Es war Sonntagvormittag, und wir brauchten dringend Alkohol. Nicht den stark verdünnten zum Trinken; davon hatten wir mehr als genug im Haus, nachdem unsere verweichlichte Samstagsgesellschaft sich in erster Linie an Dosenkaffee und Bubbletea gehalten hatte. Wir brauchten den hochprozentigen Stoff zur Oberflächenreinigung. Irgendeine Oberfläche gibt es ja immer zu reinigen, auch ohne besoffene Gäste. Irgendein Alkoholreiniger sollte es derweil nicht sein, wo kämen wir da hin, sondern der, den wir immer benutzen. Den gibt es selbstredend nicht in jedem x-beliebigen Drogeriemarkt. „Wo gibt es den denn?“, fragte ich meine Frau.
Nach reiflicher Überlegung sagte sie: „Bei Donki auf jeden Fall.“ Ich betrete nur ungern die Filialen der Schnickschnack-Kaufhauskette Donki (eigentlich Don Quijote), weil mich die urdeutsche Todesangst plagt, für einen Touristen gehalten zu werden („Hände hoch und sofort die Tüte voller Schrumpelpflaumen-KitKat fallen lassen!“). Das liegt natürlich daran, dass ganz tief in mir sehr wohl ein Tourist dahinvegetiert, der sich liebend gerne mal wieder ins Donki-Gewühl stürzen würde. Also schob ich meine Teenager-Tochter vor. So ein Ausflug schien eine exzellente Gelegenheit, ihr zu beweisen, dass Papa auch coole Sachen machen kann. Eines Tages, so musste ich feststellen, erreichte ‚Hoppe, hoppe, Reiter‘ einfach nicht mehr denselben Fun-Faktor. Wo sind die Jahre hin? Also fragte ich: „Möchtest du mitkommen, wenn ich zu Donki gehe, um Alkohol zu kaufen?“ Ihre Augen leuchteten wie ca. gestern noch bei ‚Hoppe, hoppe, Reiter‘. „Klarometer, Daddy-O!“, sagte sie in typischem Jugendjargon. Ich recherchierte die Donki-Filialen in unserem Umkreis und konnte noch einen draufsetzen: „Möchtest du zum normalen Donki oder zu … Mega Donki?“ „Mega Donki!“ „Mega Donki ist ein bisschen weiter mit dem Zug, allerdings vom Bahnhof weniger zu laufen.“ „Mega Donki!“ „Bei Mega Donki sind höchstwahrscheinlich noch mehr verdammte Touristen.“ „Mega Donki!“ Wir sprühten uns gegen Sonne und Insekten ein, legten unsere Kältekragen an, füllten unsere Wasserflaschen, überprüften den Akkustand unserer Handventilatoren und machten uns vorsichtig auf den Weg zu Mega Donki in Shibuya. Dort war ich zunächst vor allem damit beschäftigt, möglichst demonstrativ all die Geisha-, Samurai-, Godzilla-, Sushi-, Sumo-, Bonsai- und Winkekatzen-T-Shirts zu ignorieren, die mir überall im Weg rumhingen. Apropos T-Shirt (um diesem Blog ein bisschen von seiner guten alten Apropos-Qualität zurückzugeben): Wir haben Nachbarn. Aber nicht mehr lange. Jedenfalls nicht dieselben. Die Nachbarn, die wir jetzt haben, ziehen bald weg. Es handelt sich um ein japanisch-französisches Paar mit einem Sohn im ungefähren Alter unserer Tochter. Klingt nach besten Voraussetzungen für eine wunderbare Freundschaft (zumindest auf Elternebene), aber Pustekuchen. Es ist keineswegs das Gegenteil eingetreten, also kein schlagzeilenreifer Krieg um Fahrradstellplätze oder Müllentsorgungsmanieren, doch auch keine Spur von Nutzung der erheblichen potenziellen Synergieeffekte. Da ist nur ein höfliches Ignorieren und gelegentliches Zunicken, wie unter guten Nachbarn üblich. Mit dem Mann habe ich in den letzten fünf Jahren vielleicht fünf Sätze gewechselt, was zwischen Männern natürlich relativ viel ist. Mit der Frau vielleicht drei. Ebenfalls normal; seit Überwindung meiner Midlife-Crisis quatsche ich nicht mehr so viele fremde Frauen an. Damit kann man leben, doch beiden Parteien ist bewusst, dass wir angesichts unserer besonderen Konstellation eigentlich enge Vertraute hätten werden müssen, die bei ausschweifenden Rotweinabenden Kindergeschichten und Ausländeranekdoten austauschen. Deshalb herrscht bei unseren zufälligen Zusammentreffen auf der Straße stets eine etwas betretene Atmosphäre. Warum habe ich das gleich erzählt? Richtig – T-Shirt. Was die Situation noch unangenehmer macht, ist die Tatsache, dass der Mann und ich dasselbe Pac-Man-T-Shirt besitzen. Und manchmal tragen. Und manchmal gleichzeitig tragen. Und uns dabei manchmal über den Weg laufen. O! M! G!, sage ich nur. Ich könnte jedes Mal vor Scham im Boden versinken. (Selbstverständlich laufe ich unter normalen Umständen eh nicht als Gratis-Werbefläche durch die Gegend, aber den Weg zwischen Haus und 7-Eleven sehe ich als