Generation Freddy, Teil 3: Das Letzte

Nach den Achtungserfolgen von Teil 1 und Teil 2 nun der dritte, überraschend lineare Teil meiner ansonsten non-linearen Nightmare-on-Elm-Street-Retrospektive.

Jetzt bitte alle die Freddy-Vision-Brillen aufsetzen, denn es ist Zeit für Freddy’s Finale – Nightmare on Elm Street 6.

Nightmare 6 war tatsächlich der letzte Teil der Serie, aber irgendwie auch nicht so richtig. Es ist ein 3D-Film, aber nicht ganz. Er spielt in einer postapokalyptischen nahen Zukunft (von uns aus gesehen eine postapokalyptische nahe Vergangenheit), in der es keine Teenager mehr gibt, weil Freddy Krueger sie alle abgemurkst hat. Aber irgendwie gibt es doch noch welche. Das Worldbuilding hat es nicht so mit der Eindeutigkeit. Es gibt Gastauftritte von Leuten, die mal berühmt waren (Roseanne Barr, Tom Arnold, Johnny Depp), und Alice Cooper. Johnny Depp spielt hier eine andere Rolle als im ersten Nightmare. Der Film nimmt es also mit der Kontinuität ebenfalls nicht allzu genau.

Bei aller konzeptioneller Lieblosigkeit gibt es doch ein paar inspirierte Szenen, und zwar vor allem im vergnüglichen zweiten Akt, wo Filme traditionell eher durchhängen (kann Nightmare 6 denn gar nichts richtig machen?). Die Kopfexplosion durch nervige Tafelkratzgeräusche und das Videospielduell gegen Freddy, bei dem angeblich mutwillig ein Nintendo-Copyright verletzt wurde, haben genau die richtige Mischung aus Horror und Humor, die der Serie zum Markenzeichen wurde. Freddy-Darsteller Robert Englund hat man auch schon mal unmotivierter gesehen. Obwohl ich manchmal hätte schwören können, dass er hier von Ed O’Neill gedoubelt wurde.

Letztendlich kann man sagen: Eine halbe Stunde trostlose Langeweile, eine halbe Stunde flotte Unterhaltung. Und dann kommt die Freddy-Vision.

Nightmare 6 wurde als 3D-Film beworben, tatsächlich ist allerdings nur eine kurze Passage im Showdown wirklich in 3D. Das ist vielleicht gut so. Von Metalstorm über Tutti Frutti bis zur beängstigend langen 3D-Idiotie der Nuller- und 10er-Jahre war die dritte Dimension noch nie eine, die bei Bewegtbildwerken irgendetwas besser gemacht hätte. Nightmare 6 ist da keine Ausnahme.

Wenn die Charaktere im Film nach einer äußerst windigen Erklärung ihre 3D-Brillen aufsetzen, sollte das Kinopublikum das ebenfalls tun. Der Film wird dann zu einer schluderig gemachten Geisterbahnfahrt durch Freddys Bewusstsein. Leider werden die guten, dramatischen Charaktermomente dabei stets unterbrochen, weil wieder irgendwas in die Kamera fliegen muss. Wegen besagter guter Momente kommt mir Nightmare 6 heute immerhin nicht mehr wie der Totalausfall vor, an den ich mich zu erinnern glaubte. Ein würdiger Abschluss sieht trotzdem anders aus.

Bevor es weitergeht, reden wir ausnahmsweise mal Klartext: Ich bekomme NICHTS dafür, dass ich das hier mache. Außer Liebe. Aber für Liebe kann man sich bekanntlich nicht mal Lakritzschnecken kaufen. Und es kommt noch bunter: Ich habe bei dieser Retrospektive sogar draufgezahlt. Und zwar 330 Yen Leihgebühr für Nightmare 6. Die anderen bislang besprochenen Filme gab es alle im regulären Hulu-Programm, für das ich eh schon bezahle, um ständig über die neuesten Castingshow-Ergebnisse informiert zu sein. Nightmare 6 war von diesem Schein-Gratisprogramm ausgenommen. Der nächste Film, New Nightmare, gar nicht erst im Angebot. Könnte ich mir anderswo kostenpflichtig leihen, aber irgendwann ist es auch mal gut mit meiner Bereitschaft, immer nur zu geben und zu geben und zu geben und nichts zurückzubekommen (außer Liebe). Sicher, ich könnte auch meine eigene DVD suchen, die bestimmt in irgendeinem Einsteckordner steckt (oder bewahrt ihr die ganzen Umverpackungen auf?). Hätte ich damals bei der Bestückung der Ordner irgendeine Ordnung walten lassen, wäre das in Betracht zu ziehen. Habe ich aber nicht, als ich meine Nightmare-DVDs für immer verlor, irgendwo zwischen Citizen Kane und Josie and the Pussycats.

Um Zeit zu gewinnen, beschloss ich, etwas Tolldreistes zu wagen: Mir das Nightmare-Remake von 2010 anzusehen. Man muss wohl nicht extra erwähnen, dass das nicht Teil meines ursprünglichen Plans war. Nun rationalisierte ich, dass es zwei gute Gründe gäbe, diesem Werk doch noch eine Chance zu geben. Zum einen wird es ja nun wirklich von allen gehasst, also stehen die Chancen gut, dass ich ihm etwas abgewinnen kann. Denn ich habe schließlich nichts im Leben außer meinen kindisch-konträren Meinungen. Zweitens sah ich es zum ersten und bislang einzigen Mal in einem sehr angespannten Lebensabschnitt, in dem ich rückblickend manchem Film Unrecht getan hatte. Ich arbeitete in einem bürgerlichen Beruf, der mir einiges abverlangte (vor allem Zeit, die sich sinnvoller hätte nutzen lassen), und an einigen Tagen besuchte ich danach noch die Abendschule für den Fremdsprachenunterricht. An solchen Tagen war es Tradition, bei meiner späten Heimkehr eine Flasche Wein und den neuesten Umschlag der Versandvideothek zu öffnen, und mich gefälligst gut unterhalten zu lassen. Oft konnte ich die Augen nicht bis zum Schluss des Films offen halten, was ich dem Film ankreidete, und nicht etwa den ausbeuterischen Gesellschaftsverhältnissen oder dem Weine. Als ich so eines Nachts das Nightmare-Remake ansah (oder eben nicht ansah), erinnerte ich mich an meinen eigenen Großvater, als wir einmal spät nachts im großelterlichen Wohnzimmer nach der Ziehung der Lottozahlen und der Sportschau Godzilla gesehen hatten. Wenn solche Filme im Fernsehen liefen, musste ich als kleiner Bub bei meinen Großeltern übernachten, weil ich sie zu Hause nicht sehen durfte. Mein Großvater verschlief den Großteil des Films, wachte aber gelegentlich kurz auf, grummelte: „Was ist denn das für ein Quatsch?“, und schlief dann gleich wieder ein. Haargenau so habe ich beim ersten Mal A Nightmare on Elm Street von 2010 erlebt, nur dass ich jetzt selbst der Opa war.

Bonusgrund für einen Neuversuch: Ich habe theoretisch gar nichts gegen Remakes. Bloß praktisch. Prinzipiell finde ich es legitim, klassische Stoffe zu aktualisieren, neu zu interpretieren, aus anderen Perspektiven zu betrachten, dabei unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Ist beim Theater gang und gäbe. Da wird zwar auch nicht jede Neuinszenierung von Publikum und Kritik mit der gleichen Wärme empfangen, aber wenigstens fehlt der Chor bärtiger Muttersöhnchen in Heavy-Metal-T-Shirts, die jedes Mal reflexartig lamentieren: „Uäh, nicht noch ein Macbeth-Remake!“

Einen Haken hat die Sache selbstverständlich: Film-Remakes werden nie aus den richtigen Gründen gemacht. Film-Remakes werden gemacht, weil sich die Verantwortlichen denken: Hat schon mal Kasse gemacht, macht bestimmt wieder Kasse. Und man muss sich im Vorfeld nicht so viele von diesen lästigen kreativen Gedanken machen wie bei Originalstoffen.

Vielleicht ist es beim Nightmare-Remake ja anders.

Nach einer 20-minütigen Lektion in erbärmlichster cineastischer Ideen-, Lust- und Leidenschaftslosigkeit zitierte ich wieder meinen Großvater, schaltete den Fernseher aus und begann wie von Sinnen meine DVD von New Nightmare zu suchen. Ich fand sie in keinem meiner Einsteckordner, also vermutete ich, sie könnte noch Teil eines der wenigen Boxsets sein, die ich intakt gelassen und nicht zerrupft habe, aus Gründen der Platzersparnis und als Protest gegen den kapitalistischen Sammelfetischismus. Ich schaute in allen klassischen DVD-Box-Geheimverstecken nach. Im obersten Regal im Kinderzimmer, in den Einbauschränken und Muji-Schubladengarnituren des Master Bedrooms, in der Fernsehkommode ebendort und der im Wohnzimmer, im Sicherungskasten im Flur. Ich machte ein paar erfreuliche Überraschungsfunde, doch hinsichtlich Nightmare überall Fehlanzeige.

Ein Wendepunkt in meinem Verhältnis zu materiellem Besitz war selbstverständlich mein Umzug nach Japan gewesen. Nicht jeder kleine Trash konnte damals mit auf die Arche. Dieses Loslassen vom Tand war sehr befreiend. Aber dass ich nicht sentimental genug gewesen sein sollte, meine Nightmare-Box oder zumindest ihren Inhalt einzupacken, kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht dachte ich mir damals: Kaufe ich mir wahrscheinlich eh bald als Blu-ray nach. So weit ist es allerdings nie gekommen, und heute kommt mir dieser unpraktische, unansehnliche Kunststoffschrott nicht mehr ins Haus.

Also bezahle ich eben doch die Leihgebühr – für EUCH!

Freddy’s New Nightmare (im Original weniger volkstümlich Wes Craven’s New Nightmare) ist nur bedingt eine direkte Fortsetzung der vorangegangenen Filme, da hier diverse Schauspieler und Kreativköpfe der Serie sich selbst spielen und die bisherigen Filme zur Fiktion innerhalb der Fiktion erklärt wurden. New Nightmare war ein Meta-Horrorfilm, bevor ‚meta‘ zu einem Augenroll-Wort wurde.

Beim ersten Sehen dachte ich: Zu wenig Horror und zu viele Szenen mit Menschen, die auf Parkbänken sitzen und weinen. Bei meiner ersten Retrospektive vor schätzungsweise 20 Jahren dachte ich: Stimmt, immer noch zu wenig Horror und zu viel Parkbank-Heulerei. Heute denke ich: Ich verstehe diese Menschen, die da auf den Parkbänken weinen! Der reine Horror!

Bei aller Ablehnung gegen melodramatische Klischeephrasen muss ich sagen: A-ha-ha-hals Va-ha-ha-hater sehe ich den Film heute vielleicht tatsächlich anders. Oder genauer. Oder fühle ihn anders. Oder genauer. Aber Gefühlen sollte man freilich ohne wissenschaftliche Überprüfung nicht trauen. Auch Meinungen und Gefühle von Nicht-Eltern haben weiterhin ihre Gültigkeit.

Nach wie vor finde ich, dass der Film seine satirische Ebene und seine Horrorebene nicht befriedigend zusammenbringt. So mega meta ist er letztendlich doch nicht. Irgendwann ist die Selbstreferenzialität kaum mehr als ein zu vernachlässigendes Gimmick in einer soliden Freddy-Fortsetzung. Immerhin ist es ein besseres Gimmick als Freddy-Vision. Deshalb bin ich froh, dass meine Retrospektive mit diesem schönen Film endet, dessen Längen mir früher deutlich länger vorkamen.

