So spielt das Leben: Gestern denkt man noch, man hätte alle Zeit der Welt, und heute – Bäng! – steht plötzlich Weihnachten vor der Tür. Damit konnte keiner rechnen. Es kam quasi aus dem Nichts. Dabei hatte man noch so viel vorgehabt. Doch wie heißt es schon in der Fibel: Wenn du den Weihnachtsmann zum Lachen bringen willst (im Original: Ho ho ho!), erzähle ihm von deinen Plänen. Sicher, die Geschenke hat jeder vernünftige Mensch schon im August besorgt, und das Essen kommt sowieso von KFC. Aber was ist mit all dem ungeguckten Weihnachtsfernsehen? Im Januar kann man es sich nicht mehr ansehen, dann ist es vergammelt. Jetzt ist es an der Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und vor der Welt zu gestehen: „Ich werde es nicht mehr schaffen, in die Weihnachtsspionageserie Black Doves auch nur reinzuschauen, obwohl ich mich so darauf gefreut hatte, ehrlich. Ich werde das ganz witzige, jedoch für ununterbrochenes Ansehen zu anstrengende Musical Spirited nicht mehr rechtzeitig zu Ende schaffen. Vielleicht doch noch rechtzeitig vor Weihnachten, aber nicht mehr rechtzeitig, um darüber zu schreiben, womit ich die Leser meines Blogs maßlos enttäuschen werde, alle beide. Und Nutcrackers mit Ben Still als Lindsay Lohan … nun gut, so eine unerwartete Zeitverknappung kann auch Vorteile haben.“
Machen wir das Beste aus dem, was wir haben. Wenn Netflix in den letzten Jahren eines richtig gemacht hat, dann ist es Is It Cake?, die Backwettbewerbsshow, in der die Kandidaten gegeneinander Alltagsgegenstände täuschend echt in Kuchenform nachbilden müssen. Ich mache mir wohlgemerkt rein gar nichts aus Kuchen. Ich esse ihn, wenn er auf dem Tisch kommt. Ich knipse ein Foto und mache es meiner Gemeinde im Internet zugänglich, wenn er likeable aussieht. Weil sich das so gehört und ich ein höflicher Mensch bin. Würde allerdings über Nacht aller Kuchen von dieser Welt für immer verschwinden, würde ich es wahrscheinlich gar nicht bemerken. Woraus ich mir durchaus etwas mache: Drama! Tragik! Komik! Tränen! Gelächter! Freud! Und Leid! All das hat Is It Cake? zuhauf. All das braucht natürlich gute Charaktere, und für die vierteilige Weihnachtssonderausgabe hat man die besten aus den ersten drei Staffeln noch einmal eingeladen. Hätte ich mir gerne 24 Folgen lang angesehen. Allerdings emotional wohl nicht verkraftet.Schlagwort-Archive: Film; Fernsehen; TV
Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest Teil 2: Ho-Ho-Horror-Special
Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, möchte ich eine kleine Anekdote von neulich loswerden, die gar nichts mit dem Thema zu tun hat, obwohl ich, wie ich mich kenne, trotzdem krampfhaft einen Übergang versuchen werde.
