Das Beste aus meinem schrecklichen Lesejahr

Normalerweise veröffentliche ich die Jahresbestenliste meiner Lektüren nur auf meiner Facebook-Seite, und damit hat sich’s. Aber ach, ich hatte ein furchtbares Lesejahr, und ich möchte darüber reden, und auf Facebook fasse ich mich lieber kurz.

Ich habe in diesem Jahr so wenige Bücher gelesen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2000. Ein triftiger Grund ist schwer auszumachen. Es war ein gutes Schreibjahr, im Gegensatz zum annus horribilis 2022, in dem Verlage keine neuen Bücher kauften und Leser keine alten. Das hat sich beides wieder eingerenkt, vielen Dank.

Geschrieben habe ich sehr fleißig, doch gelesen habe ich wie ein blutiger Anfänger. Habe normal viele Bücher gekauft (also zu viele), aber kaum eines beendet. Und wenn doch, dann oft die falschen. Habe stur an Texten festgehalten, die mir bereits nach wenigen Seiten signalisiert hatten, dass sie mich nicht packen werden. Oder habe versucht, weiter durch den trägen Lesesumpf von Wälzern zu waten, in denen schon seit Jahren meine Lesezeichen nahezu unbewegt steckten, was ja meistens seine Gründe hat. Ich würde gerne auch Videospielen und Fernsehserien die Schuld an der mageren Ausbeute 2023 geben, allerdings bin ich bei Videospielen und Fernsehserien ebenfalls nicht recht weitergekommen.

Aber genug von all dieser Negativität. Im nächsten Jahr wird alles besser. Hier kommen die zehn Lektüren, die meinen Glauben aufrecht erhalten haben, in Lesereihenfolge. Mit launigen Kommentaren, doch ohne ausführliche Beschreibungen oder tiefgehende Analysen. So redselig fühle ich mich auch wieder nicht.

Lustige Geschichte: Ich habe dieses Buch aus Versehen gekauft. Ich hatte es mit einem anderen verwechselt. Es hat mir so gut gefallen, dass ich inzwischen ganz vergessen habe, welches ich eigentlich kaufen wollte.

In meinem bislang undiszipliniertesten Lesejahr dieses Jahrtausends habe ich zwei Regeln dieser Liste gebrochen: „Keine Comics“ und „keine Hörbücher“. Streng gesehen ist dies ein Comic. Dagegen habe ich freilich nichts, allerdings folgen Comics gänzlich anderen erzählerischen Gesetzen als reine Prosa, deshalb sollte man da fein trennen. Hier jedoch drücke ich ein Auge zu, weil der Text beinahe auch ohne die Zeichnungen als ein wunderbar warmherziges Showbiz-Memoir funktionieren würde. Schön natürlich, dass die Bilder trotzdem da sind.

Klar bin ich nur durch die ganz vorzügliche Fernsehserie darauf aufmerksam geworden. Nach der Lektüre fand ich die Fernsehserie nach wie vor ganz vorzüglich, aber das Buch noch vorzüglicher. So vorzüglich, dass ich es und seinen Autor in meinem eigenen neuen Buch name-droppe, auf gut Deutsch gesagt. Als ob sie das nötig hätten. Aber Name-Dropping dient ja immer nur den Droppenden, nicht den Gedroppten.

Ich hatte übrigens in meiner Jugend bereits die Billardromane von Tevis gelesen, Haie der Großstadt und Die Farbe des Geldes. Ich hatte damals allerdings nur so getan, als fände ich sie ganz vorzüglich. Vielleicht sollte ich sie vor dem Hintergrund meiner erlangten Altersweisheit noch einmal lesen.

Mir gefiel Cosbys Razorblade Tears (dt.: Die Rache der Väter) seinerzeit so fantastisch, dass ich mich lange nicht getraut habe, etwas anderes von ihm zu lesen. Ich hatte Angst, enttäuscht zu werden. War völlig unbegründet, wie sich herausstellt. Im fortgeschrittenen Alter noch einen neuen Lieblingsautor zu entdecken, das ist schon ein Geschenk. Um zum besinnlichen Jahresausklang mal eine angemessen schleimige Formulierung zu bemühen.