Ich bin ebenfalls froh, dass ich es überhaupt gemacht habe (in 20 Jahren wieder, versprochen, behaupte ich mal so). Selbst wenn ich hier und da ein bisschen gemein gewesen sein sollte (so wird man halt im Alter), hatte ich unterm Strich doch mehr Spaß als Verdruss.

Und ich bin froh, dass es nun erst mal wieder vorbei ist. In den letzten knapp drei Wochen habe ich nicht nur acht themenrelevante Spielfilme und einen Zerquetschten gesehen, sondern auch zwei Nightmare-Dokumentationen mit insgesamt fast 6 Stunden Laufzeit. Jetzt kann ich damit bestimmt beim Großen Preis auftreten. Ich schicke gleich mal meine Bewerbungsunterlagen inklusive vorfrankiertem Rückumschlag ans ZDF.

Generation Freddy (Teil 2 von 3)

Was bisher geschah: Siehe letzte Woche.

Wo waren wir stehen geblieben? Wen kümmert’s, weiter geht es bei meiner non-linearen Nightmare-on-Elm-Street-Retrospektive mit Freddy vs. Jason. Zu meiner eigenen Überraschung, denn den wollte ich eigentlich aussparen. Doch der Algorithmus spülte ihn mir hoch, und das Herz begehrt nun mal, was das Herz begehrt. Da kann der Verstand mitunter nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und kapitulieren.

Freddy vs. Jason ist einer dieser Filme, an dessen Skript sich angeblich jahrelang diverse prominente Horrorautoren versucht haben. Zum Schluss schlackerte der Endverbraucher mit den Ohren, rieb sich die Augen und fragte baff: „Und dann habt ihr das genommen?“ Das Autorengespann Dings und Bums hatte vor Freddy vs. Jason nichts gemacht und wurde hinterher zu Baywatch verdonnert. Eigentlich handelt es sich bei ihrem Debüt nicht, wie man angesichts des Titels meinen könnte, um ein demokratisches Crossover der Nightmare- und Freitag-der-13.-Serien, sondern um eine Fließband-Nightmare-Folge mit ein paar Gastauftritten von Freitagskiller Jason. Angesichts des unüberbrückbaren Niveaugrabens zwischen den Franchises muss man sagen: Zum Glück.

Freddy vs. Jason war seinerzeit eine einzige Enttäuschung. Doch muss ich zugeben, dass mich jede Wiederholung ein wenig milder stimmt. Was mir dieses Mal etwas klarer wurde als bei früheren Versuchen: Das Skript und die Darsteller haben durchaus ihren augenzwinkernden Spaß mit den Horrorstereotypen, die hier breitgetreten werden. Das Ganze erreicht sicherlich nicht die selbstreferenziellen Meta-Ebenen von Scream oder Wes Craven’s New Nightmare, aber es hilft ein wenig. Da mir das vorher nicht aufgefallen ist und ich mir nun bei Tageslicht nicht mehr sicher bin, ob ich das nicht bloß hineininterpretiert habe, muss die provokante Frage erlaubt sein: Ist Freddy vs. Jason etwa zu … subtil?

Zumindest die erste Stunde vergeht dank Regisseur Ronny Yu (The Bride with White Hair, Bride of Chucky, Bride …, nee, das war’s) wie im Flug. Leider nimmt der Film im letzten Akt seinen Titel viel zu ernst und wird zu einer einzigen Monsterkeilerei, in der menschliche Charaktere kaum noch etwas zu tun haben. Wen interessiert das? Vielleicht Fans von amerikanischen Schau-Ringkämpfen. Der Reiz dieses bizarren Phänomens hat sich mir nie erschlossen.

Nightmare on Elm Street 4 (das ist tatsächlich der offizielle deutsche Titel – richtig viel Mühe gegeben) hat mit Freddy vs. Jason gemein, dass hier ein patenter Regisseur die Kohlen aus dem Feuer holt. Und damit hat er alle Hände voll zu tun. Unter den Nightmare-Filmen nimmt dieser eine Sonderstellung ein: Es ist die einzige Hollywood-Autopilot-Standard-Fortsetzung der Serie. Jeder andere Teil ringt dem Konzept irgendetwas Neues ab (der ebenfalls stark standardisierte Freddy vs. Jason läuft hier außer Konkurrenz). Bloß Nightmare 4 macht einfach dasselbe wie Nightmare 3, nur nicht so frisch. Was daran trotzdem gut ist, ist es wegen Regisseur Renny Harlin. Weil er die Serie versteht, das Genre versteht und Film versteht. Noch besser wäre es freilich gewesen, wenn die Drehbuchautoren auch etwas von alledem verstanden hätten. Der Film ist gut inszenierter Quatsch mit Soße.

Jahrelang habe ich mich über Renny Harlin lustig gemacht, weil sein Stil so pompös ist und er auf Fortsetzungen, Vorgeschichten, Spin-offs, Reboots und dergleichen abonniert zu sein scheint. So langsam allerdings werde ich Fan. Das Pompöse steht ihm. In der vierstündigen Nightmare-Dokumentation Never Sleep Again gibt es ein paar anrührende Anekdoten zu hören, wie streng Harlin vor seiner finalen Verpflichtung gerochen haben soll, weil er sich keine Dusche leisten konnte, nachdem er von Riihimäki nach Hollywood rübergemacht hatte, mit nichts als einem finnischen Filmwissenschaftsdiplom in der Tasche. Man muss ihn einfach ins Herz schließen.

Huch, ich merke gerade, ich habe schon lange keine provokante Außenseitermeinung mehr vertreten. Also Renny Harlin: Sein Exorzist-Prequel ist besser als das von Paul Schrader. Und nicht nur so ein bisschen. Es ist genau die bildgewaltige Horrorshow, die der Stoff verdient. Das ist doch keine Arthouse-Mumblecore-Franchise, Menschenskinder.

Was ich mich heute frage: Begann mit Nightmare 4 eigentlich die moderne Unsitte, am Anfang einer Fortsetzung die letzten Überlebenden des Vorgängerfilms auch noch abzumurksen? Ein älteres Beispiel fällt mir nicht ein. Anfang dieses Jahrtausends bedienten sich in schneller Folge Anatomie-, Grudge- und Bourne-Fortsetzungen dieses blöden Tricks (Franka Potente scheint da besonders viel Pech gehabt zu haben), und inzwischen ist es ein Klischee zum Stöhnen und Augenrollen. Finde ich jedes Mal respektlos gegenüber den Figuren, den Intentionen des vorangegangenen Films und der emotionalen Bindung, die das Publikum zu diesen Figuren über die Laufzeit jenes Films hinaus aufgebaut hat.

Nightmare 4 ist ein Film, dem alles egal ist. Warum lebt Freddy wieder? Weil ein Hund namens Jason im Traum Feuer auf sein Grab gepinkelt hat. Was kann man dagegen machen? Ungefähr dasselbe wie im dritten Teil (Spoiler: Hat da bereits nicht geklappt). Die Tode sind allesamt Lachnummern, eine Geschichte im landläufigen Sinne ist nicht auszumachen. Dennoch war es der kommerziell erfolgreichste Film der Serie. Und warum auch nicht? Millionen fliegen irren nicht, wenn sie sagen: Besser Lachnummern als gar keine Nummern.

Bringen wir nach dem vierten schnell den dritten Teil hinter uns. Nightmare III – Freddy Krueger lebt ist der Film, auf den ich mich bei dieser Retrospektive am wenigsten gefreut habe. Ach herrje, kommt jetzt etwa wieder so eine wichtigtuerische, angestrengt-konträre Minderheitenmeinung zur allseits beliebtesten Nightmare-Fortsetzung? Nein, nein. Gut, doch, irgendwie schon. Zunächst ist es ja durchaus ein sehr unterhaltsamer Film, meistens sogar aus den richtigen Gründen (gruseln und lachen an den dafür vorgesehenen Stellen). Deshalb ist einer der Gründe, warum mein Enthusiasmus ein wenig abgeflacht ist, der, dass ich den Film ein bisschen zu oft gesehen habe. Das hat allerdings nicht zuletzt mit Gruppenzwang zu tun. Ich war damals ebenfalls froh, dass Nightmare 3 nach dem unbeliebten (weil missverstandenen) Nightmare 2 eine Kurskorrektur vorgenommen hatte. Während jedoch die anderen Kinder ganz aus dem Häuschen waren, fragte ich mich insgeheim, ob diese Action- und Klamauk-betonte Dark-Fantasy-Richtung wirklich der bestmögliche andere Kurs war. Frage ich mich nach wie vor.

Seinerzeit hatte ich übrigens eine Novellette zum Film gelesen, die sich stark vom tatsächlichen Film unterschied. (Hätte ich das Büchlein noch, hätte ich inzwischen dank eBay bestimmt ausgesorgt. „Story meines Lebens“, wie die Anglophilen sagen.) Das Prosawerk ging noch stärker in eine Fantasy-Richtung, komplett mit Drachen und Schlössern. Vermutlich basierte der Text auf einer früheren, unrealisierbaren Fassung des Drehbuchs. Und vermutlich können wir dankbar sein, dass man damals noch Drachen und Schlösser bauen musste, wenn man Drachen und Schlösser in seinen Filmen haben wollte.

Nightmare 3 ist eine Achterbahnfahrt. Einerseits ist das eine Aussage, die man als Kritikerlob gerne auf das Plakat klatscht. Andererseits ist eine 90-minütige Achterbahnfahrt nicht jedermanns Vorstellung von einem gelungenen Filmabend. Man könnte auch sagen: Nightmare 3 ist wie Forrest Gumps Pralinenschachtel: Manche der Schokohäppchen schmecken gut, andere sind zu süß und klebrig, und an einem Stück will man die Schachtel ganz bestimmt nicht aufessen.

Alles zu versöhnlich? Nun gut, dann eine weitere unbequeme Aufregermeinung (in Bezug auf Nightmare 3, aber auch ganz allgemein): Bitte nie wieder Stop-Motion-Effekte in Filmen, die keine Stop-Motion-Filme sind! Sieht immer wie Knetgummianimation aus dem klassischen Kinderfernsehen aus und ist ungefähr genauso gruselig. Hatte sich in den 80ern längst überlebt, vermutlich schon in den späten 70ern. Was kommt als nächstes? Freddy vs. Augsburger Puppenkiste? (Gut, das würde ich mir anschauen.) In Anlehnung an das traditionelle orientalische Sprichwort, es sei besser, in einem BMW zu weinen, als auf einem Fahrrad zu lachen (Dalai Lama), sage ich: Gebt mir liebe schlechte CGI als gute Stop-Motion. Mir egal, wie viel Liebe und Hobbykellerstunden für ein paar Sekunden Ruckel-Zuckel-Skelett aufgewendet wurden – das Ruckel-Zuckel-Skelett muss rucki-zucki weg. Ray Harryhausen, Ray Harryhausen – ich kann es nicht mehr hören und will es nicht mehr sehen. Zumindest nicht in einem Film, der nach 1973 gemacht wurde.

Wie hieß noch mal der Sänger von Rucki-Zucki?

Bevor ich mich noch aufrege, machen wir lieber Schluss für heute. Ich merke gerade, ich habe fast keines der Ankündigungsthemen vom letzten Mal aufgegriffen. Weil ich so verwegen und unberechenbar bin. Auch beim nächsten (und letzten) Mal, versprochen.

