Mein Halloween mit Halloween

Die Jüngeren wissen es vielleicht noch nicht: Ich kann Halloween nicht leiden. Weder das kulturell entwurzelte Importfest, diese Horror-Amateurveranstaltung (alternativer Bindestrich: Horroramateur-Veranstaltung), noch die Filmserie, die niemals eine hätte werden dürfen. Also bekomme ich zur Halloween-Zeit immer ganz miese Laune und hervorragende Ideen, diese noch zu steigern. Diesmal: Warum gucke ich mir nicht mal wieder alle Halloween-Filme an? Und falls damit nicht genug Zeit verschwendet sein sollte: Warum schreibe ich nicht meine Gedanken und Gefühle dazu in meinen Blog hinein?

Ganz so schwer wollte ich es mir dann allerdings doch nicht machen und beschloss, mich allein auf die erste Staffel zu konzentrieren (1978 – 1995). Die Rob-Zombie-Filme habe ich stets gemieden und möchte es dabei belassen. Ich nehme Rob Zombie ab, dass er Horrorfan ist. Horrorregisseur ist er nicht. Und die aktuelle Trilogie ist mir zu aktuell, darüber mache ich mir in frühestens dreißig Jahren Gedanken. H20 von 1998 habe ich als „ganz gut“ in Erinnerung, und gute Filme sind hier nicht Sinn der Sache.

Außerdem hatte ich beschlossen, nicht in chronologischer Reihenfolge vorzugehen, sondern in lustbasierter. Los ging es (nerviges Synthie-Gegniedel setzt ein) mit Halloween II: Das Grauen kehrt zurück von 1981, weil ich den Verdacht hatte, diesem Film zeit meines Lebens Unrecht getan zu haben. Das erste und bislang einzige Mal sah in ihn als Teil einer Gruppe betrunkener männlicher Teenager in der VHS-Ära. Es war nicht der erste Film des betreffenden Abends, und ich muss wohl eingeschlafen sein. In jugendlicher Arroganz rechnete ich das stets dem Film an, nicht etwa dem Dosenbier.

Diesmal blieb ich wach. Schönster Moment des Films: Nachdem die Trottel vom Haddonfield PD auf der Jagd nach Michael Myers gerade versehentlich einen unschuldigen minderjährigen Passanten überfahren und in Brand gesteckt haben (damals explodierten amerikanische Polizeiautos ja noch sofort bei Zusammenstößen mit Fußgängern), damit der meschuggene Dr. Loomis ihn nicht abknallen kann, hält sich keiner der Beteiligten lange mit Gewissensbissen, Schuldgefühlen oder Selbstkritik auf. Auch später, als kein Zweifel mehr daran besteht, dass der Falsche verschmort wurde, legen die Männer eine bemerkenswert gelassene „Tja, dumm gelaufen“-Attitüde an den Tag.

Schönster Dialog außerhalb des Films:

Ehefrau: „Oh, ist das Sigourney Weaver?“

Ehemann: „Nein, die andere.“

Ehefrau: „Ach ja, genau.“

Gut, ist vielleicht nicht gerade Shakespeare. Dasselbe lässt sich allerdings auch über die Dialoge in Halloween II sagen. Über die Handlung sowieso. Die einzige Überraschung ist, dass Laurie sich als die Schwester von Michael herausstellt. Darauf baut der gesamte Rest der Serie auf, und damit wäre Halloween II so etwas wie das Das Imperium schlägt zurück unter den Halloween-Filmen.

Ich bin übrigens fest davon überzeugt, dass Das Imperium schlägt zurück von den sogenannten Star-Wars-Fans in der Luft zerrissen würde, käme derselbe Film heute raus. Zu viele unvorhergesehen Wendungen und Enthüllungen. Die massive Amateurkritik an Die letzten Jedi ist schließlich nahezu komplett erfasst mit: „In unsrem Alter möchten wir um Gottes Willen von nichts mehr überrascht werden und nichts erfahren, was über unsere eigenen Spekulationen hinausgeht.“ Aber das nur am Rande; hier soll es ja, wie gesagt, nicht um gute Filme gehen.

Obwohl ich gestehen muss, dass mir Halloween II als aufs Wesentliche reduzierte Vintage-Unterhaltung durchaus gut gefallen hat. Wenig Handlung, wenig Figurenentwicklung, wenige dramaturgische Durchhänger. Danach hatte ich tatsächlich doch ein bisschen gute Laune und Lust bekommen, weiterzumachen. Also nach Teil 2 gleich Teil 4.

War der zweite Film mental und ästhetisch noch fest in den geschmackssicheren 70ern verankert (kulturell lassen sich Dekaden ja nicht nach Kalenderangaben trennen), so ist Halloween IV: Michael Myers kehrt zurück voll und ganz in den 80ern angekommen. Das merkt man schon daran, dass die neue Protagonistin keine Halbstarke ist, sondern ein waschechtes Kind. Die kleine Danielle Harris macht ihre Sache sehr gut. Leider kann ich das von den Großen nicht behaupten. Wer auch immer das Drehbuch geschrieben hat (es nachzuschlagen, wäre zu viel der Ehre), hat sich rein gar nichts einfallen lassen. Die Handlung ist mit dem Filmtitel erschöpfend zusammengefasst. Ein Großteil der Morde findet abseits der Kamera statt. Merke: Was in einer Agatha-Christie-Verfilmung funktioniert, funktioniert nicht zwangsläufig in einem Slasher-Film.

Optisch merkt man dem Film sein Alter beziehungsweise seinen Mangel an Alter daran an, dass sich die Verantwortlichen hier bereits bewusst gewesen sein mussten, dass er im Kino nicht viel reißen würde. Mit vielen Nahaufnahmen und Halbtotalen und einer Farbdramaturgie ohne Eier in der Hose ergibt sich Halloween IV den Anforderungen des Heimkinomarktes. Dass die Fernseher mal größer, breiter und hochauflösender würden, konnte damals noch keiner ahnen. Selbst wenn, hätte es wohl keinen Unterschied gemacht, denn dieser Film war bestimmt nicht für die Ewigkeit gedacht. Dass er dennoch überdauert hat, ist ein Irrtum der Geschichte.

Gott sei Dank hatte ich nun wieder schlechte Laune, also gleich weiter mit Halloween V: Die Rache des Michael Myers. Danielle Harris ist wieder die Wucht in Tüten, und der Film ist um einiges dynamischer erzählt als sein Vorgänger, aber in meinem Zustand konnte man mir gar nichts rechtmachen. Viel zu hektisch und hysterisch das Ganze. Was soll das denn um diese Uhrzeit? Die Leute wollen schlafen!

Also mittendrin umgeschaltet zu Halloween III, dem einzigen Film der Serie, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, und der einzige Film der Serie, der kein Film der Serie ist, sondern nur so heißt. Über ihn wurde damals nach dem ersten Schock so ausdauernd und beharrlich behauptet, dass er total unterbewertet sei, dass er heute total überbewertet ist. Mich erinnerte er ein wenig an die Fernsehserie Evil, nur ohne das sympathische Ermittlertrio. Und ohne all die anderen Qualitäten.

Bald hatte ich etwas viel Besseres gefunden, als Halloween III zu gucken: So lange immer wieder stupide die Aktualisieren-Schaltfläche des Browsers zu bedienen, bis die nächste Staffel von Evil endlich auftauchte.

Also erst mal zwei Folgen Evil, dann weiter mit Halloween III. Das ging mir alles viel zu langsam. Also zurück zu Halloween V. War leider immer noch nicht besser geworden. In seinen schlimmsten Momenten, und das sind nicht wenige, wirkt dieser Halloween-Film wie ein Freitag-der-13.-Film. Ich weiß, das klingt gemein, aber es ist wahr.

Der eine Film langweilte mich, der andere nervte. Und nachdem ich wegen Kurzurlaub eine zweitägige Halloween-Zwangspause einlegen musste …

… sah ich die Lösung meines Problems klar vor meinen Augen: Einfach aufgeben! Niemand zwang mich!

So kam es, dass ich nach der Heimkehr sofort alle Halloween-Filme aus meiner Liste löschte, die danach weitaus verführerischer aussah. Ich würde Teil 3 und 5 nicht mehr zu Ende sehen, und mit Teil 6, dessen Existenz ich im Vorfeld völlig vergessen oder verdrängt hatte, ebenso wenig anfangen wie mit dem ersten, den ich bisher in keinem Lebensalter mehr als „ganz okay“ zu finden gelernt habe (oh, was habe ich es versucht).

So fühle ich mich nun wieder frei. Der Fluch des Michael Myers ist nahezu buchstäblich von mir genommen. Genauso wie „die Rückkehr“ und „die Rache“. Ich kann mich nun wieder angenehmeren Projekten widmen, beispielsweise meinen geplanten Subspecies– und Maniac Cop-Retrospektiven. Und ich kann mich auf erfreulichere Feiertage freuen.

Reinhard Mey verbieten!

Quatsch, ich meine gar nicht Reinhard Mey, ich meine Karl May (Abb. oben, links). Und ich meine auch gar nicht ‚verbieten‘, ich meine ‚lesen‘. Wenn man will. Ich bin ganz durcheinander. Viele diskutieren ja dieser Tage über den Mann und sein Werk ohne große Textsicherheit. Das freut mich sehr, denn außer Das Kapital habe ich selbst kaum etwas von ihm gelesen, möchte aber unbedingt mein Hublublublublu auch noch dazugeben.

Vielleicht tatsächlich kurz etwas zu meiner eigenen Karl-May-Rezeptionsgeschichte, denn ich stelle mich so gern in den Mittelpunkt meines Schreibens. In den 70ern sah ich die Filme im Fernsehen und fand sie „ganz gut“. In den 80ern versuchte ich es mit den Büchern, kam allerdings nicht weit. Ich war eher der Conan-Typ (Barbar, nicht Detektiv). Aber dieses spezielle Fass wollen wir im momentanen Klima lieber nicht auch noch anrollen. Als Jungs noch mit Puppen spielten, besaß ich eine gelenkige Spielzeugausführung von Winnetous Pferd, die ich jedoch als Big-Jim-Pferd einsetzte. Später besuchte ich einmal die Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg, wo es mir gut gefallen hat. Vor allem wohl auch, weil meine Eltern nicht dabei waren und ich Zigaretten rauchen konnte, bis mir schlecht wurde (schätzungsweise eine halbe bis eine). Herrliche Erinnerungen. Zu einem Vollblut-Karl-May-Fan machen sie mich allerdings schwerlich. Hier schreibt kein eingeschnappter Nostalgiker, hier schreibt ein besorgter Leser (wenngleich kein Karl-May-Leser).

