Ich würde so gerne mal wieder ein Buch kaufen

Und zwar bei dir, lieber stationärer Buchhandel. In letzter Zeit kaufe ich Bücher wieder verstärkt übers Internet. Dabei teile ich sie, all die romantischen Vorstellungen, von denen jetzt überall wieder so viel zu lesen ist (pikanterweise gerade im Internet): die von der kleinen, freundlichen, mit Liebe sortierten Buchhandlung an der Ecke ebenso wie die von dem sonnenlichtdurchfluteten City-Megastore mit Cappuccino-Sitzecke und mehrsprachiger Monsterauswahl. Beides toll, in der Theorie. Ich hätte auch durchaus keine Gewissensbisse, den Internethandel nicht mehr genügend zu unterstützen, wenn ich meine Bücher nicht dort bestellte, wo ich meine Windeln abonniere (also nicht direkt meine Windeln … Sie verstehen schon). Ich unterstütze den Internethandel schon in genügend anderen Bereichen, da kann ich Kulturgüter gern an kulturell wohlfeileren Orten kaufen. Denn die romantische Vorstellung vom Kulturgut Buch teile ich auch, immer noch, trotz der ganzen Lehrerkinder-, Katzenberger-, Torwart- und „Glaub an dich, dann glaubst du an dich“-Bücher da draußen. Die segensreiche Preisbindung kann man meinetwegen gerne auf andere Kulturgüter (Musik, Film, Hörbuch) ausweiten, den Kulturschaffenden und somit auch den Kulturkonsumierenden wird es nützen. Ich hatte in den letzten Jahren durchaus schöne Erlebnisse in real existierenden Buchhandlungen, bin selten ohne Transaktion aus einer hinausgegangen – ob in Bangkok, Barcelona, London, Paris, Seoul, Singapur, Taipeh oder Tokio.

Warum nur kommt das in München, Rothenburg oder Bremen nicht vor? Wieso finde ich dort weder die Dinge, die ich suche (und das ist wirklich selten allzu extravagant; ich bin simpler gestrickt, als ich es selbst wahrhaben möchte), noch Dinge, die ich spontan begehren kann? Die Bücher, die ich mir zuletzt in den Buchhandlungen der zuvor genannten internationalen Angeber-Städte gekauft habe, waren teils genau die, die meiner vorformulierten Kaufabsicht entsprachen, teils verheißungsvolle Zufallsentdeckungen, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte, weder aus der Presse noch von Algorithmen oder Verlagsvorschauen. Letzteres, weil sie von Verlagen stammten, die ich nicht ohne Weiteres auf dem Schirm hatte.

Das wird in einer deutschen Mainstream-Buchhandlung nicht passieren (und nur um solche, vorgeblich breit aufgestellte Buchhandlungen geht es mir – dass es ganz wunderbare fachgebietspezialisierte Läden gibt, stelle ich nicht in Abrede), denn dort wird nichts ins Regal gestellt (geschweige denn auf den Tisch gelegt), was kleiner ist als Heyne. Die Hälfte aller Bücher sieht aus wie Dan Brown, und die Hälfte davon ist bei genauerer Betrachtung auch Dan Brown. Die andere Hälfte ist Pirincci und Sarrazin, also etwas, was ich bei einem Händler mit Gehirn und Gewissen gar nicht sehen möchte. Bei den Kettengeschäften ist das so, weil sie mit den Kettenverlagen kuscheln, beziehungsweise die mit ihnen. Bei den Kleinen ist das womöglich so, weil sie um ihre Existenz bangen und sich Bestseller im Zweifelsfall besser verkaufen als gute Bücher. Dafür vollstes Verständnis, macht den Zustand aber nicht besser. Es ließe sich bestimmt ein Mittelweg finden. Vielleicht mal ein oder zwei Bücher ins Sortiment nehmen, mit denen keiner rechnet. Das wäre ein Anfang, und es wäre bestimmt immer noch genug Platz für Darm mit Charme.

Am Rande sei darauf hingewiesen, dass ich in den meisten der im ersten Absatz erwähnten Auslandsstädte die Landessprache gar nicht genügend beherrsche, um in ihr andere als Miffy-Bücher fließend zu lesen (Abb. unten). Meine wunderschönen Einkaufserlebnisse beziehen sich also im Zweifelsfall lediglich auf die Abteilungen für englischsprachige Bücher in den betreffenden Häusern. Daraus lässt sich der Schluss ziehen: Deren Fremdsprachenabteilungen sind liebevoller bestückt als die Landessprachenabteilungen hiesiger Buchläden. Der Fairness halber sei gesagt, dass es sich in der Mehrzahl nicht um irgendwelche Buchläden handelte, die ich dort besuchte, sondern um bibliophil bekannte Vorzeigegeschäfte. Aber gerade drum sollte man sich an ihnen ein Beispiel nehmen. Wenn man nicht von den Besten lernt, wird’s nicht besser.

