Steve Martin, Boris Becker und ich

Wir haben eine Gewinnerin: Only Murders in the Building ist offiziell die erste Fernsehserie des Streaming-Zeitalters, die ich gleich zweimal komplett gesehen habe.

Mein Enthusiasmus hat viele Gründe, einer ist selbstverständlich Steve Martin. Leider muss ich bei Steve Martin immer an Boris Becker denken. Und das kam so: Martin nahm ich zum ersten Mal 1985 wahr, als der Film All of Me unter dem überdurchschnittlich gelungenen Titel Solo für 2 in den deutschen Kinos lief. Es handelt sich dabei um die Mutter aller modernen Körpertausch-Komödien. Oder den Vater; das weiß man bei diesem sehr speziellen Subgenre ja nie so genau. Ein Großteil des Humors speist sich daraus, dass Steve Martin vor laufender Kamera ulkige Verrenkungen macht, weil eine Frau in seinem Körper steckt (Lily Tomlin). Ich habe mich derweil nicht nur darüber vor Lachen weggeschmissen, sondern mir war der Typ an sich sympathisch, und das lag wiederum daran, dass mir der Schauspieler sympathisch war. Ohne es gleich messerscharf zu analysieren, war mir unterbewusst sofort klar, dass dieser Steve Martin die ganze komödiantische Bandbreite von absurd albern bis knochentrocken beherrschte, und dass er fortan in meinem Leben ein ständiger Begleiter sein würde. (Ich habe jenen Film in jener Lebensphase noch etliche Male im Kino und auf Video gesehen, dann allerdings ein paar Jahrzehnte nicht mehr. Als ich unlängst bang erneut reinschaute, war ich erstaunt, wie komisch ich vieles nach wie vor fand. Man schmeißt sich mit 51 hoffentlich nicht mehr über dieselben Dinge weg wie mit 15, aber All of Me ist vorteilhafter gealtert, als man das von diesem Stoff erwarten durfte.)

Als ich nach dem Kinobesuch gut unterhalten mit dem Nahverkehrszug aus der pulsierenden Bremer Innenstadt ins beschauliche Bremen-Schönebeck zurückkehrte, machte der Zugführer eine Durchsage in heiterem Ton: Boris Becker habe soeben Wimbledon gewonnen. Ich interessierte mich damals noch weniger für Tennis als heute (Moment mal, das geht ja gar nicht), doch der Ton gefiel mir. Das norddeutsche Eisenbahnpersonal war damals eher nicht für seine ansteckende Heiterkeit bekannt. Das mag sich freilich geändert haben, genau wie das Wetter und die Landesgrenzen. Jedenfalls sind seitdem Steve Martin und Boris Becker unzertrennlich in meinem Kopf miteinander verbunden.

Es war eine gute Zeit, Steve-Martin-Fan zu werden. Durch den Erfolg von Solo for 2 kamen Schlag auf Schlag etliche seiner älteren Filme in die deutschen Kinos, die mich zu jener Zeit köstlich amüsierten (Tote tragen keine Karos, Der Mann mit den zwei Gehirnen, Ein Single kommt selten allein). Als Bonus waren diese Filme in den USA keine großen Erfolge gewesen, wodurch man sich den „blöden Amis“ (zeitgenössischer Slang) gegenüber herrlich überlegen fühlen konnte, während man sich am Opium ihrer Unterhaltungsindustrie labte. Es war ein wenig wie damals, als die Franzosen Jerry Lewis zu ihrem Gott erklärten und die Amerikaner sich am Kopf kratzten.

Einige von Martins Filmen verknüpften sich eng mit meiner Biografie. Eine Party ohne den Soundtrack von Drei Amigos war einfach keine richtig rauschende Party. L. A. Story wurde von Anfang an als eines seiner Meisterwerke gesehen, doch ich brauchte meine Zeit. Ich sah ihn mir in Gesellschaft einer jungen Dame an, der ich in jenen Tagen den Hof machte. Wir stellten dabei schnell fest, dass unser Humor völlig inkompatibel war. Es waren die unbequemsten 98 Minuten meines Lebens. Weil ich stets bemüht bin, es allen recht zu machen, sah ich den Film durch die jungen Damenaugen und mochte ihn ebenfalls nicht. Es hat Jahre gedauert und viele weitere Versuche gebraucht, bis ich die bösen Geister des misslungen Dates austreiben und den Film entspannt genießen konnte. (Die damals junge Dame traf keine Schuld, es lag allein an mir.)

Auch als seine Filme belangloser wurden, blieb ich Martin treu. Ich las seine Bücher und arbeitete mich sogar durch seine Meisterklasse über Bühnenkomik, obwohl ich nicht vorhabe, jemals auf einer Bühne Witze zu erzählen.

Ähnlich wie der ansonsten total unähnliche Bill Murray besitzt Steve Martin die Eigenschaft, dass Quatsch nicht nur von ihm abperlt, sondern er sogar dem größten Quatsch noch ein kleines bisschen Klasse zu verleihen vermag. Egal, wieviel Mist er verzapft, man assoziiert nie als erstes seine Fehlleistungen mit ihm: „Würg, der Typ aus Pink Panther.“ Andere Prominente hatten nicht so viel Glück. Bei manchen denke ich heute erst mal „Besenkammer“, frühestens danach „Wimbledon“.

Überhaupt scheint Steve Martin einer zu sein, der das Prominentenleben mit Würde zu ertragen und zu führen weiß. „Mann, dieser Steve Martin … was für ein Arschloch!“ ist eine Aussage, die ich mir gerade ausgedacht habe. Gehört habe ich sie noch nie. Steve Martin hat fünf Grammys gewonnen (zwei fürs Witzeerzählen, drei fürs Banjospielen) und bei keiner der Verleihungen irgendwem eine runtergehauen. Weder mit seiner Exfrau noch mit irgendeiner sonstigen Verflossenen musste er sich je gerichtlich darüber einigen, wer in wessen Bett AA gemacht hat.

Wie macht er das bloß? Was ist sein Geheimnis?