Es war Sonntagvormittag, und wir brauchten dringend Alkohol. Nicht den stark verdünnten zum Trinken; davon hatten wir mehr als genug im Haus, nachdem unsere verweichlichte Samstagsgesellschaft sich in erster Linie an Dosenkaffee und Bubbletea gehalten hatte. Wir brauchten den hochprozentigen Stoff zur Oberflächenreinigung. Irgendeine Oberfläche gibt es ja immer zu reinigen, auch ohne besoffene Gäste. Irgendein Alkoholreiniger sollte es derweil nicht sein, wo kämen wir da hin, sondern der, den wir immer benutzen. Den gibt es selbstredend nicht in jedem x-beliebigen Drogeriemarkt. „Wo gibt es den denn?“, fragte ich meine Frau.
Nach reiflicher Überlegung sagte sie: „Bei Donki auf jeden Fall.“ Ich betrete nur ungern die Filialen der Schnickschnack-Kaufhauskette Donki (eigentlich Don Quijote), weil mich die urdeutsche Todesangst plagt, für einen Touristen gehalten zu werden („Hände hoch und sofort die Tüte voller Schrumpelpflaumen-KitKat fallen lassen!“). Das liegt natürlich daran, dass ganz tief in mir sehr wohl ein Tourist dahinvegetiert, der sich liebend gerne mal wieder ins Donki-Gewühl stürzen würde. Also schob ich meine Teenager-Tochter vor. So ein Ausflug schien eine exzellente Gelegenheit, ihr zu beweisen, dass Papa auch coole Sachen machen kann. Eines Tages, so musste ich feststellen, erreichte ‚Hoppe, hoppe, Reiter‘ einfach nicht mehr denselben Fun-Faktor. Wo sind die Jahre hin? Also fragte ich: „Möchtest du mitkommen, wenn ich zu Donki gehe, um Alkohol zu kaufen?“ Ihre Augen leuchteten wie ca. gestern noch bei ‚Hoppe, hoppe, Reiter‘. „Klarometer, Daddy-O!“, sagte sie in typischem Jugendjargon. Ich recherchierte die Donki-Filialen in unserem Umkreis und konnte noch einen draufsetzen: „Möchtest du zum normalen Donki oder zu … Mega Donki?“ „Mega Donki!“ „Mega Donki ist ein bisschen weiter mit dem Zug, allerdings vom Bahnhof weniger zu laufen.“ „Mega Donki!“ „Bei Mega Donki sind höchstwahrscheinlich noch mehr verdammte Touristen.“ „Mega Donki!“ Wir sprühten uns gegen Sonne und Insekten ein, legten unsere Kältekragen an, füllten unsere Wasserflaschen, überprüften den Akkustand unserer Handventilatoren und machten uns vorsichtig auf den Weg zu Mega Donki in Shibuya. Dort war ich zunächst vor allem damit beschäftigt, möglichst demonstrativ all die Geisha-, Samurai-, Godzilla-, Sushi-, Sumo-, Bonsai- und Winkekatzen-T-Shirts zu ignorieren, die mir überall im Weg rumhingen. Apropos T-Shirt (um diesem Blog ein bisschen von seiner guten alten Apropos-Qualität zurückzugeben): Wir haben Nachbarn. Aber nicht mehr lange. Jedenfalls nicht dieselben. Die Nachbarn, die wir jetzt haben, ziehen bald weg. Es handelt sich um ein japanisch-französisches Paar mit einem Sohn im ungefähren Alter unserer Tochter. Klingt nach besten Voraussetzungen für eine wunderbare Freundschaft (zumindest auf Elternebene), aber Pustekuchen. Es ist keineswegs das Gegenteil eingetreten, also kein schlagzeilenreifer Krieg um Fahrradstellplätze oder Müllentsorgungsmanieren, doch auch keine Spur von Nutzung der erheblichen potenziellen Synergieeffekte. Da ist nur ein höfliches Ignorieren und gelegentliches Zunicken, wie unter guten Nachbarn üblich. Mit dem Mann habe ich in den letzten fünf Jahren vielleicht fünf Sätze gewechselt, was zwischen Männern natürlich relativ viel ist. Mit der Frau vielleicht drei. Ebenfalls normal; seit Überwindung meiner Midlife-Crisis quatsche ich nicht mehr so viele fremde Frauen an. Damit kann man leben, doch beiden Parteien ist bewusst, dass wir angesichts unserer besonderen Konstellation eigentlich enge Vertraute hätten werden müssen, die bei ausschweifenden Rotweinabenden Kindergeschichten und Ausländeranekdoten austauschen. Deshalb herrscht bei unseren zufälligen Zusammentreffen auf der Straße stets eine etwas betretene Atmosphäre. Warum habe ich das gleich erzählt? Richtig – T-Shirt. Was die Situation noch unangenehmer macht, ist die Tatsache, dass der Mann und ich dasselbe Pac-Man-T-Shirt besitzen. Und manchmal tragen. Und manchmal gleichzeitig tragen. Und uns dabei manchmal über den Weg laufen. O! M! G!, sage ich nur. Ich könnte jedes Mal vor Scham im Boden versinken. (Selbstverständlich laufe ich unter normalen Umständen eh nicht als Gratis-Werbefläche durch die Gegend, aber den Weg zwischen Haus und 7-Eleven sehe ich als erweiterte Terrasse; da darf man sich etwas legerer kleiden.) Jedenfalls kann ich das T-Shirt wieder ohne Bangen überstreifen, wenn diese eigentlich ganz netten Menschen endlich weg sind. Damit zurück zu Donki. Den Alkohol, den wir suchten, fanden wir nicht. Dennoch fanden wir beide etwas, was den Ausflug zu einem gelungenen machte. Nämlich die Liebe zwischen Vater und Tochter! Nein, Quatsch – ich billiges Bier und sie teures Shampoo. Was ich entweder nicht mehr wusste oder noch nie gewusst hatte, ist, dass Donki eine Billig-Eigenmarke namens Do vertreibt und innerhalb dieser auch Bier. Lagerbier für Normalos, Craft-Bier für Spackos. Selbst die Dosen der Craft-Linie sind günstiger als die Mainstream-Biere der Traditionsbrauereien. Da schrillten bei mir sofort alle Alarmglocken. Sie schrillten: Kauf mich! Kauf mich! Was kann schon schiefgehen? Sie schrillten nicht laut genug, um gleich die gesamte Produktlinie zu testen. Ich entschied mich gegen das IPA, weil IPA, und gegen das Weizen, weil man für Weizen in Stimmung sein muss, und wann ist man das schon. Ich entschied mich für das Mainstream-Lager und das Pale Ale aus der Craft-Reihe.