An Karl May ist, soweit ich es aus meinem ungünstigen Blickwinkel beurteilen kann, einiges kritikwürdig. Und jetzt kommt der Knaller: Kritik wird tatsächlich geübt, und zwar nicht erst seit August 2022. Flapsig könnte man sagen, die Karl-May-Kritik gibt es, seit es Karl May gibt. Er hatte schließlich schon zu Lebzeiten nicht nur leidenschaftliche Verehrer und gute Freunde, nach allem, was man so hört. Aber über diese unschönen Kolonialzeiten wollen wir ja lieber nichts hören, LALALALALA mit Fingern in den Ohren, also spulen wir schnell zu meinen Lebzeiten vor und formulieren um: Karl May wird kritisch rezipiert, seit ich (52) denken kann. Selbst von Kindern. Als ich meinen ersten Winnetou-Film auf unserem Schwarz-weiß-Röhrenfernseher sah, klärten mich meine Eltern auf, nicht ohne Häme, dass dieser Karl May nie in Amerika gewesen war und wahrscheinlich weder von echten Cowboys noch von echten Indianern allzu viel wusste. Diesen Informationsstand schienen meine Altersgenossen zu teilen. Wir sahen diese Filme so, wie wir auch Weltraum- und Dinosaurierfilme sahen: Als ausgedachte Unterhaltung, nicht als Schulstoff. Ich fand Winnetou, wie gesagt, „ganz gut“ (aber nicht so gut wie Zorro), weshalb ich mich später „ein bisschen“ mit der Geschichte und Kultur der tatsächlichen amerikanischen Ureinwohner beschäftigte. Diejenigen meiner Freunde, die diese Filme und Bücher mehr als bloß „ganz gut“ fanden, sollten sich damit weitaus ausführlicher beschäftigen als ich. Denn das ist eine der vielen Leistungen ausgedachter Bücher: Sie beflügeln das Interesse an der Wirklichkeit.

Diejenigen aus meinen Umfeld, die im Laufe ihrer Studien tief in die fremde Kultur und Geschichte eintauchten, haben danach keineswegs mit Karl May gebrochen. Denn so sind sie, die Menschen guter Kinderstube: Sie können zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden und beides aus unterschiedlichen Gründen zu schätzen wissen.

Aber genug von mir und meiner Rasselbande. Auch außerhalb meiner Blase existiert der kritische Umgang mit Karl May nicht erst seit ein paar Wochen. Eine erschöpfende historisch-kritische Ausgabe wird seit 1987 erstellt, inzwischen in Zusammenarbeit mit dem Karl May Verlag, der da wohl nichts zu verbergen hat. Rund 100 Bände liegen bereits vor. Da hat also schon zur Genüge stattgefunden, was einige vorgebliche Vermittler nun lasch fordern, nämlich die Neuauflage der alten Bücher mit kritischen Vorbemerkungen. Damit wären wir wieder bei der vorletzten Sau, die durchs Dorf getrieben wurde: Der Trigger-Warnung. Diesmal nur viel wortreicher. Dabei braucht kein Mensch eine Trigger-Warnung, um Der Schatz im Silbersee zu lesen, denn die Karl-May-Methode kennt seit Jahrzehnten jedes Kind. Karl May wird automatisch kritisch gelesen, erstens weil Karl May, zweitens (vielleicht wichtiger) weil alt. Wer es lieber genau als ungefähr wissen möchte, greift halt zur besagten Sonderausgabe. Aber Zwangsbelehrungen gehören sich nicht.

Der Unterschied zwischen der ewigen und der aktuellen May-Kritik, die sich inhaltlich in den wesentlichen Punkten nicht unterscheiden, ist die Absicht. Der alten Kritik ging es um Aufklärung, der neuen geht es um Verbannung. Also das genaue Gegenteil. Eine der infamsten Lügen dieser Fatwa äh Debatte ist die Behauptung, dass die Verbannung der Winnetou-Kinderbücher aus dem Ravensburger Verlag nichts mit Zensur oder Bücherverboten zu tun hätte, denn der Verlag habe die Titel schließlich „freiwillig“ aus dem Programm genommen. Hier eine kleine Branchen-Insider-Information (ich weiß gar nicht, ob ich darf): Pustekuchen! Kein Verlag nimmt jemals eine Neuerscheinung freiwillig aus dem Programm, schon gar keine bereits gedruckte und ausgelieferte. Das kostet alles Geld! Heute sogar deutlich mehr als letztes Jahr um die Zeit. Solche Rücknahmen erfolgen ausschließlich auf Druck von außen, entweder von Anwälten oder, wie hier, vom geifernden Mob mit seinen Fackeln und Mistgabeln.

Die Bestrebungen des lesefeindlichen Mobs im deutschsprachigen Raum erinnern an die jüngsten (oft erfolgreichen) Bestrebungen US-amerikanischer Rechtsmoralisten, Bücher über allerlei sexuelle Orientierungen und Geschlechteridentitäten aus Schulbibliotheken zu entfernen. Da mag manch einer meinen, das eine dürfe man nicht mit dem anderen vergleichen. Womöglich handele es sich sogar um einen sogenannten Whataboutism, um jenes Dummwort zu bemühen, mit dem die Ewig Doofen seit einiger Zeit jedes gute Argument in Grund und Boden kreischen. Wahrlich aber, ich sage euch: Es gibt zwischen denen, die schwule Comics verbieten wollen, und denen, die Verlage mit Nachdruck dazu bewegen wollen, Indianerbücher nicht mehr nachzudrucken, keinen charakterlichen Unterschied. Die einen mögen sich konservativ nennen und die anderen sich für progressiv halten, aber letztendlich findet man auf beiden Seiten bloß verbohrte Idioten äh Ideologen, die es nicht ertragen, dass es noch andere Standpunkte gibt als ihre eigenen. Das Resultat ihres Handelns ist dasselbe: Weniger Auswahl im Bücherregal. Und wer nun sagt, dass es um diese spezielle Art von Auswahl nicht schade ist, der sollte wissen, wes Geistes Kind er ist. Hugh.

Tarako Shampoo

Das da oben wäre ein guter Titel für eine schrullige kleine Independent-Film-Dramedy, finde ich. Eine Story wird sich schon ergeben. Vielleicht etwas über irgendeinen Mann, der sich in irgendeiner Krise befindet (Midlife? Quarterlife?) und eines Tages eine herrlich verrückte junge Frau mit kurzen Haaren kennenlernt (U-Bahn? Schnellimbiss?), die sein Leben ganz schön auf den Kopf stellt (aus der Bahn wirft? durcheinanderwirbelt?). Zum Schluss ist die Frau wieder weg, weil man Paradiesvögel nicht in Käfige sperren kann, und der Mann ein kleines bisschen wehmütig. Aber die Krise immerhin ist vorbei, und er kann die Welt mit neuen Augen sehen. Sundance Publikumspreis.

Aber genug von Tarako Shampoo, reden wir über Weihnachtsfilme. Sie schauen ja hoffentlich auch seit mindestens vier Wochen nichts anderes. Sollten Sie noch nicht angefangen haben, wird es höchste Eisenbahn. Mit diesem kurzen, unvollständigen Ausschnitt aus meiner diesjährigen Weihnachtsfilmkonsumhistorie möchte ich teils anregen, teils warnen.

Unsere Saison begann mit einem kleinen Familienstreit. Meine Frau und ich waren uneins, welcher Film missratener wäre: Last Christmas (basierend auf den Werken George Michaels) oder The Family Stone (basierend auf einem Drehbuch von Außerirdischen, die noch nie einem Erdenmenschen begegnet sind). Ausnahmsweise musste meine Frau meiner Argumentation schließlich zustimmen: Beide Filme sind Schmarrn, aber Last Christmas ist zumindest aufrichtiger Schmarrn, der nicht vorgibt, irgendetwas anderes zu sein. The Family Stone hingegen versucht sich am großen amerikanischen Familiendrama, kommt jedoch nur bei Figuren an, die einander und vor allem den Zuschauern gehörig auf die Nerven fallen. Ungeachtet der offensichtlich hohen Ambitionen wird das Ganze als volksnahe Komödie verkauft, deshalb fällt zweimal jemand hin.

Last Christmas hat zunächst nur peripher etwas mit den Liedern von George Michael zu tun. Wird einer unsanft aus dem Schlafe geweckt, läuft halt … Sie wissen schon. Bis man am Schluss voller Freude über so viel Mut zum Schmalz feststellt, dass der Titelsong bereits einen RIESEN-SPOILER (!!!) enthält: „Last Christmas, I gave you my HEART…“ Ein Hoch auf die wortwörtliche Interpretation! Der ganze Filme quasi eine Nachricht von Sam äh Tom! The Sixth Sense! Fight Club! Und alles als romantische Weihnachtskomödie! Aber ich möchte nicht zu viel verraten.

Alle Jahre wieder schmeißt uns Netflix gefühlt ein paar hundert lieblos und dilettantisch runtergekurbelte Weihnachtsfilme unter den Baum und lässt uns hoffnungsvoll nach dem einen qualitativen Ausreißer suchen. Single All The Way war er es schon mal nicht. Der Titel-Single lebt wegen Beruf und Lebensstil in San Francisco. Als er zum Weihnachtsfest in die kleinstädtische Heimat fährt, nimmt er aus Gründen, die ich bereits wieder vergessen habe, seinen Mitbewohner und besten Freund mit. Im Kleinstadtidyll müssen die beiden freilich – ganz langsam und gegen innere Widerstände – einsehen, dass es vielleicht etwas noch Besseres als Freundschaft zwischen ihnen geben könnte.

Es ist schwierig, etwas Gemeines über einen Film zu sagen, der so gut gemeint ist, und in dem alle Menschen so nett zueinander sind. Also werde ich das auch nicht tun, schon gar nicht so kurz vor Weihnachten.