Neulich lud mich eine Geschäftsfreundin zu einem Catch-up-Mittagessen (nicht zu verwechseln mit einem Ketchup-Mittagessen) in den etwas vornehmen Tokyo American Club ein. Besorgt, dass ich womöglich als Junge vom Lande nicht mit den Gepflogenheiten urbaner Erwachsener vertraut wäre, sagte sie gegen Ende der Terminabsprache: „You have to wear a shirt with a collar.“ Ich sollte also ein kragenbewehrtes Hemd tragen, so ich Zutritt zum Speisesaal begehrte. Das war natürlich kein Problem; abgesehen von Unterhemden habe ich gar keine Hemden ohne Kragen, und nur fürs Unterhemd ist es jetzt (endlich) zu kalt. Allerdings war unsere Internet-Telefonverbindung nicht gerade von Fünf-Sterne-Qualität und die Geschäftsfreundin saisonbedingt arg verschnupft, deshalb verstand ich: „You have to wear a shirt with the colors.“ Da dachte ich mir: Die sind aber streng geworden! Das letzte Mal, dass ich mich im TAC verlustieren durfte, musste man kein Hemd in den amerikanischen Farben tragen. Ist das wegen Trump? Ist diese vormals gar nicht so unsympathische Ausländerorganisation jetzt auch eingeknickt? Dann vielleicht doch lieber Ketchup-Mittagessen bei Mos Burger. Glücklicherweise fragte ich noch zweimal nach, und das Missverständnis klärte sich auf. Weder erschien ich zur Verabredung angetan wie ein Rodeo-Clown noch zornig mit Protestbanner. Das Erstaunliche an dieser kleinen Schnurre ist meines Erachtens, dass ich den Gedanken, ich könnte mich eingangs NICHT verhört haben, zwar ein wenig absurd fand, aber nicht völlig undenkbar. Vielleicht sind wir schon so weit gekommen. Vielleicht bin auch nur ich schon so weit gekommen. Das ist ein idealer Übergang zu meinem eigentlichen Thema: Amerikanische Filme. Speziell amerikanische Weihnachtsfilme. Heute insbesondere amerikanische Weihnachtshorrorfilme. Und einer kommt nicht mal aus Amerika. Es geht also um das sogenannte Ho-Ho-Horror-Subgenre. Bitte vergessen Sie meine Titelankündigungen aus der letzten Folge, ich habe es auch längst getan. Manchmal hat das Schicksal andere Pläne, und dann macht man Limonade. Oder holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank, um beim Thema zu bleiben. Hand aufs Herz: Weihnachtshorrorfilme sind selten gut. Zumindest selten richtig gut. Kein Wunder, schließlich bringen Weihnachtshorrorfilme nur an Weihnachten die Kassen zum Klingeln, und dann wahrscheinlich sogar unabhängig von ihrer Qualität (also wie alle anderen Weihnachtsfilme auch). Da muss man sich keine Mühe geben. Da kann man ruhig mal Fred Olen Ray anstatt David Cronenberg ranlassen, denkt man sich in der Filmproduktionsbuchhaltung. Doch Wunder gibt es immer wieder, und in diesem Jahr ist mir das eine oder andere geschehen. Ich rede dabei nicht von Violent Night, dem Saison-Hit von vor zwei Jahren mit dem Weihnachtsmann als Action-Held, den ich nach kurzer Zeit abgebrochen habe. Das hätte ich mit 12 Jahren vermutlich im Brustton der Überzeugung als „messerscharfe Satire“ gepriesen, aber heute ist es mir zu stumpf. Apropos Messer.Mein (wirklich) letztes Weihnachtsfest
Nur mein wirklich letztes Weihnachtsfest vor dem Fernseher, keine Sorge.
