Heute eine weitere Folge der beliebten Sendereihe ‚Filme, die ich längst gesehen haben sollte, aber irgendwie jetzt erst geschafft habe‘. Diesmal mit Angel (minderjährige Straßenprostituierte und ihre riesige Magnum jagen Serienkiller) und Die Wildgänse kommen (alte weiße Männer ballern in Afrika rum). Klingt nach zeitlosen, vorteilhaft gealterten Meisterwerken für Klassenfahrten und therapeutische Einrichtungen? Wir werden es herausfinden.
Wir erinnern uns: Angel lief seinerzeit in Bremen im U. T. 4 an, also dem zweitgrößten der sechs Säle. Der, in dem auch Dario Argentos Phenomena und Jim Drakes Police Academy 4 – und jetzt geht’s rund liefen. Die Annonce für Angel im freitäglichen Kinoprogramm übte eine gewisse Faszination auf mich aus. (Ja, das war noch bevor dieser neumodische Quatsch mit den Filmstarts am Donnerstag losging (1985). Wird sich ohnehin nicht durchsetzen.)
Es war eine gefährliche Faszination. Zu gefährlich für mich, damals. Ich fürchtete, was in diesem Film zu sehen sein müsste, würde meine unschuldige Seele für immer korrumpieren. Der verruchteste Ort, den ich kannte, war der Utkiek von Bremen-Vegesack. Was wusste ich schon vom harten Pflaster des Straßenstrichs von L. A.? Nur das, was ich mir von den Kinoanzeigen im Weser-Kurier zusammenfantasieren konnte. Ich wartete lieber auf Police Academy 4.
Rund 40 Jahre später wähnte ich mich vom Leben abgehärtet genug. Dass die Darstellerin der 15-jährigen Titelfigur bei den Dreharbeiten 24 war, ist nicht das Erste, was einem auffällt. Das Erste, was einem auffällt, ist, dass einige ihrer Highschool-Klassenkameraden wohl auf die 40 zugehen. Da hat man es mit der Hauptrolle vergleichsweise gut getroffen. Vor allem, weil sie ihre Sache schauspielerisch so gut hinbekommt, dass man sich fragt, warum sie danach nicht mehr viel hinbekommen hat. Ihr hohes Alter sieht man ihr nur bei besonders ungünstigen Lichtverhältnissen und Kamerapositionen an.
Zum Glück spielt Angel mehr auf dem Straßenstrich als in der Schule. Dort wurde mit mehr Finesse besetzt. Angels gewählte Familie ist ein bunter, liebenswerter Haufen aus neuro- und genderdiversen Außenseitern. Endlich normale Menschen, möchte man sagen. Die Freakshow sind die Bullys und Drama Queens in der Highschool. Käme der Film unverändert heute heraus, würde der rechte Pöbel ihn wahrscheinlich als ‚woke‘ beschimpfen. Vermutlich genau der Pöbel, der damals im Kino noch gar nichts dagegen hatte, dass unterschiedliche Menschen unterschiedlich sind.
Es überrascht überhaupt nicht, dass dieser vermeintliche Exploitation-Film 1984 beim International Lesbian & Gay Film Festival in San Francisco den Publikumspreis abgegriffen hat. Gut, die oberste Tunte muss zwar sterben (ups, ich weiß, ich weiß – Spoiler-Warnung!). Aber sie stirbt kämpferischer und heroischer, als Jason Statham es jemals hinbekommen hätte (und ich liebe Jason Statham, mit ganz viel Zunge und Barstoppelschubbern, so wie er es gern hat). Wer da nicht zur Kleenex-Box greift, ist kein echter Mann.
Selbstredend ist Angel kein einfühlsames Dokudrama über das Leben auf der Straße, sondern in erster Linie ein küchenpsychologischer Rache-Reißer. Allerdings ein verdammt guter, für den sich niemand schämen oder fremdschämen muss. Darüber hinaus ist der Film ein glänzend gefilmtes 1A-Zeitdokument, wurde er doch fast ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht und zeigt ein Los Angeles, das irgendwie so ähnlich sicherlich immer noch existiert, aber eben nicht mehr genau so. Fun-vielleicht-Fact: Man erzählt sich, Regisseur Robert Vincent O’Neil habe bei den Dreharbeiten immer ein gefaltetes Stück Papier aus seiner Popotasche herausragen lassen, um eine Drehgenehmigung vorzutäuschen.
Das ultimative Lob im Streaming-Zeitalter: Ich habe Angel in einem Rutsch geguckt. Das ist mir schon lange bei keinem Film mehr passiert. Bei Die Wildgänse kommen ganz sicher nicht.
Etwas zur Vorgeschichte: Wie alle jungen weißen Männer hatte ich in den 80ern eine kurze und halbherzige Phase der Söldnerfilmverehrung. Das stand keinesfalls im Widerspruch zu meiner Karriere als angehender Kriegsdienstverweigerer, denn ich konnte Fiktion und Realität schon damals gut auseinanderhalten. Es waren Filme wie Geheimcode: Wildgänse, Kommando Leopard, Der Commander – in den Philippinen gedrehter Euroschrott mit abgehalfterten Ex-Hollywoodstars, schlecht beratenen britischen TV-Stars und Klaus Kinski. Das Konzept war geklaut von Die Wildgänse kommen mit Richard Burton, Roger Moore und Hardy Krüger. Also so ähnlich wie The Expendables, nur nicht so woke. Meine Leidenschaft verpuffte bald, denn so richtig gut waren diese Filme nicht. Retrospektiv muss ich nun allerdings feststellen, dass sie viel besser waren als der Film, von dem sie abkupferten.
Gleichwohl möchte ich diesen Film vom hin und wieder gehörten Vorwurf freisprechen, er habe einen rassistischen Blick auf die Bevölkerung Afrikas (mein Freispruch hat natürlich keinerlei juristische Konsequenzen). So viel afrikanische Bevölkerung kommt in Die Wildgänse kommen gar nicht vor, als dass man da ein klares Urteil fällen könnte.
Das Afrika-Abenteuer ist eingebettet in eine Handlungsklammer, die in England spielt. Dort wird am Anfang die Band wieder zusammengebracht, und am Ende legt dort die letzte überlebende Wildgans (Burton) den Oberschurken um (ups, ich weiß, ich weiß – Spoiler-Warnung!). Dieser Anfang und jenes Ende sind überzeugend geschrieben, gespielt und inszeniert. Alles dazwischen ist halbgarer Mumpitz, der sich zwischen Action, Drama und Klamauk nicht entscheiden kann. Da guck ich mir vielleicht doch lieber noch mal Geheimcode: Wildgänse an. Oder Police Academy 4. Oder (mit Sicherheit) Avenging Angel, Angel III: The Final Chapter und Angel 4: Undercover.
Um es zusammenzufassen: The winner is …