In The Happiest Season ist im Vergleich zu Jingle All The Way einiges umgekehrt: In die Kleinstadt reisen zwei junge Frauen statt Männer, sie sind bereits ein Paar, statt grenzenloser Offenheit gibt es Geheimnisse über Geheimnisse, und alle Beziehungen sind so konfliktbeladen, dass man meinen könnte, diese Menschen wären bei anderen Menschen besser aufgehoben. Trotzdem habe ich mir das über weite Strecken gerne angesehen. Vielleicht wegen der nerdigen Schwester, die an ihrem Fantasy-Romanepos arbeitet, oder Daniel Levi, der hier glücklicherweise dieselbe Rolle spielt wie in Schitt’s Creek, nur unter anderem Namen (man kann mir nichts vormachen). Man muss den Film schon für eine sehr angestrengt vorbereitete Pointe lieben, bei der sich eines der Mädchen in einem Wandschrank versteckt, nur damit die Dame des Hauses bei Entdeckung fragen kann: „What are you doing in the closet?“ (Tsching-bum.)

Der sehenswerte Netflix-Überraschungsweihnachtsfilm in diesem Jahr heißt leider Love Hard, er ist für Menschen mit Niveau und Anstand also besonders leicht zu übersehen, klingt der Titel doch nach einer dieser Spritz- und Gröl-Komödien für ungezogene Kinder. Es handelt sich dabei um eine Verquickung von Love Actually und Die Hard. Darauf bin ich allerdings auch erst einige Zeit nach Filmende gekommen. Als Titel also nicht ideal. Zumal die ewige Menschheitsfrage, welcher der beiden dabei vermischten Filme der beste Weihnachtsfilm aller Zeiten wäre, in Love Hard zwar durchaus verhandelt wird, aber kaum eine derart zentrale Rolle spielt, dass man gleich den ganzen Film danach benennen müsste. (Welchen deutschen Titel hat Love Hard eigentlich erhalten? Liebe langsam?)

Von Inhaltsangaben halte ich noch weniger als von hypersensibler Spoiler-Hysterie, also sehen Sie selbst:

Zum Schluss kriegen die beiden sich übrigens. Wunderschöne Szene, die dann tatsächlich Schlüsselszenen aus Love Actually und Die Hard verquickt. Hätte man trotzdem anders nennen können.

Dieses Jahr habe ich selbst einmal den Direktvergleich Die Hard vs. Love Actually gemacht. Dabei ist herausgekommen, dass beide herausragende Vertreter ihrer Gattungen sind, ich Die Hard aber schon dermaßen auswendig kenne, dass ich mir nicht mehr einreden kann, der Spaß daran sei ungetrübt. Einmal pro Jahr Love Actually sollte derweil nicht zu viel verlangt sein. Und bitte laut mitsingen.

Überhaupt: Wer glaubt, Die Hard sei ein Weihnachtsfilm, der glaubt auch, Coco-Cola hätte den Weihnachtsmann erfunden. Beides typische Klugscheißer-Meinungen und allenfalls Fakten der alternativen Sorte. Echte Fakten: Nicht jeder Film, der an Weihnachten spielt, ist ein Weihnachtsfilm, und den Weihnachtsmann gibt es bereits seit 1821 in Rot und Dick und mit Rentieren. Coca-Cola gibt es erst seit 1886 und den Coco-Cola-Weihnachtsmann erst seit 1931. Yippie Yah Yei, Schweinebacke.

Ebenfalls kein Weihnachtsfilm ist The Advent Calendar, wie sich herausstellt. Gefunden habe ich ihn beim auf Horror spezialisierten Streaming-Dienst Shudder, also hatte ich schon so einen Verdacht. Über Shudder dachte ich immer: Die haben nur zwei Sorten von Filmen: Solche, die ich bereits unzählige Male gesehen habe, und solche, die ich kein einziges Mal sehen möchte. Über normalerweise gut unterrichtete Quellen (Kommentare in Horrorfan-Facebook-Gruppen) war mir derweil zu Ohren gekommen, dass es dort doch zwei oder drei Titel gäbe, für die ich mich schon lange interessierte, wenngleich nicht genug, um sie mir für viel Geld als Hardcopy aus Übersee kommen zu lassen. Man weiß ja, wie das läuft mit diesen Streaming-Diensten: Man denkt sich: Die paar interessanten Filme reiß ich in der Gratiswoche runter, danach sehen die mich nie wieder. Dann allerdings findet man ein paar interessante Filme mehr und entscheidet: Gut, einen Monat kann ich das ruhig bezahlen, aber dann bin ich raus aus der Sache. Und schließlich findet man: Auf ein Abo mehr oder weniger kommt’s jetzt auch nicht mehr an, und Hulu macht’s bestimmt eh nicht mehr lange.

The Advent Calendar ist jedenfalls ein französischer Horrorfilm über einen bösen deutschen Adventkalender. Als Maso-Deutscher liebte ich ihn bereits, bevor ich ihn gesehen hatte. Danach allerdings nicht mehr ganz so sehr. Man erwartet von französischen Horrorfilmen ja entgegen allzu vieler Belege immer, dass sie irgendwie substanzieller, existenzieller, zumindest aber transgressiver als der Bubblegum-Horror amerikanischer Machart daherkämen. The Advent Calendar ist leider so konventionell, dass ich fest damit gerechnet hatte, dass aus dem letzten Türchen Freddy Krueger springen und irgendwas Lustiges sagen würde. Die einzige Überraschung war, dass das nicht passierte.

Gleich zwei Weihnachten-Origin-Storys gibt es auf Netflix: Klaus und A Boy Called Christmas (in christlich geprägten Kulturgegenden noch nicht auf Netflix, wie ich hörte). Klaus geriert sich so lange in banalem Klamauk und ausgemachter Tristesse, dass es mir, als es dann doch weihnachtlicher wurde, auch egal war. Bei A Boy Called Christmas haben wir den umgekehrten Fall: Erst ganz sympathisch, dann nur noch Rambazamba. Gut, ist halt für junge Leute; die mögen wahrscheinlich Rambazamba. Ab einem gewissen Alter ist hier die eigene Meinung genauso irrelevant wie bei Superhelden-Filmen oder Erdbeergummis.

Apropos Erdbeergummis: Die Marvel-Weihnachtsserie Hawkeye ist wirklich ganz herzallerliebst. Ich bin allerdings im Internet auf Wortmeldungen Minderjähriger gestoßen, die das Gegenteil behaupten. Vermutlich haben die recht.

Auch kein Film im strengen Sinne, aber zu drollig, um hier unerwähnt zu bleiben: Trolls Holiday. Ich habe meine Tochter zwingen müssen, sich dieses Special mit mir anzusehen (sie studiert dieser Tage lieber Minecraft- und Animal-Crossing-Vlogs, um ihr Spiel zu perfektionieren), und wir haben es beide nicht bereut. Seit die Muppets müde geworden sind, haben die Menschen die Trolls, um die Generationen vor dem Fernseher zu versammeln.

Überraschende Wendung zum Schluss: Ich habe Shudder doch gekündigt. Noch vor Ablauf der Gratiswoche. Eiskalt, als hätten wir eine weiße Weihnacht. Denn mehr Filme heißt ja nicht automatisch mehr Zeit, um sie zu sehen. Und gerade an diesen Tagen wollen wir unsere Zeit natürlich mit unseren Lieben verbringen. Vor dem Fernseher, mit Weihnachtsfilmen. Echten Weihnachtsfilmen. Ein gesegnetes Fest allerseits.

Wie mir Diego Maradona half, ein besserer Autor zu werden

Klingt vielleicht komisch, aber ich habe mal in offiziellem Auftrag ein Konzept für einen TV-Mehrteiler über das Leben von Diego Maradona erarbeitet. Auftraggeber war ein Sportsender, der sein Kompetenzgebiet um fiktionale Formate erweitern wollte, damit in den kalten und ereignisarmen Monaten nicht immer die Abonnenten weglaufen. Ich hatte damals wie heute kein Interesse an Herrenfußball und wusste über Maradona nur: erst Fußball, dann dick.

Selbstverständlich nahm ich den Auftrag an, denn die allerwichtigste Regel beim Schreiben lautet: Sag immer ja. Bedingungslose Verfügbarkeit ist die halbe Miete, nahezu buchstäblich.

Ich las mich durch Maradonas Leben und hatte bald ein differenzierteres Bild des Menschen, der mir vorher kaum mehr als eine tragische Witzfigur gewesen war. Dennoch: Seinem sportlichen und menschlichen Werdegang einen positiven Dreh abzugewinnen, wie es der Wunsch des Auftraggebers war, ohne allzu dreist lügen zu müssen (wie es ebenfalls dem Wunsch des Auftraggebers entsprach), war eine Herausforderung. Ebenso in seinem Leben und seiner Karriere Höhe- und Tiefpunkte zu identifizieren, die sich für eine episodische Erzählweise anboten. (Ich bin ganz entschieden nicht der einfältig-modernen Auffassung, dass Fernsehserien nichts anderes seien als überlange Filme mit kurzen Unterbrechungen).

Für ein paar sehr intensive Tage und Nächte (so etwas muss ja am besten immer schon vorgestern fertig sein) war ich Maradona. Ich war noch nie zuvor Maradona gewesen, und dieses Arbeiten außerhalb aller meiner Wohlfühlbereiche war belebend, beängstigend und bereichernd.

Die Serie ist natürlich – wie die meisten Serien – nicht zustande gekommen, doch der Sender war recht angetan und gab mir gleich den nächsten Auftrag. Dieselbe Chose mit einem Boxer, über den ich nicht viel mehr wusste als: erst boxen, dann beißen. Da war der positive Dreh noch ein wenig schwieriger zu finden, und ich wuchs noch ein bisschen mehr als Autor und Sportexperte. (Außerdem war es eine gute Gelegenheit, endlich meine Boxfilmwissenslücken zu schließen, und ich muss sagen: Ich verstehe nicht, was die Leute an Creed finden. „Armer Bubi boxt sich hoch“ ist eine Geschichte. „Reicher Bubi boxt sich runter“ ist keine. Zumindest keine, bei der ich mir auf den Knien vor dem Bildschirm alle Fingernägel abkaue.)

Ungefähr zur gleichen Zeit arbeitete ich an einem größeren Projekt, von dem ich dachte, dass es mehr auf meiner Wellenlänge läge: eine Manga-Verfilmung über Killer-Cyborgs aus der Zukunft. Ganz meine Welt, meinte ich, schreibe ich mit links im Schlaf. Das Ergebnis kam allerdings nicht so gut an. Irgendwie flach, schleppend, unfokussiert, fand man. Es soll sogar gemurmelt worden sein, man könne sich gar nicht vorstellen, dass das dieselbe Type hingeschludert hatte, von der auch diese brillante Maradona-Geschichte war.

Merke: Manchmal findet man seine Talente in genau den Ecken, in denen man ohne Überwindung gar nicht nachgeschaut hätte.

