Diablo 3 und die gegenstandslose Meditation

Endlich kann ich mal von einem welterschütternden Großereignis sagen: Ich war dabei! Nicht als stummer Zeuge vor dem Fernsehapparat, sondern als direkt Beteiligter, zutiefst Betroffener.

Sie haben es ja bestimmt in all den Nachrichtensondersendungen gesehen, die am Dienstag rund um die Uhr das Programm unterbrachen: Das Computerspiel Diablo 3 war endlich erschienen, ging aber nicht! 5/15, der Tag, nach dem nichts mehr so war, wie es einmal war. Die Welt hatte ihre Unschuld verloren. Wenn man den Computerspieleherstellern nicht mehr vertrauen konnte, dann konnte man niemandem mehr vertrauen. Hier war eine neue Qualität des Qualitätsmangels erreicht. Gerade junge Menschen, die bei der Veröffentlichung der ersten beiden Diablo-Spiele noch gar nicht geboren waren, und für die dieser Tag der schönste und wichtigste in ihrem Leben werden sollte, suchten Trost und Halt in der trügerischen Geborgenheit sogenannter Internet-Foren. Dort hinterließen sie der Nachwelt bewegende Dokumente der Trauer: „Rabä-hähähähä – das sag ich Mama!“

Für alle, die Computerspiele noch nicht als die Zehnte Kunst in ihr Herz gelassen haben: Das erste Diablo machte in den Neunzigern mit einem Schlag Fantasy-Rollenspiele cool, indem es alles wegließ, was an Fantasy-Rollenspielen immer langweilig gewesen war. Es reduzierte sie damit auf das liebenswerte Vorurteil, das Außenstehende ohnehin davon hatten: es ging nur um Monster abschlachten und Schätze sammeln. Kein ödes Rumsitzen in „Tavernen“ zwischen „Elben“ und „Gnomen“, um irgendwelchen „Barden“ zu „lauschen“ und „Met“ zu trinken, was immer das sein mag. Kein endloses Blumenpflücken, um Burgfrolleins und Kräuterhexen zu gefallen. Kein Mikromanagement banger Fragen, ob man mit dem neuen halben Talentpunkt lieber seinen Wert in „Kleine Dinge verstecken“ oder „Brennnesselresistenz“ erhöht. Einfach nur alles totklicken, was sich bewegt. Die Handhabung war so intuitiv, dass selbst ich sie als Computerspiele-Angsthase in unter zwei Sekunden komplett verinnerlicht hatte. Wer eine Computermaus bedienen konnte, konnte Diablo spielen, auf Anhieb. Die relative Komplexität kam später, man merkte es kaum, man konnte und wollte dann auch nicht mehr zurück. Diablo hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass ich vom Casual Gamer zum Casual Hardcore Gamer wurde. Im Jahr 2000 kam mit Diablo 2 dasselbe Spiel noch mal raus, nur bunter und ohne Speicherfunktion. Mit anderen Worten eine typische Fortsetzung: Nicht so gut wie das Original, aber besser als gar nichts.

Was war nun geschehen, am Verhängnisvollen Dienstag (VD)? Um Diablo 3 zu spielen, ganz egal ob alleine oder mit anderen, muss man permanent beim Online-Service Battle.net angemeldet sein, aus Gründen der Diebstahlsicherung. Bei Computerspielen bin ich konservativ. Das ist etwas, wobei man gefälligst einsam am Computer verrohen sollte, Freundschaften und helles Kinderlachen gibt es anderswo. Will sagen: Ich gehöre zu der schweigenden Mehrheit, die nicht an Multiplayer-Schnickschnack interessiert ist, deshalb habe ich den Internet-Zwang von vornherein als sinnlos und verdächtig erachtet (gucken die mir in den Computer? sehen die meine Urlaubsbilder?). Als Urheber bin ich prinzipiell ein riesen Fan von DRM und Kopierschutz, aber man kann das auch anders umsetzen. Dass man es so, wie es in diesem Falle umgesetzt wurde, gerade nicht nicht umsetzen kann, wurde am Dienstag eindrucksvoll bewiesen, als alles zusammenbrach und man weltweit nur Fehlercodes statt Erfahrungspunkte sammeln konnte. Wenn das noch mal passiert, sage ich es Mama.