erweiterte Terrasse; da darf man sich etwas legerer kleiden.) Jedenfalls kann ich das T-Shirt wieder ohne Bangen überstreifen, wenn diese eigentlich ganz netten Menschen endlich weg sind. Damit zurück zu Donki. Den Alkohol, den wir suchten, fanden wir nicht. Dennoch fanden wir beide etwas, was den Ausflug zu einem gelungenen machte. Nämlich die Liebe zwischen Vater und Tochter! Nein, Quatsch – ich billiges Bier und sie teures Shampoo. Was ich entweder nicht mehr wusste oder noch nie gewusst hatte, ist, dass Donki eine Billig-Eigenmarke namens Do vertreibt und innerhalb dieser auch Bier. Lagerbier für Normalos, Craft-Bier für Spackos. Selbst die Dosen der Craft-Linie sind günstiger als die Mainstream-Biere der Traditionsbrauereien. Da schrillten bei mir sofort alle Alarmglocken. Sie schrillten: Kauf mich! Kauf mich! Was kann schon schiefgehen? Sie schrillten nicht laut genug, um gleich die gesamte Produktlinie zu testen. Ich entschied mich gegen das IPA, weil IPA, und gegen das Weizen, weil man für Weizen in Stimmung sein muss, und wann ist man das schon. Ich entschied mich für das Mainstream-Lager und das Pale Ale aus der Craft-Reihe.Schlagwort-Archive: Dogma
Mit Mike Krüger gegen die KI
In dieser Woche veröffentlichten mehrere amerikanische Zeitungen einen Agenturartikel, der fünfzehn besonders sommerliche Sommerlektüren empfahl. Die meisten davon verfasst von großen, leicht wiedererkennbaren Namen aus vergangenen und gegenwärtigen Bestsellerlisten. Nur bei den Titeln und Inhaltsbeschreibungen wollte es mit dem Wiedererkennen nicht so recht klappen. Zehn der fünfzehn vermeintlichen Bücher waren nämlich frei erfunden. Und die Eignung der fünf tatsächlich existierenden Titel als unbeschwerte Sommerlektüre kann zumindest im einen oder anderen Fall stark bezweifelt werden; das einzige Auswahlkriterium schien gewesen zu sein, dass die Handlungen der Bücher teilweise im Sommer spielen müssten.
Reinhard Mey verbieten!
Drei Träume (zweimal Mais, einmal Spice)
Wenn hippe junge Dinger wie ich ein gewisses Alter erreichen, ignorieren sie zusehends ungenierter die alteingeführte Anstandsregel, dass es nichts Langweiligeres gibt als die nacherzählten Träume anderer Leute. Akira Kurosawa hat mit Anfang 80 einen Film über seine Träume gemacht, Martin Walser mit Mitte 90 ein Buch über seine geschrieben. Ich behaupte jetzt einfach mal: Ich bin zwar weder der neue Kurosawa noch der neue Walser, aber 52 ist ganz eindeutig das neue Anfang 80 / Mitte 90. Also hier die drei Träume von neulich, die mir am lebhaftesten in Erinnerung geblieben sind.
Mais-Traum No. 1 (kleiner Kolben) Ich ging eine Straße entlang und hatte plötzlich Appetit auf Babymaiskolben, also zog ich mir eine Tüte aus dem nächsten Automaten. Als ich Babymaiskolben knabbernd weiterging, merkte ich, dass die Tüte wohl schon etwas zu lange im Automaten gewesen war und der Kolben in meinen Mund innerliche Fäule aufwies. Reflexartig spuckte ich ihn auf die Straße. Ein älterer Herr hatte das interessiert beobachtet. Ich dachte: Ach, jetzt hält er mir gleich einen Vortrag, dass man hier nicht einfach so innerlich angefaulte Babymaiskolben auf die Straße spucken könne, man sei ja nicht in China. Doch in der Miene des Mannes war mehr Erleichterung als Missvergnügen. Als er den Mund öffnete, tat er das nicht, um mich zu rügen, sondern um sich im großen Stile auf den Bürgersteig zu erbrechen. Er hatte offenbar nur gewartet, dass jemand anderes den Anfang machte. Nun wollte ich ihn meinerseits maßregeln, dass man mein dezentes Spucken ja wohl kaum mit seiner Riesenschweinerei gleichsetzen könne. Aber da wachte ich auf. Mais-Traum No. 2 (großer Kolben) Es handelte sich um einen dieser Meta-Träume, in denen man träumt, dass man nicht einschlafen kann. Ich lag also genau auf dem Futon, auf dem ich wirklich lag und konnte nicht einschlafen (träumte ich). Das lag nicht an dem großen Maiskolben, den ich in der Hand hielt, sondern daran, dass sich etwas anderes Großes recht penetrant rücklings an mich schmiegte. Es war kein Familienmitglied, denn die waren alle außer Haus; der Traum fand während eines meiner notwendig gewordenen Mittagsschlafe statt. Dem Knurren nach zu urteilen war das in meinem Rücken ein riesiger Kampfhund. Ich wollte mich allerdings nicht zur Vergewisserung umdrehen, um ihn