Und so war mein erster Gedanke, als ich heute Morgen vom Tode Maradonas erfuhr: Ach, schade. Mein zweiter war natürlich, ob man nicht jetzt noch einmal über diese Serie verhandeln sollte. Das Leben geht schließlich weiter.

Billy Idolish singt japanisch und Papa wird Illustrator: Gesprächsfetzen ohne Zusammenhang

Ich unterhalte mich gerne mit meiner Frau beim Fernsehen, sie hat oft interessante Schnurren zu teilen. Einmal, es ist schon her, sahen wir einen vielfach preisgekrönten Film eines vielfach preisgekrönten Regisseurs. Als eine vielfach preisgekrönte Schauspielerin auftrat, rief meine Frau hocherfreut: „Die kenne ich, die hat mal Pornofilme gemacht. Meine Mutter ist gut mit ihr befreundet. Ich habe früher oft mit der Tochter gespielt, wenn sie auf der Arbeit war.“ Da hatte ich gleich wieder ein gutes Thema für den nächsten Besuch bei Schwiegereltern.

Nicht ganz so spektakulär die Enthüllung von neulich. Wir saßen im Homeoffice und schauten Frühstücksfernsehen, als dort Aki Yashiro auftrat, ein Urgestein der Enka-Szene, also der japanischen Schlagervolksmusik. Sie ist 70, sieht aber aus wie gestraffte 50 (Abb. unten nicht aktuell).

Meine Frau sagte: „Nach der wurde die Katze benannt, die ich als Kind hatte. Aki.“

„Du warst Fan von der?“

Leicht pikiert: „Mein Vater. Aber irgendwie ist sie schon bewundernswert. Sie ist gerade Youtuberin geworden, weil sie angesichts der Weltnachrichtenlage die Bühne so vermisst. Und neulich hat sie was von Billy Idol im Dialekt ihrer Heimat Kumamoto eingesungen.“

„Wirklich? Welches Lied denn?“

„Hm… mit Billy Idol kenne ich mich nicht so aus. Bad Man? Gibt es das?“

„Das klingt nach einer guten Beschreibung von Billy Idols Marketingstrategie, aber als Titel sagt es mir nichts. Vielleicht einer von den neueren.“

„Meine ich Billy Idol? Meine ich Bad Man?“

„Billy Idol ist so ein alter Pop-Punker, mit dem Hana eine gewisse Ähnlichkeit hatte, als sie noch ein Baby war. In erster Linie wegen der charakteristischen Schnute. Ist zum Glück rausgewachsen. Bei Hana.“

Da fiel es meiner Frau wieder ein: „Billie Eilish! Bad Guy!“

„Die kenne ich wiederum nur peripher. Irgendwann klinkt man sich halt doch aus, egal was man sich im Sturm und Drang hoch und heilig geschworen hat. Ist das nicht so ein murmelndes dünnes Mädchen?“

„Aki Yashiro kennt die. Und die ist 70.“

Falls ich mir was wünschen darf: Als nächstes bitte Rebel Yell.

Apropos Musik: Mit meiner sechsjährigen Tochter unterhalte ich mich ebenfalls sehr gerne, besonders auf dem Weg zum Kindergarten. Manchmal singen wir auch nur aus voller Brust, am liebsten ihr Lieblingslied, das Titelthema der Zeichentrickserie Kimetsu no yaiba. Das heißt, sie singt und ich ahme die Instrumente nach. Die Serie ist so eine Art Fantasy-Version von Tanz der Teufel, nur brutaler. Unter meinem Dach wird Hana sie frühestens mit 25 sehen dürfen, unter elterlicher Aufsicht. Das Lied kennt sie allerdings jetzt schon auswendig.

Morgens kann man das mal so machen, abends bevorzugen wir die Akustikversion.

Doch eines Morgens hatte Hana ein anderes Thema, das ihr keine Ruhe ließ: „Papa, als fun activity machen wir jetzt I Spy worksheets. Da gibt es auch I Spy Dad. Aber dein Beruf ist gar nicht dabei.“

„Mein Beruf ist nicht dabei? Wirklich nicht?“

„Nein! Kein Illustrator!“

„Nun … ich bin ja auch kein Illustrator. Ich schreib die Worte, die in den Büchern stehen.“

„Aber in Kawaii Mania sind viele Bilder.“

„Gut, die meisten davon habe ich selbst geknipst, aber …“

„Siehst du! Du bist Illustrator!“

„Äh …“

„Eine Arbeit von früher von dir ist allerdings doch bei I Spy Dad dabei: Mich auf dem Arm tragen.“

„Naja, das war doch keine Arbeit. Das habe ich gerne gemacht. Gut, manchmal war es schon Arbeit. Aber gute Arbeit.“

In tadelndem Ton: „Papa, schreiben ist auch gute Arbeit!“

Es muss manchmal gesagt werden. Wo wir gerade beim Thema sind: Zum Abschluss vier Titel, wie das Buch, das ich derzeit mit Buchstaben und Satzzeichen illustriere, NICHT heißen wird, obwohl mir diese fixen Ideen auch gut gefielen:

  • Gänsehaut-Garantie im Wohlfühlbereich
  • Wenn Influencer suboptimal abholen
  • Ich glaub, mein Storyteller kuratiert
  • Shitstorm in der Komfortzone

Wie es stattdessen heißt, verrate ich, sobald der Verlag es verrät.

Verliebt in einen Highlander 2: The Quickening

Filme aus den 80ern sind leider nie so herrlich, wie man sie gerne hätte, außer Highlander II: The Quickening. Ich weiß das, weil ich ihn gesehen habe, und zwar gestern Abend zum ersten Mal (bestimmt nicht zum letzten). Bevor jemand was sagt: Ja, der Film kam 1991 heraus. Kulturell sind Jahrzehnte allerdings nicht so trennscharf wie kalendarisch. Highlander II dürfte derweil nicht nur mental, sondern sogar kalendarisch ein 80er-Jahre-Film sein. Wahrscheinlich wurde er 1990 gedreht, dem zehnten Jahr der 80er (nicht dem nullten Jahr der 90er; so etwas gibt es gar nicht). Ich fand ihn gestern beim Scrollen (die Boomer sagen: Zappen), wollte nur vorm Schlafengehen kurz reinschauen, war von der ersten Kamerafahrt an angetan und blieb bis zum Schluss. Eine langweilige Minute erlebte ich währenddessen nicht.

Dass es mit uns so lange gedauert hat, hatte nichts mit empörter Fanpersonenwüterei meinerseits zu tun. Ein bewusster Boykott fand nie statt. Ich hatte seinerzeit lediglich gedacht: Das sieht irgendwie nicht ganz so gut aus, ich gucke es mir vielleicht später an. Und dann sind es halt knapp 30 Jahre geworden. Irgendwas ist immer.

Natürlich hatte man zunächst gar nicht so schrecklich viel gesehen vom Film, bevor man den Film an sich sehen konnte. Wir hatten ja kein YouTube, damals, wir hatten nur Wetten dass…?. Das schaltete man ein, wenn man Ausschnitte brandaktueller Kinofilme sehen wollte. Schauspieler (also Christopher Lambert) setzten sich aufs Sofa und taten oscarreif so, als hätten sie gerade eben mal wieder in einem schwindelverursachenden cineastischen Meisterwerk mitgespielt, auf das sie stolz wie auf keines zuvor waren. Dann kam irgendein Ausschnitt, vermutlich der mit den fliegenden Skateboards, und anschließend versuchte irgendjemand irgendetwas am Geruch zu erkennen und der Beginn des Sportstudios verzögerte sich um eine Stunde oder zwei. Hatten sich der Lambert und der Tommy wieder verquatscht.

Die fliegenden Skateboards wurden schnell zu einem Sinnbild für die Sinnlosigkeit des Films. Rückblickend erschließt sich gar nicht mehr warum. Sind doch cool, die fliegenden Skateboards. Highlander II bietet wahrlich berechtigtere Ansätze zur Kritik, aber wer will schon Erbsen zählen, nach all den Jahren. Zunächst einmal ist es ein verdammt gutaussehender Bengel von einem Film. Bereits beim Anfang in der Oper dachte ich: Ein so schöner Film kann gar nicht so schlecht sein, wie alle sagen. Machen wir uns nichts vor; Optik ist bei Filmen schon die halbe Miete. Und optisch wird hier alles aufgefahren, was es in den 80ern gab: Halb offene Jalousien (oder halb geschlossene; je nachdem, ob man der Halb-offene- oder Halb-geschlossene-Jalousien-Typ ist), lasziv rotierende Ventilatoren, und dahinter jeweils blauweißes Gegenlicht mit ein bisschen Nebel. Man meint, jederzeit könnte Kim Basinger vorbeikommen, sich ‘nen Hut aufsetzen und es wunderbar finden (noch so ein Film, bei dem mir seit Jahrzehnten immer wieder was dazwischenkommt).

Nachdem ich eine Nacht drüber geschlafen habe, ist meine Liebe noch so stark wie gestern Abend; die Handlung allerdings bekomme ich nicht mehr ganz zusammen. Irgendwas mit Ozonschicht, und Michael Ironside ist böse (Schock!). Connor MacLeod ist zuerst alt und dann jung, weil nur junge Menschen die Welt retten können. Sean Connery hat schnell den Kopf wieder rangemacht und ist auch dabei. Immer wenn er auftritt, gibt es Dudelsackmusik, obwohl er im Film doch einen Ägypter spielt. Kleine Patzer kommen halt selbst in den besten Filmen vor.

Ich bin übrigens der festen Überzeugung, dass Richard Lewis seine Rolle als Richard Lewis in der Sitcom Curb Your Enthusiasm an Christopher Lamberts Verkörperung des alten Connor MacLeod in Highlander II angelehnt hat. Ich habe leider kein Bild des alten Connor MacLeod zur Hand, aber eines von Richard Lewis immer im Portemonnaie:

Ich sollte erwähnen, dass ich höchstwahrscheinlich die sogenannte Renegade-Fassung des Films gesehen habe (mein Content-Anbieter machte dazu keine genauen Angaben), also eine Art Director’s Cut, der die vehementesten Kritikpunkte der ursprünglichen Kinofassung adressiert und relativiert. So werden die Highlander nicht mehr als Außerirdische mit Gedächtnisschwund dargestellt, sondern als Urzeitmenschen mit Gedächtnisschwund.