Es geht nicht darum, dass jeder Buchhändler jede Underground-Veröffentlichung aus jedem Independent-Knochenbrecher-Verlag vorrätig und im Schaufenster haben sollte. Es geht darum, kleinere Verlage, die genauso professionell arbeiten und anbieten wie jede Random-House-Abteilung, überhaupt in Betracht zu ziehen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das außerhalb von Spezialgeschäften geschieht. Ich demonstriere es gern einmal am eigenen Beispiel. Dabei begebe ich mich auf dünnes Eis, denn es klingt leicht jammerlappig, wenn sich Autoren über mangelnde Präsenz der eigenen Titel bei einzelnen Händlern beschweren: „Buhhuhu – die halten meine Bücher in Geiselhaft! Da muss schnell eine Petition/ein offener Brief/der Staat her!“ So ein Blödsinn. Hat’s ein Händler nicht, geht man halt zum nächsten. Ist ja nicht so, dass beim Handel mit Büchern in Deutschland irgendjemand auch nur annähernd ein Monopol hätte (die gegenteilige Unsinnsbehauptung wird auch durch ihre gebetsmühlenartige Wiederholung nicht wahrer; zu meiner Überraschung hat zuletzt ausgerechnet die Taz versucht, ein bisschen empirische Vernunft in eine Debatte zu bringen, in der die meisten nur diffus gefühlsduseln). Trotzdem kann es anstrengend sein, Händler um Händler abzuklappern, bis man ein Buch findet, das nicht von Dan Brown ist und in etwa vielleicht sogar dem Buch entspricht, nach dem man gesucht hat. Ich also bin wie jeder andere Autor auch: wenn ich in einer Buchhandlung bin, schaue ich erst mal unauffällig, ob meine eigenen Bücher vorrätig sind. Drei sind bislang veröffentlicht: eines in einem sehr großen Verlag, eines in einem relativ kleinen Verlag mit kuscheliger Anbindung an einen größeren Verlag, und eines in einem kleinen Verlag, der alles ganz alleine stemmen muss. Das Buch aus dem großen Verlag finde ich so gut wie immer. Das aus dem relativ kleinen Verlag mit guten Beziehungen finde ich angesichts des etwas abseitigen Themas überraschend häufig, auch wenn ich meistens etwas länger suchen muss. Das aus dem kleinen Verlag so gut wie nie. Es geht mir, wie gesagt, nicht um die himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass gerade mein Buch gerade nicht bei Hugendubel auf dem Tisch am Eingang liegt (da liegen ja meist eh die Mängelexemplare und scheinreduzierten Kochbücher). Es geht um das strukturelle Problem, dass dieses Buch – und andere Bücher anderer Autoren, anderer Verlage – im Handel komplett unsichtbar ist, abgesehen vom Internet-Handel. Da hilft auch nicht das ständig breitgetretene Argument, der Buchhandel könne ja jedes lieferbare Buch in Windeseile bestellen. Ich will gar nicht erst davon anfangen, dass man immer wieder auf Mitarbeiter trifft, die das offenbar nicht können. Oder davon, dass es schon etwas anderes ist, ob man ein Buch am nächsten Tag an die Wunschadresse geliefert bekommt, oder nach Feierabend noch mit dem Abholschein in die Stadt hetzen muss, bevor das Ladenschlussgesetz seine hässliche Fratze zeigt. (Ja ja – früher ging es auch ohne Internet und Lieferung frei Haus und ständige Verfügbarkeit von allem. Genauso wie es früher auch ohne Telefon/Heizung/Penicillin ging. Ansprüche ändern sich nun mal mit den Möglichkeiten, darüber gibt es kein Mokieren.) Es geht darum, dass ein Kunde nicht nach einem Buch fragen kann, von dem er gar nicht wissen kann, dass es existiert.

Man muss es so sagen: der große, böse Internet-Handel ist ein Segen für liebenswerte, kleine Verlage und deren liebenswerte, kleine Autoren. Egal, was die Verschwörungstheoretiker gerade behaupten: Algorithmen unterscheiden nicht zwischen opportun und inopportun, allenfalls zwischen gut lieferbar oder nicht so gut lieferbar. Da stehen klein und groß gleichberechtigt nebeneinander.

Ist dies also ein Plädoyer für den hemmungslosen Internet-Kaufrausch? Nein, ich plädiere dafür, dass der stationäre Handel gefälligst ordentlich arbeitet und zumindest ansatzweise die Vielfalt des deutschen Buchmarktes darstellt, verdammt noch eins. Dann klappt’s auch wieder mit uns. Ich komme demnächst zu einem unangekündigten Kontrollbesuch vorbei. Ich will, dass sich bis dahin was geändert hat. Und ich will, dass ich dann mit mindestens einem Buch (kein Kochbuch, kein Mängelexemplar) den Laden verlasse. Davon haben wir beide etwas, lieber, noch immer hochgeschätzter stationärer Buchhandel.

