Drei Träume (zweimal Mais, einmal Spice)

Wenn hippe junge Dinger wie ich ein gewisses Alter erreichen, ignorieren sie zusehends ungenierter die alteingeführte Anstandsregel, dass es nichts Langweiligeres gibt als die nacherzählten Träume anderer Leute. Akira Kurosawa hat mit Anfang 80 einen Film über seine Träume gemacht, Martin Walser mit Mitte 90 ein Buch über seine geschrieben. Ich behaupte jetzt einfach mal: Ich bin zwar weder der neue Kurosawa noch der neue Walser, aber 52 ist ganz eindeutig das neue Anfang 80 / Mitte 90. Also hier die drei Träume von neulich, die mir am lebhaftesten in Erinnerung geblieben sind.

Mais-Traum No. 1 (kleiner Kolben)

Ich ging eine Straße entlang und hatte plötzlich Appetit auf Babymaiskolben, also zog ich mir eine Tüte aus dem nächsten Automaten. Als ich Babymaiskolben knabbernd weiterging, merkte ich, dass die Tüte wohl schon etwas zu lange im Automaten gewesen war und der Kolben in meinen Mund innerliche Fäule aufwies. Reflexartig spuckte ich ihn auf die Straße.

Ein älterer Herr hatte das interessiert beobachtet. Ich dachte: Ach, jetzt hält er mir gleich einen Vortrag, dass man hier nicht einfach so innerlich angefaulte Babymaiskolben auf die Straße spucken könne, man sei ja nicht in China.

Doch in der Miene des Mannes war mehr Erleichterung als Missvergnügen. Als er den Mund öffnete, tat er das nicht, um mich zu rügen, sondern um sich im großen Stile auf den Bürgersteig zu erbrechen. Er hatte offenbar nur gewartet, dass jemand anderes den Anfang machte.

Nun wollte ich ihn meinerseits maßregeln, dass man mein dezentes Spucken ja wohl kaum mit seiner Riesenschweinerei gleichsetzen könne. Aber da wachte ich auf.

Mais-Traum No. 2 (großer Kolben)

Es handelte sich um einen dieser Meta-Träume, in denen man träumt, dass man nicht einschlafen kann. Ich lag also genau auf dem Futon, auf dem ich wirklich lag und konnte nicht einschlafen (träumte ich). Das lag nicht an dem großen Maiskolben, den ich in der Hand hielt, sondern daran, dass sich etwas anderes Großes recht penetrant rücklings an mich schmiegte. Es war kein Familienmitglied, denn die waren alle außer Haus; der Traum fand während eines meiner notwendig gewordenen Mittagsschlafe statt. Dem Knurren nach zu urteilen war das in meinem Rücken ein riesiger Kampfhund. Ich wollte mich allerdings nicht zur Vergewisserung umdrehen, um ihn nicht zu provozieren. Man soll Hunden ja nie in die Augen gucken, wenn einem das Leben lieb ist, habe ich mal gehört.

Fürs erste knurrte er nur, aber ich fand die Situation trotzdem nicht ideal. Ich wollte, dass er wegging. Also holte ich aus und warf den Maiskolben so weit fort, wie ich nur konnte.

Die Rechnung ging auf: Der Hund (es war tatsächlich einer) erhob sich und lief dem Gemüse hinterher. Ich sollte nicht erfahren, wie nachhaltig diese Lösung war, denn unversehens wachte ich auf. Erleichtert, dass da weder ein Hund noch ein Maiskolben war. Mais mag ich nicht, Hunde finde ich tendenziell in Ordnung. Kommt auf den Hund an.

Traum No. 3: Old Spice

Ich träumte, die Spice Girls gingen mal wieder auf Tournee, doch eine wollte nicht mehr mitmachen. Posh, wahrscheinlich. Ist ja immer Posh. Hält sich für was Besseres. Ist für den Traum allerdings irrelevant. Jedenfalls musste die Stelle neu besetzt werden. Man entschied sich schnell für eine Unterhaltungskünstlerin, die ich noch „von früher“ kannte. Ich freute mich sehr für meine Freundin, aber auch für mich selbst, denn der persönliche Draht würde mir bestimmt Exklusiv-Interviews und ähnlichen geldwerten Schnickschnack einhandeln.

Dann aber gab es irgendwelche kreative Differenzen oder Terminkonflikte, die Freundin flog wieder raus, und die Stelle musste erneut neu besetzt werden. Diesmal entschied man sich für meine bucklige, einäugige, schätzungsweise 90-jährige Nachbarin aus dem Haus gegenüber, deren Katze ich manchmal streichle, damit sie sich das nicht auch noch zumuten muss. Mit der alten Dame ist die Konversation trotz beidseitiger Sympathien oft schwierig. Meistens werfen wir uns nur gegenseitig das Adjektiv „kawaii!“ an den Kopf, wenn ihre Katze und meine Tochter dabei sind, was den beiden unangenehm ist. Keine guten Voraussetzungen für Exklusiv-Interviews.

Ich melde mich wieder, wenn das Drehbuch oder die Aquarelle fertig sind.

Der Zen-Moment zur Weihnachtszeit: Ein Kaffee am Meer

Als ich heute ein Stündchen zur freien Verfügung hatte, setzte ich mich in ein Café, um Bohnenkaffee zu trinken und mich der Lektüre hinzuschenken. Der Kaffee war gut, das Buch war gut, die Musik durchaus angenehm. Das erste Stück, das mir bewusst auffiel, war eine Softjazz-Nummer von einem Album, das ich selbst besaß. Ich hatte es einst in meiner Softjazz-Phase gekauft. Die ist zwar vorbei, und ich kann mir nicht mehr recht zusammenreimen, wie sie überhaupt passieren konnte (vermutlich irgendwas mit Mädchen), aber heute freute ich mich über das Wiederhören. Ich musste allerdings feststellen, dass es sich nicht ganz um die Version handelte, die ich von zu Hause kannte. Die, die im Café lief, war ganzheitlich mit sanftem Meeresrauschen unterlegt. Das war zwar etwas nah am Kitsch, passte aber vielleicht gerade deswegen ganz gut.

Ich schmunzelte ein wenig, als ich merkte, dass auch die Lieder, die danach kamen, und die ich mehrheitlich nicht kannte, mit diesem Meeresrauschen akustisch aufgehübscht waren. Wahrscheinlich, so dachte ich, handelte es sich um eine spezielle Meeresrauschenkompilation. Man hätte schon von seltsameren Dingen gehört. Möglicherweise wurde so etwas extra für die Einlullungsgastronomie zur Verfügung gestellt, und warum auch nicht.

Erst als ich nach abgelaufener Freizeit aufstand und mich zum Gehen wandte, bemerkte ich meinen Wahrnehmungsfehler. Das Meeresrauschen war keinesfalls eine bewusste, nur unter Studiobedingungen von ihr zu trennende Beigabe zur Musik. Ich saß lediglich in der Nähe der Toiletten. Was ich hörte, war das künstliche Wasserrauschen, mit dem häufig in öffentlichen japanischen Bedürfniskabinen belastende Töne übertüncht werden. Meistens muss man diese Geräuschkulisse selbst hinzuschalten. Manchmal allerdings, wie in dem Café, das ich gewählt hatte, läuft sie dauerhaft, und der Nutzer hat allenfalls eine Opt-Out-Option.