Neben seinen vielen anderen Qualitäten ist Highlander II auch noch angenehm brutal. Sowas wird heutzutage gar nicht mehr gemacht, zumindest nicht im Wetten-dass-Mainstream. Die Einschätzung, Filme würden immer brutaler, muss auf eine Wahrnehmungsstörung zurückgehen. Vermutlich verwechselt man da was mit Fernsehen. Oder es liegt an diesem neumodischen Dolby-Atmos-Mist. Als wir uns neulich Die Eiskönigin 2 (ohne ‘Quickening‘) im Kino ansahen, musste ich meiner Tochter ungefähr zehn Minuten lang die Ohren zuhalten, bis sie sich einigermaßen an den unsäglichen Krach gewöhnt hatte. Darüber möchte ich mich nicht beschweren; mache ich gerne für meine Tochter. Ich möchte mich allerdings darüber beschweren, dass mir keiner die Ohren zugehalten hat.

Hinterher bat ich meine Tochter, mir kurz die Handlung des Films zusammenzufassen, weil ich sprachlich nicht immer ganz mitgekommen bin. Sie sagte: „Elsa hat die Haare offen und reitet ein cooles Pferd.“ Und so sollten wir auch Highlander II rezipieren: Connor hat die Haare offen und fliegt ein cooles Skateboard. Mir langt das.


(Serviceteil: Ich habe diesen Film über die Streaming-Plattform Tubi gesehen, über die ich eines Tages beinahe zufällig gestolpert war. Seitdem hat sie mein Leben sehr bereichert. Ich kann gar nicht glauben, dass Tubi nicht bekannter ist, als es ist. Falls sich jemand fragt, wo all die chinesischen Kung-Fu-Filme der 70er, italienischen Endzeit-Barbarenfilme der 80er und amerikanischen Horrorvideopremieren der 90er hin sind: Sie sind auf Tubi, oft in erstaunlicher So-und-so-viel-K-Restaurierungsqualität. Netflix ist das reinste Ödland dagegen. Und was kostet der Spaß, möchten Sie wissen? Null Mark und null Pfennig! Hin und wieder kommt Reklame, aber nicht allzu oft. Während Highlander II sah ich nur zwei Spots (Wick Medinait und irgendwas mit Obama). Gegebenenfalls muss man zum Empfang etwas an der eigenen Standortbestimmung rütteln. Aber wenn ich das schaffe, schafft das jeder.)

Ich bin der Fernsehflorist

Hätte mein Blog zwei Leser, könnte ich mir folgendes Gespräch vorstellen:

Leser 1: „Schon gesehen, Leser 2? Auf Shakira Kurosawa gibt es einen neuen Beitrag.“

Leser 2: „Echt jetzt, Leser 1? Na, meine Neugier hält sich in Grenzen. Ist wahrscheinlich wieder nur so ein apologetisches Geflenne, warum der Typ so selten in seinen Blog schreibt. Hat zu viel zu tun, blabla, schließlich erscheint sein neues Buch Kawaii Mania bald für 19 Euro 95 im Conbook Verlag, blabla, und im Frühjahr kommt schon wieder was, blablabla …“

„Hm, tja, ein bisschen so ist der Beitrag durchaus. Aber gleichzeitig vieles mehr. Eine Geschichte von Liebe und Verrat, von Rache und Drachen, Würfelspielen und Schwertkämpfen, waghalsigen Fluchten und dramatischen Konfrontationen, verloren Söhnen, schönen Prinzessinnen, gefährlichen Piraten und einem Mann mit sechs Fingern.“

„Ach, der Ärmste. Jeweils drei Finger rechts und links? Oder vier und zwei? Oder …“

„Nein, nein. Ich hätte es anders formulieren sollen. Sechs Finger an einer Hand, die andere ganz normal, also fünf.“

„Gibt es in dem Beitrag wirklich einen elffingerigen Mann?“

„Ehrlich gesagt nein.“

„Und die anderen Sachen auch nicht, oder?“

„Nein, da muss die Euphorie mit mir durchgegangen sein.“

„Ich werd’s wohl trotzdem lesen.“

„Gleich nach der Reklameeinblendung geht’s los.“

Zuletzt kam ich nicht mehr recht dazu, diesen Blog zu pflegen, weil ich so viel anderes zu pflegen hatte, und zwar beim Fernsehen. Manuskripte, Präsentationen, fixe Ideen. Ideen anderer Leute, wohlgemerkt. Ginge ich ins Detail, würde ich auf drei Kontinenten verklagt werden. Aber meine beiden Leser haben ein Recht, zumindest grob zu erfahren, was los ist.

Bisweilen ist das, womit ich beim Fernsehen arbeiten muss, so undankbar, dass ich es lieber schnell in eigenen Worten neu schreibe, als die mir zugetragenen Formulierungen zu entlausen. Irgendwann will man ja auch mal fertig werden. An besonders guten oder besonders bedenklichen Tagen stolziere ich dann durchs Arbeitszimmer, als wäre ich der oberste Showrunner von Hollywood, quasi alleinverantwortlich für die Qualität all der Qualitätsproduktionen, die die Ehre haben, vor ihrer tatsächlichen Produktion über meinen Schreibtisch wandern zu dürfen. Was würden die bloß ohne mich machen? Wie haben die das bloß vorher hinbekommen?

In Wahrheit bin ich natürlich nicht der Showrunner von Hollywood. Bevor ich die Wahrheit verrate, kann ich vielleicht doch mal ein kleines Betriebsgeheimnis ausplaudern. In jedem Buch übers Drehbuchschreiben, das sein Geld wert ist, steht der Hinweis, dass Drehbücher nicht gut geschrieben sein müssen. Diesen Satz sollte man dreimal unterstreichen, denn es ist der wichtigste in diesen Büchern. Steht er nicht drin, oder sollte gar das Gegenteil behauptet werden: Buch sofort wegschmeißen, weil nicht praxistauglich. Als Fernsehautor muss man nicht für fünf Pfennig schreiben können. Für geschliffene Dialoge, spürbare Emotionen und dynamische Action kann man später eine anonyme Schreibkraft wie mich pro Wort bezahlen. Die Entscheider, auf deren Schreibtischen oder Bildschirmen die Drehbücher mit ein wenig Glück landen, würden guten Stil nicht erkennen, wenn er ihnen schnurrend um die nackten Beine strich. Eines aber erkennen die sehr wohl: interessante Figuren, knackige Plots, sinnvolle Weltentwürfe, gute Ideen. Die sehen die kleinste Unstimmigkeit auf hundert Meter Entfernung (oder mehr, ich weiß es nicht genau). Und weil es das ist, was sie interessiert, ist es auch das, was einen erfolgreichen Fernsehautor ausmacht. Alles andere kann der vernachlässigen. Keiner weiß genau, wie viele Shakespeare gewesen sind und wer da was gemacht hat, aber eines ist gewiss: Romeo und Julia wurde ein Hit wegen ‚Junge trifft Mädchen gegen Willen der Elternhäuser‘, nicht wegen „es war die Nachtigall“ (zu Shakespeares Zeiten gab es selbstverständlich noch nicht so viele Sender).

Um das, was ich beim Fernsehen mache, zu veranschaulichen, möchte ich ein Gleichnis aus Lego bauen. Und zwar Emmas und Ethans Café von Lego Friends, einer Produktreihe, mit der Kinder spielerisch an ihre Zukunft als Hipster herangeführt werden. Wir hatten es unserer Tochter Hana zum fünften Geburtstag geschenkt, obwohl es erst ab sechs empfohlen ist. Wie alle Eltern halten wir unser Kind für hochbegabt.

Hana hatte bereits Olivias Bus (Olivia ist die mit der Brille, also die Wissenschaftlerin) aus derselben Reihe, und obwohl beim mehrtägigen Zusammenbau mitunter die Nerven blank lagen (Genies neigen zur Ungeduld), bekundete sie Interesse daran, tiefer ins Lego-Friends-Universum vorzustoßen. An das Café machten sie und ich uns wieder gemeinsam, es dauerte ungefähr drei Tage. Letztendlich war ich es, der die wesentlichen Komponenten zusammengebaut hatte, während Hana hinterher Aufkleber aufklebte und die Blumen dranmachte.

Und dann stolzierte sie durchs Wohnzimmer, als hätte sie das ganze Café gebaut. Da wurde mir bewusst: Genau so ist das Verhältnis zwischen mir aufgeplusterten jungen Gockel und erfahrenen Fernsehautoren: Die können ein ganzes Lego-Friends-Café mit verschlossenen Augen in fünf Minuten zusammenbauen. Ich hingegen mach hinterher nur die Blumen ran, uriniere vom Balkon (weil ich es kann, irgendwer wird’s schon wegmachen) und brülle in die Nacht: „Wo ist mein verdammter Primetime Emmy?!“

Sobald ich mich wieder beruhigt habe, arbeite ich heimlich weiter an meinem eigenen Lego-Friends-Café. Aber bis das Geld abwirft, werde ich noch an einigen Lego-Friends-Cafés anderer die Blumen dranmachen. Sinnbildlich gesprochen.

Das Glück gibt’s nicht in Wundertüten (nicht der Titel meines kommenden Schlageralbums)

Das Schöne am japanischen Neujahrsfest ist, dass tagelang alles stillsteht und nichts aufhat. Wenn man den Heimaturlaub so koordiniert, dass man direkt von den deutschen Weihnachtsfeiertagen ins japanische Neujahr schlittert, hat man knapp zwei Wochen süßen, zwangsverordneten Nichtstuns. Zeit für Andacht, Schnaps, Lego-Friends-Wohnmobile zusammenbauen, und dann gleich wieder Schnaps.

So richtig stimmt es natürlich auch nicht, dass in Japan dieser Tage gar nichts aufhat. Schließlich müssen die traditionellen Neujahrswundertüten verkauft werden, international bekannt als Lucky Bags. Also Beutel mit Überraschungsqualitätsprodukten zu Schnäppchenpreisen. Ich wollte dieses Jahr unbedingt die von meinem bevorzugten Büromaterialienhändler Smith/Delfonics haben, denn ich hatte von Leuten gehört, die von Leuten gehört hatten, dass diese Lucky Bags sich besonders lohnten. Ganz genau konnte es keiner sagen, denn keiner hatte je eine abbekommen.

Ich auch nicht. An zwei verschiedenen Tagen habe ich es versucht, Pustekuchen. In den Schnickschnackgeschäften Loft und Tokyu Hands versuchte ich mein Glück ebenfalls, dort wurden die Tüten allerdings nur in Abteilungen angeboten, die mich nicht interessierten. Die Wein-Beutel diverser Luxussupermärkte lockten mich, doch ich widerstand. Die Preise waren gut für japanische Verhältnisse, aber im internationalen Vergleich nach wie vor nicht tragbar. Besonders wenn man gerade aus dem Billigweinland Deutschland zurückgekehrt ist.