Ich gehöre wohlgemerkt nicht zu den weinerlichen Hysterikern, für die mit den Servern eine Welt zusammenbrach, aber ich respektiere ihren Schmerz die Wehwehchen der kleinen, verzogenen Rotzlöffel. Ganz anders wird mir allerdings, wenn ich höre, dass nicht wenige Menschen für Diablo 3 „extra Urlaub genommen“ hätten. Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln und ausrufen: Memmen! Was ist bloß aus dem guten, alten Krankfeiern geworden?! Ich habe freilich weder noch gemacht, ich habe nur abends Japanisch geschwänzt. Aber selbst das hatte in erster Linie damit zu tun, dass es so doll geregnet hat, und ich hatte keinen Schirm, und ich war gerade erst von einer starken Erkältung genesen, und mein imaginärer Hund hatte meine nicht gemachten Hausaufgaben gefressen. Es handelt sich also um reinen Zufall, dass auch ich schon an Tag 1 versucht habe, ein paar wandelnden Skeletten die Knochen zu brechen. Dass es nicht ging, trug ich mit Humor und Gelassenheit. Es hatte etwas Meditatives, hoch konzentriert auf den Anmeldebildschirm zu schauen und auf eine Anmeldung zu warten, die Godot-ähnlich nie kam.

Die Hintergrundmusik war angenehm einlullend, und wenn sie einem nach ein paar Sekunden doch auf den Sack ging, stellte man sie halt aus. Dann hörte man, dass die Krähe, die da auf einem Felsen sitzt, hin und wieder kräht. Man wurde bald eins mit der virtuellen Natur. Und als man schließlich auf der obersten Astralebene inneren Friedens eingeschwebt war, sagte man sich mit einem sanften, weisen Dalai-Lama-Lächeln: „Scheiß die Wand an, dann spiel ich eben Duke Nukem weiter!“

Ähnlich wie bei Duke Nukem Forever wird von Diablo 3 behauptet, man habe 12 Jahre auf das Spiel gewartet. Ähnlich wie bei Duke Nukem Forever behaupte ich, man hat nicht 12 Jahre auf Diablo 3 gewartet, sondern in der Zeit auch noch andere Sachen gemacht, zum Beispiel Diablo 2 gespielt. Oder hat man bereits am Erstverkaufstag des letzten Spiels die Fingernägel zwischen die Zähne gesteckt und auf Teil 3 gewartet? Wenn das so ist, muss ich hier mal anmerken, dass ich jetzt schon seit drei Tagen auf Diablo 4 warte und es bald nicht mehr aushalte.

Helfen würde, wenn ich solange Diablo 3 spielen könnte. Gestern Abend ging es vorübergehend, heute Mittag wieder nicht mehr. Das gestrige Schnupperspiel bestätigte, dass es zum Glück wieder dasselbe Spiel geworden ist, nur für uns Senioren noch etwas weiter vereinfacht. Bei der Charakterentwicklung kann man jetzt gar nichts mehr selbst machen, die wird einem vorgegeben, wie im richtigen Leben. Ich spiele selbstverständlich eine Dämonenjägerin, weil das so eine Art Ninja ist und ich 12 Jahre alt bin.

So, ich sollte jetzt mal wieder schauen, ob ein Server offen ist. Ich muss Diablo 3 unbedingt heute noch so lange spielen, bis es mir zum Hals raushängt, weil morgen Max Payne 3 erscheint.

Es ist herrlich, 12 Jahre alt zu sein und das Taschengeld eines 42-jährigen zu haben!

Update aus der Zukunft

Hiermit distanziere ich mich von der voreiligen Max Payne 3-Schwärmerei von 2012. Ein menschenverachtendes Schweinespiel für menschenverachtende Schweinespieler, denen der nächste Kopfschutz nicht mehr ist als das nächste Achievement. Nichts von den ersten beiden Spielen verstanden, und Jürgen von der Lippe ist als Max Payne eine totale Fehlbesetzung.