Michael Connelly ist einer dieser sehr produktiven und sehr verlässlichen Kriminalromanautoren, bei denen man eigentlich blind zuschlagen kann. Vielleicht habe ich deshalb in meinem von Unentschlossenheit geprägten Lesejahr gleich viermal zugeschlagen, jedes Mal ohne es zu bereuen. Dieses Buch sticht heraus: Es ist weit mehr als nur vollkommen befriedigende Stangenware. Würde Connelly seltener Bücher veröffentlichen, und wären die wenigeren mehr wie dieses, würde das Feuilleton ihn nicht nur in der Alibi-Krimispalte preisen. Aber ich bin ganz froh, dass er sich nicht nur auf die Meisterwerke konzentriert. Ich brauche produktive und verlässliche Autoren, denen ich blind vertrauen kann, wenn ich als Leser mal nicht weiterweiß.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin allzeit bereit, die Lieblingsgenres meiner Kindheit und Jugend (Science-Fiction, Fantasy und Horror, in dieser Phasenreihenfolge) gegen jede Form von literarischem Snobismus zu verteidigen. Nicht mit meinem Leben, ich bin ja nicht blöd, aber mit Argumenten und Beleidigungen. Ebenso ist wahr: Meine Loyalität fußt vor allem auf Nostalgie. Heutzutage finde ich in diesen Bereichen nur noch selten etwas, das mich über mehrere Kapitel hinweg fesseln könnte (in beiläufiger als Bücher zu konsumierenden Darreichungsformen sieht es anders aus). Es liegt nicht an den Genres, es liegt an mir. Mir fehlt der alte Eifer, das Überangebot zu durchfiltern (aus diesem Grund kenne ich auch keine coolen, jungen Indie-Bands mehr, obwohl es bestimmt welche gibt). Wie schön, wenn einem doch mal wieder ein Fang ins Netz geht. Ich bin erst in diesem Jahr mit Fonda Lees Trilogie fertig geworden, weil ich das Ende so lange wie möglich hinauszögern wollte. Und als es dann vorbei war, habe ich die mittlerweile erschienene deutsche Übersetzung als Ausrede genommen, gleich wieder von vorne anzufangen.

Die Jade-Trilogie wird gemeinhin mit klassischen Hongkong-Gangsterfilmen verglichen. Wahrscheinlich stand das mal in irgendeinem Pressetext, und Nachplappern ist ja immer einfacher als eigene Meinung. Ich würde eher sagen, es ist eine Mischung aus Der Pate und Matrix vor dem Hintergrund einer faux-asiatischen Urban-Fantasy-Welt. Wenn das kein geschmeidig runtergehender PR-Slogan ist, weiß ich auch nicht.

Schnell mal nachgezählt: Ich habe bislang 17 Nothombs gelesen, davon haben mir zwei nicht gefallen. Dies ist einer der anderen 15.

Ja, das hat damals jeder und seine Mudder gelesen. Ich war aber gerade in dem Alter, in dem man dezidiert nicht das liest, was seine Mudder liest. Ich war eher in dem Alter, in dem man Bukowski oder Kerouac oder so einen Quatsch liest.

Hatte Mutter wieder mal recht, genau wie bei der Sache mit dem Mützeaufsetzen. Ich verstehe nun auch, warum Süskind danach keinen weiteren Roman geschrieben hat. Bringt ja nichts. (Und auch hier war ich mir nicht zu schade, den Namen in meinem eigenen neuen Buch zu droppen. Dort war er mir allerdings in erster Linie wegen Monaco Franze eingefallen.)

Um ein Haar hätte ich dieses Buch nicht gelesen, weil es im Feuilleton oft so dargestellt wurde, als ginge es hier 600+ Seiten lang um Bäume. Geht es auch, eigentlich. Oberflächlich spielen zum Glück auch Menschen mit. Aber die Bäume sind die, die bleiben. Ein Buch, das tatsächlich meine Sichtweise auf einiges verändert hat. Auf Bäume, sicherlich, aber auch auf alles, was damit zusammenhängt. Also auf alles.