Billy Idolish singt japanisch und Papa wird Illustrator: Gesprächsfetzen ohne Zusammenhang

Ich unterhalte mich gerne mit meiner Frau beim Fernsehen, sie hat oft interessante Schnurren zu teilen. Einmal, es ist schon her, sahen wir einen vielfach preisgekrönten Film eines vielfach preisgekrönten Regisseurs. Als eine vielfach preisgekrönte Schauspielerin auftrat, rief meine Frau hocherfreut: „Die kenne ich, die hat mal Pornofilme gemacht. Meine Mutter ist gut mit ihr befreundet. Ich habe früher oft mit der Tochter gespielt, wenn sie auf der Arbeit war.“ Da hatte ich gleich wieder ein gutes Thema für den nächsten Besuch bei Schwiegereltern.

Nicht ganz so spektakulär die Enthüllung von neulich. Wir saßen im Homeoffice und schauten Frühstücksfernsehen, als dort Aki Yashiro auftrat, ein Urgestein der Enka-Szene, also der japanischen Schlagervolksmusik. Sie ist 70, sieht aber aus wie gestraffte 50 (Abb. unten nicht aktuell).

Meine Frau sagte: „Nach der wurde die Katze benannt, die ich als Kind hatte. Aki.“

„Du warst Fan von der?“

Leicht pikiert: „Mein Vater. Aber irgendwie ist sie schon bewundernswert. Sie ist gerade Youtuberin geworden, weil sie angesichts der Weltnachrichtenlage die Bühne so vermisst. Und neulich hat sie was von Billy Idol im Dialekt ihrer Heimat Kumamoto eingesungen.“

„Wirklich? Welches Lied denn?“

„Hm… mit Billy Idol kenne ich mich nicht so aus. Bad Man? Gibt es das?“

„Das klingt nach einer guten Beschreibung von Billy Idols Marketingstrategie, aber als Titel sagt es mir nichts. Vielleicht einer von den neueren.“

„Meine ich Billy Idol? Meine ich Bad Man?“

„Billy Idol ist so ein alter Pop-Punker, mit dem Hana eine gewisse Ähnlichkeit hatte, als sie noch ein Baby war. In erster Linie wegen der charakteristischen Schnute. Ist zum Glück rausgewachsen. Bei Hana.“

Da fiel es meiner Frau wieder ein: „Billie Eilish! Bad Guy!“

„Die kenne ich wiederum nur peripher. Irgendwann klinkt man sich halt doch aus, egal was man sich im Sturm und Drang hoch und heilig geschworen hat. Ist das nicht so ein murmelndes dünnes Mädchen?“

„Aki Yashiro kennt die. Und die ist 70.“

Falls ich mir was wünschen darf: Als nächstes bitte Rebel Yell.

Apropos Musik: Mit meiner sechsjährigen Tochter unterhalte ich mich ebenfalls sehr gerne, besonders auf dem Weg zum Kindergarten. Manchmal singen wir auch nur aus voller Brust, am liebsten ihr Lieblingslied, das Titelthema der Zeichentrickserie Kimetsu no yaiba. Das heißt, sie singt und ich ahme die Instrumente nach. Die Serie ist so eine Art Fantasy-Version von Tanz der Teufel, nur brutaler. Unter meinem Dach wird Hana sie frühestens mit 25 sehen dürfen, unter elterlicher Aufsicht. Das Lied kennt sie allerdings jetzt schon auswendig.

Morgens kann man das mal so machen, abends bevorzugen wir die Akustikversion.

Doch eines Morgens hatte Hana ein anderes Thema, das ihr keine Ruhe ließ: „Papa, als fun activity machen wir jetzt I Spy worksheets. Da gibt es auch I Spy Dad. Aber dein Beruf ist gar nicht dabei.“

„Mein Beruf ist nicht dabei? Wirklich nicht?“

„Nein! Kein Illustrator!“

„Nun … ich bin ja auch kein Illustrator. Ich schreib die Worte, die in den Büchern stehen.“

„Aber in Kawaii Mania sind viele Bilder.“

„Gut, die meisten davon habe ich selbst geknipst, aber …“

„Siehst du! Du bist Illustrator!“

„Äh …“

„Eine Arbeit von früher von dir ist allerdings doch bei I Spy Dad dabei: Mich auf dem Arm tragen.“

„Naja, das war doch keine Arbeit. Das habe ich gerne gemacht. Gut, manchmal war es schon Arbeit. Aber gute Arbeit.“

In tadelndem Ton: „Papa, schreiben ist auch gute Arbeit!“

Es muss manchmal gesagt werden. Wo wir gerade beim Thema sind: Zum Abschluss vier Titel, wie das Buch, das ich derzeit mit Buchstaben und Satzzeichen illustriere, NICHT heißen wird, obwohl mir diese fixen Ideen auch gut gefielen:

  • Gänsehaut-Garantie im Wohlfühlbereich
  • Wenn Influencer suboptimal abholen
  • Ich glaub, mein Storyteller kuratiert
  • Shitstorm in der Komfortzone

Wie es stattdessen heißt, verrate ich, sobald der Verlag es verrät.

Was denn das denn?

Manche Leute sagen „Was denn?“ statt „Wie bitte?“, eine schreckliche Angewohnheit. Ich darf das so sagen, weil ich selbst einer von denen bin. Ich weiß ganz genau, wie das kam. Als Teenager war ich mal für ungefähr fünf Minuten, die mir zunächst wie eine Ewigkeit vorkamen, einseitig verknallt in eine Teenagerin, die gewohnheitsmäßig „Was denn?“ sagte. Da habe ich es mir auch angewöhnt. Die Liebe ist verpufft, die Marotte ist geblieben. Woher das Mädchen sie hatte, weiß ich nicht. Einmal traf ich es wieder, da war es schon eine sie geworden, also aus dem Mädchen eine Frau. Sie forderte von mir Klärung einer längst verjährten Unklarheit, an die ich mich nicht im Geringsten erinnern konnte. Ich sagte nur: „Was denn?“, und ging schnell weiter.

(Klingt diese Pointe etwa so ausgedacht, wie sie ist? In Wirklichkeit ging ich so schnell nirgendwo hin, wand mich nur ganz schrecklich und winselte: „Ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst!“ Glaubte sie mir natürlich nicht, stimmte aber. Ich bleibe bei meiner Aussage.)

Man muss ja heutzutage aufpassen, was man sagt. Besonders, wenn man mit zwei Deutschlernenden zusammenlebt. Meine Frau ist ebenfalls Was-denn-Sagerin geworden. Die Gründe liegen ähnlich wie bei mir: Es war die Liebe. Unsere Tochter wird dem „Was denn?“ wahrscheinlich mittelfristig auch nicht entkommen, aber erst mal müssen wir ihr das „Hä?“ austreiben. Ich erinnere mich noch daran, ist schließlich nicht allzu lange her, als sie gerade anfing, schwammartig die ersten Worte aufzusaugen. Da ging es mit dem Aufpassenmüssen los. Man konnte ihr hundertmal „Schmetterling“ vorsagen und alles, was zurückkam, waren große Augen. Rutschte einem hingegen nur einmal im Affekt ein „Scheiße“ raus, tanzte sie sofort freudig übers Kunstparkett: „Scheiße, Scheiße, Scheiße! Papa Scheiße!“ Man hoffte, dass das aufhörte, bis die Frau von der Arbeit nach Hause kam.

