An Halloween und um Halloween herum habe ich dieses Jahr mal etwas Ungewöhnliches getan: Ich habe mir Horrorfilme angeschaut. Normalerweise gehört mein Oktober ganz den romantischen Komödien, als Protest gegen diesen hirn- und traditionslosen Halloweenismus in Kulturkreisen, in deren Kultur er gar nicht hineingehört. Aber diesmal war mir einfach nach Horror. Weil mir eigentlich fast immer danach ist.
Allerdings habe ich mir nicht irgendwelche Horrorfilme angesehen (nicht dass daran irgendetwas falsch wäre), sondern Vampirfilme. Das liegt daran, dass ich gerade an einem Vampirroman arbeite. Mit ‚gerade‘ meine ich: Seit knapp drei Jahren immer mal wieder, wenn ich ‚zwischen Büchern‘ bin. Das wiederum heißt: Das letzte Buch just fertig, das nächste Projekt bereits abgeschlagen, aber noch nicht vertraglich eingelocht. Mit ‚arbeiten‘ meine ich: Mit kindlichem Übermut im großen Stil Ideen, Szenen und Skizzen raushauen, die ich später, wenn’s ernst wird, immer noch mühsam miteinander verbinden kann, hoffentlich. Momentan habe ich also sehr viel Exposition und recht wenig konkrete Handlung. Ich weiß selbst, dass das ein Missverhältnis ist; ich mache so was ja nicht erst seit gestern. Lasst mir halt den Spaß.
Ich glaube nicht an die Weichei-Regel vieler hasenhaft ängstlicher Kollegen, dass man sein Konsum- und sein Schreibverhalten strikt trennen müsse. Also beispielsweise keine Kriminalromane lesen, wenn man selbst gerade einen schreibt. So viel Selbstvertrauen muss man schon haben, sage ich, dass man Inspiration und Imitation trennen kann. Hören Punk-Musiker etwa nur Klassik und Schlager, wenn sie eine neue Langspielplatte einspielen? Kann ich mir nicht vorstellen, und umgekehrt erst recht nicht. Insbesondere in der von Euphorie geprägten frühen Schaffensphase, wenn die Ideen noch so sprudeln, dass man gar nicht so schnell tippen kann und ein Meisterwerk unvermeidlich scheint, möchte ich ganz in dem Milieu aufgehen, in dem ich arbeite. Auch wenn ich nicht arbeite. Das sieht in der Endphase, wenn mir mein ganzes lahmes Zeug längst zum Hals raushängt, anders aus. Also schnell ein paar Vampirfilme reingezogen, bevor die Katerstimmung einsetzt.
Stephen King und ich haben etwas gemeinsam: Brennen muss Salem war unser zweiter Stephen-King-Roman. Für ihn nach Carrie, für mich nach Christine. Das ist nun schon einige Jahrzehnte her. Ich weiß nicht, ob Steve sich noch ganz genau an alles erinnern kann, was darin vorkommt. Ich ganz bestimmt nicht. Und meine verschwommene Erinnerung ist wahrscheinlich von Tobe Hoopers TV-Verfilmung aus den 1970ern korrumpiert. Bilder wirken ja immer länger nach als Texte. (Das spricht natürlich nicht gegen Texte. Das Flüchtige ist schließlich meist reizvoller als das Beständige.) Ein bisschen würde mich interessieren, ob man diese nach wie vor verdächtig beliebte Fernsehversion wirklich heute noch gucken kann, ohne sich von vorne bis hinten etwas vorzumachen. Wahrscheinlich nicht. Mit der ähnlich beliebten 80er-Jahre-TV-Verfilmung von Es geht es jedenfalls nicht; das habe ich vor ein paar Jahren sehr zu meinem Leidwesen ausprobiert. (Falls nun ein Klugscheißer kommt, der die IMDB auswendig gelernt hat, weil ihm das Leben sonst nichts bietet, und meint, die Es-TV-Verfilmung sei aus den 90ern: Nein, sie wurde erstmals 1990 ausgestrahlt, also im letzten Jahr der 80er, denn Jahrzehnte werden von 1 bis 10 gezählt, nicht von 0 bis 9. Beim Klugscheißen macht mir nämlich so schnell keiner was vor.)