Das letzte Buch der Liste ist ihre zweite Ausnahme, ich habe es nämlich gegen meine Gewohnheit lediglich als Hörbuch gehört. Die Gründe dafür wären hier zu kompliziert zu erklären (okay, Audible-Lockangebot). Obwohl es kein Schreibratgeber ist, hat es mir enorm bei meinen eigenen Schreibarbeiten in diesem Jahr geholfen, ganz einfach weil man merkt, wie ernst Milch seine Arbeit nimmt. Davon kann man sich bei Bedarf eine Scheibe abschneiden, wenn man Gefahr läuft, den Autopiloten anzuwerfen oder sonst wie den bequemeren Weg zu nehmen. Außerdem hervorragend gelesen von Michael Harney, der so anrührend vom Leben gezeichnet und gebrechlich klingt, wie es der Autor wohl inzwischen ist. (Ich habe Harney mal gegoogelt, er sieht eigentlich ganz gesund aus.)

Der Penner, der Doktor und ich (eine Doctor-Who-Weihnachtsgeschichte)

Ich weiß, Penner sagt man nicht mehr, außer unter guten Freunden. Aber diese Geschichte spielt in einem anderen Zeitalter mit anderen Sitten und Gepflogenheiten, da ist es mir rausgerutscht.

Der Anfang der Geschichte allerdings spielt in der Gegenwart, als wäre es eine Zeitreisegeschichte, und damit wären wir auch schon mitten im Thema. Ich hatte bei meinem letzten Blogeintrag über das Weihnachtsfernsehen des Jahres 2023 ein themenrelevantes und zumindest teilweise angesehenes Produkt der Zerstreuungsindustrie zu erwähnen vergessen, nämlich die Doctor Who-Weihnachtsspecials auf Disney+ beziehungsweise BBC, je nachdem, wie prätentiös anglophil man ist. Um es kurz zu machen: Ich konnte auch bei meinem ungefähr 927. Versuch, irgendetwas mit dieser Doctor-Who-Sache anfangen zu können, nichts damit anfangen. Dieser grimassierende Hauptdarsteller, diese absurd aus der Zeit gefallenen Spezialeffekte (dabei sollen sie wg. Disney-Budget sogar besser sein als normal), diese lächerlichen Aliens. Ich entwickelte erstmals sogar eine leichte Antipathie anstatt des weitgehend wertfreien Desinteresses früherer Versuche.

Doch woran mochte das liegen, so tiefenpsychologisch? Ich legte mich auf die Couch und reiste zu einem Punkt in meiner Vergangenheit, zu dem ich schon lange nicht mehr gereist war.

Um die Jahrtausendwende arbeitete ich für die deutsche Dependance eines britischen Verlagshauses, weshalb ich häufig in England ‚Termine‘ hatte. Als ich an einem dieser Termine auf dem Bahnhof des schönen Städtchens Bath ankam, wo der Verlag seinen Hauptsitz hatte, sprach mich ein junger Mann an, den ich aufgrund seines Äußeren für einen Obdachlosen halten musste. Ich weiß nicht mehr, was er eingangs sagte, und ich erinnere mich nicht, was ich darauf entgegnete, doch es war meinem Akzent wohl anzuhören, dass ich nicht aus der Gegend kam. Wir erörterten, wo ich stattdessen herkäme, und er fragte etwas unvermittelt: „Kennst du Doctor Who?“

Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich es vor allem dem Namen nach kannte. Ich wusste, dass es sich um eine seit Jahrzehnten laufende Science-Fiction-Fernsehserie handelte, in der es irgendwie um Zeitreisen und böse Roboter ging, und dass die Hauptfigur alle paar Staffeln als ein neuer Schauspieler reinkarniert wurde. Ich erzählte ebenso, dass ich die eine oder andere Episode gesehen hätte, aber nie einen liebevollen Bezug dazu hatte herstellen können.

