Das große 2025-Compuserve-Weihnachtsspecial, mit Stargast Abraham Benrubi

Frauen! (Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen.) Da habe ich in meinem letzten Blogeintrag lang und breit erklärt, dass meine alljährliche Weihnachtsfilmübersicht dieses Jahr ausfallen muss, weil meine Frau wegen Qualitätsbedenken keine neuen Weihnachtsfilme gucken möchte. Und dann meint sie auf einmal: „Wir sollten bald mal anfangen.“

Dass sie etwas Weihnachtsrelevantes meinte, ging aus dem Kontext hervor, ist schließlich Dezember. „Eigentlich sind wir schon fertig“, antwortete ich etwas verwirrt. „Der Baum muss so. Hana ist jetzt in ihrer zen-haften Weniger-ist-mehr-Phase. Teenager-Faulheit sagt man heute nicht mehr.“

„Nein, ich meine Weihnachtsfilme.“

„Himmel, Arsch und Zwirn!“, brüllte ich sie freundlich an. „Ich mache dir seit Wochen Vorschläge, aber du schmetterst jeden ab!“

„Ich würde gerne den mit Michelle Pfeiffer sehen.“

„Der ohne Michelle Pfeiffer hat bessere Kritiken bekommen.“

„Dann erst mal den.“

This is Christmas fällt nicht so sehr wegen seines starken, einfallsreichen Titels auf, sondern zunächst wegen all dem, was dieser Film nicht zu bieten hat. Es gibt keine Enemies-to-lovers-Geschichte um eine aufgekratzte großstädtische Karriereziege und einen kleinstädtischen, gut gebauten Krämerladenbesitzer (junger Witwer mit ganz tollem Kind). Es gibt keine sexualisierten Weihnachtsmänner für das Prosecco-Publikum, das seine Weihnachtsfilme am liebsten ‚herrlich frech und ein kleines bisschen anders‘ möchte. Es gibt keinen Slapstick um fehlfunktionierende Weihnachtsdekoration für alle, die immer noch über Chevy Chase lachen können.

Das ist schon mal ein Anfang. Es hilft wirklich, dass man offenbar ein paar Minuten länger über die Handlung und die Stimmung nachgedacht hat. Es geht um einen jungen Mann, der eine Gruppe von Zufallsbekanntschaften aus dem öffentlichen Personennahverkehr zu einer Weihnachtsfeier einlädt. Darunter auch die junge Frau, in die er sich verlieben wird (und umgekehrt). Das mag nicht bookerpreisverdächtig klingen, doch die Weihnachtsfilmlatte hängt derzeit so tief, dass diese Story locker drüber springt, und zwar mit Salto. Es hilft ebenfalls, dass dieser Film nicht aussieht wie von Praktikanten kurz vor Feierabend runtergekurbelt, sondern wie von professionellen Filmemachern gestaltet, die ihre Arbeit mit Stolz und Leidenschaft verrichten. London im Winter sieht aus, wie London im Winter aussehen sollte (also wahrscheinlich nicht so, wie es tatsächlich aussieht). Die Besetzung ist hochwertig, obwohl nicht jeder seinem Status entsprechend ausreichend zu tun hat. Welchen Zweck die Rolle Ben Millers hat, für mich nach wie vor der einzige Death in Paradise-Ermittler, hat sich mir beispielsweise nicht erschlossen. Vielleicht hätte man aus dem Stoff und dem umfangreichen Personal lieber einen ambitionierteren Reigen à la Tatsächlich Liebe machen sollen, in dem jeder zu seinem Recht kommt. Hätte aber auch schief gehen können, also vielleicht lieber nicht. Passt, wie es ist.

Achtung, jetzt wird’s mächtig 90er-Jahre-mäßig. In Christmas Bloody Christmas spielt Abraham Benrubi einen militärischen Weihnachtsmannroboter, der kurz vor Weihnachten ein paar Leute abschlachtet. Schöne Bescherung. Warum das Militär Weihnachtsmannroboter herstellt, weiß ich nicht, hab ich halt nicht aufgepasst, ist jetzt eh nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist Abraham Benrubi. Denke ich an die 90er, habe ich sofort sein freundliches Gesicht vor Augen. Der Zwei-Meter-Mann spielte unter anderem in Parker Lewis – der Coole von der Schule und Emergency Room – die Notaufnahme mit. Mehr 90er-Jahre-Ownership geht nicht. Außerdem erinnere ich mich an den Fun-Fact, dass er schon damals eine Internet-Fanseite hatte. Zu jener Zeit ein Kuriosum, das ich sogleich in meiner Bremen-Norder Stadtteilmagazin-Kolumne ‚Die erogene Fußgängerzone‘ erwähnen musste, quasi dem direkten geistigen Vorgänger dieses Blogs. Vermutlich in einer meiner vielen messerscharfen ‚Dieses Internet wird sich eh nicht durchsetzen‘-Polemiken.