nicht zu provozieren. Man soll Hunden ja nie in die Augen gucken, wenn einem das Leben lieb ist, habe ich mal gehört. Fürs erste knurrte er nur, aber ich fand die Situation trotzdem nicht ideal. Ich wollte, dass er wegging. Also holte ich aus und warf den Maiskolben so weit fort, wie ich nur konnte. Die Rechnung ging auf: Der Hund (es war tatsächlich einer) erhob sich und lief dem Gemüse hinterher. Ich sollte nicht erfahren, wie nachhaltig diese Lösung war, denn unversehens wachte ich auf. Erleichtert, dass da weder ein Hund noch ein Maiskolben war. Mais mag ich nicht, Hunde finde ich tendenziell in Ordnung. Kommt auf den Hund an. Traum No. 3: Old Spice Ich träumte, die Spice Girls gingen mal wieder auf Tournee, doch eine wollte nicht mehr mitmachen. Posh, wahrscheinlich. Ist ja immer Posh. Hält sich für was Besseres. Ist für den Traum allerdings irrelevant. Jedenfalls musste die Stelle neu besetzt werden. Man entschied sich schnell für eine Unterhaltungskünstlerin, die ich noch „von früher“ kannte. Ich freute mich sehr für meine Freundin, aber auch für mich selbst, denn der persönliche Draht würde mir bestimmt Exklusiv-Interviews und ähnlichen geldwerten Schnickschnack einhandeln. Dann aber gab es irgendwelche kreative Differenzen oder Terminkonflikte, die Freundin flog wieder raus, und die Stelle musste erneut neu besetzt werden. Diesmal entschied man sich für meine bucklige, einäugige, schätzungsweise 90-jährige Nachbarin aus dem Haus gegenüber, deren Katze ich manchmal streichle, damit sie sich das nicht auch noch zumuten muss. Mit der alten Dame ist die Konversation trotz beidseitiger Sympathien oft schwierig. Meistens werfen wir uns nur gegenseitig das Adjektiv „kawaii!“ an den Kopf, wenn ihre Katze und meine Tochter dabei sind, was den beiden unangenehm ist. Keine guten Voraussetzungen für Exklusiv-Interviews. Ich melde mich wieder, wenn das Drehbuch oder die Aquarelle fertig sind.Mein erster Rambo (1-5)
Ich bin zwar in dem Alter, aber ich habe bis vor kurzem nie einen ganzen Rambo-Film gesehen. Beim ersten hatte es sich seinerzeit irgendwie nicht ergeben, und beim zweiten hatte sich meine Gesinnung bereits so weit gefestigt, dass ich mental eher zu den Demonstranten vor den Kinos gehörte als zu den vom imperialistischen, reaktionären Hollywood-Propaganda-Kintopp hirngewaschenen Mäh-Schäfchen in den Sälen. Konkret habe ich natürlich nie demonstriert; hat sich auch irgendwie nicht ergeben. Der dritte Teil ist beim zweiten mitgemeint, den vierten habe ich mal im Fernsehen größtenteils verpennt, und der fünfte startete gleichzeitig mit Downton Abbey – der Film, da musste ich Prioritäten setzen.
Vor wenigen Tagen, vielleicht als Spätfolge meines gewissenlosen Freitag-der-13.-Marathons von neulich (wir berichteten), hatte ich das starke Bedürfnis, alte Versäumnisse nachzuholen. Warum sollte aus mir nicht in fortgeschrittenem Alter noch ein Rambo-Fan werden? Die Karate-Kid-Filme habe ich ebenfalls erst kürzlich erstmals gesehen und fand sie ganz goldig (wenn auch nicht ganz so goldig wie die neue Fernsehserie). Dieses Politikdings sehe ich heute nicht mehr so eng. Muss schließlich nicht jeder Film mit mir einer Meinung sein. Einen Rambo-Film muss eine Demokratie aushalten können. Oder fünf. Aber einer nach dem anderen. Der erste, zu Deutsch Rambo (Original: First Blood) ist der, auf den sich gemeinhin alle einigen können; selbst linksversiffte Gutmenschen wie ich. Er sei „ganz anders als die anderen“, wird gebetsmühlenartig versichert. Spoiler: Ist er nicht. Schon hier geht es um den guten Amerikaner, der nicht in Frieden leben kann, wenn ihn die Bösen nicht lassen. Dass die Bösen hier ebenfalls Amerikaner sind (ein fieser Kleinstadtsheriff und seine Redneck-Gurkentruppe, die Rambo fatalerweise mit einem unerwünschten Wander-Hippie verwechseln), gibt allenfalls mildernde Umstände. Bei allen minimalen Zwischentönen lässt der Film keinen Zweifel daran, dass es das noch gibt – das Gute Amerika. Und sein Name ist John Rambo. Das Ganze ist verpackt als ein überraschend wuchtiger Action-Thriller, den man je nach Tagesform für geradlinig oder simpel gestrickt halten darf. Wenn man manchem Verehrer so zuhört, könnte man ja meinen, es handele sich um ein geradezu subtiles Charakterdrama. Das ist es keineswegs. Rambo 2. Teil – der