Generation Freddy (Teil 1 von 2. Oder 3. Oder 4, wenn es komplett aus dem Ruder läuft.)

Um gleich auf die Überschrift einzugehen und ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern: Unter diesem Titel (‚Generation Freddy‘) habe ich 2009 (ja, ich habe nachgesehen) zum ersten Mal versucht, ein sentimentales Memoir über meine Liebe zum Horrorgenre Verlagen zur Publikation anzubieten, quasi eine punktuelle Autobiografie des Horrorfans als Horrorfan. Meine Agentin fand die Idee nicht schlecht, doch verlagsseitig kam immer nur: „Wir auch nicht, aber Horrorfans lesen leider nicht.“ Ich habe immer mal wieder am Konzept herumgefeilt, die Agentur hat immer mal wieder angeboten, stets ohne Erfolg. Jetzt dient der Titel eben als Überschrift für den großen Abschluss meiner Trilogie der Couch-Retrospektiven der drei großen Horrorfranchises der 1980er: Freitag, der 13., Halloween und nun A Nightmare on Elm Street, oder schlicht Nightmare, wie man damals in Westdeutschland sagte, und was wir uns auch hier wieder angewöhnen wollen, der Text wird eh lang genug.

Etwas unterscheidet Nightmare von Halloween und Freitag, der 13. und somit meine Grundeinstellung bei dieser Retrospektive: Nightmare fand ich tatsächlich gut. Gelinde gesagt. Ich sah den ersten Film kurz nach seiner regulären Laufzeit im Bremer Cinema Ostertor bei einer nachmittäglichen Doppelvorstellung (für nächtliche Doppelvorstellungen war ich zu jung) mit Halloween (damals wie heute unbeeindruckend) und war hin und weg. Vermutlich war es meine Geburtsstunde als Horrorfan. Zuvor war ich lediglich gelegentlicher Gutfinder des einen oder anderen Schauerschinkens im Spätprogramm unserer drei Fernsehsender gewesen.

In Nightmare – mörderische Träume geht es um den untoten Kinderschänder Freddy Krueger, der sich an den Kindern seiner Lynchmörder rächt, indem er sich in deren Träumen manifestiert. Das soll hier als Inhaltsangabe reichen; in den Fortsetzungen geht es halt um dasselbe. Man findet jedes Mal eine neue todsichere Methode, Freddy Krueger diesmal aber wirklich für immer zu verbannen, nur um im nächsten Jahr herauszufinden, dass es so einfach doch nicht gewesen sein konnte. Obwohl das Konzept also im Verlauf der Serie fraglos überstrapaziert wird und mir schon damals bewusst war, dass es sich nicht bei jeder der Fortsetzungen um eine große cineastische Einzelleistung handelte, fand ich stets, dass Nightmare als Serie ein höheres Durchschnittsniveau hielt als all die vielen anderen Horrorserien, die in jener Ära Schachtelkinocenter und Videotheken vollmachten. Selbst die schwächsten Folgen hatten noch genügend bizarre Einfälle und visuelles Flair, um einem das eine oder andere Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern. Und darauf kommt es bei Horrorfilmen doch letztendlich an.

Ich erwarte nicht, dass ich das heute anders sehen werde. Was stimmt mich bloß derartig optimistisch? Noch etwas unterscheidet meine Nightmare-Retrospektive von meinen Halloween- und Freitag-der-13.-Retrospektiven: Die letzte ist gar nicht so lange her. Vielleicht zwanzig Jahre. Ich weiß, dem Jungvolk scheint das viel, reicht die Spanne doch aus, um einen Neugeborenen zu einem vollwertigen Erwachsenen heranwachsen zu sehen, der vielleicht, vermutlich versehentlich, selbst bereits neues Leben gezeugt hat. Zwanzigjährige also so, mit ihrem schreienden Nachwuchs im Arm: Mein lieber Scholli, eine verdammt lange Zeit ist das – ein ganzes Leben! Sicherlich, mit 20 hat man einen anderen Geschmack als damals, als man selbst noch fröhlich unter dem Mobile sabberte. Zwischen dem 55-jährigen und 35-jährigen Ich dürfte es derweil eine größere geschmackliche Schnittmenge geben. Damals legte ich mir jedenfalls eine Box mit allen Nightmare-Filmen auf DVD zu, zog mir einen nach dem anderen rein, wie wir schon damals nicht mehr sagten, und erlebte dabei nur zwei Überraschungen; eine große und eine kleine (zu beiden später mehr). Auf sieben Filme hochgerechnet ist das nicht viel.

Vielleicht habe ich die Box noch, vielleicht auch nicht. Wer weiß im Streaming-Zeitalter schon so genau, wo die ganzen DVDs abgeblieben sind. Zum Glück tauchten jüngst so gut wie alle relevanten Nightmare-Filme im japanischen Hulu-Programm auf, und ich habe sie mir – für euch! – alle noch einmal angeschaut, bevor sie wieder verschwinden.

In der Filmliebhaberei ist kein Platz für buchhalterische Marotten, deshalb fing ich mit Teil 5 an. A Nightmare on Elm Street 5 – das Trauma ist nämlich der, an den ich mich stets am wenigsten erinnere, und auf den ich mich somit stets am meisten freue. Ich erinnere mich sehr wohl daran, dass er mir bei der Erstveröffentlichung gut gefiel, womit ich recht alleine dastand.

Die erste brennende Frage, die der fünfte Nightmare-Film aufwirft: Was machen diese Schauspieler wohl heute so? Sind schließlich ungefähr im selben Alter wie man selbst, also im besten überhaupt. Der erste Gedanke: Wahrscheinlich verkaufen sie ihre Autogramme, ihr Lächeln und ihren Smalltalk bei Mehrzweckhallen-Händeschüttel-Events in Las Vegas und Mannheim gegen Bargeld an Menschen, die sich noch en détail an Nightmare 5 erinnern können. Der zweite Gedanke: Höchstwahrscheinlich verdienen sie mit diesem unwürdigen Prozedere mehr als ich mit meiner redlichen Arbeit und meinem Gratislächeln. Der dritte Gedanke: Herzlichen Glückwunsch – alles richtig gemacht, liebe Altersgenossen!

Wenn ich mich als damaliger Fangoria-Abonnent richtig erinnere, gab es irgendwelche Probleme mit dem Drehbuch. Es ging, meine ich, durch diverse Hände diverser Romanciers, die mit der sogenannten Splatterpunk-Bewegung in Verbindung gebracht wurden, bevor man einen Profi ranließ. Und zwar einen professionellen Session-Musiker (u. a. für Sparks), dessen einzige vorherige Drehbucherfahrung eine Zusammenarbeit mit Hollywoodlegende Alan Smithee war. Die Story macht nicht allzu viel aus ihrer nicht uninteressanten Prämisse, und Protagonisten sind kaum auszumachen. Aber man muss auch bedenken: Freddy verwandelt sich u. a. in einen Comic-Superhelden, eine Plazenta und ein Motorrad. Rhetorische Frage: Wie cool ist das denn? Was mir an Nightmare 5 immer gefiel und nach wie vor gefällt, ist seine forsche Energie. Er taucht nur selten zum Luftholen aus Freddys Alptraumwelt auf. Ein trippiger Spaß, damals wie heute. Sollen die Hater doch eingeschnappt brodeln. Ich hole mir vielleicht auch ein paar Autogramme, wenn ich das nächste Mal in Mannheim bin.

Nach Teil 5 war ich folgerichtig in Stimmung für Teil 2. Nightmare 2 – die Rache sorgte bei meiner letzten Retrospektive vor geschätzten 20 Jahren für die größere der beiden erwähnten Überraschungen: Der Film gefiel mir plötzlich. Als ich ihn jedoch bei der Premiere im großen Saal der Stern-Lichtspiele hinter Horten sah, meinte ich mit dem Rest der Welt: Nicht so glibberig wie der erste, und hat nicht mal dessen Konzept richtig verstanden. Wären wir bereits so eloquent gewesen wie die Menschen des 21. Jahrhunderts, hätten wir gesagt: Meh. Inzwischen denke ich: Glibberig genug, und es sind eher wir, die den Film damals nicht verstanden haben. Es handelt sich um eine Fortsetzung, die das Originalkonzept nicht einfach wiederholen mag, sondern es sinnvoll weiterentwickeln möchte. Hätte einerseits etwas deutlicher herausgearbeitet werden können. Andererseits habe ich eine Schwäche für Filme, die ihr Publikum für voll nehmen und ihm nicht jeden Bissen vorkauen. Und selbst als langjähriger Wellensittichhalter konnte ich über die Mini-Hitchcock-Hommage mit dem explodierenden Sittich herzhaft lachen. Vor 40 Jahren, vor 20 Jahren, und vor zwei Tagen.

Nicht nur bei mir hat mittlerweile eine Neubewertung von Nightmare 2 – die Rache stattgefunden. In Teilen der queeren Gemeinde gilt er als Kultfilm (Kultfilmen ist natürlich stets mit Misstrauen zu begegnen). Das liegt vor allem daran, dass Hauptdarsteller Mark Patton dem Regisseur und vor allem dem Drehbuchautor vorwirft, seine damals noch verschleierte Homosexualität ausgenutzt und den Film zu schwul gemacht zu haben. Es gibt dazu einen von Mark Patton produzierten Dokumentarfilm, der länger ist als der Spielfilm selbst. Er beleuchtet vor allem, welch ein Geschenk an die Menschheit dieser Mark Patton ist, und wie ungerecht es war, dass er die Hauptrolle in einem Hollywood-Blockbuster spielen durfte, und wie dieser Umstand selbstverständlich sein unverzügliches Karriere-Aus bedeutete (kennt man ja, diese Blockbuster: absolutes Karrieregift!). Anfangs vergleicht Patton sich mit Greta Garbo und Brad Pitt, am Ende reiht er sich bei all den historischen Märtyrern ein, die unter lebensgefährlichen Umständen selbstlos für die Rechte sexueller Minderheiten gekämpft haben. Was dazwischen passiert und behauptet wird, ist kaum faktenbasierter.

Nichtsdestotrotz muss ich sagen: Weiß man um die Diskussion, sieht man die Homoerotik in Nightmare 2 in jedem Frame. Genauso sage ich: Wüsste ich von nichts, sähe ich es wahrscheinlich auch heute noch nicht. Wie heißt es bei den Freud-Skeptikern so schön: Manchmal ist eine Bockwurst in einem Brötchen bloß ein Hotdog. Mein stets geschärfter Hetero-Blick sieht im Film allerdings nach wie vor jede Menge gut gebauter Bikini-Mädchen, die sich lasziv aus Swimming Pools an Land hieven. Möglicherweise sieht er sogar mehr davon, als tatsächlich da sind. Ist eben immer eine Frage der Perspektive und widdewidde wie sie mir gefällt.

Trallari trallahey tralla hoppsasa – es ist Zeit für den ersten Film, Nightmare – mörderische Träume. Dieser bescherte mir bei erneuter Durchsicht in meinen 30ern die zweite der beiden besagten Überraschungen. Doch zunächst einmal das wenig Überraschende: Der Film ist so großartig, dass man ihm seine offensichtlichen Schwächen noch im Vollzug verzeiht. Das ist 2025 nicht anders, als es 1984 war. Diese Schwächen wären ein paar alberne Spezialeffekte (ja, liebe Kinder, die waren schon damals albern) und eine Klimax, die fast so antiklimaktisch ist wie die von Suspiria (hat dem auch nicht geschadet). Wie schön, dass alles andere nach wie vor vom Feinsten ist und kein bisschen Patina angesetzt hat: das wohltemperierte Erzähltempo, die selbstbewusst-unaufgeregte Inszenierung, das bestens ausgewählte und aufeinander abgestimmte Ensemble und die Musik, die man fast nicht bemerkt (wie es sich für vernünftige Filmmusik gehört). Und natürlich mindestens zwei Jugendzimmersterbeszenen, die man sein Lebtag nicht vergessen wird.