Heute Morgen hatte es dann doch noch geklappt mit dem Tütenerwerb, in der internationalen Kinokuniya-Buchandlung in Shinjuku. Die hatte ich fast vergessen. Obwohl, wie könnte ich sie jemals vergessen?

(Ich weiß, dass ich gar nicht so heiße. Der Fehler wurde allerdings inzwischen nach einem anonymen Tipp meiner Frau korrigiert.)

Ich hatte am Morgen extra einen kleineren Kaffee als sonst getrunken, um Punkt 10 auf der Rolltreppe zu sein. Ich griff mir gleich vier Tüten: Literature, Japanese Literature, Sci-Fi Fantasy und Mysteries. Kürzer gesagt ließ ich nur zwei Tüten stehen: Self-Help und Love Stories. Bislang ist mir kein gewohnheitsmäßiger Leser von Selbsthilfebüchern untergekommen, der ein überzeugendes Plädoyer für deren Wirksamkeit gewesen wäre. Zum sogenannten Romance-Genre war ich stets um dieselbe Offenheit bemüht, die ich von anderen gegenüber der Kriminalliteratur einfordere. Hat langfristig aber nicht geklappt. Zuletzt las ich einen Romantiktitel an, der selbst im gefürchteten Feuilleton einer amerikanischen Edeltageszeitung lobend besprochen worden war. Im begleitenden Interview mit der sympathischen Autorin hatte diese ein paar durchaus vernünftige Dinge gesagt.

Herrschaftszeiten, mein ganzes Leben habe ich kein Buch so schnell zurückgehen lassen. Wenn das das Sahnehäubchen des Genres war, wollte ich mich mit den Krümeln gar nicht erst befassen. Für mich bitte keine Liebesgeschichten mehr, vielen Dank.

Selbst wenn ich auch die verschmähten Tüten zur Kasse geschleppt hätte, ich hätte sie wieder zurückgelegt. Denn die freundliche Verkäuferin erklärte mir, dass es ihr sehr leidtäte, aber: nur eine Tüte pro Nase.

Ich wurde zweimal puterrot vor Zorn. Zuerst wegen dieser kleinlichen Regel (Es sind doch sechs Kategorien! Sechs Tüten pro Nase würde ich ja noch verstehen!), dann wegen mir selbst. War ich etwa zu einem raffgierigen Black-Cyber-Friday-Geiz-ist-geil-Schnäppchenjäger geworden?

Ich behielt lediglich die Sci-Fi-Fantasy-Tüte, weil ich in diesen Gattungen am meisten Hilfe benötige. Ich habe schon versucht, mir selbst zu helfen, jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Vielleicht aus altersbedingter Rührseligkeit würde ich gerne mal wieder diese Genres meiner Kindheit lesen, allerdings finde ich da nüscht. Zumindest in der Science-Fiction; in der Fantasy hat mir zuletzt doch einiges gefallen. Lian Hearn, V. E. Schwab, Fonda Lee. Ich weiß gar nicht, ob überhaupt noch Männer Fantasy schreiben. Wäre mir auch egal.

Nun sagt sich der gewiefte Japan-Kenner: „Wie kann das denn angehen, dass der Laden seine Kunden mit einer Tüte durch die Straßen laufen lässt, an der dick und fett ein Schild hängt, auf dem steht, was drin ist? Wo doch sonst sogar einzelne Bücher gleich an der Kasse mit einem neutralen Umschlag verkleidet werden.“

Raffinierter Trick: Die flinken Finger des Personals drehen das Schild einfach um:

Im Beutel war ein weiterer Beutel:

Sowie diese Bücher:

Leider fehlte mir heute Mittag die Zeit, alle Bücher zu lesen, deshalb hier nur kurz meine Erwartungen, Ängste und Hoffnungen:

Artemis von Andy Weir: Gutes drüber gehört, weiß nicht mehr genau was. Von der Verfilmung eines anderen Buches desselben Autors, Der Marsianer, ist mir positiv in Erinnerung geblieben, dass darin derselbe Ikea-Teddy vorkommt, den meine Tochter doppelt hat. Wenn Hollywood weder Kosten noch Mühen scheut, dann ist das Ergebnis reine Magie.

A Knight of the Seven Kingdoms von George R.R. Martin. Sympathischer Typ, dieser Martin, mit seinem Hut, seinem Bauch und seiner lässigen Einstellung zu Abgabeterminen. Mit A Game of Thrones bin ich allerdings nie warm geworden, in keinem Medium. Vor knapp drei Jahren nicht und später ebenfalls nicht. Ich habe offiziell aufgegeben.

The Godwhale von TJ Bass. Erster Satz des Klappentextes: Rorqual Maru was a cyborg – part organic whale, part mechanised ship – and part god. So fühlt sich sicherlich jeder mal. Gekauft. Geht ja nun auch nicht mehr anders.

The Three-Body Problem von Cixin Liu. Das habe ich natürlich schon auf Deutsch gelesen, hinterm Mond lebe ich schließlich nicht. Die große Ausnahme bei meinen fruchtlosen Versuchen, mich wieder mit der Science-Fiction anzufreunden. Ich fand es allerdings nicht nur einfach großartig, sondern auf so viele verschiedene Arten großartig, dass ich mich fast ein bisschen sträube, es als Science-Fiction zu bezeichnen. Huch, dass ich mich mal so Science-Fiction-feindlich äußern könnte, hätte ich selbst nicht gedacht.

The Grace of Kings von Ken Liu sagt mir nichts, aber dafür sind Wundertüten ja da. Mir ist nicht entgangen, dass dieser Autor auch der Übersetzer des zuvor genannten Buches ist. Ulkiger Zufall oder ein kompetenter Tütenpacker mit verschmitztem Witz?

Children of Time von Adrian Tchaikowsky. Das Lob von Peter F. Hamilton auf dem Cover lässt mich befürchten, dass es sich hierbei um die Art von Science-Fiction handelt, in der detailliert beschrieben wird, wie genau die Antriebe all der Raumschiffe funktionieren, die da so rumfliegen. Das interessiert mich eher nicht die Bohne. Bei Science-Fiction interessieren mich vor allem gesellschaftspolitische Spekulationen und Schießereien mit Laserpistolen.

Saint Odd von Dean Koontz, dem alten Schweden. Seit es Netflix gibt, habe ich den Film Odd Thomas auf meiner Guckliste, nur leider guckt man nie die Filme von seiner Guckliste. Koontz jedenfalls war mir stets so etwas wie ein minderer Stephen King, was nicht ganz so böse gemeint ist, wie es vielleicht klingt. Manchmal mag man schließlich Corman lieber als Fellini.

Letztendlich bin ich sehr zufrieden mit meiner Wundertüte und finde es auch nicht mehr schlimm, dass ich die anderen drei nicht kaufen durfte. Dadurch hatte ich noch genügend Bares, um im Gemischtwarenladen in die Krankenkasse einzuzahlen, was ich um ein Haar vergessen hätte. Darüber sollte mal jemand ein Selbsthilfebuch schreiben, dass man das nicht immer vergisst. Würde ich aber wahrscheinlich nicht lesen.

Wider ein Leben mit dem Senfglas

Letztes Jahr um diese Zeit wollten wir mal was ganz Verrücktes und total Japanisches machen, also haben wir eine Beaujolais-Party gefeiert. Es sollte natürlich eine ironische Beaujolais-Party werden, denn wir wussten ja, dass Beaujolais nouveau total eklig ist. Wir wussten es freilich nicht aus eigener Erfahrung, sondern hatten unkritisch die Vorurteile übernommen, die in besseren Kreisen bei diesem Reizthema zum guten Ton gehören. Alle Welt macht sich lustig darüber, dass Japan den jungen Wein jedes Jahr in großen Mengen aufkauft, und die Franzosen, so hört man, sind froh, dass sie das Gesöff los sind. Doch was soll ich sagen? Uns hat es so gut geschmeckt, dass wir dieses Jahr schon wieder eine Beaujolais-Party gefeiert haben. Diesmal in echt, ohne Ironie. Die Kritik, Beaujolais nouveau schmecke wie Obstsaft mit Alkohol, ist zwar sachlich nachzuvollziehen. Ich verstehe nur nicht, wo darin die Kritik liegt. Obstsaft ist lecker, und Alkohol kann, gewissenhaft genossen, auch mal ganz lustig sein.

Die ungeprüften Vorurteile gegenüber Beaujolais erinnern mich an den strunzdummen Merlot-Hass, der kurz nach der mäßigen amerikanischen Kinoklamotte Sideways grassierte. In der Filmhandlung überredet der eine Tunichtgut den anderen Tunichtgut zu einer Doppelverabredung mit zwei Damen, woraufhin der nur bedingt überredete Tunichtgut die Bedingung stellt: „Aber wenn sie Merlot bestellen, gehen wir!“

Man nagele mich nicht auf die I-Tüpfelchen-Genauigkeit des Wortlauts fest, es ist eine Weile her. Es ist mir trotzdem sinngemäß hängengeblieben, weil es lustig ist.

Mehr ist es derweil nicht. Ein flotter Spruch einer ausgedachten Figur in einer ausgedachten Geschichte. Daraus muss man keine Konsequenzen für das eigene Leben ziehen. Und trotzdem behaupteten plötzlich Hinz und Kunz, etwas gegen Merlot zu haben. So ein Unsinn. Merlot. Darüber haben sich Hinz und Kunz vor Sideways nie irgendwelche Gedanken gemacht. Wozu denn auch. Ist halt eine Traube. Daraus gärt man Traubensaft mit Alkohol, der wird mal so, mal so, wie bei anderen Trauben auch. Behauptet jemand, Merlot ganz generell zu verachten, plappert er mit großer Wahrscheinlichkeit nur etwas nach, was mal ein abgehalfterter Alkoholiker in einer amerikanischen Komödie gesagt hat.

Mit Amerika und Wein ist das ja eh so eine Sache. Ich spreche nicht vom amerikanischen Wein, der ist mitunter ganz gut, sondern von der amerikanischen Weinetikette. Zumindest die, die man aus dem Fernsehen kennt. Fast niemand im amerikanischen Fernsehen weiß, wie man ein Weinglas hält. Nicht mal im Weißen Haus, inzwischen Pflichtschauplatz in so ziemlich jeder einigermaßen aktuellen US-Serie, weiß man das. Was glauben diese Menschen denn, wozu der Stiel am Glas da ist?