Auftrag (Original: Rambo: First Blood Part II) ebenso wenig. Meinen Gesinnungsgenossen zufolge gewinnt Rambo in diesem Film rückwirkend den Vietnamkrieg. Diese Interpretation ist gröber verallgemeinernd als das Weltbild der Rambo-Filme. In erster Linie schießt Rambo hier mit dem Flitzebogen auf Kraftfahrzeuge, die dann explodieren. Man muss fairerweise dazusagen, dass es sich um spezielle Rambo-Pfeile handelt. Gut zu wissen: Die bösesten Bösen sind hier gar nicht die edlen Vietcong, sondern die Russen. Und ein paar Amerikaner sind auch wieder böse (dieser fiese Billy-Idol-Sensei aus Cobra Kai ist dabei; man kann ihm einfach nicht trauen). Falls ich das alles richtig verstanden habe. Es war mitunter sehr laut. Eine alte Filmbewertungsregel lautet, dass die Qualität eines Films mit jedem Hubschrauber abnimmt; explodierende zählen doppelt. Bei Rambo 2. Teil – der Auftrag konnte ich zum Schluss nicht mehr mitzählen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, meine Zeit schon sinnloser vertan zu haben (wir berichteten). Rambo 2. Teil – der Auftrag ist sicherlich weniger gelungen als, sagen wir mal, Außer Atem oder Die Muppets-Weihnachtsgeschichte. Aber welcher Film wäre das nicht? Gerade wieder sehr angesagt bei der Generation Meme: Rambo III (Titel hüben wie drüben) ist der Film, in dem Rambo den guten Taliban beim Kampf gegen die bösen Russen unter die Arme greift. Fürs Herz reitet ein total süßer afghanischer Kindersoldat an seiner Seite. Dafür gab es seinerzeit von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) das Prädikat „wertvoll“. Es waren halt andere Zeiten, damals. Trotz allem ist Rambo III nicht der ärgerlichste Film der Reihe, sondern der liebenswerteste. Politisch sicherlich ein wenig ungelenk aus heutiger Sicht, aber so ein Actionfilm kann ja nicht immer alles vorher wissen. Wir dürfen an dieser Stelle schon einmal die Zwischenbilanz ziehen: Die Rambo-Filme sind Anti-Kriegsfilme im deutschen Sinne des Begriffs. Einen anderen Sinn kann es schließlich auch nicht geben, denn der Begriff ‚Anti-Kriegsfilm‘ ist ein deutscher Sonderweg. International werden Genrebezeichnungen eigentlich neutral gehalten: Ein Film, der den Krieg thematisiert, ist ein Kriegsfilm – was sollte er auch sonst sein? Nur das deutsche Gewissen möchte beim Kinobesuch schon vorab beruhigt werden und verlangt nach ideologischer Weisung. Eine Zeit lang war es sogar en vogue, Cowboyfilme der etwas komplexeren Art als ‚Anti-Western‘ zu bezeichnen. Dabei wäre die einzige schlüssige Art von Anti-Western ein Eastern. Seltsam, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, polizeikritische Krimis als ‚Anti-Krimis‘ zu titulieren. Jetzt habe ich über eines meiner Lieblingsmikroaufregungsthemen fast Rambo aus den Augen verloren. Die ersten drei bis vier Filme sind also Anti-Kriegsfilme, denn der Krieg wird in ihnen stets als grausam und sinnlos dargestellt, Militärs als bestenfalls inkompetente Hirnis, meistens jedoch als sadistische Soziopathen. John Rambo war mal im Krieg, und das hat ihm gar nicht gefallen. Jetzt will er nur noch Frieden schaffen, und zwar dalli. Dass er diese Sache anders angeht, als zum Beispiel Reinhard Mey das tun würde, liegt auf der Hand und ist kein Widerspruch zur Anti-Kriegs-Botschaft. Hat ja keiner was von einer Anti-Gewalt-Botschaft gesagt. Ich behaupte: Ein Rambo-Film wird niemanden in den Militärdienst treiben. Ein Rambo-Film motiviert eher, mit dem Flitzebogen in den Wald zu gehen. Wie bei mir früher Robin Hood. Rambo III, um endgültig zum Thema zurückzukehren, ist außerdem ein Anti-Hubschrauber-Film. Die Macher scheinen die putzigen Fluggeräte noch mehr zu hassen als die Macher des zweiten Teils. Trotzdem ist der dritte ein weitaus angenehmeres Erlebnis. Wenn man etwas fürs Action-Kino übrig hat, ist es schwierig, für Rambo III nichts übrig zu haben. Rambo 2. Teil – der Auftrag wirkt dieser Tage nicht spektakulärer als Geheimcode Wildgänse. Bei Rambo III hingegen kann man nach wie vor mit großen Kinderaugen staunen. Und da hat die Filmbewertungsstelle dann vollkommen recht: Das ist ungemein „wertvoll“.Ein später Sieg für den Sheriff: In Rambo: Last Blood (Original ebenso) hat John Rambo endlich eine Frisur, mit der es zu all dem gar nicht erst hätte kommen müssen. Jetzt ist es natürlich zu spät.