Die kleine Überraschung von vor 20 Jahren: Ich konnte mich nicht mehr ganz dem Konsens anschließen, Freddy Krueger sei im ersten Film düster und gruselig und würde erst in den Folgefilmen zu einem kalauernden Clown. Er kam mir nun schon im ersten ziemlich clownesk vor (ähnlich wie Tim Burtons Batman-Filme ihrerzeit als recht düster galten und heute von der Fernsehserie aus den 1960ern kaum noch zu unterscheiden sind). Diese Überraschung reproduzierte sich diesmal nicht (zu meiner Überraschung – ha!). Die Kalauerdichte ist in den späteren Filmen durchaus um einiges höher. Vermutlich schärft die nicht-chronologische Herangehensweise meine Wahrnehmung. Wer also über untote Kinderschänder mal so richtig ablachen möchte, ist mit den Fortsetzungen besser beraten.

Aber herrjeh – nicht mehr heute! Guckt denn hier keiner mal auf die Uhr? Es geht ja schon wieder auf die 2.000 Wörter zu, und wir haben erst drei Filme geschafft. Wer soll denn so lange Texte auf diesen flackernden Computermonitoren lesen? Knipsen wir das Modem erst mal aus und legen uns ein bisschen aufs Ohr. Und falls wir wieder aufwachen, geht es hier bald weiter. Mit Kakerlakenmenschen, Feuer pinkelnden Höllenhunden, Johnny Depps Gehirn auf Drogen und den Fat Boys.

Vergleichende Filmkritik: Angel (1984) vs. Die Wildgänse kommen (1978)

Heute eine weitere Folge der beliebten Sendereihe ‚Filme, die ich längst gesehen haben sollte, aber irgendwie jetzt erst geschafft habe‘. Diesmal mit Angel (minderjährige Straßenprostituierte und ihre riesige Magnum jagen Serienkiller) und Die Wildgänse kommen (alte weiße Männer ballern in Afrika rum). Klingt nach zeitlosen, vorteilhaft gealterten Meisterwerken für Klassenfahrten und therapeutische Einrichtungen? Wir werden es herausfinden.

Wir erinnern uns: Angel lief seinerzeit in Bremen im U. T. 4 an, also dem zweitgrößten der sechs Säle. Der, in dem auch Dario Argentos Phenomena und Jim Drakes Police Academy 4 – und jetzt geht’s rund liefen. Die Annonce für Angel im freitäglichen Kinoprogramm übte eine gewisse Faszination auf mich aus. (Ja, das war noch bevor dieser neumodische Quatsch mit den Filmstarts am Donnerstag losging (1985). Wird sich ohnehin nicht durchsetzen.)

Es war eine gefährliche Faszination. Zu gefährlich für mich, damals. Ich fürchtete, was in diesem Film zu sehen sein müsste, würde meine unschuldige Seele für immer korrumpieren. Der verruchteste Ort, den ich kannte, war der Utkiek von Bremen-Vegesack. Was wusste ich schon vom harten Pflaster des Straßenstrichs von L. A.? Nur das, was ich mir von den Kinoanzeigen im Weser-Kurier zusammenfantasieren konnte. Ich wartete lieber auf Police Academy 4.

Rund 40 Jahre später wähnte ich mich vom Leben abgehärtet genug. Dass die Darstellerin der 15-jährigen Titelfigur bei den Dreharbeiten 24 war, ist nicht das Erste, was einem auffällt. Das Erste, was einem auffällt, ist, dass einige ihrer Highschool-Klassenkameraden wohl auf die 40 zugehen. Da hat man es mit der Hauptrolle vergleichsweise gut getroffen. Vor allem, weil sie ihre Sache schauspielerisch so gut hinbekommt, dass man sich fragt, warum sie danach nicht mehr viel hinbekommen hat. Ihr hohes Alter sieht man ihr nur bei besonders ungünstigen Lichtverhältnissen und Kamerapositionen an.

Zum Glück spielt Angel mehr auf dem Straßenstrich als in der Schule. Dort wurde mit mehr Finesse besetzt. Angels gewählte Familie ist ein bunter, liebenswerter Haufen aus neuro- und genderdiversen Außenseitern. Endlich normale Menschen, möchte man sagen. Die Freakshow sind die Bullys und Drama Queens in der Highschool. Käme der Film unverändert heute heraus, würde der rechte Pöbel ihn wahrscheinlich als ‚woke‘ beschimpfen. Vermutlich genau der Pöbel, der damals im Kino noch gar nichts dagegen hatte, dass unterschiedliche Menschen unterschiedlich sind.

Es überrascht überhaupt nicht, dass dieser vermeintliche Exploitation-Film 1984 beim International Lesbian & Gay Film Festival in San Francisco den Publikumspreis abgegriffen hat. Gut, die oberste Tunte muss zwar sterben (ups, ich weiß, ich weiß – Spoiler-Warnung!). Aber sie stirbt kämpferischer und heroischer, als Jason Statham es jemals hinbekommen hätte (und ich liebe Jason Statham, mit ganz viel Zunge und Barstoppelschubbern, so wie er es gern hat). Wer da nicht zur Kleenex-Box greift, ist kein echter Mann.

Selbstredend ist Angel kein einfühlsames Dokudrama über das Leben auf der Straße, sondern in erster Linie ein küchenpsychologischer Rache-Reißer. Allerdings ein verdammt guter, für den sich niemand schämen oder fremdschämen muss. Darüber hinaus ist der Film ein glänzend gefilmtes 1A-Zeitdokument, wurde er doch fast ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht und zeigt ein Los Angeles, das irgendwie so ähnlich sicherlich immer noch existiert, aber eben nicht mehr genau so. Fun-vielleicht-Fact: Man erzählt sich, Regisseur Robert Vincent O’Neil habe bei den Dreharbeiten immer ein gefaltetes Stück Papier aus seiner Popotasche herausragen lassen, um eine Drehgenehmigung vorzutäuschen.

Das ultimative Lob im Streaming-Zeitalter: Ich habe Angel in einem Rutsch geguckt. Das ist mir schon lange bei keinem Film mehr passiert. Bei Die Wildgänse kommen ganz sicher nicht.

Etwas zur Vorgeschichte: Wie alle jungen weißen Männer hatte ich in den 80ern eine kurze und halbherzige Phase der Söldnerfilmverehrung. Das stand keinesfalls im Widerspruch zu meiner Karriere als angehender Kriegsdienstverweigerer, denn ich konnte Fiktion und Realität schon damals gut auseinanderhalten. Es waren Filme wie Geheimcode: Wildgänse, Kommando Leopard, Der Commander – in den Philippinen gedrehter Euroschrott mit abgehalfterten Ex-Hollywoodstars, schlecht beratenen britischen TV-Stars und Klaus Kinski. Das Konzept war geklaut von Die Wildgänse kommen mit Richard Burton, Roger Moore und Hardy Krüger. Also so ähnlich wie The Expendables, nur nicht so woke. Meine Leidenschaft verpuffte bald, denn so richtig gut waren diese Filme nicht. Retrospektiv muss ich nun allerdings feststellen, dass sie viel besser waren als der Film, von dem sie abkupferten.

Gleichwohl möchte ich diesen Film vom hin und wieder gehörten Vorwurf freisprechen, er habe einen rassistischen Blick auf die Bevölkerung Afrikas (mein Freispruch hat natürlich keinerlei juristische Konsequenzen). So viel afrikanische Bevölkerung kommt in Die Wildgänse kommen gar nicht vor, als dass man da ein klares Urteil fällen könnte.

Das Afrika-Abenteuer ist eingebettet in eine Handlungsklammer, die in England spielt. Dort wird am Anfang die Band wieder zusammengebracht, und am Ende legt dort die letzte überlebende Wildgans (Burton) den Oberschurken um (ups, ich weiß, ich weiß – Spoiler-Warnung!). Dieser Anfang und jenes Ende sind überzeugend geschrieben, gespielt und inszeniert. Alles dazwischen ist halbgarer Mumpitz, der sich zwischen Action, Drama und Klamauk nicht entscheiden kann. Da guck ich mir vielleicht doch lieber noch mal Geheimcode: Wildgänse an. Oder Police Academy 4. Oder (mit Sicherheit) Avenging Angel, Angel III: The Final Chapter und Angel 4: Undercover.

Um es zusammenzufassen: The winner is …

Eraserhead in Vegesack

Lange (und damit meine ich: relativ kurz) habe ich überlegt, ob ich überhaupt etwas über David Lynch schreiben sollte, jetzt, wo Sie wissen schon. Man schreibt bei diesen Anlässen ja letztendlich doch nur über sich selbst, und das scheint unangebracht und anmaßend im Schatten dieses viel größeren Geistes.

Doch dann zwitscherte mir im Morgengrauen ein kleines Vöglein von seinem Ast zu (es konnte, im Gegensatz zu vielen anderen Vögeln, meine Gedanken lesen): „Wovon solltest du denn sonst schreiben, wenn du über David Lynch schreibst? Zum abertausendsten Male analysieren, was das alles zu bedeuten hat? Seine Werk- und Lebensstationen runterbeten? Das kann die New York Times auch. Du bist doch wohl besser als das.“ (Der Vogel sprach in Anglizismen, er war schlecht synchronisiert.)

„Was?“, fragte ich, der ich nicht in jedem Morgengrauen mit Vögeln kommunizierte.

„Folge deinem Herzen. Wenn du gerne etwas über David Lynch und dich selbst schreiben möchtest – go crazy, auf gut Deutsch gesagt. Wem sollte das denn schaden?“

„Nein, ich meine kannst du das noch mal sagen, wo ich besser bin als die New York Times? Ich habe denen nämlich mal was geschickt, und die so: Nee, das ist irgendwie so ein 90er-Jahre-mäßiger Taz-Bremen-Stil …“

„nebah tmuärteg ud tssum saD“, behauptete der Vogel, begann auf seinem Zweig einen hypnotischen Tanz, und ich wusste, dass es nun an der Zeit war, mit dem Schreiben zu beginnen.

Erledigen wir die Formalitäten gleich vorweg: David Lynch war der wichtigste und einflussreichste in meiner Lebenszeit aktive Künstler. Es ist schwer vorstellbar, dass es so schnell einen anderen geben wird, der das Regelwerk von so ziemlich allem so allumfassend umformulieren, korrigieren und erweitern wird, wie er es getan hat. Darüber hinaus fand ich ihn auch richtig gut. Liebe und Bewunderung sind ja zweierlei, aber bei David Lynch war es mir einerlei, also beides. Allerdings nicht von Anfang an.