Jetzt schreibt das Kind auch noch. Am liebsten schreibt es ab. Also muss ich sogar vorsichtig sein, was ich so in seiner Gegenwart schreibe und lese. Heute Morgen schrieb es langsam und genüsslich in großen Buchstaben: F … U … C …

Es wurde dann zum Glück doch wieder nur ‚Fuchs‘. Bei dem Scheiße-Zwischenfall seinerzeit hatte ich mich am meisten über mich selbst erschrocken. Eigentlich bin ich kein Freund derben Jargons außerhalb von Rapmusik. Sozialmedial kursierte vor einiger Zeit eine Studie, nach der Menschen, die lange schlafen und viel fluchen, klüger und schöner seien als alle anderen. Vielleicht waren es auch zwei Studien, eine zum Schlafen, eine zum Fluchen. Die Ergebnisse jedenfalls waren verheerend für frühe Freunde des gepflegten Ausdrucks. Ich dachte: Verflixt und zugenäht, ich bleibe trotzdem doof und hässlich.

Marotten lassen sich nur schwer ablegen. Fehler hingegen kann man korrigieren, so man sie erkennt. Selbst solche, die sich in Jahrzehnten eingeschliffen haben. Bis in meine Dreißiger hinein gehörte ich zu den ungefähr 90 Prozent der Deutschen, denen nicht bewusst ist, dass es einen Unterschied zwischen ‚scheinbar‘ und ‚anscheinend‘ gibt. Besonders peinlich, weil ich mich stets ein wenig als Sprach-Snob gerierte. Gottlob war mein letzter Langzeitvorgesetzter ein noch größerer Sprach-Snob, so wie es Vorgesetzte eben sein sollten. Weil er ein guter Chef war, stieß er mich nicht plump mit der Nase auf meinen Fehler, sondern lenkte mich vornehm zu Reflexion und Einsicht. Es bedurfte nur einiger Dialoge wie diesen:

Ich: „Heute wird scheinbar schönes Wetter.“

Chef: „Heute wird also kein schönes Wetter?“

Ich: „Hä?“

Und irgendwann wurde aus dem „Hä?“ ein „Ach so!“, so wie aus kleinen hungrigen Raupen wunderschöne Schmetterlinge und aus Mädchen Frauen und aus wahllosen Gedanken irgendwelche Blogeinträge werden.

(Ich entschuldige mich in aller Form bei Kylie Minogue und den Beach Boys, dass ich sie aus Gründen der thematischen Stringenz aus diesem Text herauskürzen musste. Es tut mir leid. Sollten mich allerdings Kylie Minogue oder die Beach Boys Jahrzehnte später beim Klassentreffen vorwurfsvoll fragen, was ich denn damals über sie geschrieben aber nicht veröffentlicht hätte, könnte es sein, dass ich mich gar nicht mehr an den Vorgang erinnere.)

J-Stulle oder Galapagos-Burger?

In unserer Nachbarschaft hat ein neuer Sandwich-Laden aufgemacht, Wawich. Das lässt sich frei mit J-Stulle übersetzen. Als ich zum ersten Mal auf Höhe des Ladens unverbindlich interessiert das Tempo drosselte, wurde ich sogleich von einem herbeieilenden Wawich-Mitarbeiter überinformiert. Beim Wawich handele es sich um „einen Sandwich japanischer Art, man muss ihn mit Messer und Gabel essen.“ In dieser Aussage steckt natürlich schon ein herrlicher Widerspruch, den ich an dieser Stelle nicht breittreten möchte (gleichwohl möchte ich darauf hinweisen, dass er mir nicht entgangen ist). Es sei etwas drauf und drin im Brotteig, wurde weiter erläutert. Dann folgte eine Erklärung der gesamten Speisekarte. Abgeschreckt von so viel Konversation auf leeren Magen vertröstete ich auf ein anderes Mal.

(Leider rannte mir gerade einer vor die Linse meines Telefons, als ich den Auslöser drückte. Ich wollte vor dem Laden nicht für einen zweiten Schuss noch länger rumhantieren, weil die Belegschaft stets sehnsüchtig aus dem Fenster schaut. Ich mochte in ihnen nicht die Hoffnung wecken, dass jemand, der so sorgfältig Schnappschüsse komponiert, sie bald über einen einflussreichen Gastro-Influencer-Blog verbreitet.)

In meinem japanischen Weltsandwichbuch wird der Wawich mit keinem Wort erwähnt.

Überhaupt bekommt Japan selbst darin nur eine einzige Doppelseite spendiert, weniger als Pakistan (reiner Zufallsvergleich, nichts gegen Pakistan). Immerhin sind mit Schnitzel-, Nudel- und Erdbeersandwich die Essentials berücksichtigt.

In den folgenden Tagen und Wochen hörte ich immer wieder Menschen über Wawich reden. Dass es dort immer leer sei. Dass das Essen nicht sonderlich instagramable sei. Dass man schon Interesse hätte, nur das Gequatsche auf der Straße einen abschrecke.

Gestern wollte ich nicht länger schreckhaft sein, betrat den Laden (freudig wurde mir die Tür aufgerissen, als ich erst die ungefähre Richtung eingeschlagen hatte) und bestellte nach langen, unnötigen Erklärungen einen Hühnchen-Curry-Wawich.

Auf dem Bild sieht man, dass ich außerdem einen Orangensaft bestellt hatte. Das war eine Panikbestellung, weil die ansonsten sehr nette Bedienung nicht von meiner Seite weichen mochte, während ich die Getränkekarte studierte. Plötzlich verschwammen all die Schriftzeichen und Worte, die ich längst im Schlaf kenne (ich habe linguistisch keinen Grund zum Prahlen, aber Getränkenamen sind nicht so schwierig), vor meinen Augen zu einem nicht zu entschlüsselnden Codebrei. ‚Orangensaft‘ war das einzige Wort, das ich gerade noch hatte lesen können, bevor dieser Zustand eintrat.

Eigentlich trinke zum warmen Essen keinen Orangensaft, wegen Prince. Nach seinem Tod las ich einen Artikel, der die legendäre Exzentrizität der Musiklegende in den Vordergrund seiner Betrachtungen stellte. Unter anderem war dort zu lesen, dass Prince gerne Orangensaft zu Pasta trank. Ich esse selbst gelegentlich Pasta und trinke recht häufig Orangensaft, Überkreuzungen nicht ausgeschlossen. Mir war das nie als exzentrisch aufgefallen. Als ich jedoch nach Lektüre des Artikels darüber nachdachte, merkte ich: Stimmt, das passt eigentlich gar nicht, pairingmäßig. Ich verkniff mir fortan Orangensaft zu allen warmen Mahlzeiten, weil es ja sein könnte, dass das generell exzentrisch ist. Dabei habe ich generell gar nichts gegen Exzentrizität. Im Gegenteil. Die höchste Wonne wäre es, selbst nachweislich als exzentrisch zu gelten: „Der als exzentrisch geltende Schriftsteller und Hausmann wurde dabei beobachtet, wie er Melonenlimonade in seine Zerealien gab.“ Aber mich mit Prince messen? Das wäre anmaßend.

Außer mir war im freundlich bunten Restaurant noch eine mittelgroße Mutter-und-Kind-Gruppe, was mir einen wehmütigen Stich versetzte. Seit mein eigenes Kind ganztags in die Vorschule geht, ich es also nicht mehr jeden Nachmittag händeringend unterhalten muss, bin ich aus der örtlichen Mutter-Kind-Szene völlig raus. Ich weiß gar nicht mehr, wo man heute so hingeht, als junge Mutter. Unter anderem zu Wawich, augenscheinlich. Aber von diesen jungen Müttern kenne ich gar keine mehr. Das ist eine ganz neue Generation. Die Zeit, sie schreitet einfach so voran.