Er sagte, sehr freundlich, ein klein wenig stolz und überhaupt nicht gehässig: „Man muss wohl Brite sein.“

Das ärgerte mich ein bisschen, obwohl nur kindliche Freude und keinerlei Dünkel in seinem Ton war. Ich hielt mich schließlich für so etwas wie einen Briten ehrenhalber. Hatte Mit Schirm, Charme und Melone und Monty Python mit der Muttermilch aufgesogen, mich mit Adam and the Ants auf die Pubertät vorbereitet und sie dank The Smiths und The Cure überlebt. Ich schrieb stur immer ‚ou‘ statt ‚o‘ und ‚re‘ statt ‚er‘, wenn ich schriftlich etwas auf Englisch formulierte. Nie hatte ich mit irgendetwas Britischem Verständnisprobleme gehabt und war in den meisten Situationen des Lebens so verklemmt und verkrampft, wie es den Briten gerne nachgesagt wird. Nur abends, im Pub, kurz vor der Sperrstunde, wurde ich ein bisschen lockerer.

Doch wir hatten keine Gelegenheit, das Thema zu vertiefen. Mein Fahrer war eingetroffen (vielleicht war es auch nur ein Taxi oder ein Linienbus, ich weiß es nicht mehr), und wir verabschiedeten uns freundlich.

Im Fahrzeug (welcher Art es auch gewesen sein mochte) stellte ich irgendwann fest, dass ich mein Mobiltelefon nicht mehr hatte. Auch beim ausführlichen Durchsuchen des Gepäcks im Hotelzimmer fand es sich nicht wieder an. Ich war ziemlich sicher, dass ich es beim Verlassen des Zuges noch gehabt hatte („ziemlich sicher“ ist natürlich kein sehr verlässlicher Freund). Also dachte ich sofort:

Der Penner!

Es hätte mir gleich komisch vorkommen müssen, dass er keine finanziellen Forderungen gestellt hatte, sondern sich anscheinend nur mit einem Wildfremden über Doctor Who unterhalten wollte.

Ein bisschen bewunderte ich ihn. Mir war gar nicht aufgefallen, dass wir uns körperlich nah genug gekommen waren. Doch in erster Linie war ich ziemlich verstimmt, dass er mein Handy geklaut hatte. Es war ein Modell von einem der führenden Hersteller gewesen, wahrscheinlich Siemens.

Aber wie gesagt: Es war eine andere Zeit, damals. Der Verlust eines Mobiltelefons war ein mittleres Ärgernis, jedoch nicht der identitätsgefährdende Super-GAU, der es heute sein kann. Ich rief Mama vom Hotelzimmertelefon aus an, um ihr zu sagen, dass ich sie nicht vom Handy aus anrufen konnte, und dann ging das Leben weiter.

Daran hatte ich wirklich seit Ewigkeiten nicht mehr gedacht. War dieser Vorfall der Grund, warum ich mit Doctor Who nicht auf einen grünen Zweig kam?

Jetzt, wo ich es wusste, konnte ich den Fluch vielleicht brechen. Also beschloss ich, das erste Weihnachtsspecial, das ich nach ca. der Hälfte abgebrochen hatte, weiterzusehen.

Nee, geht immer noch nicht.

Der Weihnachtsmann und die Superheldenmüdigkeit: Fakt oder Fiktion?

Sollte ich diesen Blog in diesem Jahr schon für sonst fast nichts genutzt haben, so will ich doch die Tradition ehren, mir hier über die Weihnachtsfilme und Weihnachtsfernsehserien Luft zu machen, die mir in diesem Jahr die Festsaison noch süßer gestalten sollten. Aber ach, dies wird wohl das letzte Mal sein. Nach einem sehr schwachen 2022er-Jahrgang (der entsprechende Beitrag ist beschämenderweise nicht weit unter diesem) ist, so viel sei vorweggenommen, die aktuelle Ausbeute noch niederschmetternder. Vielleicht kann man Weihnachten im nächsten Jahr mal ausfallen lassen. Zumindest medial. Die ‚Flimmerkiste‘ auslassen und (sanfte Geigenmusik setzt ein) sich einfach mal wieder mit der Familie an einen Tisch setzen und Mensch ärgere dich nicht spielen oder Käse erhitzen.

