Die ausklingende Woche war bestimmt von zwei unangenehmen Themen: Halloween und Akif Pirincci (Abb. unten).
Wäre die Halloween-Industrie hierzulande so auf Zack wie im Ursprungsland, hätte längst eine findige Firma ein Akif-Pirincci-Halloweenkostüm herausgebracht. So aber müssen wir die Themen isoliert betrachten, obwohl sie so viele Steilvorlagen für Verquickung bieten. Im Gegensatz zum Thema Akif Pirincci ist es mir beim Thema Halloween ein bisschen unangenehm, dass es mir unangenehm ist. ICH bin ja nun nicht jemand, der meint, Deutschland vor außerkulturellen Einflüssen schützen zu müssen. Ich weiß nicht so recht, woher meine Abneigung gegen ausgerechnet dieses Fest kommt. Es wird eine Gefühlssache sein, doch das darf ich nicht zulassen. Emotionen sind das Metier der Schlechtmenschen, die ihre militanten Abneigungen gegen alle, die nicht haargenau so sind wie sie, aus irgendwelchen diffusen Angstgefühlen speisen. Ich glaube nicht, dass meine Abneigung etwas mit Antiamerikanismus zu tun hat. Ein Land, das uns Fast & Furious und die Craft-Beer-Bewegung geschenkt hat, kann kein schlechtes Land sein. Ich glaube auch nicht, dass es was mit der kommerziellen Travestie zu tun hat, zu der dieses Volksfest inzwischen verkommen ist. Dann müsste ich ja auch etwas gegen Weihnachten haben, und das ist freilich undenkbar (wer jetzt übrigens noch nicht alle Weihnachtsgeschenke beisammen hat, setzt seinem Leben die falschen Prioritäten). Möglicherweise hat es etwas mit der Verniedlichung von Horrorsujets zu tun, da verstehe ich keinen Spaß. Horror muss aus den Augen bluten und aus halbzerkauten Gedärmen dampfen, das ist einfach nichts für die ganze Familie. Und dann doch – gestern beinahe die geistige Kehrtwende. Am frühen Abend auf dem Weg vom Einkaufszentrum nach Hause, passiere ich mehrere Kindergruppen in Halloween-Kostümierungen, alle haben einen Heidenspaß (also ganz im Sinne dieses heidnischen Brauches). Es ist leicht zu erkennen, dass sie unter der Schminke alle unterschiedliche Hautfarben haben, und so ein Bild wärmt einem unverbesserlichen Gutmenschen wie mir natürlich verlässlich das Herz. Am späteren Abend klicke ich dann die Wochenendausgabe der Taz auf – und finde dort einen Artikel, in dem fast genau dasselbe steht, was ich zuvor gedacht hatte: Halloween kann man zwar muffelig blöd finden, aber es ist das einzige Fest, das Kinder aus allen Kulturkreisen miteinander feiern können. Zumindest steht das sinngemäß in der Überschrift und in der Einleitung. Gelesen habe ich den Artikel nicht, am Wochenende habe ich keine Zeit zum Zeitunglesen. Nach all dieser Fühlerei komme ich schließlich zum Denken und merke: völliger Quatsch. Kinder aller Kulturen können alle möglichen Feste gemeinsam feiern. Zum Beispiel Geburtstag, Silvester, Fasching, Zurück-in-die-Zukunft-Tag. Wenn man sie lässt, können sie selbstverständlich auch Weihnachten und das Fastenbrechfest gemeinsam feiern. Der Kulturenverständigung wird es nicht schaden. Halloween braucht niemand. Und so haben wir dann gestern wieder das getan, was wir immer tun, wenn an Halloween einer klingelt und im Treppenhaus Kinderkichern zu hören ist: So getan, als wären wir nicht da. Wir haben halt nichts Süßes (nicht aus Gehässigkeit, sondern aus Unachtsamkeit, weil dieser Tag eben in unserem kulturellen Kalender keine Rolle spielt). Ich hätte nicht mal sagen können: „Hier, Kinder, habt ihr ein paar Katzenkrimis, die ich gerade ausgelistet habe. Viel Spaß damit und Happy Halloween!“ Die habe ich nämlich bereits im letzten Jahr ausgelistet, als es auf allen Kanälen unübersehbar wurde, was deren Autor für einer ist. Ja, ich hatte welche und sie sogar gut gefunden – obwohl ich noch nie Katzentyp und seinerzeit noch nicht mal Krimityp war. Ein Beleg für Pirinccis Talent. Ist ja nicht so, dass der nichts kann. Ist leider nur so, dass da irgendwann was schiefgelaufen ist. Nun war er in der letzten Woche wieder in den Nachrichten, weil seine Krimiverlage und viele Buchhändler seine Werke nach einer untragbaren (wenn auch in den meisten Medien böswillig falsch oder missverständlich zitierten) Rede ausgelistet haben. Daran gab es Kritik, auch von einigen vernünftigen Menschen und von Thor Kunkel. Letzteres darf man gerne ignorieren. Wer den Fehler gemacht hat, Kunkel einmal in den sozialen Netzwerken zu besuchen, wird wissen, dass der Mann Pirinccis Bruder im Geiste ist. Möglicherweise momentan noch ein kleiner Bruder. Aber ich hege den Verdacht, dass in ihm bereits der nächste pirinccieske Super-GAU brodelt. Bedenklich ist, wie das Feuilleton ihn nach wie vor allenfalls als putziges Ex-Wunderkind sieht, das jetzt heimelige Bergbücher schreibt. Das sagt, wieder einmal, mehr über das deutsche Feuilleton als über den Autor. Es wurde bemängelt, dass eine Auslistung Pirinccis Zensur sei; dass in einem freien Land ein freier Buchkäufer die Bücher müsse kaufen dürfen, die er kaufen möchte, auch schlechte und dumme Bücher, auch gute Bücher von schlechten und dummen Menschen.Ich finde auch, dass diese Auslistungen ein Skandal sind. Es ist skandalös, dass sie erst jetzt geschehen sind. Spätestens mit Erscheinen der Hassschrift Deutschland von Sinnen wusste wirklich jeder und seine Mudder, was Pirincci für einer ist. Man konnte es schon vorher wissen, er rabaukte bereits in einschlägigen Blogs und Nischenzeitschriften herum (war allerdings auch an mir vorbeigegangen, ich lese keines von beiden). Aber die Buchhändler sagten sich wahrscheinlich: „Na ja, solange er nicht im Stechschritt und Hitlerkostüm durch die Fußgängerzone marschiert und ‚KZ!‘ sagt, nehmen wir das Geld gerne mit.“
Es stimmt, dass ein freier Buchkäufer in einem freien Land kaufen dürfen muss, was er will. Genauso darf aber ein freier Buchverkäufer frei entscheiden, was er verkaufen möchte, und eben was nicht. Das ist keine Zensur, sondern gelebte Demokratie. Ein Teil von mir fantasiert übrigens noch immer, dass sich eines Halloweens Akif Pirincci wie ein Joaquin Phoenix aus der Asche das Akif-Pirincci-Kostüm vom Körper reißt und ruft: „April, April! War alles nur Spaß mit versteckter Kamera! Der Film ab Donnerstag im Kino: Naziquatsch und andere Kleinigkeiten, Regie Sönke Wortmann, Musik Tom Tykwer!“