Im fünften Rambo hatte niemand die Absicht, eine Mauer zu errichten. Schade eigentlich, denn sonst hätte Rambos Nichte vielleicht nicht so leicht nach Mexiko ausbüxen und üblen Menschenhändlern in die Hände fallen können. Dieser womöglich letzte Teil der Serie ist so etwas wie Taken meets Saw, nur düsterer, brutaler und mit einem älteren Herrn in der Hauptrolle. Schwer nicht zu mögen. Aber mein Herz gehört weiterhin einem anderen Rambo-Film.Ich glaub, mein Storyteller kuratiert
Als ich im letzten Jahr begann, im Auftrag der Duden-Redaktion ein Glossar des Grauens zusammenzustellen, schwebte mir dafür zunächst eine essayistische Herangehensweise vor. Nach mehreren Gesprächen mit dem Lektorat kamen wir jedoch überein, dass ein traditionelles Wörterbuchformat mit kurzen, alphabetisch geordneten Einträgen doch die geeignetere Form sei. Nichtsdestotrotz gefällt mir das essayistische Kapitel, das ich bereits probeweise geschrieben hatte, so gut, dass ich es geneigten Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten möchte. Hier kommt es. Unlektoriert, also bitte nicht zu pingelig lesen.
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2013 muss ein schönes, gleichwohl anstrengendes Jahr für die damals 17-jährige neuseeländische Popsängerin Lorde gewesen sein. Ihr Debütalbum Pure Heroine verkaufte sich in aller Welt wie Brause mit Geschmack, dazu gab es noch überwiegend warme Worte von internationalen Pressevertretern, ausführliches Touren war die Folge. So war es verständlich, dass sie nicht bereits ein Jahr darauf ein komplett neues Langspielalbum einsingen wollte. Stattdessen sang sie ein Lied für den Kinofilm Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1. Weil das so gut geklappt und man sich wohl mit den Filmmusikverantwortlichen bestens verstanden hatte, kuratierte sie, so war überall zu lesen und zu hören, auch den Rest der Platte zum Film.
Seitdem wird überall wie verrückt kuratiert, auch bei mir zu Hause. Morgens kuratiere ich das Frühstück für mich und meine Tochter. Sobald sie im Kindergarten ist, kuratiere ich, welche Arbeit ich erledigen muss, und welche sich aufschieben lässt. Abends vorkuratiere ich eine Auswahl aus mehreren Fernsehprogrammen, und meine Frau endkuratiert dann das, was wir uns tatsächlich anschauen. Am nächsten Tag tausche ich mich mit anderen Fernsehkuratoren über unsere Eindrücke aus.
Wer nichts wird, der kuratiert?
Lorde selbst wollen wir an dieser Stelle keinen Vorwurf machen. Sie wird nicht ins musikindustrielle Büro geschlendert sein und vorgeschlagen haben: „Yo, Plattenfirma, kann ich mal eben voll so eine Platte kuratieren, ey?“ Eher wird die Plattenfirma gebeten haben: „Gnädiges Fräulein Lorde, würden Sie die Güte besitzen, die Musik für den anstehenden Blockbuster nach dem berühmten Kinderbuch, pardon: der Young-Adult-Novel, von Suzanne Collins zu kuratieren?“
Darauf Lorde: „Wie geht denn das, kuratieren? Das habe ich noch nie gemacht.“
„Einfach eine Playlist zusammenstellen aus Liedern, die du gut findest.“
„Au fein, sowas habe ich ja doch schon mal gemacht! Aber warum heißt das denn auf einmal so komisch?“
„Weil es so wichtiger klingt.“
Ein drolliger Zufall: Das komische Wort ist vermutlich genauso alt wie Lorde selbst. Die Neue Zürcher Zeitung konnte das Verb zum ersten Mal 1996 identifizieren, dem Geburtsjahr der Sängerin. Bis 2013 fristete es ein Schattendasein, dann kam es zu einem unkrautartigen Wucherungsschub. Ob Lordes Kuration für diesen verantwortlich zeichnete, oder ob sie nur ein Teil des Problems war, lässt sich nicht feststellen. Sehr wohl feststellen lässt sich hingegen, dass das Nomen, dem das Verb entsprungen ist, aus dem Lateinischen kommt. Die ersten Kuratoren, wörtlich: Pfleger, waren somit alte Römer. Sie waren unter anderem dafür verantwortlich, Straßen und Flüsse sauber zu halten, verdingten sich allerdings auch als Rechtsbeistände und Vormunde. Ein Kurator war also eine Art Mischung aus Müllmann und Anwalt. Erst im 20. Jahrhundert eignete sich das Museumswesen den Begriff an. Bis zum Zeitalter Lorde verstand man unter einem Kurator nun vor allem einen Ausstellungsorganisator von verbriefter Fachkompetenz, wobei verschiedene Branchen dem Wort weiterhin unterschiedliche Bedeutungen zumaßen, meistens nicht weit von den ursprünglichen, juristischen Implikationen entfernt.