Beginnen möchte ich mit einer Altlast. Im letzten Jahr sahen meine Frau und ich aus Versehen die gesamte erste Staffel der Fernsehserie The Santa Clauses, eine Fortsetzung der Filmserie The Santa Clause mit Tim Allen. Das ganze war so bunt und so konsequent ideenlos, dass es eine gewisse hypnotische Sogwirkung auslöste. Das erlebten wohl viele ähnlich, und ehe man sich versah, zogen die Verantwortlichen bei Disney+ die falschen Schlüsse und verlängerten die Serie. Dieses Jahr allerdings wiederholte sich der ungute Zauber nicht, wir haben nach zwei Folgen den Ausstieg geschafft.

Ich möchte dazu noch einmal betonen, dass ich Tim Allen bereits höchst unkomisch fand, bevor sich irgendwer dafür interessierte, was irgendwer anderes so politisch denkt. Allens Ansichten waren und sind mir schnurz, doch dieser Har-Har-Handwerker-Humor war mir schon immer zu humorlos. Kelsey Grammer derweil, um die Aufrichtigkeit meiner Argumentation mit einem Positivbeispiel zu untermauern, darf in seiner Freizeit Trump so eifrig zujubeln, wie er mag. Das wird mein gutes Verhältnis zu Frasier nicht trüben.

Das Frasier-Reboot ist für mich ein zu emotionales Thema, um darauf jetzt schon ausführlich einzugehen. Nur so viel: Nicht-ganz-so-gut-wie-früher-Frasier ist immer noch besser als gar kein Frasier. Und die Weihnachtsepisode der neuen Staffel ist ein Glanzlicht, das die Idiotie moderner Weihnachtsfilmstangenware scharf analysiert und sanft parodiert (vielleicht zu sanft, aber ist halt Weihnachten).

Zurück zu Disney+: Dashing Through the Snow ist eine Weihnachtskomödie, die dem Unterhaltungskünstler Ludacris auf den Leib geschneidert wurde. In einer Szene muss er nämlich sagen: „That’s ludicrous!“ Ein humoristisches Highlight. Viel mehr ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Die Fürze des Weihnachtsmanns riechen nach Zimt, und irgendein böser Politiker hängt zum Schluss in einem Baum und zappelt, und das war es dann auch wirklich. Die Musik war, glaube ich, ganz gut.

Dashing Through the Snow wurde von Tim Story inszeniert, der in erster Linie für die Fantastic Four-Filme aus den Nuller-Jahren bekannt ist, die damals alle toll fanden, und von denen heute jeder behauptet, sie schon immer blöd gefunden zu haben. Nur ich bin ihnen nie in den Rücken gefallen. Gleich nach Dashing Through the Snow musste ich überprüfen, ob meine Loyalität gerechtfertigt ist. Ist sie zum Glück. Die Filme machen nach wie vor großen Spaß. Heute vielleicht so wertvoll wie nie zuvor.

Das bringt uns vorübergehend weg vom Thema Weihnachtsfilme und hin zu einem Thema, das die Medienlandschaft in diesem Jahr beschäftigt hat wie kein zweites (nimmt Anchorman-Pose und -Duktus an): „Superheldenmüdigkeit. Ein ernstzunehmendes Phänomen, oder eine Lüge, die die woke Gutmenschenpresse erfunden hat, weil sie nicht wahrhaben will, dass echte Männer nicht auf Frauen stehen?“

Ich beantworte das hiermit ein für alle Mal: Ja, Superheldenmüdigkeit gibt es wirklich. Die Erfolge von Guardians of the Galaxy und Spiderverse sind keine geeigneten Gegenargumente, weil es sich beim ersten um eine Space Opera ganz ohne Superhelden handelt und beim zweiten um Zeichentrick, wofür andere Marktgesetze gelten als für Realfilme. Es gibt zwei sehr spezifische Gründe, warum Marvel gerade kaputt ist, und keiner davon hat etwas mit weiblichen oder ethnisch diversen Protagonisten zu tun (bitte mehr davon) und auch nicht mit problematischem Schurken-Casting (davon ruhig weniger). Zwei Gründe, zwei Worte: Multiversum und Quantenreich. Niemand ohne Propellermütze auf dem Kopf weiß, was das ist, oder möchte es erklärt bekommen. Superhelden gehören in die Straßen ihrer Städte, nicht in irgendwelche alternativen Realitäten oder makrobiotischen Zwischenreiche (habe ich das richtig gesagt?). (Fast vergessen: DC gibt es ja auch noch, so ein bisschen. Der Grund, warum DC kaputt ist, ist der, dass DC noch nie so richtig heile war. Langsam spricht es sich herum.)