Mit butterweichen Bildern amerikanischer Kleinstadtidylle und rasanten nächtlichen Monsterattacken sieht der neue ’Salem’s Lot – Brennen muss Salem von 2024 aus wie eine richtige Stephen-King-Verfilmung. Weil aber alle Handlungs- und Figurenentwicklung einer effizienten Laufzeit geopfert wurde, fühlt er sich nicht so an. Dafür fühlt er sich an wie eine Hommage ans klassische Vampirkino (Halleluja, die Kruzifixe funktionieren wieder!). Und das ist ein gutes Gefühl. Das Gefühl wird vergehen, und bis Ende des Jahres werde ich den Film bestimmt vergessen haben. Wie schön, dann kann ich ihn mir im nächsten Jahr gleich noch mal angucken.
Sinners (auf ‚Deutsch‘ natürlich: Blood & Sinners) war das große Ding der Unmöglichkeit dieses Kinojahres: Ein recht kostspieliger Film für Erwachsene, der zu keiner Franchise gehörte und auch ausdrücklich nicht zu einer werden sollte, und der trotzdem kräftig die Kassen klingeln ließ. Noch dazu ein Film, den man früher verschämt als ‚ethnisch‘ bezeichnet hätte (womit man meinte, auf viel mehr als eine ‚ethnische‘ Zielgruppe müsse er sich gar nicht erst Hoffnung machen). Er ist das Gegenteil von ’Salem’s Lot – Brennen muss Salem: Es gibt in der ersten Hälfte so viel Handlungs- und Figurenentwicklung, dass es uneinsichtigen Horrorpuristen etwas langweilig werden könnte. Doch wir Erwachsenen freuen uns und fragen: Brauchen wir die Vampire überhaupt noch? Mich hat die reale, historische Welt von Sinners so fasziniert, dass ich auf die ausgedachten Monster hätte verzichten können. Zumal sie hier mit einer altbackenen Holzhammer-Symbolik aufgeladen werden, die dem Film gleich alle Subtilität ausprügelt. Mehr Blues und Breakdance, weniger Beißen, wäre mein Ratschlag. Als überzeugter woker weißer Gutmann in den besten Jahren gestehe ich allerdings ein: Möglicherweise bin ich nicht die allerglücklichste Wahl, um Regisseur Ryan Coogler irgendwelche Ratschläge zu geben, wie er seine Filme zu gestalten habe.
Gleichwohl habe ich so meine Meinungen, und zu denen gehört eine gewisse Enttäuschung darüber, dass all die fein eingeführten Figuren in der zweiten Filmhälfte nicht viel mehr zu tun haben, als auf recht konventionelle Art und Weise Vampire abzumurksen und auch nicht-vampirische Konflikte kurz vor Schluss noch schnell mit dem Schießeisen zu lösen. Aufrichtig beeindruckt war ich von den fliegenden Wechseln zwischen Familiendrama, Action-Horror, Musical, Revuetheater und Western. (Kurz zur Begriffserklärung: Mit ‚Western‘ meine ich Western. Nicht ‚Seifenoper mit Hüten‘, wie es sich zu meinem Verdruss in den letzten Jahren bei vielen eingeschliffen hat.) Doch irgendwie schaffte es die Begeisterung nicht von meinem Kopf in mein Herz. Tief berührt hat mich Sinners so gut wie nie. Vielleicht ein kleines bisschen bei einem der vier Enden (wirklich – zwei oder drei hätten es auch getan). Eher ein Film für die Criterion Collection als einer zum Angucken.
Apropos: Nosferatu – der Untote (2024). Manchmal hegt man gegen einen Film von Anfang an eine geradezu gespenstische Antipathie. Mitunter wird es im Verlauf des Films besser. Doch meistens fragt man sich bloß: Sind wir bald da? Kommt das Bessere gleich? Oder darf ich aufgeben und lieber etwas anderes machen?
So war das bei mir und dem neuen Nosferatu. Vielleicht lag es an der glatten ‚Guck mal, ich habe einen Film mit meinem iPhone gemacht!‘-Ästhetik. Vielleicht an der Konzentration auf manierierte Oberflächenreize. Vielleicht am völligen Mangel an Figurenzeichnung. Vielleicht hatte ich bloß zu viele Megachips gegessen.