Das Curry war gut, das Brot halt japanisch, und wie versprochen war im Brot noch was drin, jede Menge Gemüse. Ich habe auf ein Foto verzichtet, weil der Wawich geöffnet ein bisschen aussieht wie jemand, der mit vollem Mund spricht, nicht sonderlich instagramable. Auf meinen Appetit hatte der unappetitliche Look derweil keinerlei Auswirkungen. Im Geiste sang ich: „You don’t have to be beautiful / to turn me on“, und genoss bis zum viel zu frühen Ende.

Ob sich diese Brotbombe jemals durchsetzt, vor allem international, wage ich trotzdem zu bezweifeln. Vielleicht wäre Galapagos-Burger ein treffenderer Begriff als J-Stulle. Das Galapagos-Syndrom, falls es jemand nicht weiß, bezeichnet die japanische Marotte, Dinge zu entwickeln, die nur in Japan funktionieren. Genauso wie die Tiere und Pflanzen von Galapagos eben nur dort leben können. Meistens sind elektronische Geräte gemeint, mir fallen gleichwohl auch kulturelle und kulinarische Eigenarten ein. Etwa die überlangen und unterkomplexen Manga-Realverfilmungen mit Spezialeffekten aus der Atari-Pionierzeit, die in Japan regelmäßig die obersten Plätze der Kinocharts verstopfen, und die man im Ausland nicht mal von Netflix geschenkt haben möchte. (Ich weiß, dass Netflix ein Bezahldienst ist, der eh nichts zu verschenken hat. Bei einer kleinen polemischen Frotzelei allerdings muss nicht immer alles, was man so sagt, Hand und Fuß haben.) Traditionelle japanische Gerichte wie Sushi, Ramen oder Spaghetti mit Ketchup stoßen international auf große Akzeptanz. Verschimmelte Stinkebohnen und püriertes Seepferdchen eher nicht.

Mir ist ohnehin nicht bekannt, ob Wawich überhaupt international expandieren möchte. Vielleicht langen Meguros Mütter erst mal.

Der Nostalgist und ich

Kürzlich saß ich mit einem Bekannten aus der Unterhaltungsindustrie zusammen, wir sprachen von Musik. Dass dieser Bekannte ein Unterhaltungsindustrieprofessioneller ist, ist für die Geschichte völlig irrelevant; ich wollte nur damit angeben, dass ich Bekannte in der ‚Unterhaltungsindustrie‘ habe. Wir sprachen nicht nur davon, welche Musik wir gerne hörten, sondern auch darüber, wie wir sie gerne hörten. Da wir noch nicht lange miteinander bekannt waren, klassifizierte ich das Gespräch als Smalltalk. Bei Smalltalk muss man nicht die Wahrheit sagen. Man sollte seinen Gesprächspartner vor allem nicht mit allzu komplizierten und kontroversen Wahrheiten konfrontieren. Deshalb sagte ich das, was man in solchen Angelegenheiten halt so sagt, nämlich dass mir die Vinylschallplatte die liebste sei. Dabei machte mich die unreflektierte Vinylkonsensnostalgie in Wirklichkeit augenrollen. In meinem Buch Happy Tokio plädiere ich sogar für eine unreflektierte CD-Nostalgie (Seite 58f.), einfach so, aus reiner Freude an der Provokation, weil man es ja wohl noch mal sagen dürfen wird.

Wahrheitsgemäß erzählte ich meinem Bekannten, dass ich alle meine Vinylschallplatten samt Abspielgerät weggeben hatte, als ich in den Osten rübermachte. Außerdem erzählte ich, dass ich nun, da in meinen Leben wieder der liebe Trott eingekehrt war, mit dem Gedanken spielte, wieder eine Schallplattensammlung zu beginnen. Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Dieser Gedanke war mir tatsächlich ab und an gekommen, allerdings nicht in allerjüngster Vergangenheit, sondern eher in mitteljunger Vergangenheit, als der Kopf und das Leben doch noch etwas durcheinander waren und man jeden Tag mindestens eine brillante Idee hatte, was man alles unbedingt in seine Lebenshaltung integrieren müsste, um der Mann von Welt zu werden, den die Welt verdient hat. Rasierpinsel, maßgeschneiderte Schuhe, Schallplattenspieler; solche Sachen denkt man dann.

Zwischenzeitlich jedoch war mit dem Trott auch die Vernunft eingekehrt. Sie sagte: „Mit dem stilvollen Rasieren warten wir lieber, bis wir uns ein stilvolles Rasierzimmer einrichten können. Mit dem Rasierzimmer und den Schuhen warten wir lieber, bis wir noch ein paar Bücher verkauft haben. Was die Musik betrifft: Du hörst eh kaum noch welche. Du brauchst keine zusätzliche Darreichungsform für die Musik, die du nicht hörst.“

Das war das, und ich träumte nie wieder Schallplattenträume.

Bis zu jenem Tag, als ich das Gespräch mit meinem Bekannten aus der Unterhaltungsindustrie hatte. Als ich ihm die Lüge von meinen Vinylplänen auftischte, war sie schon fast Wahrheit geworden. Ich ertappte mich danach ein ums andere Mal dabei, Schallplattenspielermodelle zu vergleichen, sie in virtuelle Einkaufskörbe zu legen, sie panisch wieder zu löschen.

Als der CD-Player, mit dem wir die Hintergrundmusik für Familienessen einspielen, nach zu vielen Kleinkindkontakten endgültig den Dienst verweigerte, ließ ich alle Vernunft fahren und erklärte: „Na gut, dann diesmal was mit Plattenspieler.“

Ich stellte nur zwei Bedingungen: Das Gerät sollte billig sein und lächerlich aussehen. Also entschied ich mich für das Modell The Nostalgist der Firma Qriom. Die Anschaffungskosten hatte man mit einer einzigen Kolumne für ein mäßig zahlendes Online-Magazin fast komplett wieder drin. Das Retro-Design erinnerte an so gut wie gar nichts, was es früher wirklich mal gegeben hätte. Die Modellbezeichnung bescherte mir sogleich eine vage Idee für eine neue fiktive Figur. Ich weiß nur noch nicht, ob der Nostalgist ein Superheld oder ein Serienmörder wird. Sollte ich es als Konzept fürs moderne Krawallfernsehen amerikanischer Machart ausarbeiten, spricht natürlich nichts dagegen, beides zu kombinieren.

Der Nostalgist überraschte mich. Die Teile, die auf Fotos nach Holz und Metall aussehen, sind tatsächlich aus Holz und Metall. Der Klang ist warm, außerdem differenzierter als der des deutlich teureren Nur-CD-Players von einer namhaften Marke, den wir bis vor kurzem beschäftigt hatten. Selbstverständlich kann man keinerlei Höhen oder Bässe einstellen, oder wie dieser ganze Spezialisten-Schnickschnack heißt. Natürlich stört mich ein bisschen, dass modischer Unfug wie ein Speicherkartenleser an Bord ist. Außerdem stört mich, dass kein Bluetooth dabei ist. Wir Menschen verwickeln uns halt mitunter in Widersprüche. Nicht stört mich, dass der CD-Player nach jedem Lied knackt und das Radio nur manchmal funktioniert. Ich möchte ja nun in erster Linie Schallplatten hören.