Benrubi ist jedenfalls so 90er wie Netscape, nur glücklicherweise nicht so vorbei, denn er ist ja jetzt in Christmas Bloody Christmas (im Folgenden „CBC“ genannt). CBC ist von 2022, doch zuerst dachte ich, er würde in den 90ern spielen, so stark ist Benrubis Voodoo. Der Film beginnt mit nachempfundenen Werbespots im Röhrenfernseherformat (leider nur leidlich witzig). Ich meine, dort spielt er bereits als Familienvater mit, aber ich kann mich irren, und wir werden es nie erfahren, wenn wir nicht schnell die Compuserve-CD aus der Papierhülle mit Plastikfenster nesteln, die Software auf unserem Tower installieren, unser Modem anschmeißen, Netscape aufrufen, auf Yahoo surfen und nach der Abraham-Benrubi-Fanpage suchen.

„So ein Quatsch!“, ruft Abraham Benrubi. „Compuserve verwendete überhaupt kein Netscape, sondern den hauseigenen Mosaic-Browser!“ Daraufhin der Nerd aus der Peripherie des Freundeskreises, der schon damals jeden als unwertes Leben erachtete, der nicht mit Linux arbeitete: „Aber hallo, klar konnte man Compuserve mit Netscape verwenden! Man musste nur das Blah in der Blah mit Blah überschreiben und einmal aus- und wieder anschalten! Warum allerdings sollte man überhaupt so grenzenlos doof sein, Compuserve zu benutzen, wenn man unter Linux auch …“ Und zack, hat er sich eine eingefangen. Manche Dinge ändern sich zum Glück nie.

Die eigentliche Handlung von CBC beginnt in einem grungigen Plattenladen mit leuchtendem Neon-Graffiti an den schwarzen Wänden, wie es das nur in 90er-Jahre-Filmen gab. Vor allem in solchen, in denen sich Mainstream-Hollywood bemühte, jugendliche Subkultur abzubilden. Dann folgt in diesem Film allerdings bald der erste 30-Seconds-to-Mars-Witz (die lästige Vanity-Band wurde zwar in den 90ern gegründet, doch die Witze sind ein relativ junges Phänomen), und das erste Smartphone lässt ebenfalls nicht lange auf sich warten. Die erste Hälfte ist größtenteils Gesabbel in schön fotografiertem Ambiente. Gesabbel ist für mich wie Autoverfolgungsjagden: Sehe ich im echten Leben kritisch, finde ich in Film und Fernsehen aber mitunter ganz amüsant, solange es geschmackvoll gemacht ist. Ich habe schon besseres Gesabbel gehört als das in CBC, glücklicherweise auch schlechteres. Inhaltlich geht es in erster Linie um popkulturelle Phänomene wie Filme und Musik. Der Duktus ist dabei ein wenig zu authentisch geraten. Authentizität und Realismus sind nicht das, wonach Drehbuchautoren streben sollten, wenn sie Dialoge verfassen. Sie sollten lieber gut als authentisch schreiben, man ist ja nicht in der U-Bahn oder beim Bäcker. Dennoch vertreibt das Gesabbel in CBC die Zeit, bis das Abschlachten richtig losgeht, wilder und origineller wird als bei den ersten ein oder zwei Aufwärm-Morden. Im letzten Akt kämpft das Final Girl Seite an Seite mit zwei uniformierten Polizisten, die aussehen wie Nick Cave und ein Bad Seed (vermutlich dieser bärtige Geiger, ich bin da ein bisschen raus). Aber nicht lange, es ist halt ein Slasher-Film. Ein sehr gut aussehender und flott erzählter Slasher-Film. Mit ein bisschen mehr Skriptfeilerei hätte daraus ein echtes Weihnachtswunder werden können. Außerdem erwähnenswert: Riley Dandy. Keine Ahnung, wer das ist. Jemand sollte ihr zumindest eine Wikipedia-Seite spendieren, wenn nicht gar eine Netscape-optimierte Fanpage. Wäre CBC aus den 70ern, würde sie heute auf Conventions Seite an Seite mit Sigourney Weaver und Jamie Lee Curtis Devotionalien signieren. Falls sie das nötig hätte.

Da mein gebührenfinanzierter Blog auch einen Bildungsauftrag zu erfüllen hat: Abraham Benrubi ist ein character actor, aber kein Charakterdarsteller. Diese Vokabeln sind false friends, wie wir im Englischunterricht sagen. Obwohl beide Begriffe mit einer gewissen Bedeutungselastizität gesegnet sind, so meint der deutsche meist doch einen Schauspieler, der auf die besonders schwierigen, charakterlich komplexen Rollen spezialisiert ist. Der englische hingegen meint in seiner gängigsten Verwendungsweise beinahe das Gegenteil, also jemanden, der auf eine bestimmte, oft stereotype Rolle festgelegt ist. Deshalb sind klassische character actors meist die, die man schon tausendmal gesehen hat, ohne ihre Namen zu kennen: Der Typ, der in Mafia-Filmen immer den Mann fürs Grobe spielt. Der Typ, der immer den fetten, korrupten Cop mit dem Herzen aus Gold spielt. Der Typ, der immer den quengeligen Kleinganoven spielt. Gut, Steve Buscemi ist inzwischen auch namentlich einigermaßen bekannt.

Siehe zu diesem Thema auch die Floskel „He’s quite a character“, die eben nicht auf charakterliche Vielschichtigkeit hinweist, sondern auf ein paar wenige, besonders markante Merkmale. Am besten übersetzt mit: „Er ist eine echte Type.“ Wie sagte man im 90er-Jahre-Fernsehen? Wieder was gelernt.

(Falls wir noch mehr Weihnachtsfilme schaffen, melde ich mich wieder.)