Meine früheste Erinnerung an David Lynch ist mein Eraserhead-T-Shirt. Ich kaufte es mir als Drei-Käse-Hoch im örtlichen Plattenladen, der schon früh die Zeichen der Zeit erkannt und auch Non-Platten-Produkte ins Programm genommen hatte (genützt hat es ihm auf lange Sicht trotzdem nichts). Es war das erste Mal, dass der milieustimmig mürrische Plattenverkäufer meinen Kauf anerkennend kommentierte, oder überhaupt das Wort an mich richtete. Oder mich überhaupt wahrnahm. Ich wusste nicht so ganz genau, welche Art von Musik Eraserhead spielten, aber das T-Shirt hatte mich schon lange in seinen Bann gezogen, wie es so monatelang ungekauft im Schaufenster hing. Es war einfach zu cool für Vegesack, ich musste es haben.

Es wird nicht viel später gewesen sein, dass der Film Eraserhead den Weg zu mir fand, per Zufall oder Schicksal. Ich hatte ein paar Videokassetten mit raubkopierten Horrorfilmen bei einem Raubkopierer bestellt, der in Liebhabermagazinen annonciert hatte. Es gehörte damals unter solchen Raubkopierern zum guten Ton, Gratis-Bonusfilme auf die Kassetten zu spielen, so noch Platz war, wegen der Customer Experience. Und so fand ich sozusagen auf der Rückseite meiner herrlich verwaschenen Kopie von Hellbound: Hellraiser II David Lynchs Langfilmdebüt. Ich staunte nicht schlecht: Das war die größte Portion gequirlten Bockmists, die ich jemals gesehen hatte, mein lieber Scholli! Das T-Shirt trug ich weiterhin, jetzt allerdings ironisch. So frech war die Jugend von damals.

Wenn uns David Lynch eines lehrt, dann dass nichts so ist, wie es scheint. Eraserhead kann ja gar nicht meine erste Begegnung mit seinem Werk gewesen sein. Hellraiser II kam schließlich lange nach Der Wüstenplanet heraus, und den hatte ich im Kino gesehen. Er hatte mir nur so lala gefallen, aber immerhin besser als das Buch, soweit ich das beurteilen konnte. In so ziemlich jedem meiner Lebensjahrzehnte habe ich mindestens einmal versucht, es zu Ende zu lesen. Beim letzten Versuch habe ich immerhin über die Hälfte geschafft. Vielleicht klappt es noch, bevor ich David Lynch die Astralhand schütteln und persönlich hauchen darf: „Sir, thank you for your service.“

Vermutlich hatte ich ebenso Blue Velvet bereits gesehen und für gut befunden, weil man das damals so gemacht hat (nach wie vor wünschte ich mir aber, Lynch hätte sich zur fraglichen Zeit für Die Rückkehr der Jedi-Ritter entschieden, wie man es ihm angeboten hatte). Meine aufrichtige Liebe erklärte ich erst anlässlich Twin Peaks und Wild at Heart. Ich kann nicht zählen, wie oft ich letzteren im Kino gesehen habe. Und niemand kann zählen, wie oft ich ihn danach auf Video gesehen habe. Es reicht auf jeden Fall. Irgendwann ist auch mal gut.

Soll ich jetzt noch erzählen, wie ich bei einer Twin-Peaks-Party in einer Diskothek bei einem Twin-Peaks-Nerd-Quiz ein „Who killed Laura Palmer?“-T-Shirt gewonnen habe? Damit die Geschichte richtig rund wird, quasi von T-Shirt zu T-Shirt? Nein, runde Geschichten sind so was von prä-Lynch.

„Ich kann immer noch nicht fassen, was du da über Eraserhead gesagt hast“, zwitschert das Vöglein von vorhin. „Gequirlter Bockmist? Echt jetzt?“

„Nein, nein!“, rufe ich. „Die Geschichte hat ja noch ein Nachspiel!“

Etliche Jahre später, auf meiner ersten oder zweiten Japanreise, vielleicht auch meiner dritten, kaufte ich bei Tower Records in Shibuya Eraserhead auf DVD. Ein bisschen aus Schalk, doch auch in der vagen Hoffnung, ich möge ihn mittlerweile mit anderen Augen sehen, nun, da ich ein bis zwei Käse höher war, vor allem intellektuell. Hat geklappt. Leider hatte ich das T-Shirt nicht mehr. Ich hatte es getragen und getragen, bis es den Weg alles Stofflichen gegangen war und mir selbst Freunde aus der Punkrock-Szene zuflüsterten, dass es vielleicht so langsam an der Zeit wäre, leise servus zu sagen. Doch im Herzen werde ich es weiterhin tragen. Das T-Shirt, und alles andere auch.

(„Silencio.“)

Der Weihnachtsmann und die Superheldenmüdigkeit: Fakt oder Fiktion?

Sollte ich diesen Blog in diesem Jahr schon für sonst fast nichts genutzt haben, so will ich doch die Tradition ehren, mir hier über die Weihnachtsfilme und Weihnachtsfernsehserien Luft zu machen, die mir in diesem Jahr die Festsaison noch süßer gestalten sollten. Aber ach, dies wird wohl das letzte Mal sein. Nach einem sehr schwachen 2022er-Jahrgang (der entsprechende Beitrag ist beschämenderweise nicht weit unter diesem) ist, so viel sei vorweggenommen, die aktuelle Ausbeute noch niederschmetternder. Vielleicht kann man Weihnachten im nächsten Jahr mal ausfallen lassen. Zumindest medial. Die ‚Flimmerkiste‘ auslassen und (sanfte Geigenmusik setzt ein) sich einfach mal wieder mit der Familie an einen Tisch setzen und Mensch ärgere dich nicht spielen oder Käse erhitzen.

Beginnen möchte ich mit einer Altlast. Im letzten Jahr sahen meine Frau und ich aus Versehen die gesamte erste Staffel der Fernsehserie The Santa Clauses, eine Fortsetzung der Filmserie The Santa Clause mit Tim Allen. Das ganze war so bunt und so konsequent ideenlos, dass es eine gewisse hypnotische Sogwirkung auslöste. Das erlebten wohl viele ähnlich, und ehe man sich versah, zogen die Verantwortlichen bei Disney+ die falschen Schlüsse und verlängerten die Serie. Dieses Jahr allerdings wiederholte sich der ungute Zauber nicht, wir haben nach zwei Folgen den Ausstieg geschafft.

Ich möchte dazu noch einmal betonen, dass ich Tim Allen bereits höchst unkomisch fand, bevor sich irgendwer dafür interessierte, was irgendwer anderes so politisch denkt. Allens Ansichten waren und sind mir schnurz, doch dieser Har-Har-Handwerker-Humor war mir schon immer zu humorlos. Kelsey Grammer derweil, um die Aufrichtigkeit meiner Argumentation mit einem Positivbeispiel zu untermauern, darf in seiner Freizeit Trump so eifrig zujubeln, wie er mag. Das wird mein gutes Verhältnis zu Frasier nicht trüben.

Das Frasier-Reboot ist für mich ein zu emotionales Thema, um darauf jetzt schon ausführlich einzugehen. Nur so viel: Nicht-ganz-so-gut-wie-früher-Frasier ist immer noch besser als gar kein Frasier. Und die Weihnachtsepisode der neuen Staffel ist ein Glanzlicht, das die Idiotie moderner Weihnachtsfilmstangenware scharf analysiert und sanft parodiert (vielleicht zu sanft, aber ist halt Weihnachten).

Zurück zu Disney+: Dashing Through the Snow ist eine Weihnachtskomödie, die dem Unterhaltungskünstler Ludacris auf den Leib geschneidert wurde. In einer Szene muss er nämlich sagen: „That’s ludicrous!“ Ein humoristisches Highlight. Viel mehr ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Die Fürze des Weihnachtsmanns riechen nach Zimt, und irgendein böser Politiker hängt zum Schluss in einem Baum und zappelt, und das war es dann auch wirklich. Die Musik war, glaube ich, ganz gut.

Dashing Through the Snow wurde von Tim Story inszeniert, der in erster Linie für die Fantastic Four-Filme aus den Nuller-Jahren bekannt ist, die damals alle toll fanden, und von denen heute jeder behauptet, sie schon immer blöd gefunden zu haben. Nur ich bin ihnen nie in den Rücken gefallen. Gleich nach Dashing Through the Snow musste ich überprüfen, ob meine Loyalität gerechtfertigt ist. Ist sie zum Glück. Die Filme machen nach wie vor großen Spaß. Heute vielleicht so wertvoll wie nie zuvor.

Das bringt uns vorübergehend weg vom Thema Weihnachtsfilme und hin zu einem Thema, das die Medienlandschaft in diesem Jahr beschäftigt hat wie kein zweites (nimmt Anchorman-Pose und -Duktus an): „Superheldenmüdigkeit. Ein ernstzunehmendes Phänomen, oder eine Lüge, die die woke Gutmenschenpresse erfunden hat, weil sie nicht wahrhaben will, dass echte Männer nicht auf Frauen stehen?“

Ich beantworte das hiermit ein für alle Mal: Ja, Superheldenmüdigkeit gibt es wirklich. Die Erfolge von Guardians of the Galaxy und Spiderverse sind keine geeigneten Gegenargumente, weil es sich beim ersten um eine Space Opera ganz ohne Superhelden handelt und beim zweiten um Zeichentrick, wofür andere Marktgesetze gelten als für Realfilme. Es gibt zwei sehr spezifische Gründe, warum Marvel gerade kaputt ist, und keiner davon hat etwas mit weiblichen oder ethnisch diversen Protagonisten zu tun (bitte mehr davon) und auch nicht mit problematischem Schurken-Casting (davon ruhig weniger). Zwei Gründe, zwei Worte: Multiversum und Quantenreich. Niemand ohne Propellermütze auf dem Kopf weiß, was das ist, oder möchte es erklärt bekommen. Superhelden gehören in die Straßen ihrer Städte, nicht in irgendwelche alternativen Realitäten oder makrobiotischen Zwischenreiche (habe ich das richtig gesagt?). (Fast vergessen: DC gibt es ja auch noch, so ein bisschen. Der Grund, warum DC kaputt ist, ist der, dass DC noch nie so richtig heile war. Langsam spricht es sich herum.)

„Damit zurück zu dir, Andreas. Hast du da eigentlich noch Geschenke im Sack, oder freust du dich so, mich zu sehen?“

„Haha, du alter Schwerenöter. Ja, Andreas, ich habe tatsächlich noch die eine oder andere Weihnachtsüberraschung für all die vorbereitet, die uns da draußen an ihren Empfangsgeräten zugeschaltet sind.“

McG ist so ein ähnlicher Regisseur wie Tim Story. Er hat in seiner illustren Karriere nicht ausschließlich Meisterwerke inszeniert, die Spezialpreise in der Cannes-Reihe Un Certain Regard gewonnen hätten, aber sein erster Drei Engel für Charlie-Film und seine beiden The Babysitter-Horrorkomödien waren erfrischend genug, um ihn nicht für völlig inkompetent und unsympathisch zu halten. Dass es keinen dritten Babysitter-Film gab, hatte wohl seine Gründe, und die waren wohl nicht qualitativ sondern quantitativ (also Quoten). McG’s neuer Weihnachtsfilm Family Switch für denselben Anbieter, Netflix, wirkt nun, als hätte er ihn zur Strafe machen müssen. Fraglich nur, warum wir mitbestraft werden (ICH zumindest habe mir The Babysitter 2 doch angesehen!). Es geht, der Titel deutet es an, um eine Familie, in der die Mitglieder versehentlich die Körper tauschen, und das zu Weihnachten (eigentlich unwichtig; der Feiertagszusammenhang wurde wahrscheinlich nachträglich ins Skript geprügelt). Ganz am Anfang (vor dem Family-Switch-Event) gibt es eine Szene, in der der Familienvater (ein Nebendarsteller aus The Office) und die Familienmutter (Jennifer Biel oder Jessica Alba, jemand aus jener Zeit halt, wer kennt sich da schon aus) einen albernen Weihnachtstanz aufführen, und die Kinder wenig beeindruckt sind. Es ist die witzigste und charmanteste Szene des ganzen Films. Wenn man nun einwirft, dass diese Szene so witzig und charmant nun auch wieder nicht sei, hat man völlig recht. Und genau das ist das Problem des Films.