Hilfreich wäre es, wenn man sich an sein Geschreibe von gestern stets erinnern könnte, denn dann hätte ich gewusst, dass ich bereits im letzten Jahr damit gedroht hatte, in diesem Jahr zur Weihnachtszeit die ‚Flimmerkiste‘ auszulassen und meine Familie lieber mal bei Gesellschaftsspielen und Käsefondue neu kennenzulernen, als noch einmal dieses Elend zu ertragen, das sich dieser Tage Weihnachtsfilm nennt (Weihnachtsfernsehen mitgemeint). Aber nein, ich habe mich nur an eins erinnert: Dass ich jedes Jahr so viel Weihnachtsfilm und -fernsehen gucke, wie ich kann, um dann in meinem stets aktuellen Blog mit erschöpfender Ausführlichkeit darüber zu berichten. Meine Frau und ich haben uns in diesem Jahr größtenteils an die Filme der letzten Jahre gehalten, für die wir damals keine Kraft mehr gehabt hatten. Diese Ausschussware schien immer noch verheißungsvoller als die aktuellen Neuerscheinungen. Die Sharknadoisierung des Weihnachtscontents schreitet unerbittlich voran. Dieses Jahr begann für uns alles mit Genie, und da begann auch schon gleich der Ärger. Nicht so sehr über den Film; der war erträglich genug, um ihn in einem Rutsch zu schaffen (eine Seltenheit in meinem Alter). Aber hier ist die moderne Unsitte, englische Werktitel nicht mehr ins Deutsche zu übersetzen, besonders ärgerlich, geht es in der Geschichte doch nicht um ein Genie im Sinne der deutschen Wortdefinition (also einen Menschen „mit überragender schöpferischer Begabung, Geisteskraft“ – Duden), sondern im Sinne des orthographisch identischen englischen Begriffs, also einen „bösen Geist im vorislamischen Volksglauben“. Im Deutschen sagt man Dschinn dazu, ihr Genies! Wo sind die Zeiten geblieben, als man Filme wie diesen im deutschen Verleih noch Na hoppla – ein Flaschengeist lässt es ordentlich krachen! genannt hätte?Weihnachtsfilme: Es geht um Weihnachtsfilme (Überschrift SEO-optimiert)
Ich wollte nur klarstellen, dass es hier um Weihnachtsfilme geht, denn meinen letzten Beitrag zum Thema hatte ich unter einer Überschrift versteckt, die unter SEO-Gesichtspunkten nicht super-duper optimal komponiert war.
Es ist eine schöne Tradition in diesem Blog, über die Weihnachtsfilme zu schreiben, die ich in dieser Saison gesehen habe, weil mir sonst nichts einfällt (jetzt schon im zweiten Jahr). Vorweg: Ich habe nicht vor, die Handlungen der Filme wiederzugeben, nicht mal ein bisschen. Nicht weil ich plötzlich an Spoiler glauben würde, sondern erstens weil der Plot als Qualitätsmerkmal von Erzählungen generell überbewertet wird, zweitens weil es im modernen Weihnachtsfilm ohnehin nur zwei verschiedene Plots gibt (also fünf weniger als insgesamt auf der Welt, wenn man Creative-Writing-Klugscheißern glauben möchte):- 1. Jemand bringt besten Freund/beste Freundin (wahlweise eine/n völlig Fremde/n) mit zum familiären Weihnachtsfest, um ihn oder sie als die aktuelle ernsthafte Beziehung auszugeben. Zum Schluss ist es dann wirklich so.
- 2. Eine eiskalte Geschäftsfrau (seltener Geschäftsmann) wird von der großen Stadt (gerne „L. A.“) aufs Land geschickt, um dort irgendetwas gegen den Willen der Landbevölkerung zu gentrifizieren. Zum Schluss, nach einigen Witzen über Kuhfladen und Kalbsgeburten, lässt sie sich auf dem ungentrifizierten Land häuslich nieder, und zwar mit einem gutaussehenden, breitschultrigen Typen vom Land, den sie zuerst gar nicht abkonnte.