Auf der Suche nach meiner ersten neuen Schallplatte lernte ich: Der HMV Record Shop in Shibuya hat zwar die freundlicheren Mitarbeiter, aber die Recofan-Filiale eine Ecke weiter ist besser bestückt und atmosphärisch befriedigender. Außerdem hat sie viel authentischere Plattenladenmitarbeiter. Als ich nach meinem Einkauf auf der Suche nach dem Ausgang einmal durch das ganze große Geschäft im Kreis gelaufen war und wieder an der Kasse ankam, fragte ich eine Mitarbeiterin nach dem Weg. Sie schaute vom Plattensortieren keineswegs auf, sondern zeigte nur wortlos mit der Hand in die ungefähre Richtung, was mir nur ungefähr weiterhalf. Da wurde mir ganz warm ums Herz: Die guten Menschen hier wollen gar nicht, dass ich sie jemals verlasse.

Wenn ich mal Musik höre, dann in erster Linie welche von alten weißen Männern, die sich zur Gitarre einen Kopf machen. Bei Schallplatten kommt es aber auf Klang an, meine ich gehört zu haben, deshalb wollte ich auf meiner ersten neuen Schallplatte Musik haben, die sich auch nach Musik anhört. Etwas, wozu ich meinen kleinen Popo schütteln kann, wenn keiner guckt. Oder einen täuschend echten Roboter tanzen. Oder den Mann hinter der imaginären Glasscheibe.

Also entschied ich mich für den Soundtrack des Films Wild Style. Als in den 1980ern der Hip-Hop in kleinen Dosen nach Deutschland kam (echter Hip-Hop, nicht Deutschrap), war ich zugeneigt. Allerdings wusste ich zunächst nicht, ob meine Zuneigung ironisch oder aufrichtig war. Sie ist eine verwirrende Zeit, die Pubertät. Als ich mich Anfang der Neunziger von ganzem Herzen bekennen konnte, ahnte ich nicht, dass Hip-Hop als innovative, elektrisierende, ausdrucks- wie inhaltsstarke Kunstform nicht mehr lange zu leben hatte, bevor sie von maulfaulen, ideenlosen Kifferluschen mit komischen Namen vereinnahmt wurde. Wie sollte ich Reime und Rhythmen von jemandem für voll nehmen, der sich, zum Beispiel, Puppylove Waldi Doggystyle rief? Ich war es gewohnt, zu Füßen von Großmeistern zu sitzen, nicht bei den Pfoten von Haustieren.

Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Ich habe jetzt jedenfalls wieder eine Schallplatte. Sie gefällt mir gut, und manchmal höre ich sie auch. Vielleicht kaufe ich mir noch eine.

Ich öffne im Traum David Bowies Nassrasiererverpackung und esse in echt Salat mit jemand anderem

Ich habe letzte Nacht nichts versäumt, denn ich habe nur von David Bowie geträumt. Wir fuhren auf einem Kreuzfahrtschiff und kamen ins Gespräch, als wir im Rasiererladen an Bord dasselbe Modell von Nassrasierer kauften. Wir hatten beiden Schwierigkeiten, die unglücklich gestaltete Designerverpackung zu öffnen. Ich bekam den Trick schließlich heraus, wir rasierten uns gemeinsam im öffentlichen Puderzimmer des Schiffes.

Wohin die Reise ging? Wer weiß das schon, im Leben wie im Traum.

Den Bowieisten der Welt hingegen brennt eine ganz andere Frage unter den Nägeln: „Welcher Bowie war es denn?! Er war ja ein Mann der tausend Masken, ein Chamäleon gar!“

Sage ich: „Quatsch mit Soße, Chamäleon! Er war eher das Anti-Chamäleon! Das Schuppenkriechtier aus der Familie der Leguanartigen ist bekannt dafür, dass es die Farbe seiner Umwelt annimmt. Bei David Bowie hingegen war es umgekehrt: Die Welt nahm stets die Farbe an, die er trug.“

Aber um die Frage zu beantworten: Es war circa der Bowie von hours, seinem besten Album.

Der Bowie um die Jahrtausendwende ist mir der Liebste. Da hatte er den Firlefanz der frühen Jahre ebenso fahren lassen wie die Gefallsucht des 80er-Jahre-Comebacks und sich verhältnismäßig ungeschminkt stärker auf die Musik als auf die Inszenierung konzentriert. Nun rufen die medienwissenschaftlich studierten Inszenierungsexperten: „Reingefallen! Das war doch auch nur eine Inszenierung!“ Sollen sie rufen, sie haben ja sonst nichts.

Ich möchte wohlgemerkt kein Bowie-Phasen-Bashing betreiben. Alle Bowie-Phasen beinhalteten großartige Einzelleistungen, sogar die allseits überschätzte Berlin-Phase. Okay, da hat sich jetzt doch ein kleines Bowie-Phasen-Bashing eingeschlichen.

Das Album hours wurde seinerzeit von den wohlwollenderen Kritikern als gediegenes Alterswerk eingeordnet. Das Dilemma mit Bowie und meiner Generation war stets, dass wir ihn von Anfang an für „alt“ hielten (ohne es notwendigerweise böse zu meinen) und eines Tages ganz plötzlich für „viel zu jung von uns gegangen“. Er konnte es uns einfach nicht recht machen, dieser David Bowie. Im Leben nicht, und im Tode nicht.

Der Traum mit David Bowie erinnert mich an einen weitaus früheren Traum, den ich einmal träumte. Darin gründete ich mit Don DeLillo und Harvey Keitel eine Zeitschrift für Videospiele und postmoderne Literatur. Warum Harvey Keitel? Ist er ein Experte für NextGen-Konsolen? Ach, es waren die 90er, da spielte Harvey Keitel einfach überall mit.

Um einem falschen Eindruck entgegenzuwirken: Ich träume relativ selten von Prominenten. Ebenso selten begegne ich welchen. Manchmal aber schon. Einmal zum Beispiel teilte ich mir einen Fahrstuhl mit der berühmten Wettesserin Gal Sone.

Es war im Gebäude des Kindergartens meiner Tochter. Womöglich wollte sie ihr Kind dort ebenfalls einschreiben. Entweder hat sie es sich anders überlegt, oder sie überlässt das Holen und Bringen ihrem Personal, jedenfalls blieb es bei dieser einen Begegnung. Sie hat sich damals im Fahrstuhl weder danebenbenommen, noch war sie außerordentlich kommunikativ, falls es jemanden interessiert.

Manchmal treffe ich Prominente und merke es nicht, beziehungsweise man sagt es mir erst hinterher. Kürzlich war ich essen mit einer japanischen Schriftstellerin. Ihr Manager hatte uns zusammengebracht, zwecks einer eventuellen Zusammenarbeit.

Obwohl ich der japanischen Schriftstellerei zugeneigt bin, hatte ich von der betreffenden Dame noch nie gehört. Während des Gesprächs wurde allerdings deutlich, dass sie schon einiges geleistet hatte. Abends sagte ich dann zu meiner Frau: „Ich glaube, die ist semi-berühmt.“

Als ich ihr den Namen nannte, staunte sie nicht schlecht und rief: „Die ist sogar sehr berühmt!“

Ich wiegelte ab: „Wenn du und ich jemanden kennen, heißt das nicht, dass der berühmt ist. Berühmt ist jemand, den, zum Beispiel, unsere Eltern kennen.“

„Meine Mutter kennt die, jede Wette!“

Ein kurzer Kontrollanruf bestätigte: Mutter Katayama kannte sie und ist nun einigermaßen erleichtert, dass ihr Schwiegersohn es vielleicht doch noch zu was bringt.

