Der Weihnachtsmann und die Superheldenmüdigkeit: Fakt oder Fiktion?

Sollte ich diesen Blog in diesem Jahr schon für sonst fast nichts genutzt haben, so will ich doch die Tradition ehren, mir hier über die Weihnachtsfilme und Weihnachtsfernsehserien Luft zu machen, die mir in diesem Jahr die Festsaison noch süßer gestalten sollten. Aber ach, dies wird wohl das letzte Mal sein. Nach einem sehr schwachen 2022er-Jahrgang (der entsprechende Beitrag ist beschämenderweise nicht weit unter diesem) ist, so viel sei vorweggenommen, die aktuelle Ausbeute noch niederschmetternder. Vielleicht kann man Weihnachten im nächsten Jahr mal ausfallen lassen. Zumindest medial. Die ‚Flimmerkiste‘ auslassen und (sanfte Geigenmusik setzt ein) sich einfach mal wieder mit der Familie an einen Tisch setzen und Mensch ärgere dich nicht spielen oder Käse erhitzen.

Beginnen möchte ich mit einer Altlast. Im letzten Jahr sahen meine Frau und ich aus Versehen die gesamte erste Staffel der Fernsehserie The Santa Clauses, eine Fortsetzung der Filmserie The Santa Clause mit Tim Allen. Das ganze war so bunt und so konsequent ideenlos, dass es eine gewisse hypnotische Sogwirkung auslöste. Das erlebten wohl viele ähnlich, und ehe man sich versah, zogen die Verantwortlichen bei Disney+ die falschen Schlüsse und verlängerten die Serie. Dieses Jahr allerdings wiederholte sich der ungute Zauber nicht, wir haben nach zwei Folgen den Ausstieg geschafft.

Ich möchte dazu noch einmal betonen, dass ich Tim Allen bereits höchst unkomisch fand, bevor sich irgendwer dafür interessierte, was irgendwer anderes so politisch denkt. Allens Ansichten waren und sind mir schnurz, doch dieser Har-Har-Handwerker-Humor war mir schon immer zu humorlos. Kelsey Grammer derweil, um die Aufrichtigkeit meiner Argumentation mit einem Positivbeispiel zu untermauern, darf in seiner Freizeit Trump so eifrig zujubeln, wie er mag. Das wird mein gutes Verhältnis zu Frasier nicht trüben.

Das Frasier-Reboot ist für mich ein zu emotionales Thema, um darauf jetzt schon ausführlich einzugehen. Nur so viel: Nicht-ganz-so-gut-wie-früher-Frasier ist immer noch besser als gar kein Frasier. Und die Weihnachtsepisode der neuen Staffel ist ein Glanzlicht, das die Idiotie moderner Weihnachtsfilmstangenware scharf analysiert und sanft parodiert (vielleicht zu sanft, aber ist halt Weihnachten).

Zurück zu Disney+: Dashing Through the Snow ist eine Weihnachtskomödie, die dem Unterhaltungskünstler Ludacris auf den Leib geschneidert wurde. In einer Szene muss er nämlich sagen: „That’s ludicrous!“ Ein humoristisches Highlight. Viel mehr ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Die Fürze des Weihnachtsmanns riechen nach Zimt, und irgendein böser Politiker hängt zum Schluss in einem Baum und zappelt, und das war es dann auch wirklich. Die Musik war, glaube ich, ganz gut.

Dashing Through the Snow wurde von Tim Story inszeniert, der in erster Linie für die Fantastic Four-Filme aus den Nuller-Jahren bekannt ist, die damals alle toll fanden, und von denen heute jeder behauptet, sie schon immer blöd gefunden zu haben. Nur ich bin ihnen nie in den Rücken gefallen. Gleich nach Dashing Through the Snow musste ich überprüfen, ob meine Loyalität gerechtfertigt ist. Ist sie zum Glück. Die Filme machen nach wie vor großen Spaß. Heute vielleicht so wertvoll wie nie zuvor.