Beginnen wir mit dem stärksten Tobak, damit wir es hinter uns haben: Lindsay Lohan in Falling for Christmas. Zu behaupten, der Netflix-Film habe gute Kritiken bekommen, wäre stark übertrieben; er hat überwiegend negative erhalten. Gleichwohl durchwehte viele ein Tenor von: „Nicht ganz so katastrophal wie erwartet, und la Lohan ist sogar richtig gut.“
Ich bin darauf reingefallen. Deshalb ist es mir umso wichtiger, dass nachfolgende Generationen nicht denselben Fehler machen wie ich, und ich sage ohne weihnachtliche Güte: „Doch! Der Film ist haargenau so katastrophal, wie man nach dem scheußlichen Trailer erwarten durfte, und Lindsay Lohan ist komplett fehlbesetzt!“ Lindsay Lohan ist eine Frau mit einer gewissen Lebenserfahrung (die Presse berichtete und berichtete und berichtete), und die steht ihr ins Gesicht geschrieben. Das zickige, naive kleine Mädchen, das noch an Daddys Rockzipfel hängt, kann sie damit nicht mehr spielen. Und das ist überhaupt nicht schlimm. Dieser talentierten Schauspielerin ist ein Comeback zu gönnen, und wenn dieser Film das Weihnachtswunder vollbringt, dann meinetwegen. Aber von Herzen hätte ich ihr einen anderen, richtigen Film gewünscht, mit einer echten Rolle für eine erwachsene Frau. In einer Weihnachtsfilmdisziplin immerhin ist Falling for Christmas überdurchschnittlich: Es gibt nicht nur eine tote Mutter, sondern gleich zwei. Da in diesem Jahr wirklich kein einziger Weihnachtsfilm ohne tote Mutter auskommt, habe ich mir mal Gedanken gemacht, woran das liegen könnte. Hier ist das Ergebnis: Vielleicht liegt es daran, dass tote Mütter viel schlimmer sind als tote Väter. Und alleinerziehende Väter viel lustiger und rührender als alleinerziehende Mütter. Alleinerziehende Mütter sind vermutlich zu realistisch, das zieht die Stimmung total runter. In Something from Tiffany’s gibt es, wenn ich mich nicht verzählt habe, nur eine tote Mutter. Gegen Falling for Christmas nimmt sich der Film aus wie ein Spike Lee Joint, written and directed by Woody Allen, a Martin Scorsese picture. Für sich betrachtet ist Something for Tiffany’s aber nur das, was ich von Falling for Christmas erhofft hatte: Ein Film, der nicht wehtut. Eine romantische Komödie ohne richtige Witze und allzu dramatische Konflikte. Man könnte ihn also als ‚recht erwachsen‘ bezeichnen, wie man immer alles als ‚erwachsen‘ bezeichnet, wenn man nicht ‚langweilig‘ sagen möchte. Dieser Trend hat nach meiner Beobachtung bei Quentin Tarantinos Jackie Brown angefangen und wird möglicherweise bei Star Wars‘ Andor nicht enden. Ist also wahrscheinlich gar kein Trend, sondern das neue Normal. ‚Ein bisschen langweilig‘ heißt jetzt ‚sehr erwachsen‘. Bemerkenswert an diesem Weihnachtsfilm ist, dass es eigentlich gar keiner sein müsste. Ein vertauschtes Geschenk stößt zwar den Plot an, doch die Menschen schenken schließlich nicht zu Weihnachten allein. Die Hauptfigur weißt sogar darauf hin, dass sie Jüdin ist. Erst ganz zum Schluss, als schnell noch angetackerten Epilog, gibt es eine explizite Weihnachtsszene, die aber für den Gesamtzusammenhang irrelevant ist. Ich möchte jedoch gar nicht meckern. Als Erwachsener, dem richtige Filme oft zu aufregend sind, war mir diese Amazon-Produktion ganz sympathisch. Sprechen wir vorübergehend nicht über Weihnachtsfilme, sondern über Weihnachtsfernsehserien (Scheibenkleister, Überschrift vielleicht doch nicht optimal). Ich war gegen The