2015 mutmaßte der Journalist Wolfgang Michal in seinem Blog, dass die große Verbreitung des neugeschöpften Verbs kuratieren dem Umstand zu verdanken sei, dass Journalisten immer weniger journalistisch und Redaktionen seltener redaktionell arbeiten. Statt eigene Inhalte zu schaffen, werden Netzfundstücke und Agenturmeldungen kompiliert und multipliziert. Seit Jahr und Tag wollen viele junge Leute „irgendwas mit Medien“ machen, wenn sie mal groß sind. Dieses vage Berufsziel scheiterte lange Zeit am realen Arbeitsmarkt: den Irgendwas-mit-Medien-Macher gab es nicht. Jetzt gibt es ihn: Er ist Kurator, und er kuratiert. Animierte Witzbilder, Lieblingslisten, Katzenvideos.
Museumskuratoren sind zurecht pikiert. Müllmänner und Anwälte vermutlich ebenso. Da bleibt die Frage: Kann man das Kuratieren kurieren? Das wissen wahrscheinlich nur die Kuriere.
Apropos pikiert: Unlängst fragte mich ein Kunstmaler, wann es angefangen habe und wann es wieder aufhören möge, dass jeder Einfaltspinsel als Künstler bezeichnet würde, egal ob Schriftsteller, exotischer Tänzer oder Ballontierfalter. Er meinte, der Begriff müsse tatsächlichen Künstlern vorbehalten bleiben, nämlich solchen, die Kunstwerke aus physisch vorhandenen Materialien schaffen, seien es Wasserfarben, Knetmasse oder gefundene Objekte (Luftballons anscheinend nicht). Ich konnte die Kritik nicht ganz nachvollziehen, hatte ich doch selbst nie Probleme damit, mich als Künstler auszugeben. Ich meinte es nie selbsterhöhend, sondern lediglich als wertfreie Abgrenzung zum Handwerker (s.u.). Ein Handwerker schafft etwas Nützliches, ein Künstler allenfalls etwas, das hoffentlich nicht schadet. (Nun mag man dem Himmel dramatisch die Fäuste und das Gesicht entgegenrecken und ausrufen: „Aber ich kann nicht ohne Kunst leben!“ Dazu sage ich: Ich tu’s auch nicht gern, aber im Zweifelsfall lebe ich lieber ohne Sonette als ohne Stühle.)
Dennoch hat mein malender Freund nicht ganz unrecht: Sagen wir doch das, was wir meinen. Nennen wir einen Schriftsteller einen Schriftsteller, einen Ballontierfalter einen Ballontierfalter und einen Kunstmaler einen Kunstmaler. Und falls einem letzteres zu lang ist: gerne einen Künstler. Das sind allerdings lediglich zwei Buchstaben weniger.
Frühwarnung: Bald werden wir alle artisaniert
Ein Blick auf die Marottenentwicklung der englischen Sprache kann Aufschluss über die Marottenentwicklung der deutschen Sprache geben. Auch das sinnentstellte Kuratieren wurde von englischsprachigen Vermarktungsstrategen vorgeplappert („soundtrack album curated by Lorde“), bevor wir es munter in unserer vermeintlich eigenen Sprache nachplapperten. Der nächste Kurator steht schon in den Startlöchern. Es ist der Artisan.
Im anglofonen Raum, vor allem in den USA, steckt man sich dieser Tage kaum noch etwas in den Mund oder ins Wohnzimmer, was nicht von einem artisan gefertigt wurde. Auf eine Artisan-Pizza gehört Artisan-Käse, und beim Verzehr muss man darauf achten, dass keine Artisan-Tomatensoße auf das Artisan-Sofa tropft. Ansonsten muss schnell der ökologisch korrekte, dennoch wirkstarke Artisan-Fleckentferner ran. Das Wort hat französische, italienische sowie lateinische Wurzeln und ist im Deutschen nicht gänzlich unbekannt. Gegen den Trend hat sich hier allerdings die Übersetzung Handwerker durchgesetzt. Zu meiner großen Erleichterung musste ich feststellen, dass Artisan im gedruckten Duden derzeit nicht aufgeführt und in der Online-Version als veraltet ausgebremst wird. Leider ist davon auszugehen, dass das untote Wort schon bald wieder seine fauligen Finger aus dem Grab strecken und fest unsere Gehirne umklammern wird. Bereits jetzt findet man im deutschsprachigen Teil des Internets Artisan-Küchenmaschinen, Artisan-Orientteppiche und Artisan-Mustertapeten, wenn man etwas länger sucht. Diesen Anfängen gilt es zu wehren.