Hugh Grant lebt hier nicht mehr

Wie jeder vernünftige Teen und Twen war ich als Teen und Twen einigermaßen London-verrückt. So hatte ich mich angesichts meines kürzlichen dortigen Aufenthalts auf einen Rückfall in die Kindheit gefreut, wollte jedoch diesmal mit der Stadt nicht recht warm werden. Ich habe mich schließlich immer länger nach Chinatown und Uniqlo zurückgezogen. Was in London seit meinem letzten Besuch (im vergangenen Jahrtausend) baulich hinzugekommen ist, ist scheußlich und sinnlos (und ich bin durchaus ein Freund von Wandel und Moderne). Nach der aktuellen Baustellendichte zu urteilen, werden munter weitere scheußliche Sinnlosigkeiten hinzukommen. Die Musicalisierung von jedem Unsinn nimmt immer bedenklichere Züge an (Ghost – The Musical?! Oh, Shrek!). Paris, so sagt man, sei am schönsten im Regen, und da sagt man was. London ist bei Regen leider am allerunausstehlichsten, was angesichts des lokalen Normalwetters ein äußerst unglücklicher Umstand ist. Wo wir schon beim unfairen völlig gerechtfertigten Städtevergleich sind: Ist die Untergrundbahn von Paris charmant-alt, so ist die von London bloß kaputt-alt. Und dass man in der Öffentlichkeit keine Trainingshosen trägt, sollte ja wohl … ach, ich kämpfe gegen Windmühlen.

Aber es war gar nicht alles schlecht. In Notting Hill hat es mir gut gefallen. Dabei war der Hauptgrund meines Ausflugs dorthin von einem niederschmetternden Misserfolg gekrönt (falls Misserfolge überhaupt „krönen“ können).

Eine junge Dame, um deren Gunst ich einmal warb, sagte mir währenddessen, ich erinnere sie an „Hugh Grant in Notting Hill“. Das bestärkte mich in meinem Werben, auch wenn ich nach Überprüfung des Films feststellte, dass Hugh Grant darin ein ziemlicher Schlappschwanz ist. Ich verkürzte einfach „Du erinnerst mich an Hugh Grant in Notting Hill!“ zu „Du erinnerst mich an Hugh Grant!“ und machte es zu meinem Mantra. Noch heute sage ich das jeden Morgen meinem Spiegelbild.

Da mein Werben letztendlich und anhaltend Erfolg hatte, dachte ich mir, ich könne von meinem London-Aufenthalt ein selbstgeknipstes Foto des realen Reisebuchladens in Notting Hill mitbringen, der das Vorbild des fiktiven Reisebuchladens in Notting Hill war; anstatt Blumen oder eines Stoffbären in einem Union-Jack-Hemd.

Aber, ach!

Tapfer aber beschädigt hängt noch das Schild darüber, doch im Innern nur buchlose Leere, an der Scheibe ein Zu-vermieten-Schild und die Ankündigung eines bevorstehenden Hüpfburg-Events.

Ich war nicht der einzige Tourist, der sich für das Geschäft interessierte (gleichwohl der einzige männliche). Die anderen Mädels hatten es faustdick hinter den Ohren. Nach Sekundenbruchteilenttäuschung fotografierten sie einander einfach vor dem Buchgeschäft gleich nebenan, das weiterhin operiert. Zu Hause werden sie ihren schmachtenden, eifersüchtigen Freundinnen erzählen, dass das der Laden von Hugh Grant war, and it was magic. Aber wir alle wissen, dass das nicht wahr ist.

Und der Inhaber des Ladens neben dem Laden wird sich weiterhin sagen: Wenn sich hier jede Hanni und Nanni vor dem Fenster fotografieren lässt, aber keine jemals reinkommt und was kauft, geht es meinem Laden bald wie dem von Hugh Grant und ich mache endlich meine Umschulung zum Hüpfburg-Eventmanager.