Mit dem Wissen, dass meine Lunch-Verabredung recht prominent ist, bekommt die Begegnung natürlich gleich eine ganz andere Qualität. Wissen Sie was? Sie hat Salat bestellt! Und wissen Sie was noch? Sie hat ihn zurückgehen lassen, wegen Nüssen!

Und merken Sie, was nun in Ihrem Kopf passiert? Dort kombinieren Sie ‚prominent‘ und ‚Salat zurückgehen lassen‘ zu: „So eine elitäre, privilegierte Mega-Bitch!“ Es war aber gar nicht so. Sie hat den Salat sehr nett zurückgehen lassen und überhaupt sehr viel und vertraut mit der Bedienung geschnattert, man kannte und schätzte sich wohl. Eine Allergie ist ja auch nicht immer bloß eine Allüre.

Und merken Sie, was außerdem passiert ist? Jetzt habe ich ganz beiläufig einfließen lassen, dass ich eventuell (die Wahrscheinlichkeit verdichtet sich) mit einer berühmten Schriftstellerin zusammenarbeiten werde. Da habe ich maßlos übertrieben. Meinerseits wird es eher ein weitgehend anonymes Zuarbeiten sein. Nichtsdestotrotz freue ich mich sehr. Leider muss ich wegen Knebelverträgen vorerst Stillschweigen bewahren. Das tue ich hiermit.

Mein Orientierungsjahr 2016: Abschließender Geschäftsbericht

Das Jahr 2016 scheint vor allem dafür bekannt, dass in seinem Verlauf, zumindest nach Augenmaß, überdurchschnittlich viele Personen des öffentlichen Lebens gestorben sind, die einem etwas bedeuten, so man in eine gewisse Altersspanne fällt. Abseits dieser Altersspanne wurde dieser Umstand mit weniger Wut, Trauer und Betroffenheit aufgenommen. In der Zeit (glaube ich) oder einer ihrer Ablegerpublikationen (könnte sein) erschien seinerzeit ein vieldiskutierter (meistens zurecht verlachter) Artikel eines Nachwuchsjournalisten, dessen Grundtenor war: Meine Freunde und ich kennen diesen Prince gar nicht, er kann also kaum so wichtig gewesen sein wie Justin Bieber oder Maximo Park. Jenseits des anderen Endes der Altersspanne wird, beispielsweise, „dieser Prince“ auch für, beispielsweise, meine Eltern kaum mehr gewesen sein als eine vage Erinnerung aus meinem Kinderzimmer. Vielleicht verwechselten sie ihn sogar mit „diesem Adam Ant“.

Offenen Auges müsste man zugeben, dass es 2016 durchaus wichtigere Nachrichten gab als tote Prominente, so sehr der eine oder andere Verlust tatsächlich schmerzte. Hat man allerdings gerade im fortgeschrittenen Alter einen Überseeumzug gestemmt, hat man zunächst gänzlich andere Prioritäten als die Sondierung der internationalen Nachrichtenlage. Da geht es um die Grundbedürfnisse des Menschen, die essenziellen Fragen, wie zum Beispiel: Werde ich ein Nudelrestaurant in meiner Nähe finden, in dem ich von nun an fast jeden Tag essen werde, und zwar fast jeden Tag dasselbe?

Ich habe meines gefunden, es sieht so aus:

Dort esse ich fast jeden Tag Mazesoba. Hier im Urzustand:

Dann so: maze, maze, maze.

Und dann essen, und dann war es wie immer gut.

Die Nudeln müssen mit Geld bezahlt werden. Nur ist das mit dem Geld so eine Sache, und zwar eine ungerechte. Mein Plan war es, das Nudelgeld mit dem Schreiben von Büchern und Zeitungs- beziehungsweise Zeitschriftenartikeln zu verdienen. Grob gerechnet bekommt man für drei oder vier Artikel in einigermaßen großen Publikationen (ein paar Tage Arbeit) so viel Geld wie für ein Buch in einem relativ kleinen Verlag (ein paar Monate Arbeit). Leider macht aber das Schreiben von Büchern mehr Spaß als das Schreiben von Artikeln (fürs Schreiben im eigenen Blog bekommt man übrigens gar kein Geld, so man keine unseriösen Reklameanzeigen nebenan haben mag). Zum Glück bin ich modern genug, mich eine Weile von meiner Frau aushalten zu lassen. Drum entschloss ich mich, in diesem Jahr rein nach Spaßprinzip zu schreiben. Also erstens Bücher, zweitens einfach so drauf los. Normalerweise misstraue ich Buchideen, bei denen sich nicht zumindest Anfang und Ende innerhalb von fünf Minuten von selbst offenbaren. Aber diesmal wollte ich so schreiben wie früher, als die Welt noch jung und die Zukunft ungeschrieben war und jeder Morgen nach frisch gemähtem Rasen und Aufbruch duftete. Deshalb habe ich nun einiges gänzlich Unerwartetes in der virtuellen Schublade, zum Beispiel:

  • Die ersten Worte einer interdimensionalen, ultrabrutalen, mechaerotischen Weltraumoper (also wahrscheinlich Jugendbuch).
  • Fragmente eines großstädtischen Quatschkopfromans, mit dem ich es in erster Linie auf den Ingeborg-Bachmann-Preis und/oder eine Verfilmung im Stile Woody Allens abgesehen habe.
  • Und natürlich – was soll man in Tokio auch anderes schreiben? – einen High-Concept-Entwurf für eine München-Moosach-Krimireihe.

Vielleicht sollte ich per Publikumsvotum entscheiden lassen, was ich davon ernsthaft weiterverfolge. Sollte es die Weltraumoper werden, müsste ich allerdings herausfinden, wie ich das Gesicht meiner Agentin verletzungsfrei wieder aus ihren Handflächen entfernen kann.

Nicht aufgeführt sind übrigens die zweieinhalb Projekte, bei denen ich vorsichtig optimistisch davon ausgehe, dass sie bald tatsächliche Spruchreife erlangen, ebenso wie die zwei vorläufig ausgereiften Projekte, die bereits hoffnungsfroh ihre Verlagsrunden drehen. Faul war ich also nicht, ich sah nur aus der Ferne so aus.

Sind die Nudelfragen geklärt und summt und brummt die Arbeitsroutine verlässlich vor sich hin, ist es auch im Neuen Leben an der Zeit, sich wieder für das Weltgeschehen zu interessieren. Schon früh hatte ich den Entschluss gefasst, mein Neues Leben solle langsamer und analoger werden – weniger postfaktisches Internet, mehr gedruckte Lügenpresse. Drum abonnierte ich sofort alles, was mir in die Quere kam und neuen Abonnenten einen Gratis-Jutebeutel versprach. Und kam bald mit der Lektüre nicht mehr hinterher.

Nun gibt es nichts Bekloppteres als den Spruch, nichts sei so alt wie die Zeitung von gestern. Wer nach Gesichtspunkten der Tagesaktualität Zeitung liest, bräuchte das wirklich nicht zu tun, da haben die Digitalhektiker ausnahmsweise recht. Qualitätsjournalismus lese ich auch gerne mal ein paar Tage oder eine Woche später. An den Weltereignissen ändert es ja nichts, ob ich sofort von ihnen erfahre oder erst nach allen anderen. Wenig ist mir so zuwider wie die polternde Beschwerde, diese oder jene Medien (im Zweifelsfall das deutsche Fernsehen) berichteten nicht schnell und live genug von den neuesten Gräueltaten. Informationsjunkies sind eben auch nur Junkies, zu beschönigen oder gar zu glorifizieren gibt es an diesem Zustand nichts.