Die ärgerlichste Szene ist eine, in der die Figuren in einem ironischen Zwinker-Zwinker-Meta-Dialog all die Filme aufzählen müssen, von denen die Autoren ihren zusammengeklaut haben. Ein billiger Trick, auf den bitte niemand mehr reinfallen soll: Ein Klischee oder ein Plagiat als solches zu benennen macht es nicht weniger klischeehaft oder niederträchtig, egal wie verkrampft man dabei zwinkert (das dürfen sich auch die Macher der lieblosen Horror-Zeitreise-Klamotte Total Killer hinter die Ohren schreiben, in der die unausstehliche Protagonistin ständig jeden fragt, ob er Zurück in die Zukunft gesehen hätte).

So langsam wurden meine Frau und ich ein bisschen verzweifelt und beschlossen, älteren Filmen Chancen zu geben, die wir bisher unter Mumpitzverdacht hatten, obwohl sie durchaus den einen oder anderen Fürsprecher in unserem Umfeld haben. Der erste war das vermeintliche Will-Ferrell-Vehikel Elf. Will Ferrell ist eine lustige Type, aber ist man lustigen Typen über längere Zeit ausgesetzt, werden sie oft nervige Typen. Ferrell hat ein typisches Sketch-Comedy-Naturell. Nach ein paar Minuten ist auch gut. Glücklicherweise ist Elf in Wirklichkeit gar kein echtes Will-Ferrell-Vehikel sondern ein Ensemble-Film, und der Rest des Ensembles sorgt für ein paar sehr willkommene Ferrell-Verschnaufpausen, so dass wir den Film in nur zwei Etappen bewältigten; eine Seltenheit heutzutage und insbesondere in dieser Weihnachtsfilmsaison. Das soll nicht heißen, dass uns Elf in einem nennenswerten Maße gefallen hätte. Ich habe an einigen Stellen gelacht, meine Frau hat an einigen Stellen gelacht. Es waren nicht dieselben Stellen, und es waren auch addiert noch zu wenige Stellen. Immerhin brachte mich die Anwesenheit von James Caan auf die Idee, mal wieder Misery zu schauen, was zwar kein ausdrücklicher Weihnachtsfilm ist, aber ein exzellenter Winterfilm. So schön.

Es gab zwei Filme, bei denen jeweils einer von uns ein Veto einlegte. Bei Candy Cane Lane kam das so:

Ich: „Es gibt auf Amazon einen neuen Weihnachtsfilm mit Eddie Murphy–“

Frau: „Das klingt ganz furchtbar.“

Sie hatte die Situation genau erfasst, und es gab nichts, was ich dagegen halten konnte. Bei The Grinch war es folgendermaßen:

Frau: „Wie wäre es mit The Grinch?“

Ich: „Ich möchte so schnell nach Elf nicht noch einen Film über eine amerikanische Fantasy-Kreatur sehen, die mit dem deutschen Weihnachtsfest nichts zu tun hat.“

Selbstverständlich möchte ich hier eine Weihnachtskultur nicht gegen eine andere aufwiegeln. Alle Weihnachtskulturen sind spitze. Und Kulturen ohne Weihnachten auch. Kulturen = gut. Aber man ist eben, wer man ist. Besonders, wenn man im Ausland ist.

Hätte ich mir mal einen Ruck geben sollen. Stattdessen versuchten wir es mit A Christmas Prince, den wir sechs Jahre lang erfolgreich ignorieren konnten. Trotz unserer Ignoranz gilt er nach wie vor als einer der besseren Netflix-Weihnachtsfilme. Es handelt sich um eine romantische Komödie aus der Kategorie „Zickige Journalistin aus der Großstadt verliebt sich in Rüpel vom Land“. Nur dass die Journalistin diesmal gar nicht zickig ist und der Rüpel nur für ungefähr zwei Sekunden rüpelig. Und das Land ist seins, denn er ist Prinz und baldiger Thronbesteiger. Das alles soll besser sein, als es klingt. Ist es aber nicht. Sind meine Standards zu hoch? Ich glaube nein, wie wir sogleich erfahren werden.

Als letzter Film vor Redaktionsschluss lief im Spätprogramm außer Konkurrenz Black Christmas, ein Remake des gleichnamigen Semi-Klassikers des Slasher-Subgenres. Dieser Film hat mich fast wieder ein bisschen mit Weihnachten versöhnt. Anteil daran hat die gut aufgelegte Besetzung mit sympathischen Backfischen, die ich wegen Generationskonflikt namentlich nicht kenne, und der großartigen Andrea Martin (eher meine Generation), die mir zum ersten Mal in der deprimierend unterschätzten Eine-Staffel-Sitcom Great News aufgefallen ist und seitdem überall (Great News schaue ich gerade im dritten Durchlauf, immer noch ein Traum).

Black Christmas ist gut gespielt, hübsch inszeniert, flott erzählt und unnötig brutal. Wenn es nicht der perfekte Slasher-Film ist, dann gibt es keinen. Beides stimmt natürlich. Was für ein dämliches, zynisches, publikumsverachtendes Subgenre, wenn man ehrlich ist. Kann man eigentlich nur gucken, wenn man gleichzeitig etwas anderes zu tun hat, zum Beispiel Wein und Wordle. Mit anderen Worten: Slasher-Filme sind Käse. Und Black Christmas ist eins von diesen Käsesets mit verschiedenen Sorten, die nie langweilig werden.

Ein Wochenende haben wir noch. Vielleicht setzen wir auf bewährte Klassiker. Wer jetzt „Stirb langsam!“ schreit, fliegt. Wegen Unoriginalität. Frohe Weihnachten, Schweinebacken.

Polizei sugoi

Am späten Donnerstagnachmittag habe ich alles gemacht, wie ich es immer mache: Nach dem Bezahlen meines Einkaufs im Supermarkt legte ich mein Portemonnaie neben meinen Warenkorb auf den Einpacktresen, packte meine Waren vom Warenkorb in meinen ‚Wittenberge das Tor zur Elbtalaue‘-Jutebeutel um und dachte mir voller Stolz auf mein Wahlheimatland: Also in Deutschland hätte ich das Portemonnaie nicht so einfach dahin gelegt, während ich Waren umpacke. Auf dem Heimweg dachte ich darüber nach, ob ich mir noch ein Schnickschnack-Bier im Schnickschnack-Bier-Laden oder einen Eismilchkaffee vom Convenience Store gönnen sollte, entschied mich in beiden Fällen aber dagegen, denn man gönnt sich ja sonst so viel. (Hätte ich mich anders entschieden, hätte ich womöglich meinen Fehler früher bemerkt.)

Dann arbeitete ich an den vorerst letzten Schliffen meines im Frühjahr erscheinenden neuen Kriminalromans, bereitete das Abendessen zu (Teriyaki-Huhn; für mehr reicht es während heißer Romanarbeitsphasen nicht), aß mit meiner Familie zu Abend, komplimentierte meine Tochter ins Bett, arbeitete ein bisschen weiter, holte mit meiner Frau ein paar Folgen der wunderschönen neuen Daily-Morning-Soap Boogie Woogie nach, komplimentierte meine Frau ins Bett, ärgerte mich allein ein bisschen mit dem Film Fistful of Vengeance herum (schade, dass der nicht von meinen Steuergeldern finanziert wurde, sonst könnt ich mich noch mehr aufregen), fand schließlich selbst zur Ruh. Ich hatte einen Traum, in dem meine Tochter endlich ihre Gestaltwandler-Fähigkeiten entdeckte und damit am Esstisch allen gehörig auf die Nerven ging. Viel zu früh brach der neue Tag an. Also alles wie immer.

Am nächsten Morgen hatte meine Tochter zwar äußerlich noch ihre alte Form, aber ansonsten war sie ein bisschen schlapp, weshalb ich ihr nach Familienkonferenz schulfrei gab und zwischen Hätscheln und Arbeit multitaskte. Als ich gegen Mittag schnell mal eben zum Convenience Store wollte, um etwas zu essen zu kaufen, sagte ich beiläufig zu meiner Frau, die an jenem Tag zum Glück ‚Home-Office machte‘: „Ich kann mein Portemonnaie nicht finden.“

So weit immer noch so normal. Nur konnte ich es, anders als sonst, selbst nach elaborierten Suchaktionen nicht finden. Selbstverständlich sah ich auch im Kühlschrank und im Backofen nach, denn man kommt so langsam in das Alter. (Backofen war natürlich extrem unwahrscheinlich, da meine Frau darauf besteht, dass wir den nur in äußersten Notfällen benutzen, weil er nicht uns gehört, da wir nur zur Miete wohnen. Mein Argument, dass wir nach dieser Logik die Toilette ebenfalls nicht benutzen dürften, überzeugt sie nur teilweise.)

Schließlich musste ich erklären: „Es könnte unter Umständen eventuell sein, dass ich es gestern im Supermarkt liegen gelassen habe.“ (Tatsächlich war ich mir zu annähernd 100 Prozent sicher, schon bevor ich den Backofen geöffnet hatte.)

Nun ist die Anzahl der Unmenschen in Japan äußerst gering. Falls ich es wirklich im Laden vergessen hatte, würde jemand es beim Supermarkt-Personal oder im Polizeihäuschen gegenüber abgegeben haben. Im Normalfall. Aber Normalfall ist ja auch nicht immer. Deshalb wurde mir schon ein bisschen mulmig. Neben einem Bargeldbetrag in mittlerer Höhe waren alle meine japanischen Existenzberechtigungen, diverse internationale Kredit- und andere Geldkarten, einige Vokabelspickzettel und (besonders unersetzlich) unzählige Café- und Kaufhaus-Treuepunktekarten in der Geldbörse.

Da meine Frau noch besser japanisch spricht als ich, rief sie im Supermarkt an. Sie war ganz begeistert, wie nett und hilfsbereit die am Telefon waren, aber von meinem Portemonnaie wussten sie leider nichts. In Panik guckte ich noch mal hinter dem Backofen und unter dem Kühlschrank nach. So ein Verlust inklusive enormen Verwaltungsaufwand kommt sicherlich nie gelegen, aber gerade jetzt, wo ich kürzlich festgestellt hatte, dass ich meinen Roman zwei Wochen früher abgeben muss als ursprünglich gedacht, passte er ganz besonders schlecht in meinen Kram.

Meine Frau versuchte unser nachbarschaftliches Polizeihäuschen. Da hatte ich keine große Hoffnung, gerade weil ich wusste, wie gewissenhaft die Guten dort arbeiten. Einmal bestand meine Tochter darauf, dass wir eine Brosche, die sie auf dem Schulheimweg gefunden hatte, dort ordnungsgemäß abgäben. Sie hatte im Unterricht gerade das Konzept der Polizei als Freund und Helfer durchgenommen, und ich habe den Verdacht, dass sie mit Adleraugen den Boden abgesucht hat, nur um irgendetwas zu finden, das man zur Polizei bringen könnte. Obwohl ich kein Broschenexperte bin, hatte ich das Stück schnell als billigen Tand erkannt, den bestimmt niemand vermissen würde. Trotzdem wollte ich mein Kind nicht enttäuschen. Im Polizeihäuschen stellte sich das Abgeben nicht als ein einfacher Hallo/hier/tschüs-Vorgang heraus, sondern war mit allerlei Papierkram, schwierigen Fragen, Faltkartenstudium und lustigen Pocketalk-Maschinenübersetzungdialogen gespickt. Man war wirklich wild entschlossen, die rechtmäßige Besitzerin des billigen Plastikteils zu finden. Wenn die mein Portemonnaie hätten, so dachte ich, hätten die mich längst informiert; Adressdaten waren schließlich enthalten.