Sie können mich mal gernhaben (ich habe Sie ohnehin gern!)

Sie haben bestimmt bemerkt, dass vor kurzem unter den Beiträgen hier überall Knöpfe aufgetaucht sind, die vorher nicht da waren. Trauen Sie sich, drücken Sie ruhig mal drauf, dann passiert irgendwas! Nein, ich habe nicht angefangen zu twittern, zumal ich nach wie vor nicht so ganz genau weiß, was das eigentlich ist. Und auch zukünftig werde ich netzwerktechnisch asozial bleiben. Aber Ihnen, untertänigst verehrte Leserinnen und Leser, möchte ich fürs erste nicht mehr vorschreiben, was Sie zu tun oder zu lassen haben. Deshalb dürfen Sie mich jetzt durchaus weitertwittern, auch wenn mir die Sache nicht ganz geheuer ist. Und Sie können mich mal liken, Sie wissen schon wo.

Ich werde die Sache mit kritischem Auge beobachten. Sollten die Ergebnisse zu beschämend sein, nehme ich den Unsinn wieder runter. Ich hoffe, das geht.

Wo der Computer schon mal an ist: Es gibt wieder mal anderswo Anderes von mir zu lesen. So habe ich unlängst beim Fünf-Bücher-Projekt den Dicken gemacht. Bitte kaufen Sie meine fünf Bücher und alle anderen fünf Bücher, es ist gleich doppelt für einen guten Zweck (Ihr Lesevergnügen und eine wohltätige Organisation).

Auch für einen guten Zweck: Am nächsten Donnerstag, den 28. Juli, liest Christine Bongartz in Bremen aus meiner Gebrauchsanweisung für Japan, musikalisch begleitet von Naoko Marutani. Alle Fakten hier.

Und es gab neues zu besprechen:

Film

Garden of Sinners Film 2: Morderverdacht Teil 1

Gothic & Lolita Psycho

Kite Liberator – Angel of Death

Monga – Gangs of Taipeh

Buch

Stephen Clarke: Gebrauchsanweisung für Paris

Barry Eisler: Paris is a Bitch / The Lost Coast

Don Winslow: Satori

Wichtiger Hinweis für Funsportler und andere Lebensmüde

Wer sich die Mühe macht, die Spitze des zweithöchsten Gebäudes der Welt Taipei 101 zu bereisen (oben), der findet dort nicht etwa grenzenlose Freiheit, sondern ganz irdische Verbote (unten).

Genießen Sie also die Aussicht (unten) und seien Sie nicht enttäuscht, wenn Sie runter auch wieder den Fahrstuhl nehmen müssen.

Ich selbst bin längst wieder zuhause in Tokio. Was habe ich in Taiwan getan außer Buchstaben sammeln (siehe zuvor) und aus dem Fenster gucken? Schwitzen. Und wie war’s? Ich singe es mit der Sängerin Gustav: Verlass die Stadt. Wälder, Berge, Meer, alles wunderschön. Taipeh hingegen charakterlos bei Tag und Nacht. Muss man auch mal sagen dürfen. Günstig und gut essen kann man, sagen alle, und es stimmt schon, aber Geiz und Völlerei darf nicht der oberste Maßstab sein. Und wer hat bei der Hitze schon immer Appetit.

Irgendwann findet man es bei allem Wohlgeschmack auch nicht mehr wunderbar authentisch, in einer Garage unter Neonlicht auf Plastikstühlen in Gesellschaft anderer Schwitzender in Unterhemd und Shorts zu essen, während man lauwarmes Wasser aus Pappbechern nippt. Man sehnt sich klammheimlich nach einem echten Restaurant mit Klimaanlage, Dimmer, Getränkekarte und bekleideten Menschen. Gibt es. Zum selben Preis jedoch auch anderswo in der Welt.

Aber die Landschaft: Alle Achtung, die ist wirklich gut geworden. Wenn es die auch noch in kühler gäbe.

Who put the Ö in Taipei?

Liebes Blög,

ich bin in Taiwan, und hier ist alles so fremd. Überall sind eigentümliche Schriftzeichen, besonders häufig sehe ich das sogenannte Ö. Der Fernseher in meinem Hotelzimmer ist von dieser Marke:

Darauf empfange ich unter anderem diesen Spielfilmsender:

(Mit im Bild: ein Gladiatör.)

Und in der Apotheke um die Ecke hatte dieser Arztbär eine gemütliche Sprechstunde:

Um auf die Frage in der Überschrift zurückzukommen: Ich glaube, dieser Kollege war es.

Das Maskottchen des Gebäudes Taipei 101.