Die männliche Hauptrolle spielt Nicholas Hoult, den ich bislang nur als Renfield in Renfield kannte. Und das ist noch so ein Problem mit Nosferatu. Renfield ist womöglich der beste Vampirfilm der letzten Jahre. Also konnte ich während Nosferatu nicht anders, als die ganze Zeit zu denken: Ich würde jetzt viel lieber zum dritten Mal Renfield sehen als diesen musealen Quark. Nach einer halben Stunde ertrug ich die Stimmen in meinem Kopf nicht länger und machte das einfach.
Ursprünglich wollte ich den Blogeintrag an dieser Stelle abrupt abbrechen. Den Film stumm genießen. Allenfalls an der einen oder anderen Stellen spontan und vergnügt „HAHAHA!“ ausrufen (wie heißt das noch mal, habe ich vergessen). Andererseits wollte ich euch unter 1200 Wörtern nicht davonkommen lassen. Ist schließlich Sonntag, da habt ihr eh nichts anderes zu tun. Also so viel zu Renfield: Ungemein lustiges Drehbuch; flotte, aber nicht zu zappelige Inszenierung; ein augenschmeichelndes Farbeschema; und eine Besetzung, wie wir sie am Ende einer anstrengenden Woche verdient haben. Nicolas Cage wurde geboren, um im fortgeschrittenen Alter einen toxischen Grufti zu spielen (eher im Sinne der ursprünglichen, spontisprachlichen Wortbedeutung als im Sinne eines Anhängers der Gothic-Subkultur). Awkwafina ist das größte komödiantische Schauspieltalent seit Steve Martin. Das misst sich eben am sogenannten Steve-Martin-Effekt: Die Fähigkeit, selbst den unerträglichsten Hollywoodmurks zumindest für die Dauer der eigenen Auftritte erträglich zu machen. Renfield hat das nicht nötig, deshalb kann sie hier ausnahmsweise mal eine der etwas ernsteren Rollen spielen. Das kann sie nämlich genauso gut. Und wenn ich diesen Nicholas Hoult so durch die Gegend fliegen sehe, dann bin ich überzeugt, dass aus dem auch noch etwas wird, wenn er mal groß ist. (Mist, das sollte ein Superman-Witz werden, aber ich bekomme gerade rein, dass Hoult gar nicht der neue Superman ist, sondern der neue Lex Luthor. Wer war denn noch mal Superman?)
Jetzt kommt gleich unsere Karaoke-Show im Fernsehen, da muss ich zum Ende kommen. Apropos Fernsehen: In den später Nuller- und frühen 10er-Jahren war ich ein großer Fan der Serie True Blood. Doch just als ich mit der letzten Staffel beginnen wollte, geschah plötzlich das Leben, und ich musste erst mal andere Dinge priorisieren. Ich beschloss, dass mir True Blood zu wichtig war, um es zwischen Tür, Angel und Wickeltisch zu gucken, also schob ich diese (Spoiler: vermeintlich) letzte Staffel auf unbestimmte Zeit auf. Lediglich die erste Episode sah ich mir ein paarmal an, nur um dann doch immer wieder abzubrechen.
Diese Woche befand ich, dass ich mich nun lange genug ausgeruht habe und bereit bin für den Rest von True Blood. Ich klickte mich direkt zur letzten Staffel, wollte zum Wiederreinkommen ein weiteres Mal deren erste Folge ansehen.
Ich hatte keinerlei Déjà-vu-Erlebnis. Das war mir alles völlig neu. Sollte ich etwa nicht nur eine, sondern zwei Staffeln ausstehen haben? Ich sah in die erste Folge der vorletzten Staffel hinein.
Ich hatte keinerlei Déjà-vu-Erlebnis. Das war mir alles völlig neu.
Es stellte sich heraus: Ich war nicht eine, nicht zwei, sondern sage und schreiben DREI Staffeln hinterher. Ich habe also die nächsten Tage gut zu tun. Und zwischendurch werde ich immer mal wieder mein Notizbuch oder mein Notebook herausholen, um auszuprobieren, wie man es noch besser hinbekommt.
Und das, liebe Kinder, soll meine Schreiblektion für heute sein: Orientiert euch bei euren Kreativvorhaben nicht an dem ganzen minderwertigen Das-krieg-ich-auch-noch-hin-Schlonz da draußen, sondern legt euch mit euren hochverehrten Vorbildern an. Ihr werdet zwar kläglich versagen, doch wahre Kunst kann nur durch Scheitern auf höchstem Niveau entstehen. (Ist wahrscheinlich Quatsch, klingt aber klug.)