Schlimmste Sünderin ist Olivia Pope, Hauptfigur der Serie Scandal. Ein kurzer weinseliger Exkurs: Ich liebe diese Serie aus dem gleichen Grund, aus dem ich die Saw- und die Fast-&-Furious-Filme liebe: Wegen des völlig ungehemmten Storytellings. Wo ich schon entgegen meiner Überzeugung unnötigen Anglizismen Tür und Tor öffne (der Alkohol), packe ich gleich noch einen oben drauf und gebe dieser Storytelling-Technik einen vollmundigen Titel; und zwar nenne ich sie den ‚We make it up as we go along‘-Ansatz. Das gänzlich schamlose Verheddern und Voranpeitschen der Plots hat zur Folge, dass die Serien kaum noch etwas mit ihren ursprünglichen Konzepten zu tun haben, und das ist gut so. Fast & Furious wurde erst sehenswert, als man endlich aufhörte so zu tun, als ginge es in diesen Filmen um illegale Autorennen. Scandal ist schon lange keine episodenhafte Serie mehr über eine Gruppe von Rechtsexperten, die Woche für Woche einem anderen Klienten aus der Bredouille helfen, sondern ganz großes amerikanisches Theater, eine Art Mischung aus The Blacklist und House of Cards, nur auf Speed.

Saw handelt zugegebenermaßen immer noch von einem kranken alten Mann, der seine schlechte Laune an anderen auslässt. Allerdings wurde inzwischen durch das fröhliche Rückblendenbombardement der Fortsetzungen so vieles relativiert, dass an den ersten Filmen eigentlich gar nichts mehr stimmt. Saw und Fast & Furious sind so etwas wie der Beaujolais und der Merlot unter den amerikanischen Filmserien. Kritisiert werden sie meist von denen, die zu der Materie gar keinen nennenswerten Bezug haben.

Doch zurück zu Olivia Pope und ihrem Weinproblem. Ich habe die Figur von Anfang an nicht gemocht; sie ist weinerlich, selbstgerecht und opportunistisch. Ich bin begeistert, dass sie in der aktuellen, finalen Staffel endlich gewissenlos über die Leichen von Frauen, Kindern und Männern geht. Ich hoffe, es folgt keine überraschende Wendung mehr, die alles wieder relativiert. Jeder soll endlich sehen, was für ein Miststück sie wirklich ist und immer gewesen ist. Aber am meisten stört mich nach wie vor die Sache mit dem Weinglas.

Im amerikanischen Fernsehen gibt es nur eine einzige Figur, die fähig ist, ein Weinglas korrekt zu halten, und die ist ausgerechnet ein Serienmörder mit Migrationshintergrund.

Kein Wunder, dass die Serie eingestellt wurde in dem gerade wieder sehr serienkillerfeindlichen politischen Klima in den USA.

Denke ich an Wein, Amerika und Manieren, dann denke ich an Max Goldt, denn er hat zu all diesen Themen gearbeitet. Weil es Max Goldt sehr daran gelegen ist, nicht ständig als Benimmonkel missverstanden zu werden, hat er einmal sinngemäß geschrieben, das ganze Weinglasgewese sei ihm herzlich schnuppe, man könne Wein genauso gut aus Senfgläsern trinken (vielleicht schrieb er gar nicht: „Senfgläser“, sondern: „Limogläser“, aber ich finde Senfgläser lustiger). Ich widerspreche Max Goldt äußerst ungern, muss es gleichwohl in diesem Fall tun. Ein guter Wein gehört in ein gutes Glas, und das will gut gehalten werden. Nein, falsch. Ich korrigiere: Ein richtiger Wein gehört in ein richtiges Glas. Ob das nun ein Glas für zehn Mark oder hundert Euro ist, ist tatsächlich herzlich schnuppe. Ein Weinglas derweil sollte es schon sein. Wer Wein (oder überhaupt irgendetwas) aus Senfgläsern trinkt, geht vermutlich auch in Trainingsanzügen aus Ballonseide aus dem Haus. Geht alles, ist vermutlich genauso warm und bequem wie richtige Kleidung. Doch schuldet man es nicht nur den Augen anderer, sondern auch seinem eigenen Körper, ihn in einen geringfügig edleren Zwirn zu hüllen. Es muss nicht haute couture sein, ein mit Bedacht gewähltes Ensemble von C&A ist zur Wahrung der Menschenwürde völlig ausreichend. Nur eben eines aus der Damen- oder Herrenabteilung, nicht aus der Sportabteilung.

Als ich mich übrigens neulich in Ermangelung anderer großer Geister der muttersprachlichen Sachprosa noch einmal durchs bisherige Gesamtwerk Max Goldts querlas, stolperte ich dabei über zwei Ausdrücke: Bundeskanzler Gerhard Schröder und PDA. Hatte ich so lange nicht mehr gehört oder gelesen, dass ich im ersten Moment gar nichts damit anfangen konnte.

Wenn man schon Max Goldt zitiert, kann man auch gleich David Byrne zitieren, der gesagt haben soll, Tischmanieren seien etwas für Leute, die sonst nichts zu tun haben. Bei Byrne wie bei Goldt scheint mir die Ablehnung von Etikette zumindest zu Teilen eine Trotzreaktion auf die eigene Etepetete-Reputation. Dabei ist es bei Etepetete wie bei der Etikette: Zu viel ist doof, aber ein gewisses Mindestmaß sollte sein. Ohne bricht vielleicht nicht gleich die ganze Zivilisation zusammen. Doch ein bisschen bröckeln und wackeln wird sie schon.

Bei Etikette und Zivilisationsverlust fällt mir ein, dass Donald Trump neulich hier in Tokio zu Besuch war. Zu unserer Beaujolais-Party war er nicht eingeladen, dennoch waren wir betroffen, denn wir mussten wegen seines Sicherheitskonvoys erhebliche Umwege bei unserem sonntäglichen Spaziergang in Kauf nehmen. Das war sehr schön, bekam ich doch endlich mal all die verschiedenen Polizeiautos auf einem Haufen zu sehen, die ich sonst nur aus meinen Romanen kenne. Eine der großen Jubelschlagzeilen in der lokalen Presse war indes die, dass Präsident Trump sich in der Gegenwart Kaiser Akihitos nicht sonderlich danebenbenommen hatte.

Ich finde, man könnte bei Staatsmännern die Messlatte für Jubelschlagzeilen ruhig etwas höher hängen. Aber ich möchte auf keinen Fall als Benimmonkel missverstanden werden.

Von dem Missverständnis, Fernsehen sei das neue Lesen; und von dem Irrtum, Internet sei das neue Fernsehen [nach kräftigem Durchatmen und einem langen, heißen Wohlfühlbad stark gekürzte Version]

Seit geraumer Zeit hört man es nun aus dem Blätterwald rauschen (ich nenne ihn noch immer so, weil Pixelwald so doof klingt): „Diese modernen, anspruchsvollen amerikanischen Fernsehserien, die sind … die sind …, mein lieber Scholli, die sind … DER NEUE ROMAN!“

Schon lange war mir angesichts dieser Unsinnsbehauptung nach einem #Aufschrei, aber ich halte halt nichts von Gebrüll. Doch jetzt kann ich nicht länger schweigen. Der letzte Tropfen für das Fass in meinem Kopf war eine Liste in einer Unsinnszeitung, welche die tollsten Schmöker für den Sommer benannte. Darunter auch der New-York-Schmöker City on Fire von Garth Risk Hallberg. Viel wurde über dieses Buch geschrieben, in 46 Sprachen und mehr. Und das höchste Lob, das dem Listenmacher in der Unsinnszeitung dazu einfiel, war, dass der Roman ihn irgendwie an eine HBO-Serie erinnere.

(Mal eben am Rande: Wann ist dieser vom Film schon länger bekannte Schwachsinn, englische Titel nicht mehr mitzuübersetzen, eigentlich im großen Stil auf den Buchmarkt übergeschwappt? Girl on a Train? Oder schon bei About a Boy? Gone Girl? Werden vor allem Titel von Girl-Books nicht mehr translated? Und werden bald auch spanische, chinesische, isländische Titel nicht mehr übersetzt? Oder gleich ins Englische, wie bei Filmtiteln längst Usus?)

Ich habe das City-on-Fire-Buch wohlgemerkt nicht gelesen, ich werde das vielleicht in fünf Jahren nachholen. Man hört ja nicht nur Gutes. Bei stark gehypeten Büchern, die mir irgendwie verdächtig vorkommen, wende ich seit einiger Zeit die 5-Jahre-Regel an: Wenn man in fünf Jahren noch vom Buch spricht, versuche ich es mal. Mir ist meine Zeit auf Erden zu kostbar, um sie mit jedem x-beliebigen Sommerschmöker totzuschlagen. Ich kannte mal einen, der lebte in der ständigen Angst, versehentlich mal ein Buch zu lesen, das nicht Epoche macht. Der las sicherheitshalber nur Bücher von Autoren, die schon seit mehreren Jahrzehnten tot waren. So lange kann ich häufig nicht warten. Manche Schriftsteller leben ja auch gegen alle Klischees recht gesund. Und selbst wenn welche doch standesgemäß leben (eine Flasche Rotwein statt Frühstück, und danach wird gesoffen), scheinen Schriftsteller eine überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung zu haben, so nicht gerade etwas Dramatisches dazwischenkommt. Liegt vielleicht daran, dass ihrem Berufsalltag die Aspekte abgehen, die in den Alltagen anderer Berufe Magengeschwüre und Schlimmeres verursachen.