Auch wenn ein Artisan nichts anderes ist als ein Handwerker, so schwingt in dem Begriff nach heutigem Hörverständnis etwas Hehres, Künstlerisches, Elitäres mit. Man hat vermutlich Bilder im Kopf von Männern im Mittelalter (tatsächlich stammt das Wort aus dieser Zeit), die „irgendwas mit Leder“ machen, ohne Schadstoffe und Ausbeutung. Ein anderes englisches Wort fürs Handwerk ist Craft. Da liegt es nahe, dass wir bald alle Artisan-Weißbier trinken, wenn uns das Craftbier nicht mehr schmeckt. Ob das dem Bierbrauer und Buchautor Oliver Wesseloh gefallen wird, weiß ich nicht. Mit dem Begriff Craftbier hat er jedenfalls Probleme, nicht nur in der besonders umstrittenen halbdeutschen Schreibweise, wie er in seinem Buch Bier leben – die neue Braukultur mitteilt. Allzu leicht ließe sich das Schlagwort von finsteren Mächten instrumentalisieren. Er meint damit Großbrauereien, die den griffigen Begriff als bloße Marketingfloskel ihrer industriegefertigten Plörre aufs Etikett stempeln, um dann genüsslich den Preis zu erhöhen. Dabei ist es noch viel schlimmer gekommen: Längst wurde in Supermärkten Craft-Kaffee und Craft-Eistee in der Kunststoffflasche gesichtet. Dennoch möchte mir Wesselohs Gegenvorschlag, das Ganze ‚Kreativbier‘ zu nennen, nicht recht munden. Seit die sogenannte Kreativbranche, also die meist deprimierend unkreative Werbeindustrie, das Wort kreativ gekapert hat, ist es eigentlich nur noch mit sarkastischen Anführungszeichen zu bekommen: „Siehst du diesen bärtigen Glatzkopf in Schwarz mit Hornbrille und Applewatch? Das ist bestimmt ein ‚Kreativer‘.“
Als das Craftbier in Deutschland ankam, war ich erst mal so angetan von der Sache an sich, dass meine Schutzmechanismen gegen blöde Ausdrücke völlig versagten. Mir doch egal, wie das heißt, Hauptsache es schmeckt. Nüchtern betrachtet ist Craftbier wirklich kein tolles Wort. Aber selbst ohne die Werbeassoziation scheint mir ‚Kreativbier‘ zu aufgesetzt. Es scheint außerdem das zu befördern, was am Craftbier irgendwann nervt: Die Jagd nach immer verrückteren Experimentalgebräuen. Hat man sich in seinem neuen Hobby erst mal die Hörner abgestoßen, möchte man zurück zum goldenen Handwerk. Lieber ein richtig gut gemachtes Pils als den nächsten Wasabi-Holunder-Doppelstout. Also einfach eindeutschen als Handwerksbier? Das klingt wieder nach Handwerker, wir werden ihn wohl nicht los. Trinken Handwerker denn überhaupt Craftbier? Vielleicht brauchen wir die Unterscheidung gar nicht und trinken einfach, was uns schmeckt.
Storytelling ist kein Stahltank
Um noch einmal auf den Kunstmaler zurückzukommen (gottlob ohne uns vom Bier zu entfernen), der ganz alleine Künstler sein wollte. Ich bekam eine Ahnung, wie er sich fühlte, als ich Folgendes in einer Bierfachzeitschrift lesen musste:
„Dort Stahltanks zu lagern, wäre schönes Storytelling“, sagt der Brauerei-Chef.
Falsch. Storytelling wäre, zum Beispiel, das: Jemand denkt sich eine Geschichte aus, in der ausgedachte Figuren mit ausgedachten Konflikten konfrontiert werden, wobei die Konflikte im Verlauf der Geschichte aufgelöst werden oder auch nicht und die Figuren im Idealfall eine charakterliche Wandlung durchmachen. Das ist Storytelling. Ist es gut gelungen, ist es schönes Storytelling. Aber Stahltanks im Keller sind nur Metallgefäße im Tiefgeschoss, daran ändert selbst das verschwurbeltste Banaldeutsch der gedoptesten PR-Strategen nichts. Und das Fass davon, dass man statt ‚Storytelling‘ auch ‚Geschichtenerzählen‘ sagen könnte, wollen wir an dieser Stelle gar nicht erst aufmachen.
Noch mehr kreatives Storytelling habe ich für dieses Craftbuch kuratiert:Wundertüten gibt es immer wieder
Letztes Jahr (gucken Sie hier) spazierte ich am dritten von eigentlich nur zwei Verkaufstagen in die internationale Kinokuniya-Buchhandlung in Shinjuku und hatte noch freie Auswahl zwischen mehreren Variationen der beliebten Neujahrswundertüten, in denen japanische Händler traditionsgemäß zum Jahresauftakt Überraschungssonderangebote zu Schleuderpreisen raushauen. Mein Anfängerglück nicht als solches erkennend, meinte ich, die Gerüchte um die Begehrtheit dieser Tüten seien stark übertrieben.