Gar so groß ist das Servicebewusstsein der Lokalpolizei nun anscheinend auch wieder nicht. Ja, sie hätten ein Ausländer-Portemonnaie erhalten, auf das die Beschreibung zuträfe, wurde meiner Frau mitgeteilt. Die Sache war aber eine Nummer zu groß für unser schnuckeliges kleines Polizeihäuschen, deshalb hatte man das Fundstück bereits zum nächsten vollwertigen Polizeirevier im benachbarten Himonya geschickt. Nun hätte ich sagen können: „Boah, echt ey?! Das sind ja 17 Minuten zu latschen, Alter!“ Stattdessen sagte ich sinngemäß: „Oh mein Gott oh mein Gott oh mein Gott super toll spitze irre mega!“ Man gab mir eine Bearbeitungsnummer, mit der ich bevorzugt behandelt werden würde, und empfahl mir, bis 16:30 Uhr aufzukreuzen, weil man sonst wg. Feiertag erst am Dienstag wieder für mich da sein könnte (das erinnerte mich durchaus ein bisschen an meine alte Heimat).

Ca. 17 Minuten später betrat ich zum ersten Mal in meinem Leben ein japanisches Polizeirevier. Es unterschied sich zum Glück nicht wesentlich von den Mutmaßungen in meinen vier in Tokio spielenden Polizeiromanen (recherchiert hatte ich freilich schon). (Ich möchte keine Namen nennen, aber es gibt einen Tokio-Krimi von einem anderen deutschen Autor, in dem behauptet wird, man müsse in japanischen Polizeirevieren die Schuhe ausziehen. Das habe ich stets bezweifelt, und Einheimische, die ich dazu befragt habe, zweifelten ebenso, obwohl die zu unbescholten waren, um es abschließend beurteilen zu können. Nun weiß ich: Wir lagen richtig.) Das einzige, was mich wunderte, war, dass doch etliche der Officers Schusswaffen trugen. Eigentlich heißt es ja immer, und ich hatte das selbst in Fiktion und Non-Fiktion kolportiert, dass dem in Japan nicht so sei. Vielleicht an jenem Tag ausnahmsweise, weil ich da war.

Vom freundlichen jungen Mann am Empfang bekam ich einen Besucherausweis und den Auftrag, mich im zweiten Stock zu melden. Die freundliche junge Dame dort rief bei meinem Anblick sofort: „Saifu!“ (Portemonnaie) Ganz kurz musste ich mich gedulden, dann händigte mir ein freundlicher älterer Herr mein Portemonnaie aus.

Ich war schockiert, dass es nur die nackte Geldbörse war, ohne irgendwas drin. So hatte ich mir Japan nicht vorgestellt.

Doch dann ging die Übergabe ordnungsgemäß weiter, in thematisch geordneten Stapeln. Die Kreditkarten, die Ausweis- und ausweisartigen Dokumente, die Spickzettel und (ein Glück!) die Treuepunktekarten. Schließlich die Geldscheine und die Münzen. Selbstverständlich alles da. Natürlich musste ich noch ein Formular ausfüllen, obwohl ich am Empfang schon eines ausgefüllt und meine Frau davor bereits alle Daten zum Mitschreiben diktiert hatte. Wir dürfen aber auch die Bedürfnisse der japanischen Papier- und Stempelindustrie nicht vergessen.

Ich versprach, dass es nicht wieder vorkommen würde, was dem älteren Beamten große Freude und Erleichterung zu bereiten schien (das Gefühl kannte ich von kurz vorher nur allzu gut), und ging mein wie-neues Geld auf den Kopf hauen.

Zu Hause nötigte mich meine Frau zuzugeben, wie toll solche Dinge in Japan funktionierten (ich habe nie etwas anderes behauptet). „DARÜBER solltest du mal was schreiben!“, meinte sie. Habe ich in der Vergangenheit bereits öfter getan. Kann man aber ruhig noch mal schreiben.

Mein Halloween mit Halloween

Die Jüngeren wissen es vielleicht noch nicht: Ich kann Halloween nicht leiden. Weder das kulturell entwurzelte Importfest, diese Horror-Amateurveranstaltung (alternativer Bindestrich: Horroramateur-Veranstaltung), noch die Filmserie, die niemals eine hätte werden dürfen. Also bekomme ich zur Halloween-Zeit immer ganz miese Laune und hervorragende Ideen, diese noch zu steigern. Diesmal: Warum gucke ich mir nicht mal wieder alle Halloween-Filme an? Und falls damit nicht genug Zeit verschwendet sein sollte: Warum schreibe ich nicht meine Gedanken und Gefühle dazu in meinen Blog hinein?

Ganz so schwer wollte ich es mir dann allerdings doch nicht machen und beschloss, mich allein auf die erste Staffel zu konzentrieren (1978 – 1995). Die Rob-Zombie-Filme habe ich stets gemieden und möchte es dabei belassen. Ich nehme Rob Zombie ab, dass er Horrorfan ist. Horrorregisseur ist er nicht. Und die aktuelle Trilogie ist mir zu aktuell, darüber mache ich mir in frühestens dreißig Jahren Gedanken. H20 von 1998 habe ich als „ganz gut“ in Erinnerung, und gute Filme sind hier nicht Sinn der Sache.

Außerdem hatte ich beschlossen, nicht in chronologischer Reihenfolge vorzugehen, sondern in lustbasierter. Los ging es (nerviges Synthie-Gegniedel setzt ein) mit Halloween II: Das Grauen kehrt zurück von 1981, weil ich den Verdacht hatte, diesem Film zeit meines Lebens Unrecht getan zu haben. Das erste und bislang einzige Mal sah in ihn als Teil einer Gruppe betrunkener männlicher Teenager in der VHS-Ära. Es war nicht der erste Film des betreffenden Abends, und ich muss wohl eingeschlafen sein. In jugendlicher Arroganz rechnete ich das stets dem Film an, nicht etwa dem Dosenbier.

Diesmal blieb ich wach. Schönster Moment des Films: Nachdem die Trottel vom Haddonfield PD auf der Jagd nach Michael Myers gerade versehentlich einen unschuldigen minderjährigen Passanten überfahren und in Brand gesteckt haben (damals explodierten amerikanische Polizeiautos ja noch sofort bei Zusammenstößen mit Fußgängern), damit der meschuggene Dr. Loomis ihn nicht abknallen kann, hält sich keiner der Beteiligten lange mit Gewissensbissen, Schuldgefühlen oder Selbstkritik auf. Auch später, als kein Zweifel mehr daran besteht, dass der Falsche verschmort wurde, legen die Männer eine bemerkenswert gelassene „Tja, dumm gelaufen“-Attitüde an den Tag.

Schönster Dialog außerhalb des Films:

Ehefrau: „Oh, ist das Sigourney Weaver?“

Ehemann: „Nein, die andere.“

Ehefrau: „Ach ja, genau.“

Gut, ist vielleicht nicht gerade Shakespeare. Dasselbe lässt sich allerdings auch über die Dialoge in Halloween II sagen. Über die Handlung sowieso. Die einzige Überraschung ist, dass Laurie sich als die Schwester von Michael herausstellt. Darauf baut der gesamte Rest der Serie auf, und damit wäre Halloween II so etwas wie das Das Imperium schlägt zurück unter den Halloween-Filmen.

Ich bin übrigens fest davon überzeugt, dass Das Imperium schlägt zurück von den sogenannten Star-Wars-Fans in der Luft zerrissen würde, käme derselbe Film heute raus. Zu viele unvorhergesehen Wendungen und Enthüllungen. Die massive Amateurkritik an Die letzten Jedi ist schließlich nahezu komplett erfasst mit: „In unsrem Alter möchten wir um Gottes Willen von nichts mehr überrascht werden und nichts erfahren, was über unsere eigenen Spekulationen hinausgeht.“ Aber das nur am Rande; hier soll es ja, wie gesagt, nicht um gute Filme gehen.

Obwohl ich gestehen muss, dass mir Halloween II als aufs Wesentliche reduzierte Vintage-Unterhaltung durchaus gut gefallen hat. Wenig Handlung, wenig Figurenentwicklung, wenige dramaturgische Durchhänger. Danach hatte ich tatsächlich doch ein bisschen gute Laune und Lust bekommen, weiterzumachen. Also nach Teil 2 gleich Teil 4.

War der zweite Film mental und ästhetisch noch fest in den geschmackssicheren 70ern verankert (kulturell lassen sich Dekaden ja nicht nach Kalenderangaben trennen), so ist Halloween IV: Michael Myers kehrt zurück voll und ganz in den 80ern angekommen. Das merkt man schon daran, dass die neue Protagonistin keine Halbstarke ist, sondern ein waschechtes Kind. Die kleine Danielle Harris macht ihre Sache sehr gut. Leider kann ich das von den Großen nicht behaupten. Wer auch immer das Drehbuch geschrieben hat (es nachzuschlagen, wäre zu viel der Ehre), hat sich rein gar nichts einfallen lassen. Die Handlung ist mit dem Filmtitel erschöpfend zusammengefasst. Ein Großteil der Morde findet abseits der Kamera statt. Merke: Was in einer Agatha-Christie-Verfilmung funktioniert, funktioniert nicht zwangsläufig in einem Slasher-Film.

Optisch merkt man dem Film sein Alter beziehungsweise seinen Mangel an Alter daran an, dass sich die Verantwortlichen hier bereits bewusst gewesen sein mussten, dass er im Kino nicht viel reißen würde. Mit vielen Nahaufnahmen und Halbtotalen und einer Farbdramaturgie ohne Eier in der Hose ergibt sich Halloween IV den Anforderungen des Heimkinomarktes. Dass die Fernseher mal größer, breiter und hochauflösender würden, konnte damals noch keiner ahnen. Selbst wenn, hätte es wohl keinen Unterschied gemacht, denn dieser Film war bestimmt nicht für die Ewigkeit gedacht. Dass er dennoch überdauert hat, ist ein Irrtum der Geschichte.

Gott sei Dank hatte ich nun wieder schlechte Laune, also gleich weiter mit Halloween V: Die Rache des Michael Myers. Danielle Harris ist wieder die Wucht in Tüten, und der Film ist um einiges dynamischer erzählt als sein Vorgänger, aber in meinem Zustand konnte man mir gar nichts rechtmachen. Viel zu hektisch und hysterisch das Ganze. Was soll das denn um diese Uhrzeit? Die Leute wollen schlafen!

Also mittendrin umgeschaltet zu Halloween III, dem einzigen Film der Serie, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, und der einzige Film der Serie, der kein Film der Serie ist, sondern nur so heißt. Über ihn wurde damals nach dem ersten Schock so ausdauernd und beharrlich behauptet, dass er total unterbewertet sei, dass er heute total überbewertet ist. Mich erinnerte er ein wenig an die Fernsehserie Evil, nur ohne das sympathische Ermittlertrio. Und ohne all die anderen Qualitäten.

