Traurige Nachrichten vom Printmarkt

Ich muss mich entschuldigen, diese Nachricht ist eigentlich schon sowas von 14. Oktober, aber ich habe mich erst jetzt ein wenig sammeln können. Traurige Nachrichten sind im Zeitungs- und Zeitschriftensegment gewiss keine Seltenheit, aber diese hatte mich doch ein bisschen stärker aus der Bahn geworfen als die übliche Kunde vom Zeitungssterben. Ich fing ganz schlimm an zu weinen, als ich sie hörte, und konnte gar nicht mehr aufhören. Inzwischen geht es einigermaßen. Es kommt nur noch ein gelegentliches Schluchzen, und das Zittern ist soweit unter Kontrolle, dass ich wieder schreiben kann. Trauer teilt man am besten mit anderen, sonst geht man daran kaputt, ein Mensch ist keine Insel. Die traurige Nachricht, von der ich rede, heißt: Business Punk. Und am Donnerstag ist sie erschienen.

ekelhafterscheissmistkackdreck

Für sowas hat Gruner + Jahr also Geld. Denen geht’s wohl zu gut, hört man ja immer wieder. Hartnäckig halten sich die Gerüchte, Business Punk wäre aus einem hausinternen Kreativ-Wettbewerb hervorgegangen, aber das ist bestimmt nur so ein gehässiger Branchenwitz. So wie sich Werber hin und wieder auch als ‚Kreative‘ bezeichnen und dabei still denken: Höhö.

Noch nie habe ich mich so geschämt, ein berufstätiger Mann zu sein. Dieses Heft bitte nicht in meinem Namen. Ich hoffe, liebe Leserinnen (Leser mitgemeint), Sie rechnen mir hoch an, dass ich meine Scham schön mollig in Winterkleidung gehüllt habe und durch Wind und Wetter zum nächsten Hugendubel gestiefelt bin, um mir ein eigenes Bild von dem Grauen zu machen und es mit Ihnen zu teilen. Selbstverständlich konnte ich Business Punk nicht einfach so auf die Theke knallen, was sollte die Verkäuferin denken. Deshalb habe ich noch die Jubiläumsausgabe von BUSENREPORT AKTUELL dazu genommen, um ein wenig vom peinlichen Teil des Einkaufs abzulenken. Es ergab sich folgender Plausch, der sich wirklich fast genau so zugetragen hat:

Verkäuferin (lacht): „Sie sind der Erste, der das bei mir kauft.“

Ich (erstaunt): „Wirklich? BUSENREPORT AKTUELL geht doch immer …“

„Nein, ich meine Business Punk.“

„Ach so, haha, naja, hoffentlich auch der Letzte.“

„Gibt ja eh nur eine Ausgabe.“

Ich gebe ihr taktlos meine Amazon-Kreditkarte.

Hugendubel-Verkäuferin (50% jovial-vorwurfsvoll, 50% echt-vorwurfsvoll): „Die nehm ich aber nur, weil Sie es sind!“

Ich (erschrocken): „Au, Scheibenkleister! Entschuldigen Sie, ich habe nicht mitgedacht! Warten Sie, ich habe einen Haufen anderer …“

„Lassen Sie mal, sonst überlegen Sie es sich noch anders.“ Der Zahlvorgang wird abgeschlossen. Sie sagt zum Abschied: „Dann wünsche ich gutes Gelingen.“

Ich (verwirrt): „Wie? Nein, das ist nur für die Recherche, ich bin nicht so einer.“

„Nein, ich meine BUSENREPORT AKTUELL.“

„Ach so, danke.“

Auf dem Cover von BUSE Business Punk ist Richard Branson mit herausgestreckter Zunge abgebildet, dazu das ihm zugeschriebene Zitat: „Ich breche Regeln[.]“ Dass Branson irgendwelche Regeln bricht, ist tatsächlich eine Topmeldung, denn eigentlich ist doch gerade er als ein besonders dröges Beispiel des modernen Standard-Business-Dödels bekannt (Hobbies: Geld verdienen, Jeans tragen, in irgendwas rumfliegen). Auf dem Cover von Business Punk bricht er aber wirklich eine Regel (immerhin). Nämlich die, dass man als erwachsener Mann niemals jemandem oder etwas die Zunge rausstrecken sollte, wenn man eine Regel brechen will. Die rausgestreckte Zunge gilt nämlich nur bis zu einem Alter von ca. 5 Jahren als regelbrechender Punkergestus. Erwachsene haben andere Ausdrucksmöglichkeiten, zum Beispiel Molotowcocktails. Die Zunge strecken allenfalls solche Erwachsenen raus, die sich für „auch ein bisschen verrückt“ halten, weil sie manchmal „auch total verrückte Sachen“ machen. Spießer, in einem Wort. Aber seit sich erholsamerweise nicht mehr jeder Spießer überall mit Schmuck durchsticht und es alle zwei Minuten zwanghaft herzeigen muss, bleibt auch in dieser Bevölkerungsschicht das Schleckwerkzeug meist in seiner Höhle. Ob Teufelskerl Branson noch mehr Regeln bricht, steht vielleicht im Interview, aber das lese ich einfach nicht. So geht nämlich Punk. Konsequente Verweigerungshaltung. Ich weiß das, denn Punk ist mein Business.