(Wenn ich von mir ausgehe – und von wem sollte ich sonst ausgehen? – , dann glaube ich übrigens, dass die Fernsehnachrichten vor den Tageszeitungen aussterben werden. Zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sitzen und in eine bestimmte Richtung sehen zu müssen, um in vorgeschriebenen Tempi und starren Formaten informiert werden zu dürfen, erscheint mir schon heute absurd. Doch das nur am Rande.)

Dennoch: Wenn Entschleunigung in Überforderung umschlägt, muss eingeschritten werden. Es geht nicht an, dass hier noch ungelesene Zeitungen von vorm Nikolaus liegen. So habe ich gleich meinen ersten Vorsatz fürs Neue Jahr: Mindestens die Hälfte meiner Abonnements wieder abbestellen. (Das wird wohl auch dich betreffen, lieber New Yorker. Es liegt nicht an dir, es liegt an mir. Deine Cartoons sind zwar so überschätzt wie die Interviews im Playboy, aber deine längeren Artikel habe ich stets gern gelesen. Beziehungsweise lesen wollen, wenn ich die Zeit gehabt hätte. Habe ich jedoch nicht. Nicht jede Woche. Wenn du dich zu einem monatlichen oder quartalsweisen Erscheinungsturnus entscheiden könntest, würde ich es mir noch mal überlegen. Was ich eigentlich sagen wollte: Den Abonnenten-Jutebeutel, der mir vertraglich zusteht, möchte ich trotzdem noch haben. Alle anderen Zeitschriften haben mir den Abonnenten-Jutebeutel unaufgefordert zugeschickt. Also bitte zack-zack.)

Für die wirklich wichtigen Nachrichten müssen wir heuer selbstverständlich einen bangen Blick nach Amerika werfen: Rogue One. Oft hörte ich die Einschätzung: Erst gähn, dann geil. Mir ginge es, falls ich mich überhaupt jetzt schon zu derlei extremen Urteilen hinreißen lassen müsste, eher umgekehrt. Eigentlich geht es mir hier aber gar nicht um die Qualität des Films, die kann man bei einem emotional so komplexen Lebensaspekt wie Krieg der Sterne ohnehin frühestens nach vier oder fünf Durchläufen vorläufig abschließend beurteilen, sondern darum: Es scheint, als war 2016 das Jahr, in dem Krieg-der-Sterne-Filme ganz normal geworden sind. Schon weiterhin Eventereignisfilme, auf die man sich flatternden Herzens freut. Doch flattert es nicht mehr gar so stark, dass man vorher nächtelang nicht schlafen kann (anders also als letztes Jahr noch). Seit Disney dankenswerterweise das ganze Unternehmen übernommen hat, ist bekannt, dass es fortan jährlich einen neuen Krieg-der-Sterne-Film geben wird. Wenn nicht Episode-Irgendwas, so doch irgendein Spinoff-Prequel-Oneshot-Standalone-Crossover-Hastenichgesehn-Dingsbums. Ein Film pro Jahr ist noch kein Overkill, hatte ich gedacht, und das ist es auch nicht. Nichtsdestotrotz bemerke ich bereits einen starken Gewöhnungseffekt und hoffe, dass es nicht soweit kommen wird wie bei den Superheldenfilmen, die ich nun immer häufiger auslasse (letzter ausgelassener war der letzte Gruppe-X-Film, nächster wird der nächste Guardians of the Galaxy). Das wäre schade, denn meine Familie gibt mir nur zu Krieg-der-Sterne- und Godzilla-Filmen frei.

Den letzten Godzilla-Film kann ich leider nicht beurteilen, weil ich leichtsinnig vor dem Film ein Bier getrunken hatte und dann im Kino eingeschlafen bin. Das ist jetzt so das Alter, und das wird im nächsten Jahr bestimmt nicht besser.

Skandal: Wieder kein Friedensnobelpreis für Stephen King

Jedes Jahr handeln Buchmacher in aller Welt den Namen Murakami ganz hoch, und jedes Jahr versammeln sich zur Ergebnisverkündung die japanischen Haruki-Murakami-Liebhaber in Haruki-Murakami-Liebhaber-Cafés. Erst in freudiger Erwartung, dann in mit Fassung getragener Enttäuschung.

Und jedes Jahr frage ich mich: Wie kommen sie bloß darauf? Die Buchmacher, die Fans, die Berichterstatter? Was hat sie bloß auf die fixe Idee gebracht, dass Haruki Murakami irgendwann, vielleicht schon bald, den Literaturnobelpreis gewinnen müsse, könne, würde? Das ist ungefähr so, als würde man ganz, ganz fest daran glauben, dass Stephen King reelle Chancen hätte. Dabei sind beider Werke sprachlich zu simpel gestrickt, inhaltlich zu nah an der Genreliteratur, kurzum zu volksnah, um jemals ernsthaft die ganz hohen Weihen der allerobersten Kunst- und Kulturrichter zu erfahren. So, d. w. m. j. w. n. s. d. (das wird man ja wohl noch sagen dürfen).

Damit kein Missverständnis aufkommt und ich nicht wegen Trollverdacht vorübergehend festgenommen werde: Ich würde sowohl Haruki Murakami wie auch Stephen King den Preis gönnen. Ich gönne ihnen alle möglichen Preise. Die Zugänglichkeit ihrer Werke empfinde ich nicht als Makel. Unter den Oberflächen ihrer Bücher brodelt es. Doch da schaut niemand hin. Zumindest niemand, auf den es in dieser Sache ankommt.

Von Skeptikern wird Murakami gerne vorgeworfen, seine Botschaften seien oberflächlich, nach Art von Kalenderblattsprüchen gar (das ist noch ein Rang unter dem beliebten Literaturbesprechungstotschlagargument, jemand schreibe „kolumnistisch“). Das liegt daran, dass er nur oberflächlich gelesen wird. Und das wiederum liegt daran, dass es bei ihm, wie bei King, an der Oberfläche zu viele Knalleffekte gibt. Wenn der akademische Berufsleser Knalleffekten begegnet, denkt er sich: „Aha, Unterhaltung!“ Und wenn er „Aha, Unterhaltung!“ denkt, denkt er im weiteren Verlauf der Lektüre gar nichts mehr. Er fährt alle Analysetools komplett runter (nicht bloß Standby).

Nichtsdestotrotz sind beide, King und Murakami, im Feuilleton ja gar nicht komplett schlecht aufgestellt, lobende Erwähnung finden sie immer wieder. Dies allerdings mit einer bedingungslosen literaturwissenschaftlichen Akzeptanz zu verwechseln, wäre ganz falsch. Sie erfüllen eine Quote. Mit ihnen kann der angegraute Feuilletonist seine Coolness demonstrieren. Es ist ein bisschen so, als würfe er sich in seine alte Nietenhose und bestehe darauf, manchmal auch ganz verrückte Hottentotten-Musik zu hören: „Hey, Kids, ich hab Carrie gelesen! Menstruation und Schweineblut und so, schon geschnallt, voll endknorke! Rock’n’Roll!“

Die Entscheidung in diesem Jahr für Bob Dylan ist keine berauschende, aber eine gute und einigermaßen richtige. Seine Lieder mögen am schönsten in den Interpretationen anderer funkeln, doch so einen Literaturpreis bekommt man ja nicht für Goldkehlchen, sondern für Goldköpfchen. Gänzlich kleinlich und unschicklich wäre es, nun genüsslich jedes Fehlverhalten Bob Dylans aufzulisten, wie es die Eingeschnappten bereits tun. Nur wer in 75 Jahren Lebenszeit, knapp 60 davon öffentlich, ohne Fehlverhalten ist, darf mit dem Finger zeigen.