Santa Clauses auf Disney+, aber meine Frau war dafür, und man weiß ja, wie sowas endet. Bunt war es. So bunt, dass wir aus Versehen die ganze Serie gesehen haben, und nun wurde eine zweite Staffel bewilligt, und wir tragen eine Mitschuld. Das Ganze ist eine Fortsetzung der Santa-Clause-Filme mit Tim Allen, von denen ich keinen gesehen habe, weil ich über Tim Allen noch nie lachen konnte (ich habe es auch diesmal nicht gelernt). Das wiederum liegt nicht daran, dass wir auf unterschiedlichen Seiten des politischen Stammtisches sitzen, wenn wir nicht gerade Weihnachtsstimmung verbreiten. Über einen Stammtisch kann ich hinwegsehen, so viel Größe habe ich. So viel Größe hat wohl auch Kal Penn (178 cm laut Google), der hier eine Art etwas sympathischeren und viel erfolgloseren Jeff Bezos spielt (Mann von toter Mutter), was er wie gewohnt gut macht, was aber in dem kunterbunten, witzlosen, immerhin auf irgendeine magische Weise die Zeit vertreibenden Irrsinn auch nicht viel reißen kann. Marvels The Guardians of the Galaxy Holiday Special über die Entführung des Schauspielers Kevin Bacon (der Schauspieler Kevin Bacon) durch außerirdische Superhelden ist so lustig, wie es klingt (also ziemlich).Dennoch nur ein schwacher Ersatz für die goldige letztjährige Marvel-Weihnachtsserie Hawkeye, die ich mir in diesem Jahr einfach noch mal angesehen habe, um in Weihnachtsstimmung zu kommen. Hat wieder funktioniert. Und so ist Hawkeye nun nach Only Murders in the Building die zweite Serie des Streaming-Zeitalters, die ich mir zweimal komplett angesehen habe, und zwar beide Male mit außerordentlichem Vergnügen. Dass beide auf Disney+ laufen, heißt vielleicht irgendwas. Ich weiß nicht genau was, aber bestimmt nichts Gutes für Netflix. (Die dritte Zweimal-Serie wird gerade The Peripheral. Auch nicht Netflix.) Marvel hat in diesem Jahr mit Moon Knight und She-Hulk: Attorney at Law bewiesen, dass doch noch ein bisschen Saft im alten Marvel-Zitroniversum ist. Hawkeye allerdings bleibt die vorderste Marvel-Vorzeigeproduktion. Gelegentliche Selbstironie statt ständiger Metaebene, richtige Menschen als Super-Protagonisten, New Yorker Lichterglanz, Weihnachtslieder und auch sonst genau das richtige Maß an Parampampampam. Widerwillig zurück zum Film. Sollte ich eingangs behauptet haben (und das habe ich), dass Falling for Christmas der größte Tobak in diesem Beitrag sei, dann nur, weil ich I Believe in Santa zwischenzeitlich schon wieder verdrängt hatte. Jetzt jedoch kommt er wieder hoch. Es handelt sich um die Liebesgeschichte zwischen einer erwachsenen Journalistin, die Weihnachten hasst, weil sie als Kind einmal nicht ihre Barbie-Puppe bekommen hatte, und einem erwachsenen Anwalt, der noch an den Weihnachtsmann glaubt, weil … tut er halt. Gemacht wurde dieser lieblos dahingeschluderte Murks derweil ausschließlich von Menschen, die Weihnachten hassen. Und Filme. Und Fernsehen. Eigentlich alles, außer pünktlich Feierabend machen. Was für eine visuelle Wohltat da Your Christmas or Mine?. Dieser Film sieht aus, als wäre er von Leuten gemacht, denen es nicht egal ist, wie so ein Film aussieht. Obendrein ist der Plot eine erstaunlich originelle Variation des Familientreffen-Themas und die Besetzung äußerst sympathisch. Hilft natürlich alles nichts, wenn das Skript vorgestern hätte fertig sein müssen und man knapp vor Drehbeginn schnell die erstbeste Version von allem