Anderen muss erst mal erklärt werden, wer oder was Punk ist. Das macht Business Punk im ‚Dossier Andersmachen‘. Dort erfährt man, dass Quentin Tarantino Punk ist, weil er keine eigenen Ideen hat, und Benedikt Taschen, weil er fünfmal pro Tag onanieren kann. Ein ideenloser Wich Onanist wäre also der Alpha-Business-Punk. Hat das bei der Covergestaltung eine Rolle gespielt?

Was ist sonst im Heft? Unsinnsthema Twitter, Unsinnsthema Facebook, Unsinnsthema Meeting-Hölle. Zu letzterem gibt es ein lustig aussehendes Ja/Nein-Spiel mit Feldern und Pfeilen. Hab ich angefangen zu spielen, dauerte aber länger als jedes meiner Meetings der letzten Woche und war weit weniger amüsant. Dann haben wir noch Interviews mit Menschen namens Shaun White (irgendwas mit Skateboard), Oliver Kahn (wohl ein Fußballer) und Dings (CEO von Bums, wenn ich mir das richtig gemerkt habe). Und kann man überhaupt genügend selbstgerechten Zorn aufbringen, wie es nötig wäre, um sich angemessen über eine Story aufzuregen, die auf der Titelseite als ‚Sexy Sekretärin – Die Versuchung im Vorzimmer‘ angepriesen wird, und die im Heft ‚Zur Sache, Kätzchen‘ heißt, weil ‚Schätzchen‘ wohl nicht sexistisch genug war? Nein, kann man nicht, sonst motzt nur wieder der Stammtisch der Verwesenden über die böse ‚political correctness‘ (Stammtisch-Fachausdruck, normale Menschen sagen: Anstand). So geht man auch über das beigeklebte Gimmick mit unangebrachtem Großmut hinweg: Ein Türhänger mit den Worten „Komme gleich!“ und der Silhouette einer vermutlich nackt gemeinten Frau in James-Bond-Vorspann-Maßen. Man ärgert sich nicht, man wärmt sich nur am Gedanken: Wenn morgen die Sonne aufgeht, werde ich immer noch da sein. Business Punk aber nicht.

Trotzdem: Mir ist unbegreiflich, wie so ein Magazin überhaupt passieren konnte, und das gerade jetzt. Wofür haben wir denn die Krise? Wer macht sowas? Gut, es stehen Namen im Impressum, aber das können ja nur Decknamen sein. Ist hier die reine Verzweiflung die Antriebsfeder? Hat man wirklich nicht gewusst, dass ein Leben unterhalb der Armutsgrenze weit mehr Würde hat als eines als Mitarbeiter eines Magazins namens Business Punk? Hat mal wieder keiner von was gewusst? Ist es wieder soweit in Deutschland? Oder bin ich zu empfindlich, und Deutschland bekommt bloß die Zeitschriften, die es verdient?

Ja, könnte sein. Denn am gleichen Tag wie Business Punk sind zwei weitere neue Frauenzeitschriften für Männer erschienen: Gala Men (Topthemen: Brad Pitt und der Penis) und BEEF! (Topthemen: der Papst und Kochen mit Eiern). Der Tag war eh verloren, da habe ich mir die beiden auch noch gekauft. Erwartungsgemäß sind die Magazine für sich nichts als sinnloses Waldsterben, aber im Vergleich zu Business Punk sind sie künstlerisch, literarisch und konzeptionell von erlesenstem Niveau. Man könnte fast sagen: Punk. Aber nur fast, und nur man. Ich nicht.

Mein erstes Mal in Japan (3): Oktoberfest

Aufs Münchner Oktoberfest kriegen mich keine zehn wimpernklimpernden Bikinimädchen, seit mir dort mal jemand auf den Kopf gekotzt hat. Lange Geschichte. Eigentlich extrem kurze Geschichte, sie ist ja auch in der Quintessenz bereits wiedergegeben, die genaueren Umstände sind schwierig zu erklären, man müsste Diagramme zeichnen, das ginge zu weit. Ich habe Glück: Ich lebe ohnehin in München, deshalb muss ich nicht aufs Oktoberfest. Bier ist in München ganz legal an jedem Tag des Jahres zu bekommen, ausgeschenkt in Gaststätten, in denen teilweise sogar noch bessere Musik gespielt wird als auf dem Oktoberfest, und in denen Menschen verkehren, die ihre Zuneigung anders zeigen können als fremden Menschen auf die Köpfe zu kotzen.