Mir geht es also nicht um dieses spezielle Buch, sondern um die Traurigkeit des genannten Komplimentes, das, glaube ich, symptomatisch ist: Da hat jemand, wenn er Literatur gegenübersteht, keinen anderen Referenzrahmen als die DVD-Komplettboxen in seinem Ikea-Regal. Und der fühlt sich dabei wahrscheinlich auch noch clever und modern. Man muss ihm und seinen Kumpels im Geiste leider sagen: Wer findet, dass Fernsehserien und Romane vergleichbar oder gar austauschbar seien, versteht weder etwas vom einen, noch vom anderen. Der hat keine Ahnung, dass es in der Literatur nicht nur um Storys geht, sondern auch um Sprache, unter anderem. Und dass es in Romanen Sprache nicht nur in Dialogen gibt. Wer nur liest, weil er sich vom Plot peitschen lässt, der darf sich gerne vom Roman abwenden, denn er hat eh vergebens gelesen. Der Plot ist das banalste Element eines guten Romans. Die blinde Plothysterie ist übrigens auch schuld daran, dass viele junge und greise Menschen nur noch so über Erzählungen sprechen können:

„James Bonds neuer Auftrag führt ihn in die Karibik.“
„Ey, hättest du nicht Spoiler-Warnung sagen können?!?!?!“

Gute Literatur ist nicht an Plot-Twists gelegen, sondern an überzeugenden Figuren und wertigen Themen. Figurenentwicklung ist etwas, das in Fernsehserien nicht stattfindet, gerade in offiziell anspruchsvollen nicht. Tony Soprano ist in der letzten Folge derselbe wie in der ersten. Er und andere seines Schlages mögen zwischendurch mal aus der Rolle ausbrechen. Doch sie alle haben einen Reset-Knopf, der jedes Mal gedrückt wird, bevor die Zuschauer Gefahr laufen, sich mit etwas neuem auseinandersetzen zu müssen. Die einzige nennenswerte Ausnahme scheint mir Buffy im Bann der Dämonen. Bis zum Ende der Serie hat wirklich fast jede Figur mindestens eine entscheidende Wandlung mit bleibenden Resultaten durchgemacht. Das scheint mir das Erstaunlichste an dieser ohnehin sehr erstaunlichen Serie. Viel erstaunlicher als die sonst gern positiv hervorgehobenen flotten Sprüche äh geistreichen Dialoge oder die gelegentlichen erzählerischen Experimente.

Fernsehserien stellen also keine Gefährdung für den Roman dar. Für den Kinofilm sind sie es, entgegen beliebter Zeitgeistmeinungen, ebenfalls nicht. Selbst wenn ihre Anmutung ein wenig ‚filmischer‘ geworden ist, fühlt sie sich nach wie vor in erster Linie dem Innenraum und der Großaufnahme verpflichtet. Das verdeutlicht ein langfristiger Selbstversuch in meinem Haushalt. Nach der Geburt des Kindes sahen seine Mutter und ich eine gescheite Weile lang ausschließlich einzelne Fernsehserienfolgen, weil uns für Längeres mal die Zeit, mal die Wachsamkeit fehlte. Als wir uns eines Abends doch mal wieder für einen fürs Kino produzierten Spielfilm entschieden hatten, war es eine ästhetische Offenbarung. Fernsehserien sind heute visuell bestimmt interessanter, als sie es vor 40 Jahren freitags um 20 Uhr 15 im ZDF waren. Deshalb war der empfundene Unterschied zwischen Fernsehen und Film keineswegs so, als würde man nach Jahren in der Besenkammer endlich auf ein großes, freies Feld treten. Gleichwohl war es so, als trete man nach Monaten im Wohnzimmer endlich mal wieder hinaus auf die Straße mit all ihren Möglichkeiten. Wir hingen als Fernsehenthusiasten ja selbst dem Irrglauben an, dass Fernseh- oder Kinoproduktion heute schauwertig keinen großen Unterschied mehr macht. Der Unterschied ist allerdings nach wie vor gewaltig genug. Wer es nicht glaubt, kann den Test mit einfachen Mitteln zu Hause selbst durchführen. Erst mal ein Kind machen (notfalls adoptieren, es muss aber so klein wie möglich sein), der Rest ergibt sich von alleine.

„Aber die Geschichten! Die Geschichten, vertrackt und trickreich über mehrere Staffeln erzählt, die sind doch viel komplexer als in Spielfilmen!“ Nein, sind sie nicht. Serien dehnen, verdünnen und repetieren ihre Geschichten lediglich so lange, bis der Einstellungsbescheid kommt. Dann muss plötzlich alles ganz schnell sinnvoll zu Ende gehen. Das tut es in den seltensten Fällen, weil Geschichten Fernsehautoren eben nicht so wichtig sind, wie ihnen oft von wohlmeinenden (und nicht sehr aufmerksamen) Zuschauern unterstellt wird. Heute rümpft man gern die Nase über Opas wöchentliche Fernsehserie, in denen verlässlich in 45 Minuten ein Mörder gefasst, ein Monster getötet, ein Konflikt gelöst wurde, und nächste Woche dann wieder von vorne. Tatsächlich ist diese Form des Geschichtenerzählens weitaus anspruchsvoller als das unverbindliche Strecken und Verstricken von Handlungssträngen, bis ohnehin jeder die Übersicht über jedes einzelne Detail verloren hat. In Opas Fernsehen musste jede Woche aufs Neue eine Geschichte mit Hand und Fuß erzählt werden, und die musste glaubhaft machen, dass es sich nicht um denselben Mörder, dasselbe Monster, denselben Konflikt wie letzte Woche handelte. Wer etwas von Literatur versteht (also anders als der gemeine Fernsehkritiker oder Sommerschmökerlistenanleger), der weiß, dass die Kurzgeschichte die Königsdisziplin ist. Roman kann jeder. Ein Roman darf mal durchhängen, sich vorübergehend verlaufen. Die Kurzgeschichte hingegen kann sich keine einzige Schwachstelle, kein falsches Wort leisten. Zugegeben, der Vergleich hinkt ein wenig, denn Literatur und Fernsehen sind ja eben nicht dasselbe, wie ich schon sagte, dumdidum.

Am liebsten ist mir heute das offiziell mittelmäßige Fernsehen. Also Serien mit maskierten und kostümierten Protagonisten, die man bei entsprechender Sozialisation aus Comicheften kennt. Ich würde gerne mehr Comics lesen, doch geht es nicht. Ich habe es verlernt, Bild und Text gleichzeitig die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken, und das sollte der ernsthafte Comicleser schon tun. Ich weiß nicht, ob ich ein neues Gehirn oder eine neue Brille brauche, irgendwas funktioniert da jedenfalls nicht mehr richtig. Film und Fernsehen sind zum Glück weniger anspruchsvolle Medien als das Comicheft. Sie sind so leicht konsumierbar, dass sogar ich es schaffe. Beim offiziell anspruchsvollen Fernsehen war schon seit Jahren nichts mehr dabei, was mich ähnlich dauerhaft bei der Stange halten konnte wie Grüner Pfeil und Roter Blitz und alle ihre Freunde.

Von Gotham allerdings musste ich mich relativ schweren Herzens trennen. Es stellte sich heraus, dass ich unnötig explizite Gewaltdarstellung (nicht zu verwechseln mit notwendig expliziter Gewaltdarstellung) und hysterisches Dauerfeixen nicht mehr so leichtfertig verknuse wie mit 16. Wer konnte das ahnen? Da bleibe ich lieber beim Original aus den 60ern. Genauso albern, aber weniger zynisch.

Mir ist bewusst, dass die genannten Serien keine große Kunst sind. Doch sind sie goldenes Handwerk, und das ist nicht nichts. Handwerk kann nur dann wirklich golden sein, wenn es mit Liebe verrichtet wird, und Liebe ist doch schön. Im Zweifel ist mir ein mit Liebe geschaffenes Werk lieber als ein mit kühlem Intellekt berechnetes. Im Idealfall natürlich gerne beides auf einmal. Aber wann bekommt man im Leben schon den Idealfall?

Mit dem, was die anderen Kinder in letzter Zeit offiziell anspruchsvoll fanden, hatte ich, wie gesagt, so meine Probleme. Breaking Bad habe ich ausgelassen, weil ich Drogenhändler so doof finde. Game of Thrones hätte ich vor dem Sehen gern gelesen, und die fünfjährige Probezeit hat das erste Buch der Reihe ja auch bestanden. Dann allerdings fängt man an zu lesen, und die Leute und Ortschaften haben alle so komische Namen, dass man sofort wieder 14 Jahre alt ist und im Rollenspielkeller sitzt und denkt: Mist – Paladin der siebzehnten Stufe, aber Mathe nicht gemacht. Hoffentlich lässt Nicky mich abschreiben. So was kann ich nicht lesen, da bekomme ich Beklemmungen. Es liegt nicht am Stoff, es liegt an mir.

Egal ob herrlich mittelmäßig oder aufdringlich anspruchsvoll – das beste Fernsehen wird heute von Fernsehsendern produziert. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Eine ähnlich oft gehörte Unsinnsbehauptung wie die, dass das Fernsehen der neue Roman sei, ist die, dass Opas Fernsehsender einpacken können, weil die besten Serien jetzt von Internetfirmen produziert würden. Ich weiß nicht von welchen, in meinem Internet laufen sie wohl nicht. Dass, was ich da an Streaming-Produktionen sehe, kann für richtiges Fernsehen keine Konkurrenz sein. Die unsympathischen und langweiligen Menschen von Transparent hätte ich gerne nach zehn Minuten ausgeschaltet, aber meine Frau fand, wir sollten ihnen zwanzig geben. Die ersten drei Minuten von Lady Dynamite gehören zum unlustigsten, unoriginellsten, stümperhaftesten, hochnotpeinlichsten, was ich jemals gesehen habe. Da ich es zu meinem und ihrem Glück ohne meine geduldige Frau gesehen habe, kann ich den Rest nicht beurteilen. Daredevil und Bosch … ach, wer bin ich denn, dass ich jetzt jede nichtsehenswerte Fernsehserienimitation aus dem Internet mit Gift und Galle aufwerte? Die einzige, die ich dauerhaft gerne sehe, ist House of Cards. Und das liegt nun nicht daran, dass sie so atemraubend und anspruchsvoll wäre, sondern dass sie so ein angenehmes Hintergrundsummen für den Feierabend macht. Es passieren ungefähr zwei aufregende Dinge pro Staffel, das reicht. Das Leben ist schon aufregend genug.

Selbstverständlich warte ich noch nicht sehnsuchtsvoll auf die nächste Staffel von House of Cards, denn ich bin mit der letzten längst nicht durch. Das sogenannte Koma-Gucken (dt.: Binge-Watching) ist in meinem Haushalt streng untersagt. Mehr als eine Folge pro Tag ist nicht gut für die Konzentration, und eine ungeheure Respektlosigkeit gegenüber denen, die sich viel Mühe gegeben haben, jede Folge so schön wie möglich hinzukriegen.

So, was habe ich noch auf dem Zettel?

Aha, irgendwas mit E-Books, und etwas über die Popeligkeit des demonstrativen Garnichtfernsehens. Das lass ich jetzt mal weg, Sie haben ja bestimmt auch noch was vor.