Schanghai: Jetzt ist gut

Meine Zwischenlandung in Schanghai neigt sich dem Ende zu, morgen geht es weiter ins idyllische Tokio. Ehe einer meint, ich hätte hier nur über Nepper, Schlepper, Huper, Schaulustige gemosert und auf der Superior Business Suite Bier aus der Kaffeetasse gepichelt – nein! Ich habe alles gemacht, was man machen muss, und es war sehr schön:

Bund bei Tag

Bund bei Nacht

Bund von unten

Oriental Pearl TV Tower (links)

Altstadt

Yuyuan (ich lasse das ‚Garten’ altklug weg, weil ich weiß, dass ‚yuan‘ schon Garten heißt – Sie dürfen beeindruckt sein)

Stadtgotttempel

Jesuitenviertel

Franzosenviertel

… und noch einige Sachen, von denen es keine Fotos gibt, die aber TROTZDEM stattgefunden haben.

Aber jetzt befasse ich die eigene Nase, wenn ich sage:

Wenn Sie auf Pro7 etwas über Grillen (zool.) sehen, glauben Sie es nicht

Interessantes Stellenangebot in enjoyshanghai weekly:

3 Germans for tv
A tv production team in Shanghai is looking for 3 Germans for a film about crickets (the animals) that will be broadcasted on Germany’s Pro7 tv program. Role: play a team of 3 people participating in the China national cricket fight competition from october 3rd – 6th. All costs are covered. Please call Ingo.

(alle inkorrekten Kleinschreibungen sic)

Wenn also demnächst der Galileo-Mann behauptet, man habe drei Kampfgrillen-Enthusiasten aus Duisburg begleitet, wie sie sich endlich ihren lebenslangen Traum erfüllen und am Grillenwettkampf im fernen und fremden China teilnehmen, glauben Sie ihm kein Wort. (Ich werde leider keiner der drei Deutschen sein, ich bin dann schon weg.)

Katastrophenbericht mit Bildverweigerung

Gestern war ich in der malerischen Schanghaier Altstadt, in der es noch sehr gut erhaltene Häagen-Dazs- und Pizza-Hut-Filialen aus der Ming-Dynastie gibt, und wollte ganz schnell wieder weg. Am besten so, wie ich gekommen war, nur umgekehrt, mit der U-Bahn-Linie 10 ab Yuyuan. Ich fand es etwas ärgerlich, dass genau in diesem Moment die Fahrkartenautomaten an meinem Eingang kollektiv abgeschaltet wurden. Noch ärgerlicher: Dasselbe Bild am anderen Eingang. Die menschenbesetzten Schalter machten auch zu. Am Zugang zu den Gleisen gab es erregte Diskussionen zwischen Bahnhofspersonal und potentiellen Fahrgästen. Dann verließen die Fahrgäste ungefahren den Bahnhof, und der Zugang zu den Gleisen wurde ganz abgesperrt. Er wurde aber wieder aufgesperrt für die Feuerwehrleute, die jetzt im Laufschritt den Bahnhof stürmten.

Für mehr als „ni hao“ hat es bei mir nie gereicht, also hatte ich keine Chance zu erfahren, was da los war. Nichts schlimmes, hoffte ich, vielleicht nur eine kurze Irritation, ein schnell gelöschter Brand. Beim Bahnhofspersonal war jedenfalls keine Panik auszumachen.

Dass das Warten müßig wäre, konnte ich mir denken. So begab ich mich wieder an die Oberfläche auf der Suche nach Wegweisern, die mich zu Fuß meinem Ziel näher bringen mochten. Ich fand welche, aber ich bin in so was nicht gut und lief exakt im Kreis, kam wieder an der Metrostation Yuyuan an. Inzwischen waren die Eingänge komplett für Zivilisten gesperrt. Da war nicht nur Feuerwehr, sondern auch Polizei, Ambulanz und Fernsehen. Und nahezu die gesamte Bevölkerung Schanghais mit Foto-Handys im Anschlag. Einen verrückten Moment lang dachte ich wirklich, dass da vielleicht gleich ein Prominenter rauskommt, so sorglos wie die Menschen gafften, knipsten und filmten. Aber die Präsenz von Feuerwehr und Ambulanz und das näherkommende Sirenengeheul, das weitere Einsatzkräfte vermuten ließ, sprachen dagegen.

Eine Zivilistin kam schnellen Schrittes aus dem Bahnhof, sie sah unverletzt aber aufgewühlt aus. Ein Reporter knallte ihr das Mikro vor das Gesicht, sie knallte es weg und ging ihres Weges. Gute Frau.

