Es war schon spät geworden während meines letzten Blogeintrags zu den Unsinnsphrasen in Schriftstellerberichterstattung und Schriftstellerbefragung, da habe ich mir einen Unsinn aufgespart, den ich ursprünglich auch noch anprangern wollte. Gern hole ich heute das Versäumte nach. Es geht um des Schriftstellers Feierabend, dieses offenbar unbekannte Wesen.
In Interviews mit beruflich Schreibenden lese ich häufig Varianten der anbiedernden Servicefrage: „Ja, haben Sie denn überhaupt jemals Feierabend, Sie Ärmster?“ Es kommt selbstredend eine Variante genau der Antwort, die man hören will: „Ach, nein, ich Ärmster habe niemals Feierabend. So etwas kennt man in meiner Zunft gar nicht.“ Gemeint ist damit keineswegs, dass man jede Nacht und den ganzen Tag unermüdlich an der alten Moleskine-Schreibmaschine rattere, sondern dass – ach! – der Stoff auch dann noch erbarmungslos im Kopf rattert, wenn das Schreibgerät bereits runtergefahren ist. Fragte mich jemand diese Unsinnsfrage (aber mich fragt ja keiner), und hätte ich meinen ehrlichen Tag, würde ich Antworten: „Logo habe ich Feierabend, so wie jeder andere Berufstätige auch. Meiner ist meist so gegen 22 Uhr.“ Bedeutet das etwa, ich stelle das Denken danach ein? Dächte gar nicht mehr an das Geschriebene und das zu Schreibende? Doch, und mitunter greife ich sogar zum Notizblock, ehe bedeutende Gedanken in Vergessenheit geraten. Feierabend ist das trotzdem. Der Bäcker denkt selbst nach der Arbeit manchmal an seine Brötchen, der Banker an seine Zahlen, der Content Manager an seine Premiuminhalte und der Schriftsteller eben an das, was seine Figuren jetzt gerade tun. Eine komplette Trennung von Arbeit-Ich und Freizeit-Ich gibt es nicht, so ist das menschliche Gehirn nicht gewunden. Das heißt nicht, dass man jedes Mal arbeitet, wenn man an Arbeit denkt. Vielleicht sagt nun einer, der partout Mitleid haben möchte: „Na, aber immerhin: 22 Uhr ist ja schon mal ’ne beachtliche Hausnummer, mein lieber Scholli!“ Sage ich: „Das ist halb so wild, wie es sich anhört. Dafür mache ich ja am Nachmittag so gut wie gar nichts.“ Einer der Vorteile der Freiberuflichkeit ist, dass man nicht nur irgendwann Feierabend hat, sondern auch vier Stunden oder mehr Mittag machen kann. Eine der erfrischendsten Gegendarstellungen zur angeblichen Selbstzerfleischung der Literaturarbeiter las ich unlängst in einem Aufsatz des US-Schriftstellers Gary Shteyngart. Darin schrieb er von den Freuden seines neuen Hobbys, dem Sammeln von Automatikuhren. Und ganz nebenbei ließ er das Statement vom Stapel, das man gerne mal denen unter die Nase reiben würde, die sozialmedial ständig mit der Quantität ihrer Arbeit und mit ihrer Feierabendlosigkeit prahlen: Es sei nicht sinnvoll, mehr als vier Stunden am Tag zu schreiben, länger könne man sich eh nicht gescheit konzentrieren. Danach wäre Zeit zum Uhrengucken. Da brüllt der Sozialneider: „Ja-ha – der feine Herr US-Bestseller-Autor! Der kann sich das natürlich leisten, bloß zweimal im Jahr eine funkelnde Glosse für so ein neoliberales Gutmenschenheftchen zu ziselieren! Unsereins hingegen muss die stumpfen Serienkillerschinken im Quartalstakt auf den Markt reihern, sonst merkt noch einer, wie verzichtbar die sind!“ Ich brülle nicht, sondern klatsche hüpfend in die Hände und freue mich für Gary Shteyngart, denn er lebt den Traum. Wäre ich einmal so flüssig, dass man direkt von Überfluss sprechen könnte, würde ich das auf Zeitmanagementebene ähnlich einrichten und das überflüssige Geld ähnlich investieren. Natürlich erst mal Bildung für das Kind und Schuhe für die Dame, aber dann ab ins Herrenuhrengeschäft. Im Grunde sammle ich bereits Automatikuhren. Nur nicht die, die ich gerne sammeln würde. Angefangen hatte es selbstverständlich mit akkuraten Fälschungen aus dem asiatischen Straßenverkauf. Es kam mir dabei nie darauf an, jemanden tatsächlich im Glauben zu lassen, ich müsste mich jeden Morgen zwischen Rolex und Patek Philippe entscheiden, sondern darauf, preiswert auszuprobieren, was mir im Ernstfall gefallen würde. Eher Patek, hat sich herausgestellt, wobei es auch schöne Rolexe gibt. Wer die Rolex generell für einen Geschlechtsteilersatzklunker für Hip-Hopper und Börsianer hält, hat sich mit ihrer Modellvielfalt nie auseinandergesetzt. Bis dieser Ernstfall allerdings eintritt, spezialisiere ich mich auf preiswertere Modelle von Hausmarken lokaler Uhrengeschäfte, wie die ‚Movement in Motion‘-Reihe der japanischen Handelskette Tic Tac.