Also ahnte ich nichts Böses, als ich in diesem Jahr am Nachmittag des Erstverkaufstages mit betonter Lässigkeit ins Geschäft schlenderte. Diesmal wollte ich mehr als eine Tüte. Zwar habe ich von den Büchern aus der von vor einem Jahr bislang nur eines gelesen, aber darauf kommt es ja nun wirklich nicht an. Leider wird nur ein Beutel pro Nase ausgegeben. Deshalb hatte ich meiner Frau 2020 Yen zugesteckt und sie instruiert, sich ganz normal zu verhalten. Im Nullkommanichts würden wir den Laden mit zwei sogenannten Lucky Bags verlassen haben, und niemand müsse je erfahren, dass beide für mich bestimmt sind. Doch, Schockschwerenot, auf dem Wundertütentisch standen nur noch die Ausverkauft-Schilder. Auf Anfrage versicherte man uns, dass es am nächsten Tag eine weitere Chance gäbe, wir uns allerdings gefälligst recht früh, also vor Ladenöffnung, vor dem Haupteingang im Erdgeschoss einfinden sollten, so uns die Sache wichtig wäre. Abkürzungen über andere Zugänge seien nicht erlaubt. Wir fügten uns. Als wir um zehn vor zehn ankamen, warteten bereits ungefähr 20 andere auf ihr Glück.Lesebändchen gegen Nazis
Als ich Ende letzten Jahres kurz in Deutschland weilte, um dem dortigen Buchhandel ein segenreiches Q4 zu bescheren, erschrak ich über mich selbst. Und zwar als ich feststellte, dass es mir beim Bücherkauf offenbar ein Kriterium geworden war, ob ein Buch ein Lesebändchen hatte oder nicht. Dabei mokiere ich mich seit Jahren über die Sammellämmer im Filmbereich, denen Inhalte längst egal geworden sind, solange sie nur in limitierten und nummerierten Blechboxen geliefert werden. Bin ich etwa genauso ein oberflächlicher Ausstattungsfetischist geworden?
Es lebe die Alte-Herren-Fantasie (und zwar möglichst intensiv)
Ich möchte mir einmal mehr Luft machen, damit es mir hinterher besser geht. Wieder geht es um inflationär wie undurchdacht herausposaunte Formulierungen, die mich schon lange um den Verstand bringen. Und wenn schon nicht um den Verstand, dann doch an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Und wenn selbst das nicht, dann gehen sie mir doch gehörig auf den Senkel. Das kann man so stehen lassen.
Es sind heute nur zwei, damit der Text nicht wieder so lang wird. Ich habe schließlich auch noch etwas anderes zu tun, nur falls sich jemand wundert. Die erste Formulierung ist ein Begriff, der immer dann ins Feld geführt wird, wenn ein Schriftsteller mit grauen Haaren und schrumpeligen Fingern es mal wieder geschafft hat, seinen Lebensumständen ein neues Buch abzutrotzen. Besonders wenn er es wagt, ein bisschen aus dem Hosenlatz heraus zu plaudern, kommt er: der Vorwurf der Alte-Herren-Fantasie. Dabei fällt mir stets der oft arg ungerechte und uneinsichtige, im Großen und Ganzen aber ganz wunderbare Marcel Reich-Ranicki ein. Nicht weil er viele Jahrzehnte so ein fantasievoller alter Herr gewesen wäre (an Fantasie gerade mangelte es ihm häufig, aber Schwamm drüber, das ist verjährt), sondern wegen Hitler. Konfrontiert mit dem merkwürdigen Lamento, Adolf Hitler würde in der erzählenden Kunst zunehmend „als Mensch“ dargestellt werden, konterte er (sinngemäß): „Als was soll man ihn denn sonst darstellen? Als Elefant?“Was denn das denn?
Manche Leute sagen „Was denn?“ statt „Wie bitte?“, eine schreckliche Angewohnheit. Ich darf das so sagen, weil ich selbst einer von denen bin. Ich weiß ganz genau, wie das kam. Als Teenager war ich mal für ungefähr fünf Minuten, die mir zunächst wie eine Ewigkeit vorkamen, einseitig verknallt in eine Teenagerin, die gewohnheitsmäßig „Was denn?“ sagte. Da habe ich es mir auch angewöhnt. Die Liebe ist verpufft, die Marotte ist geblieben. Woher das Mädchen sie hatte, weiß ich nicht. Einmal traf ich es wieder, da war es schon eine sie geworden, also aus dem Mädchen eine Frau. Sie forderte von mir Klärung einer längst verjährten Unklarheit, an die ich mich nicht im Geringsten erinnern konnte. Ich sagte nur: „Was denn?“, und ging schnell weiter.
(Klingt diese Pointe etwa so ausgedacht, wie sie ist? In Wirklichkeit ging ich so schnell nirgendwo hin, wand mich nur ganz schrecklich und winselte: „Ich weiß wirklich nicht, wovon du sprichst!“ Glaubte sie mir natürlich nicht, stimmte aber. Ich bleibe bei meiner Aussage.)