Ich möchte nicht verhehlen, dass es mir selbst im Kamerafinger juckte, dies könnte schließlich ein historisches Ereignis sein. Die Assoziationen von katastrophalem Unfall bis Terroranschlag wollte ich gar nicht haben, aber ich hatte sie doch, und die Prominenten-Theorie verlor mehr und mehr an Boden. Ich mag aber keiner dieser widerlichen Snuff-Pornografen sein, die bei Elend in Verzug immer schön mit dem Handy draufhalten und es hinterher im Internet als ‚Aufklärung‘ verherrlichen. Im Zweifelsfalle soll mir das Wissen reichen, dass ich dabei gewesen bin, am Rande zumindest, in sicherer Entfernung. Aber auch darauf würde ich am liebsten verzichten.

Ich lief nun nach dem Zufallsprinzip in eine Richtung, in der ich irgendwann eine weitere Haltestelle vermutete. Mir entgegen kamen weitere Fahrzeuge mit Sirenen und rennende Privatmenschen, die anscheinend schnell bessere Kameraausrüstung geholt hatten. Die nächste Haltestelle, an die ich kam, war Laoximen. Da Laoximen ebenfalls von der Linie 10 befahren wird, war hier dasselbe Bild: Ein gesperrter Bahnhof und ein Menschentraubenstrauch, zusammengesetzt aus Polizeitraube, Feuerwehrtraube, Sanitätertraube, Reportertraube und mehreren Trauben Schaulustiger.

Mithilfe einer Straßenkarte machte ich die nächste Station ausfindig, die von einer anderen Linie bedient wird. Als ich die fand, gab es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Es war nicht die Station, die ich finden zu müssen meinte, an meinem Verhältnis zur Kartografie hatte sich also nichts geändert. Die gute: Es war die Station in der Nähe meines Hotels. Ich war zu Fuß „nach Hause“ gelaufen.

Im Fernsehen wurde über das Ereignis berichtet, aber meine Sprachkenntnisse hatten sich auf dem langen Marsch nicht gebessert. Es waren Fahrgäste zu sehen, die Feuerwehrleuten durch einen U-Bahn-Tunnel folgten. Ein junger Mann lag auf der Sitzbank eines stehenden Zuges und hatte offenbar Schmerzen, aber keine sichtbaren Verletzungen. Das Geschehen war eine große Nachricht, aber die Fernsehkommentatoren diskutierten sehr gefasst darüber.

Im Internet wusste es von allen sprachlich infrage kommenden Medien ausgerechnet die Bildzeitung als erste: U-Bahn-Kollision mit 40 Verletzten, keiner davon schwer. Die Bildzeitung klagte an, dass im chinesischen Internet schon blutige Bilder kursierten. Da war wohl jemand beleidigt, weil er keine abbekommen hatte.

Ich erlaubte mir ein vorsichtiges Aufatmen. Das war zwar schlimm, und ich hoffte, dass es den 40 bald wieder gut ginge, aber meine ursprünglichen Befürchtungen waren in deutlich schlimmere Richtungen gegangen.

Heute Morgen hat sich die Zahl der Verletzten auf über 200 erhöht, nicht alle ganz so leicht wie zuerst gedacht, aber offenbar dennoch keiner bedenklich schwer. Nach einem Signalausfall war ein langsam fahrender Zug auf einen stehenden Zug aufgefahren. Die Bildzeitung ist das einzige Medium, das den Unfall zur „Katastrophe“ und „Horror in der U-Bahn“ hochposaunt.

An dieser Stelle keine Blutbilder aus dem chinesischen Internet, aber ein gut gemeinter Rat:

Statt R.E.M.-Nachruf: Kein R.E.M.-Nachruf, sondern ein Fahndungsaufruf

Der Flug FRA-PVG ist eine gute Gelegenheit, sich mal wieder alle R.E.M.-Platten auf dem portablen Plattenspieler anzuhören.

So sollte mein versöhnlicher R.E.M.-Nachruf beginnen, den ich schon vorvorgestern hochdroben inmitten von Turbulenzen in meinem Notizblock krakelig vorskizziert hatte. Aber ich bin jetzt doch zu aufgewühlt dafür. Nicht, weil die Band, die zuletzt besser war als zuvorletzt und immer besser als ihr Ruf in der blasierten, gehörlosen Schweinepresse, sich aufgelöst hat, sondern weil mein iPod schanghait wurde! Ich benutze diesen schönen Ausdruck aus meiner Seefahrerzeit nur, weil er örtlich gerade so gut passt, wahrscheinlich walteten aber keine kriminellen Kräfte. Entweder im Flugzeug oder im Flughafentaxi liegen gelassen. Ich ringe keineswegs so sehr mit der Fassung, wie es richtige Materialisten in meiner Lage wohl täten, denn ich erinnere mich noch daran, dass Besitz dich besitzt. Aber ein klitzekleines bisschen ringe ich doch. Der iPod darf nicht in falsche Hände geraten. Keiner soll wissen, dass ich heimlich Spice Girls und Kasabian höre. Und woher die Mitschnitte von Maid Deka und Deka Wanko kommen, kann ich zwar erklären, aber nicht gut.