Das bringt uns vorübergehend weg vom Thema Weihnachtsfilme und hin zu einem Thema, das die Medienlandschaft in diesem Jahr beschäftigt hat wie kein zweites (nimmt Anchorman-Pose und -Duktus an): „Superheldenmüdigkeit. Ein ernstzunehmendes Phänomen, oder eine Lüge, die die woke Gutmenschenpresse erfunden hat, weil sie nicht wahrhaben will, dass echte Männer nicht auf Frauen stehen?“

Ich beantworte das hiermit ein für alle Mal: Ja, Superheldenmüdigkeit gibt es wirklich. Die Erfolge von Guardians of the Galaxy und Spiderverse sind keine geeigneten Gegenargumente, weil es sich beim ersten um eine Space Opera ganz ohne Superhelden handelt und beim zweiten um Zeichentrick, wofür andere Marktgesetze gelten als für Realfilme. Es gibt zwei sehr spezifische Gründe, warum Marvel gerade kaputt ist, und keiner davon hat etwas mit weiblichen oder ethnisch diversen Protagonisten zu tun (bitte mehr davon) und auch nicht mit problematischem Schurken-Casting (davon ruhig weniger). Zwei Gründe, zwei Worte: Multiversum und Quantenreich. Niemand ohne Propellermütze auf dem Kopf weiß, was das ist, oder möchte es erklärt bekommen. Superhelden gehören in die Straßen ihrer Städte, nicht in irgendwelche alternativen Realitäten oder makrobiotischen Zwischenreiche (habe ich das richtig gesagt?). (Fast vergessen: DC gibt es ja auch noch, so ein bisschen. Der Grund, warum DC kaputt ist, ist der, dass DC noch nie so richtig heile war. Langsam spricht es sich herum.)

„Damit zurück zu dir, Andreas. Hast du da eigentlich noch Geschenke im Sack, oder freust du dich so, mich zu sehen?“

„Haha, du alter Schwerenöter. Ja, Andreas, ich habe tatsächlich noch die eine oder andere Weihnachtsüberraschung für all die vorbereitet, die uns da draußen an ihren Empfangsgeräten zugeschaltet sind.“

McG ist so ein ähnlicher Regisseur wie Tim Story. Er hat in seiner illustren Karriere nicht ausschließlich Meisterwerke inszeniert, die Spezialpreise in der Cannes-Reihe Un Certain Regard gewonnen hätten, aber sein erster Drei Engel für Charlie-Film und seine beiden The Babysitter-Horrorkomödien waren erfrischend genug, um ihn nicht für völlig inkompetent und unsympathisch zu halten. Dass es keinen dritten Babysitter-Film gab, hatte wohl seine Gründe, und die waren wohl nicht qualitativ sondern quantitativ (also Quoten). McG’s neuer Weihnachtsfilm Family Switch für denselben Anbieter, Netflix, wirkt nun, als hätte er ihn zur Strafe machen müssen. Fraglich nur, warum wir mitbestraft werden (ICH zumindest habe mir The Babysitter 2 doch angesehen!). Es geht, der Titel deutet es an, um eine Familie, in der die Mitglieder versehentlich die Körper tauschen, und das zu Weihnachten (eigentlich unwichtig; der Feiertagszusammenhang wurde wahrscheinlich nachträglich ins Skript geprügelt). Ganz am Anfang (vor dem Family-Switch-Event) gibt es eine Szene, in der der Familienvater (ein Nebendarsteller aus The Office) und die Familienmutter (Jennifer Biel oder Jessica Alba, jemand aus jener Zeit halt, wer kennt sich da schon aus) einen albernen Weihnachtstanz aufführen, und die Kinder wenig beeindruckt sind. Es ist die witzigste und charmanteste Szene des ganzen Films. Wenn man nun einwirft, dass diese Szene so witzig und charmant nun auch wieder nicht sei, hat man völlig recht. Und genau das ist das Problem des Films.

Die ärgerlichste Szene ist eine, in der die Figuren in einem ironischen Zwinker-Zwinker-Meta-Dialog all die Filme aufzählen müssen, von denen die Autoren ihren zusammengeklaut haben. Ein billiger Trick, auf den bitte niemand mehr reinfallen soll: Ein Klischee oder ein Plagiat als solches zu benennen macht es nicht weniger klischeehaft oder niederträchtig, egal wie verkrampft man dabei zwinkert (das dürfen sich auch die Macher der lieblosen Horror-Zeitreise-Klamotte Total Killer hinter die Ohren schreiben, in der die unausstehliche Protagonistin ständig jeden fragt, ob er Zurück in die Zukunft gesehen hätte).