runtertippt, was noch nicht getippt wurde. So bleibt dann doch nur in Erinnerung, wie schön die Schneeflocken purzelten. Das immerhin ist in dieser Weihnachtsfilmsaison nicht nichts. Zuletzt schnell vorgespult ein paar Titel, die ich nicht oder nicht ganz geschafft habe. Es gibt da einen Film, in dem Freddie Prinze Jr. den Witwer-Vater spielt. Das Überraschende daran ist, dass das nicht der Film mit Lindsay Lohan ist. Wir waren bereits zu desillusioniert, um an ein verborgenes Juwel zu glauben. Nach dem Trailer von The Hip Hop Nutcracker sagte meine Frau: „Ich verstehe immer noch nicht, was das ist.“ Dabei steht sie der Welt des Hip-Hop näher als ich, und ich stehe ihr auch nicht völlig fern. Stellt sich heraus: Erst wird ein bisschen gerappt, dann ein bisschen Tschaikowsky gescratcht, schließlich viel getanzt. Wir haben uns nach 10 von 40 Minuten entschlossen, dass wir das respektieren können, aber nicht sehen möchten. Halb habe ich den satirischen No-Budget-Weihnachts-Home-Invasion-Thriller The Leech auf Arrow Player gesehen, und die zweite Hälfte schaffe ich vielleicht auch noch. Aber erst nach Weihnachten. Erinnerte mich ein bisschen an einen anderen Film, dessen Titel ich leider vergessen habe. Sie wissen schon, welchen ich meine. Hat mit Something from Tiffany’s (s. o.) nicht per se viel gemein, scheint allerdings auf den ersten halben Eindruck ebenfalls einer dieser Weihnachtsfilme zu sein, die eher zufällig an Weihnachten spielen. Und damit verabschiede ich mich ins richtige Weihnachtsfest und wünsche uns allen bessere Weihnachtsfilme im nächsten Jahr. Das ist zugegebenermaßen keine allzu hoch gehangene Zuckerstangenmesslatte.
Steve Martin, Boris Becker und ich
Wir haben eine Gewinnerin: Only Murders in the Building ist offiziell die erste Fernsehserie des Streaming-Zeitalters, die ich gleich zweimal komplett gesehen habe.
Mein Enthusiasmus hat viele Gründe, einer ist selbstverständlich Steve Martin. Leider muss ich bei Steve Martin immer an Boris Becker denken. Und das kam so: Martin nahm ich zum ersten Mal 1985 wahr, als der Film All of Me unter dem überdurchschnittlich gelungenen Titel Solo für 2 in den deutschen Kinos lief. Es handelt sich dabei um die Mutter aller modernen Körpertausch-Komödien. Oder den Vater; das weiß man bei diesem sehr speziellen Subgenre ja nie so genau. Ein Großteil des Humors speist sich daraus, dass Steve Martin vor laufender Kamera ulkige Verrenkungen macht, weil eine Frau in seinem Körper steckt (Lily Tomlin). Ich habe mich derweil nicht nur darüber vor Lachen weggeschmissen, sondern mir war der Typ an sich sympathisch, und das lag wiederum daran, dass mir der Schauspieler sympathisch war. Ohne es gleich messerscharf zu analysieren, war mir unterbewusst sofort klar, dass dieser Steve Martin die ganze komödiantische Bandbreite von absurd albern bis knochentrocken beherrschte, und dass er fortan in meinem Leben ein ständiger Begleiter sein würde. (Ich habe jenen Film in jener Lebensphase noch etliche Male im Kino und auf Video gesehen, dann allerdings ein paar Jahrzehnte nicht mehr. Als ich unlängst bang erneut reinschaute, war ich erstaunt, wie komisch ich vieles nach wie vor fand. Man schmeißt sich mit 51 hoffentlich nicht mehr über dieselben Dinge weg wie mit 15, aber All of Me ist vorteilhafter gealtert, als man das von diesem Stoff erwarten durfte.) Als ich nach dem Kinobesuch gut unterhalten mit dem