Sollte Sie jemand auf der Nanjing Road (Abb.) ansprechen auf ein unverbindliches Interesse an „watch-dvd-iphone-massage“, sagen Sie bitte sofort verbindlich: „Aber ja! Her mit dem Zeug! Ich zahle jeden Preis!“ (mein Wertvoller Reisetipp des Tages) Fragen Sie gegen, ob dieser Fachhändler auch einen iPod Classic in geschmackvoller japanischer Gothic-Verkleidung mit schwarz-rotem Rosenmuster und farblich passenden Sony-Kopfhörern im Programm hat, dessen Abspiellisten von „… But Alive“ bis „Irgendwas mit Schriftzeichen“ gehen. Das ist meiner! Unscharfe Fotos finden Sie hier und hier. Ich bin bereit einen geringen, von Herzen kommenden Finderlohn zu zahlen. Oder eine DVD oder Massage.

Was mich mehr bewegt als die Frage nach dem Verbleib des Plasteklumpens: Wenn R.E.M. sich getrennt haben, heißt das dann, dass U2 gewonnen haben?! Das darf doch nicht wahr sein!!!

Chinesisch von 0 auf 100

Ich kann plötzlich Chinesisch! Zumindest den Schanghai-Dialekt! Zumindest, wenn ich ein Auto hätte!

TRÖT-TRÖT-TRÖT-TRÖT-TRÖT (stark gekürzt)

Ob es gut oder schlecht ist, dass man bei dem Getröte den eigenen Wecker nicht hört, weiß ich noch nicht. Hauptsache ist doch, dass man wach ist.

Chinesische Internetzensur 0.1

So wollten die Kader in meinem Schanghaier Hotel allen Ernstes verhindern, dass ich ins Internet komme:

Aber da haben sie ihre Rechnung ohne jemanden gemacht, der einfach das Kabel von der Internet-Bezahl-TV-Box abmacht und an seinen Computer anschließt, ahahaha!

Ich bin Nummer 13191

Beim Pflegen meiner Korrespondenz ist es mir heute wieder eingefallen: Ich habe mich für den Tokyo Marathon im nächsten Februar angemeldet. Nun ist es mir ein Anliegen, dies öffentlich zu machen, um mir weniger Fluchtmöglichkeiten zu lassen.

Ende August lief die Anmeldefrist ab. Ich war lange unentschlossen, ob ich noch ein Jahr warten sollte oder nicht, aber man weiß ja, wie schnell aus einem Jahr zehn werden. Ich wollte nicht riskieren, dass mir die jüngst diagnostizierte Gicht (Abb. unten) noch den ganzen Fuß abbeißt, bevor ich die Chance habe, einmal im Leben bei diesem Unsinn mitzumachen.

Ich beschloss, mir im August die Seele aus dem Leib zu laufen, um so meine Verfassung zu prüfen und auf Grundlage dieser Prüfung meine Anmeldung abzuschicken oder nicht. Dann war es aber total heiß, und ich dachte mir: Ich bin doch nicht blöd! Mutige Entscheidungen kann man auch anders treffen, nämlich indem man auf dem Sofa liegt und so lange Bockbier in sich reinkippt, bis man alles unterschreibt. Das habe ich dann gemacht.

Abends noch zu heiß, abends schon zu dunkel, morgens zu viel Arbeit, Fuß kaputt (wir berichteten). Obwohl ich dank Zipperlein und Launen also noch nicht so intensiv im Training bin, wie man es sechs Monate vor dem Lauf sein sollte, fühle ich mich gut vorbereitet. Ich habe schon ein Buch über Marathonlaufen gekauft und rechne fest damit, dass ich es bald wiederfinde. Ich suche übrigens darüber hinaus auch noch nach Sponsoren (am liebsten Sanrio).

Einen Haken hat die Sache: es melden sich immer neunmal so viele Bekloppte an, wie letztendlich teilnehmen dürfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich wirklich von Regierungsgebäude bis Big Sight zu Fuß laufen muss, ist also zum Glück gering.

Weniger anstrengendes Thema: Ich alter Omega-Blogger habe mal wieder anderswo was Anderes geschrieben. Nämlich Filmbesprechungen:

Colombiana

Garden of Sinners – Film 4: Der leere Tempel

Und Buchbesprechungen:

Jean-Christophe Grangé: Im Wald der stummen Schreie

Timothy Hallinan: Die Poke-Rafferty-Romane

Leif Randt: Schimmernder Dunst über Coby County