„Damit zurück zu dir, Andreas. Hast du da eigentlich noch Geschenke im Sack, oder freust du dich so, mich zu sehen?“

„Haha, du alter Schwerenöter. Ja, Andreas, ich habe tatsächlich noch die eine oder andere Weihnachtsüberraschung für all die vorbereitet, die uns da draußen an ihren Empfangsgeräten zugeschaltet sind.“

McG ist so ein ähnlicher Regisseur wie Tim Story. Er hat in seiner illustren Karriere nicht ausschließlich Meisterwerke inszeniert, die Spezialpreise in der Cannes-Reihe Un Certain Regard gewonnen hätten, aber sein erster Drei Engel für Charlie-Film und seine beiden The Babysitter-Horrorkomödien waren erfrischend genug, um ihn nicht für völlig inkompetent und unsympathisch zu halten. Dass es keinen dritten Babysitter-Film gab, hatte wohl seine Gründe, und die waren wohl nicht qualitativ sondern quantitativ (also Quoten). McG’s neuer Weihnachtsfilm Family Switch für denselben Anbieter, Netflix, wirkt nun, als hätte er ihn zur Strafe machen müssen. Fraglich nur, warum wir mitbestraft werden (ICH zumindest habe mir The Babysitter 2 doch angesehen!). Es geht, der Titel deutet es an, um eine Familie, in der die Mitglieder versehentlich die Körper tauschen, und das zu Weihnachten (eigentlich unwichtig; der Feiertagszusammenhang wurde wahrscheinlich nachträglich ins Skript geprügelt). Ganz am Anfang (vor dem Family-Switch-Event) gibt es eine Szene, in der der Familienvater (ein Nebendarsteller aus The Office) und die Familienmutter (Jennifer Biel oder Jessica Alba, jemand aus jener Zeit halt, wer kennt sich da schon aus) einen albernen Weihnachtstanz aufführen, und die Kinder wenig beeindruckt sind. Es ist die witzigste und charmanteste Szene des ganzen Films. Wenn man nun einwirft, dass diese Szene so witzig und charmant nun auch wieder nicht sei, hat man völlig recht. Und genau das ist das Problem des Films.

Die ärgerlichste Szene ist eine, in der die Figuren in einem ironischen Zwinker-Zwinker-Meta-Dialog all die Filme aufzählen müssen, von denen die Autoren ihren zusammengeklaut haben. Ein billiger Trick, auf den bitte niemand mehr reinfallen soll: Ein Klischee oder ein Plagiat als solches zu benennen macht es nicht weniger klischeehaft oder niederträchtig, egal wie verkrampft man dabei zwinkert (das dürfen sich auch die Macher der lieblosen Horror-Zeitreise-Klamotte Total Killer hinter die Ohren schreiben, in der die unausstehliche Protagonistin ständig jeden fragt, ob er Zurück in die Zukunft gesehen hätte).

So langsam wurden meine Frau und ich ein bisschen verzweifelt und beschlossen, älteren Filmen Chancen zu geben, die wir bisher unter Mumpitzverdacht hatten, obwohl sie durchaus den einen oder anderen Fürsprecher in unserem Umfeld haben. Der erste war das vermeintliche Will-Ferrell-Vehikel Elf. Will Ferrell ist eine lustige Type, aber ist man lustigen Typen über längere Zeit ausgesetzt, werden sie oft nervige Typen. Ferrell hat ein typisches Sketch-Comedy-Naturell. Nach ein paar Minuten ist auch gut. Glücklicherweise ist Elf in Wirklichkeit gar kein echtes Will-Ferrell-Vehikel sondern ein Ensemble-Film, und der Rest des Ensembles sorgt für ein paar sehr willkommene Ferrell-Verschnaufpausen, so dass wir den Film in nur zwei Etappen bewältigten; eine Seltenheit heutzutage und insbesondere in dieser Weihnachtsfilmsaison. Das soll nicht heißen, dass uns Elf in einem nennenswerten Maße gefallen hätte. Ich habe an einigen Stellen gelacht, meine Frau hat an einigen Stellen gelacht. Es waren nicht dieselben Stellen, und es waren auch addiert noch zu wenige Stellen. Immerhin brachte mich die Anwesenheit von James Caan auf die Idee, mal wieder Misery zu schauen, was zwar kein ausdrücklicher Weihnachtsfilm ist, aber ein exzellenter Winterfilm. So schön.