So langsam wurden meine Frau und ich ein bisschen verzweifelt und beschlossen, älteren Filmen Chancen zu geben, die wir bisher unter Mumpitzverdacht hatten, obwohl sie durchaus den einen oder anderen Fürsprecher in unserem Umfeld haben. Der erste war das vermeintliche Will-Ferrell-Vehikel Elf. Will Ferrell ist eine lustige Type, aber ist man lustigen Typen über längere Zeit ausgesetzt, werden sie oft nervige Typen. Ferrell hat ein typisches Sketch-Comedy-Naturell. Nach ein paar Minuten ist auch gut. Glücklicherweise ist Elf in Wirklichkeit gar kein echtes Will-Ferrell-Vehikel sondern ein Ensemble-Film, und der Rest des Ensembles sorgt für ein paar sehr willkommene Ferrell-Verschnaufpausen, so dass wir den Film in nur zwei Etappen bewältigten; eine Seltenheit heutzutage und insbesondere in dieser Weihnachtsfilmsaison. Das soll nicht heißen, dass uns Elf in einem nennenswerten Maße gefallen hätte. Ich habe an einigen Stellen gelacht, meine Frau hat an einigen Stellen gelacht. Es waren nicht dieselben Stellen, und es waren auch addiert noch zu wenige Stellen. Immerhin brachte mich die Anwesenheit von James Caan auf die Idee, mal wieder Misery zu schauen, was zwar kein ausdrücklicher Weihnachtsfilm ist, aber ein exzellenter Winterfilm. So schön.

Es gab zwei Filme, bei denen jeweils einer von uns ein Veto einlegte. Bei Candy Cane Lane kam das so:

Ich: „Es gibt auf Amazon einen neuen Weihnachtsfilm mit Eddie Murphy–“

Frau: „Das klingt ganz furchtbar.“

Sie hatte die Situation genau erfasst, und es gab nichts, was ich dagegen halten konnte. Bei The Grinch war es folgendermaßen:

Frau: „Wie wäre es mit The Grinch?“

Ich: „Ich möchte so schnell nach Elf nicht noch einen Film über eine amerikanische Fantasy-Kreatur sehen, die mit dem deutschen Weihnachtsfest nichts zu tun hat.“

Selbstverständlich möchte ich hier eine Weihnachtskultur nicht gegen eine andere aufwiegeln. Alle Weihnachtskulturen sind spitze. Und Kulturen ohne Weihnachten auch. Kulturen = gut. Aber man ist eben, wer man ist. Besonders, wenn man im Ausland ist.

Hätte ich mir mal einen Ruck geben sollen. Stattdessen versuchten wir es mit A Christmas Prince, den wir sechs Jahre lang erfolgreich ignorieren konnten. Trotz unserer Ignoranz gilt er nach wie vor als einer der besseren Netflix-Weihnachtsfilme. Es handelt sich um eine romantische Komödie aus der Kategorie „Zickige Journalistin aus der Großstadt verliebt sich in Rüpel vom Land“. Nur dass die Journalistin diesmal gar nicht zickig ist und der Rüpel nur für ungefähr zwei Sekunden rüpelig. Und das Land ist seins, denn er ist Prinz und baldiger Thronbesteiger. Das alles soll besser sein, als es klingt. Ist es aber nicht. Sind meine Standards zu hoch? Ich glaube nein, wie wir sogleich erfahren werden.

Als letzter Film vor Redaktionsschluss lief im Spätprogramm außer Konkurrenz Black Christmas, ein Remake des gleichnamigen Semi-Klassikers des Slasher-Subgenres. Dieser Film hat mich fast wieder ein bisschen mit Weihnachten versöhnt. Anteil daran hat die gut aufgelegte Besetzung mit sympathischen Backfischen, die ich wegen Generationskonflikt namentlich nicht kenne, und der großartigen Andrea Martin (eher meine Generation), die mir zum ersten Mal in der deprimierend unterschätzten Eine-Staffel-Sitcom Great News aufgefallen ist und seitdem überall (Great News schaue ich gerade im dritten Durchlauf, immer noch ein Traum).

Black Christmas ist gut gespielt, hübsch inszeniert, flott erzählt und unnötig brutal. Wenn es nicht der perfekte Slasher-Film ist, dann gibt es keinen. Beides stimmt natürlich. Was für ein dämliches, zynisches, publikumsverachtendes Subgenre, wenn man ehrlich ist. Kann man eigentlich nur gucken, wenn man gleichzeitig etwas anderes zu tun hat, zum Beispiel Wein und Wordle. Mit anderen Worten: Slasher-Filme sind Käse. Und Black Christmas ist eins von diesen Käsesets mit verschiedenen Sorten, die nie langweilig werden.

Ein Wochenende haben wir noch. Vielleicht setzen wir auf bewährte Klassiker. Wer jetzt „Stirb langsam!“ schreit, fliegt. Wegen Unoriginalität. Frohe Weihnachten, Schweinebacken.