Würdigere Kandidaten hätte es sicherlich gegeben, gibt es ja immer, auch welche, bei denen etwas mehr Eile geboten wäre (Don DeLillo, Leonard Cohen). Das Jahr 2016 ist schließlich nicht dafür bekannt, mit unseren Größten besonders zimperlich umzuspringen.

Japan sucht die Superskandalnudel [Kaiho-Kolumne]

Meine allervorletzte Kolumne aus der Mitgliederzeitschrift der Deutsch-japanischen Gesellschaft in Bayern jetzt hier in Zweitverwertung, mit exklusivem Premium-Bonus-Content.

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Auf einer meiner ersten Reisen nach Japan dachte ich einmal, ich hätte SMAP gesehen. Ich hatte damals allerdings fast keine Kenntnis der Sprache und nur lückenhafte Kenntnis der Eckpfeiler der Gegenwartskultur des Landes. Soll heißen: Ich verstand nichts und wusste eigentlich gar nicht, wer oder was SMAP ist. Es ist schon interessant, welche Schlüsse sich das Gehirn manchmal zusammenreimt, wenn es sich ausschließlich auf visuelle Informationen verlassen muss. Die Situation war folgende: In einem mittelkleinen Plattenladen in Tokio trat eine Band vor ein paar höflich klatschenden Zufallszuhörern auf. Hinter ihnen hing ein Werbeplakat, auf dem irgendwas mit „SMAP!“ stand, und das wohl ein neues Album einer Popgruppe dieses Namens annoncierte. Also dachte ich mir, während ich mir die Band ansah: Das sind also SMAP. Falls die mal groß rauskommen, kann ich mich damit brüsten, dass ich sie bei einem ihrer ersten, bescheidenen Gigs in einem der unauffälligeren Läden der Stadt gesehen habe.

Ich habe mich dann fortan tatsächlich damit gebrüstet. Denn dass SMAP es geschafft haben, war mir irgendwann vage bewusst geworden. Man hat mir die Geschichte mal mehr, mal weniger abgenommen; je nachdem, wie sehr ich bei der Wahrheitstreue ins Detail gegangen bin.

Selbstverständlich war das alles ein riesengroßes Missverständnis meinerseits, wie ich später einsehen musste. Das Plakat hing nur zufällig dort, es war halt ein Plattenladen, und hatte nichts mit dem gerade im Laden auftretenden Akt zu tun. Wie der hieß, weiß ich bis heute nicht. Falls sie groß rausgekommen sind, habe ich es nicht mitbekommen, oder sie nicht wiedererkannt. SMAP, so weiß ich inzwischen, waren schon damals die ganzheitliche Personifizierung der japanischen Unterhaltungsindustrie und hätten bestimmt kein intimes Ladenkonzert geben können, ohne eine Massenpanik auszulösen. Als Boyband waren sie gestartet, als Herrenband sind sie noch immer dick im Geschäft. Doch die Musik ist nebensächlich angesichts der Koch-, Quiz-, Talk- und Mischmasch-Shows, die die SMAPs gemeinsam oder getrennt voneinander im Fernsehen moderieren, ganz zu schweigen von ihren mannigfaltigen Auftritten in Kinofilmen, Fernsehserien und Werbekampagnen.

SMAP waren zuletzt mehr noch als sonst in den Nachrichten aller Medien präsent, als herauskam, dass sich einige von ihnen von ihrem langjährigen Management trennten. Eine Teiltrennung vom Management schien nicht praktikabel für die Band als Ganzes, so machten schnell Gerüchte um eine komplette SMAP-Zerschlagung die Runde. Einige Leitmedien berichteten darüber in den Hauptnachrichten. Andere Leitmedien fragten kritisch, ob so was in die Hauptnachrichten gehöre. Schweigen mochte niemand. Premierminister Abe äußerte den Wunsch, SMAP mögen zum Wohle der Nation zusammenbleiben. Die Bandmitglieder sagten schließlich zu allgemeiner Erleichterung: „Wir schaffen das!“

Als das nationale Klatschgewitter über SMAP hereinbrach, war ich hocherfreut. Nicht, dass ich ihnen etwas Böses wünsche. Ich bin aus dem Alter raus, in dem man sich an negativer Energie berauscht. Als Fernsehpersönlichkeiten finde ich die Smappys nicht unangenehm, mit ihrer Musik bin ich nach wie vor nicht vertraut. Wahrscheinlich gefiele sie mir nicht, aber damit können vermutlich beide Parteien leben. Der Grund, warum ich die negative Aufmerksamkeit für SMAP begrüßte, war der, dass sie zumindest für einen Moment die negative Aufmerksamkeit von TV-Talent Becky abzog. Die quirlige britisch-japanische Unterhaltungskünstlerin war nämlich gerade arg in die Boulevard-Schusslinie geraten, aufgrund von Dingen, die sich eventuell in einem Hotelzimmer mit einem verheirateten Mann zugetragen haben. Becky war mir stets wichtig, und sie ist es noch mehr, seit meine deutsch-japanische Tochter Hana auf der Welt ist. Der Umzug unserer Familie nach Tokio steht unmittelbar bevor, und mein geheimer Plan war es immer gewesen, Hana an die japanische Unterhaltungsindustrie zu verkaufen oder zumindest auszuleihen, falls es mal wirtschaftlich eng wird. Bitte verraten Sie es nicht meiner Frau, es soll eine Überraschung werden. Becky schien mir da immer ein gutes Vorbild. Sie scheint aufrichtigen Spaß an den Nichtigkeiten zu haben, die sie tut, und trotzdem ein ganz aufgewecktes, vernünftiges Persönchen zu sein. Sollte dieser Skandal ihr nachhaltig schaden, stehen meine Argumente auf unsicherem Grund.

Leider kochte die Becky-Sache wieder hoch, nachdem der SMAP-Krach abgeklungen war. Jetzt setze ich alle meine Hoffnungen in die Baseball-Legende Kazuhiro Kiyohara, die letztens wegen Drogenbesitzes verhaftet wurde. Entsprechende Gerüchte hatte es um den Mann immer gegeben, man hatte ihn schon früher mit Yakuza beim Golfspielen erwischt, und er hatte einst in einer SMAP-Talkshow gestanden, tätowiert zu sein, was in Japan im Grunde genommen ein Blanko-Schuldgeständnis für alles Mögliche ist.

Also, liebe Geier, stürzt euch auf Kiyohara, wenn ihr euch unbedingt stürzen müsst. Lasst Becky in Ruhe. Wir brauchen sie noch. Ich brauche sie noch.

Nachtrag aus der Gegenwart

In einem zweistündigen Event-Interview im Fernsehen wurde die Causa Becky inzwischen weitgehend beigelegt. Selbstverständlich in einer SMAP-Talkshow, und selbstverständlich ging es in ca. 90 von 120 Minuten in erster Linie darum, was vor dem Interview von den Beteiligten gegessen wurde, wo die Zutaten geerntet und wie sie zubereitet wurden. Konsens in der Bevölkerung ist, dass Becky sich ordentlich genug geschlagen hat, um ihr mehr oder weniger zu vergeben.

Kazuhiro Kiyohara ist mit vier Jahren auf Bewährung davongekommen.