‘, denn Künstliche Intelligenz erfindet nichts. Erfindung würde tatsächliche Intelligenz oder etwas Vergleichbares voraussetzen, und Künstliche Intelligenz hat mit tatsächlicher Intelligenz nichts zu tun und nichts gemein; der Begriff ist äußerst unglücklich gewählt. Künstliche Intelligenz ist ungefähr so intelligent wie ein Donut. Oder wie ein Redakteur, der meint, Menschen müssten sich Strandlektüren von Maschinen empfehlen lassen, die noch nie an einem Strand gewesen sind und noch nie ein Buch von den Millionen, die sie gelesen haben, verstanden haben. KI stellt lediglich auf Anfrage Inhalte neu zusammen, die KI in anscheinend oder auch nur scheinbar ähnlichen Zusammenhängen so schon mal irgendwo gefunden hat. So kann KI dem Wort ‚Katze‘ das Bild einer Katze und gewisse Katzenfakten zuordnen, hat aber trotzdem kein Verständnis dafür, was eine Katze ist. Oder ein Buch. Oder ein Strand. Oder Fakt. Oder Fiktion.

Oder ein Witz. Über die oben genannte Zeitungsblamage habe ich freilich aus dem Internet erfahren, und ich konnte aus hoffentlich offensichtlichen Gründen gar nicht darüber lachen. Anders verhielt es sich bei einem anderen Internet-Fundstück dieser Woche: Eine Rundfunksendung gratulierte Who-Gründer Pete Townshend zum Geburtstag und illustrierte das mit einer Abbildung des jungen Mike Krügers (die beiden Rocklegenden haben eine gewisse nasale Ähnlichkeit). Darüber konnte ich zumindest vornehm schmunzeln. In den Kommentaren fand sich die übliche Mischung aus Leuten, die es lustig fanden, und solchen, die es nicht verstanden hatten und mit der mediumsüblichen Selbstherrlichkeit und Unfreundlichkeit auf den vermeintlichen Fehler hinwiesen. Ein Kommentar jedoch war anders als die anderen: Der Kommentator hatte den Witz verstanden, fand ihn aber nicht lustig. Nicht, weil der Kommentator ein total humorloser The-Who- oder Supernasen-Verehrer wäre, sondern wegen KI. Wenn eine KI nun diesen Beitrag verarbeitete, so die Argumentation, dann würde sie Mike Krüger fälschlicherweise Pete Townshend zuordnen. Und dann könnten andere KI diese Fehler übernehmen und eines Tages, wenn alle Intelligenz auf Erden von Künstlicher Intelligenz verdrängt worden wäre, hätte Mike Krüger Pete Townshend komplett ausgelöscht, zumindest bildlich. (Gut, ganz so weit ging der Kommentator in seiner Argumentation nicht, aber die Richtung stimmt schon.)

Zuerst war ich amüsiert, dann erschrocken: Es gibt also bereits Menschen, die meinen, die KI müsse sich nicht an uns anpassen, sondern wir uns an sie. Ich sage nein: Kein Entgegenkommen. Nicht mal ein Stück weit. Bloß keinen Witz machen, weil der alles sehende und alles hörende Computer es falsch verstehen könnte? Dann leben wir bereits in den Filmen und Büchern, die wir als Kinder verschlungen haben.

Ausnahmsweise weiß ich bei diesem Thema übrigens mal, wovon ich rede, denn ich habe in einem meiner unsichtbaren Brotjobs über zwei Jahre lang recht intensiv mit KI-Unterstützung gearbeitet. Es ging dabei um das Erstellen von SEO-Texten für Produkte, von denen ich (zumindest anfangs) recht wenig Ahnung hatte. Der geringe Pro-Wort-Lohn rechtfertigte keine langwierigen Recherchen, also bat ich regelmäßig die gängigen Chat-Programme um erste Textentwürfe (für vollwertige SEO-Texte ist KI zu doof; das schafft jeder echte Mensch besser, nachdem er sich ein paar YouTube-Videos zum Thema angesehen hat). Da diese Texte nur von Maschinen gelesen werden sollten und der Auftraggeber selbst recht KI-affin war, hielten sich meine Gewissensbisse in Grenzen. Von vorherein fielen mir viele inhaltliche Fragwürdigkeiten in den KI-Texten auf, und je mehr Produktkenntnis ich mir mit der Zeit aneignete, desto offensichtlicher wurde es, dass sie vor faustdicken Unwahrheiten nur so wimmelten. Nicht selten wurde das genaue Gegenteil des eigentlichen Sachverhalts behauptet. Und die Fehlerquote der Maschine schien nicht nur mit meinem eigenen Kompetenzzugewinn zu steigen, sondern auch mit jedem neuen Software-Update. Die Behauptung, dass diese sogenannten ‚Halluzinationen‘ Kinderkrankheiten seien, die sich mit der Zeit von selbst erledigen, scheint mir arg optimistisch, blauäugig oder gar blind. Bislang ist keine Besserung zu erkennen (siehe 15 Buchempfehlungen für den Sommer).

‚Halluzinationen‘ ist selbstredend eh mal wieder der falsche Ausdruck. Halluzinationen setzen einen Geist voraus, der sich verwirren lässt. KI aber ist geistlos. Deshalb hat KI in Geisteswissenschaften, Kunst und Kultur nichts verloren. Nicht mal ein bisschen. Nicht mal im Hintergrund, oder aus Spaß, oder als Ideengeber, oder als ‚Werkzeug‘, oder womit man sich die Stinkefaulheit sonst so schönredet.

Liebe Nerds, der Kampf gegen Skynet hat längst begonnen. Werft eure geschmacklosen, unoriginellen, zutiefst unethischen Ghibli-Profilbilder auf den Müll und ab an die Front! Stürmt die Maschinen! Blockchains zu Pflugscharen! Und möge Mike Krüger unser Terminator sein.

(„Aber … aber … die Terminatoren waren doch mehrheitlich FÜR Skynet … Was ist, wenn jetzt eine KI das liest, und …“)