Es gab zwei Filme, bei denen jeweils einer von uns ein Veto einlegte. Bei Candy Cane Lane kam das so:

Ich: „Es gibt auf Amazon einen neuen Weihnachtsfilm mit Eddie Murphy–“

Frau: „Das klingt ganz furchtbar.“

Sie hatte die Situation genau erfasst, und es gab nichts, was ich dagegen halten konnte. Bei The Grinch war es folgendermaßen:

Frau: „Wie wäre es mit The Grinch?“

Ich: „Ich möchte so schnell nach Elf nicht noch einen Film über eine amerikanische Fantasy-Kreatur sehen, die mit dem deutschen Weihnachtsfest nichts zu tun hat.“

Selbstverständlich möchte ich hier eine Weihnachtskultur nicht gegen eine andere aufwiegeln. Alle Weihnachtskulturen sind spitze. Und Kulturen ohne Weihnachten auch. Kulturen = gut. Aber man ist eben, wer man ist. Besonders, wenn man im Ausland ist.

Hätte ich mir mal einen Ruck geben sollen. Stattdessen versuchten wir es mit A Christmas Prince, den wir sechs Jahre lang erfolgreich ignorieren konnten. Trotz unserer Ignoranz gilt er nach wie vor als einer der besseren Netflix-Weihnachtsfilme. Es handelt sich um eine romantische Komödie aus der Kategorie „Zickige Journalistin aus der Großstadt verliebt sich in Rüpel vom Land“. Nur dass die Journalistin diesmal gar nicht zickig ist und der Rüpel nur für ungefähr zwei Sekunden rüpelig. Und das Land ist seins, denn er ist Prinz und baldiger Thronbesteiger. Das alles soll besser sein, als es klingt. Ist es aber nicht. Sind meine Standards zu hoch? Ich glaube nein, wie wir sogleich erfahren werden.

Als letzter Film vor Redaktionsschluss lief im Spätprogramm außer Konkurrenz Black Christmas, ein Remake des gleichnamigen Semi-Klassikers des Slasher-Subgenres. Dieser Film hat mich fast wieder ein bisschen mit Weihnachten versöhnt. Anteil daran hat die gut aufgelegte Besetzung mit sympathischen Backfischen, die ich wegen Generationskonflikt namentlich nicht kenne, und der großartigen Andrea Martin (eher meine Generation), die mir zum ersten Mal in der deprimierend unterschätzten Eine-Staffel-Sitcom Great News aufgefallen ist und seitdem überall (Great News schaue ich gerade im dritten Durchlauf, immer noch ein Traum).

Black Christmas ist gut gespielt, hübsch inszeniert, flott erzählt und unnötig brutal. Wenn es nicht der perfekte Slasher-Film ist, dann gibt es keinen. Beides stimmt natürlich. Was für ein dämliches, zynisches, publikumsverachtendes Subgenre, wenn man ehrlich ist. Kann man eigentlich nur gucken, wenn man gleichzeitig etwas anderes zu tun hat, zum Beispiel Wein und Wordle. Mit anderen Worten: Slasher-Filme sind Käse. Und Black Christmas ist eins von diesen Käsesets mit verschiedenen Sorten, die nie langweilig werden.

Ein Wochenende haben wir noch. Vielleicht setzen wir auf bewährte Klassiker. Wer jetzt „Stirb langsam!“ schreit, fliegt. Wegen Unoriginalität. Frohe Weihnachten, Schweinebacken.