Aber in Tokio kann ich so ein Oktoberfest mal mitmachen, finde ich. Das Stadtviertel Roppongi ist in den letzten Jahren wahnwitzig schnell versnobt und ver-yuppiet, und das ist eine ganz wunderbare Entwicklung. Jeden Tag danke ich Gott auf Knien dafür. Vorher war Roppongi Ballermann, nur nicht so kultiviert. Jetzt gibt es hier die besten Kunstmuseen, die schönsten Hochhäuser und die teuersten Einkaufszentren der Welt, man möchte gar nicht mehr weg. 2003 war der protzige Büro/Shopping/Gastro/Wohn/Kultur-Komplex Roppongi Hills der letzte Schrei, seit 2007 ist es der noch protzigere Büro/Shopping/Gastro/Wohn/Kultur-Komplex Tokyo Midtown ein paar Ecken weiter. Dort findet auch der ‚Tokyo Midtown Deutsch Bier Garten‘ statt, zu dem es mich zieht. Gut, es heißt nicht direkt ‚Oktoberfest‘, fällt mir gerade auf. Sein Sie doch nicht so. Ich bin bereit, ein Auge zuzudrücken.

Sieht auch nur bedingt nach Oktoberfest aus, was dort auf der Rasenfläche von Tokyo Midtown aufgestellt wurde. Die Sauf- und Fressstände scheinen mir authentische Importe, alles Hofbräu-lizensiert. Aber die mit weißem Tuch überdachten Sitzbänke und die weißen Stehtischchen sind eher Ferrero-Party mit German Kleinigkeiten. Gefällt mir. Es gibt eine Musikbühne, da stehen Tuba und Kuhglocke, aber keine Musiker. Gefällt mir auch.

Natürlich bestehe ich auf Japanerinnen in Dirndls. Aber dafür hätte ich wohl doch auf die Münchner Ausgabe gehen müssen. Eine immerhin läuft rum, sie verteilt Handzettel, auf denen mehrsprachig die Biersorten und die Maßeinheiten erklärt werden. Ich bekomme keinen, weil ich wissend lächle. Man kauft sich Wertmarken an einer Bude, die tauscht man an einer anderen Bude gegen das frisch gezapfte Bier ein. Am Ausschank ist eine junge Dame mit mehrfach gefärbten Haaren, die ich für deutsch halte (die Dame [okay, die Haare auch]). Ganz sicher bin ich mir nicht, sie macht das gut mit Japanisch, Deutsch und Englisch. Sie kann besser Sprachen als Zapfen, und das begrüße ich. Zapfen ist zwar auch wichtig, kann man aber spät im Leben noch lernen. Sprachen nicht, glauben Sie mir.

Hunger habe ich leider auch. Das ist gemeinhin ein Problem auf solchen Veranstaltungen. Bei ähnlichen Anlässen in Bayern wird bloß groß geschaut, wenn ich frage: „Gibt’s das Hendl auch in Tofu?“ Auch hier kann man nur wählen zwischen zwei Ständen: ‚München Oktoberfest Originale Wurst‘ und dem ‚Franzl Grill‘. Also kaufe ich für viel Geld eine Brezn. Ich hätte gern noch eine Gurke dazu gekauft, so großen Hunger habe ich, aber so viel Geld nicht. Angesichts des Preises gehe ich davon aus, dass es sich um eine dieser Riesenbrezn handelt, von denen man Bauchschmerzen bekommt, wenn man sie nicht mit den anderen Kindern teilt. Ist aber nur eine kleine, ist schließlich Tokioter Oktoberfest, nicht die Münchner Schnäppchen-Wiesn. Macht nichts, mein Bier ist ja auch nur ein kleines. Der Wertmarkenverkäufer hat mich bei der Bestellung mit einer Mischung aus Enttäuschung, Mitleid und Verachtung angesehen, bilde ich mir ein. Aber mein Tokio-Aufenthalt neigt sich dem Ende zu, da sitzt das Geld nicht mehr so locker. Außerdem spiele ich mit dem Gedanken, mir noch den neuen ‚20th Century Boys‘-Film auf DVD zu kaufen.

Wie gut, dass es zu regnen anfängt. Ich habe nur einen unüberdachten Stehplatz, da komme ich nicht in Versuchung, meine Besuchszeit auszudehnen. Womöglich noch, bis die Blasmusik mit Kuhglocke käme. Wenn die kommt, kenne ich immer kein Halten mehr, dann wird durchgemacht bis morgen früh.

Aber sche war’s scho. Fast so schön wie in München, wenn kein Oktoberfest ist.