Nahverkehrszug aus der pulsierenden Bremer Innenstadt ins beschauliche Bremen-Schönebeck zurückkehrte, machte der Zugführer eine Durchsage in heiterem Ton: Boris Becker habe soeben Wimbledon gewonnen. Ich interessierte mich damals noch weniger für Tennis als heute (Moment mal, das geht ja gar nicht), doch der Ton gefiel mir. Das norddeutsche Eisenbahnpersonal war damals eher nicht für seine ansteckende Heiterkeit bekannt. Das mag sich freilich geändert haben, genau wie das Wetter und die Landesgrenzen. Jedenfalls sind seitdem Steve Martin und Boris Becker unzertrennlich in meinem Kopf miteinander verbunden. Es war eine gute Zeit, Steve-Martin-Fan zu werden. Durch den Erfolg von Solo for 2 kamen Schlag auf Schlag etliche seiner älteren Filme in die deutschen Kinos, die mich zu jener Zeit köstlich amüsierten (Tote tragen keine Karos, Der Mann mit den zwei Gehirnen, Ein Single kommt selten allein). Als Bonus waren diese Filme in den USA keine großen Erfolge gewesen, wodurch man sich den „blöden Amis“ (zeitgenössischer Slang) gegenüber herrlich überlegen fühlen konnte, während man sich am Opium ihrer Unterhaltungsindustrie labte. Es war ein wenig wie damals, als die Franzosen Jerry Lewis zu ihrem Gott erklärten und die Amerikaner sich am Kopf kratzten. Einige von Martins Filmen verknüpften sich eng mit meiner Biografie. Eine Party ohne den Soundtrack von Drei Amigos war einfach keine richtig rauschende Party. L. A. Story wurde von Anfang an als eines seiner Meisterwerke gesehen, doch ich brauchte meine Zeit. Ich sah ihn mir in Gesellschaft einer jungen Dame an, der ich in jenen Tagen den Hof machte. Wir stellten dabei schnell fest, dass unser Humor völlig inkompatibel war. Es waren die unbequemsten 98 Minuten meines Lebens. Weil ich stets bemüht bin, es allen recht zu machen, sah ich den Film durch die jungen Damenaugen und mochte ihn ebenfalls nicht. Es hat Jahre gedauert und viele weitere Versuche gebraucht, bis ich die bösen Geister des misslungen Dates austreiben und den Film entspannt genießen konnte. (Die damals junge Dame traf keine Schuld, es lag allein an mir.) Auch als seine Filme belangloser wurden, blieb ich Martin treu. Ich las seine Bücher und arbeitete mich sogar durch seine Meisterklasse über Bühnenkomik, obwohl ich nicht vorhabe, jemals auf einer Bühne Witze zu erzählen. Ähnlich wie der ansonsten total unähnliche Bill Murray besitzt Steve Martin die Eigenschaft, dass Quatsch nicht nur von ihm abperlt, sondern er sogar dem größten Quatsch noch ein kleines bisschen Klasse zu verleihen vermag. Egal, wieviel Mist er verzapft, man assoziiert nie als erstes seine Fehlleistungen mit ihm: „Würg, der Typ aus Pink Panther.“ Andere Prominente hatten nicht so viel Glück. Bei manchen denke ich heute erst mal „Besenkammer“, frühestens danach „Wimbledon“. Überhaupt scheint Steve Martin einer zu sein, der das Prominentenleben mit Würde zu ertragen und zu führen weiß. „Mann, dieser Steve Martin … was für ein Arschloch!“ ist eine Aussage, die ich mir gerade ausgedacht habe. Gehört habe ich sie noch nie. Steve Martin hat fünf Grammys gewonnen (zwei fürs Witzeerzählen, drei fürs Banjospielen) und bei keiner der Verleihungen irgendwem eine runtergehauen. Weder mit seiner Exfrau noch mit irgendeiner sonstigen Verflossenen musste er sich je gerichtlich darüber einigen, wer in wessen Bett AA gemacht hat. Wie macht er das bloß? Was ist sein Geheimnis?