Bald hatte ich etwas viel Besseres gefunden, als Halloween III zu gucken: So lange immer wieder stupide die Aktualisieren-Schaltfläche des Browsers zu bedienen, bis die nächste Staffel von Evil endlich auftauchte.

Also erst mal zwei Folgen Evil, dann weiter mit Halloween III. Das ging mir alles viel zu langsam. Also zurück zu Halloween V. War leider immer noch nicht besser geworden. In seinen schlimmsten Momenten, und das sind nicht wenige, wirkt dieser Halloween-Film wie ein Freitag-der-13.-Film. Ich weiß, das klingt gemein, aber es ist wahr.

Der eine Film langweilte mich, der andere nervte. Und nachdem ich wegen Kurzurlaub eine zweitägige Halloween-Zwangspause einlegen musste …

… sah ich die Lösung meines Problems klar vor meinen Augen: Einfach aufgeben! Niemand zwang mich!

So kam es, dass ich nach der Heimkehr sofort alle Halloween-Filme aus meiner Liste löschte, die danach weitaus verführerischer aussah. Ich würde Teil 3 und 5 nicht mehr zu Ende sehen, und mit Teil 6, dessen Existenz ich im Vorfeld völlig vergessen oder verdrängt hatte, ebenso wenig anfangen wie mit dem ersten, den ich bisher in keinem Lebensalter mehr als „ganz okay“ zu finden gelernt habe (oh, was habe ich es versucht).

So fühle ich mich nun wieder frei. Der Fluch des Michael Myers ist nahezu buchstäblich von mir genommen. Genauso wie „die Rückkehr“ und „die Rache“. Ich kann mich nun wieder angenehmeren Projekten widmen, beispielsweise meinen geplanten Subspecies– und Maniac Cop-Retrospektiven. Und ich kann mich auf erfreulichere Feiertage freuen.

Reinhard Mey verbieten!

Quatsch, ich meine gar nicht Reinhard Mey, ich meine Karl May (Abb. oben, links). Und ich meine auch gar nicht ‚verbieten‘, ich meine ‚lesen‘. Wenn man will. Ich bin ganz durcheinander. Viele diskutieren ja dieser Tage über den Mann und sein Werk ohne große Textsicherheit. Das freut mich sehr, denn außer Das Kapital habe ich selbst kaum etwas von ihm gelesen, möchte aber unbedingt mein Hublublublublu auch noch dazugeben.

Vielleicht tatsächlich kurz etwas zu meiner eigenen Karl-May-Rezeptionsgeschichte, denn ich stelle mich so gern in den Mittelpunkt meines Schreibens. In den 70ern sah ich die Filme im Fernsehen und fand sie „ganz gut“. In den 80ern versuchte ich es mit den Büchern, kam allerdings nicht weit. Ich war eher der Conan-Typ (Barbar, nicht Detektiv). Aber dieses spezielle Fass wollen wir im momentanen Klima lieber nicht auch noch anrollen. Als Jungs noch mit Puppen spielten, besaß ich eine gelenkige Spielzeugausführung von Winnetous Pferd, die ich jedoch als Big-Jim-Pferd einsetzte. Später besuchte ich einmal die Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg, wo es mir gut gefallen hat. Vor allem wohl auch, weil meine Eltern nicht dabei waren und ich Zigaretten rauchen konnte, bis mir schlecht wurde (schätzungsweise eine halbe bis eine). Herrliche Erinnerungen. Zu einem Vollblut-Karl-May-Fan machen sie mich allerdings schwerlich. Hier schreibt kein eingeschnappter Nostalgiker, hier schreibt ein besorgter Leser (wenngleich kein Karl-May-Leser).

An Karl May ist, soweit ich es aus meinem ungünstigen Blickwinkel beurteilen kann, einiges kritikwürdig. Und jetzt kommt der Knaller: Kritik wird tatsächlich geübt, und zwar nicht erst seit August 2022. Flapsig könnte man sagen, die Karl-May-Kritik gibt es, seit es Karl May gibt. Er hatte schließlich schon zu Lebzeiten nicht nur leidenschaftliche Verehrer und gute Freunde, nach allem, was man so hört. Aber über diese unschönen Kolonialzeiten wollen wir ja lieber nichts hören, LALALALALA mit Fingern in den Ohren, also spulen wir schnell zu meinen Lebzeiten vor und formulieren um: Karl May wird kritisch rezipiert, seit ich (52) denken kann. Selbst von Kindern. Als ich meinen ersten Winnetou-Film auf unserem Schwarz-weiß-Röhrenfernseher sah, klärten mich meine Eltern auf, nicht ohne Häme, dass dieser Karl May nie in Amerika gewesen war und wahrscheinlich weder von echten Cowboys noch von echten Indianern allzu viel wusste. Diesen Informationsstand schienen meine Altersgenossen zu teilen. Wir sahen diese Filme so, wie wir auch Weltraum- und Dinosaurierfilme sahen: Als ausgedachte Unterhaltung, nicht als Schulstoff. Ich fand Winnetou, wie gesagt, „ganz gut“ (aber nicht so gut wie Zorro), weshalb ich mich später „ein bisschen“ mit der Geschichte und Kultur der tatsächlichen amerikanischen Ureinwohner beschäftigte. Diejenigen meiner Freunde, die diese Filme und Bücher mehr als bloß „ganz gut“ fanden, sollten sich damit weitaus ausführlicher beschäftigen als ich. Denn das ist eine der vielen Leistungen ausgedachter Bücher: Sie beflügeln das Interesse an der Wirklichkeit.

Diejenigen aus meinen Umfeld, die im Laufe ihrer Studien tief in die fremde Kultur und Geschichte eintauchten, haben danach keineswegs mit Karl May gebrochen. Denn so sind sie, die Menschen guter Kinderstube: Sie können zwischen Dichtung und Wahrheit unterscheiden und beides aus unterschiedlichen Gründen zu schätzen wissen.

Aber genug von mir und meiner Rasselbande. Auch außerhalb meiner Blase existiert der kritische Umgang mit Karl May nicht erst seit ein paar Wochen. Eine erschöpfende historisch-kritische Ausgabe wird seit 1987 erstellt, inzwischen in Zusammenarbeit mit dem Karl May Verlag, der da wohl nichts zu verbergen hat. Rund 100 Bände liegen bereits vor. Da hat also schon zur Genüge stattgefunden, was einige vorgebliche Vermittler nun lasch fordern, nämlich die Neuauflage der alten Bücher mit kritischen Vorbemerkungen. Damit wären wir wieder bei der vorletzten Sau, die durchs Dorf getrieben wurde: Der Trigger-Warnung. Diesmal nur viel wortreicher. Dabei braucht kein Mensch eine Trigger-Warnung, um Der Schatz im Silbersee zu lesen, denn die Karl-May-Methode kennt seit Jahrzehnten jedes Kind. Karl May wird automatisch kritisch gelesen, erstens weil Karl May, zweitens (vielleicht wichtiger) weil alt. Wer es lieber genau als ungefähr wissen möchte, greift halt zur besagten Sonderausgabe. Aber Zwangsbelehrungen gehören sich nicht.

Der Unterschied zwischen der ewigen und der aktuellen May-Kritik, die sich inhaltlich in den wesentlichen Punkten nicht unterscheiden, ist die Absicht. Der alten Kritik ging es um Aufklärung, der neuen geht es um Verbannung. Also das genaue Gegenteil. Eine der infamsten Lügen dieser Fatwa äh Debatte ist die Behauptung, dass die Verbannung der Winnetou-Kinderbücher aus dem Ravensburger Verlag nichts mit Zensur oder Bücherverboten zu tun hätte, denn der Verlag habe die Titel schließlich „freiwillig“ aus dem Programm genommen. Hier eine kleine Branchen-Insider-Information (ich weiß gar nicht, ob ich darf): Pustekuchen! Kein Verlag nimmt jemals eine Neuerscheinung freiwillig aus dem Programm, schon gar keine bereits gedruckte und ausgelieferte. Das kostet alles Geld! Heute sogar deutlich mehr als letztes Jahr um die Zeit. Solche Rücknahmen erfolgen ausschließlich auf Druck von außen, entweder von Anwälten oder, wie hier, vom geifernden Mob mit seinen Fackeln und Mistgabeln.

Die Bestrebungen des lesefeindlichen Mobs im deutschsprachigen Raum erinnern an die jüngsten (oft erfolgreichen) Bestrebungen US-amerikanischer Rechtsmoralisten, Bücher über allerlei sexuelle Orientierungen und Geschlechteridentitäten aus Schulbibliotheken zu entfernen. Da mag manch einer meinen, das eine dürfe man nicht mit dem anderen vergleichen. Womöglich handele es sich sogar um einen sogenannten Whataboutism, um jenes Dummwort zu bemühen, mit dem die Ewig Doofen seit einiger Zeit jedes gute Argument in Grund und Boden kreischen. Wahrlich aber, ich sage euch: Es gibt zwischen denen, die schwule Comics verbieten wollen, und denen, die Verlage mit Nachdruck dazu bewegen wollen, Indianerbücher nicht mehr nachzudrucken, keinen charakterlichen Unterschied. Die einen mögen sich konservativ nennen und die anderen sich für progressiv halten, aber letztendlich findet man auf beiden Seiten bloß verbohrte Idioten äh Ideologen, die es nicht ertragen, dass es noch andere Standpunkte gibt als ihre eigenen. Das Resultat ihres Handelns ist dasselbe: Weniger Auswahl im Bücherregal. Und wer nun sagt, dass es um diese spezielle Art von Auswahl nicht schade ist, der sollte wissen, wes Geistes Kind er ist. Hugh.

Tarako Shampoo

Das da oben wäre ein guter Titel für eine schrullige kleine Independent-Film-Dramedy, finde ich. Eine Story wird sich schon ergeben. Vielleicht etwas über irgendeinen Mann, der sich in irgendeiner Krise befindet (Midlife? Quarterlife?) und eines Tages eine herrlich verrückte junge Frau mit kurzen Haaren kennenlernt (U-Bahn? Schnellimbiss?), die sein Leben ganz schön auf den Kopf stellt (aus der Bahn wirft? durcheinanderwirbelt?). Zum Schluss ist die Frau wieder weg, weil man Paradiesvögel nicht in Käfige sperren kann, und der Mann ein kleines bisschen wehmütig. Aber die Krise immerhin ist vorbei, und er kann die Welt mit neuen Augen sehen. Sundance Publikumspreis.

Aber genug von Tarako Shampoo, reden wir über Weihnachtsfilme. Sie schauen ja hoffentlich auch seit mindestens vier Wochen nichts anderes. Sollten Sie noch nicht angefangen haben, wird es höchste Eisenbahn. Mit diesem kurzen, unvollständigen Ausschnitt aus meiner diesjährigen Weihnachtsfilmkonsumhistorie möchte ich teils anregen, teils warnen.

Unsere Saison begann mit einem kleinen Familienstreit. Meine Frau und ich waren uneins, welcher Film missratener wäre: Last Christmas (basierend auf den Werken George Michaels) oder The Family Stone (basierend auf einem Drehbuch von Außerirdischen, die noch nie einem Erdenmenschen begegnet sind). Ausnahmsweise musste meine Frau meiner Argumentation schließlich zustimmen: Beide Filme sind Schmarrn, aber Last Christmas ist zumindest aufrichtiger Schmarrn, der nicht vorgibt, irgendetwas anderes zu sein. The Family Stone hingegen versucht sich am großen amerikanischen Familiendrama, kommt jedoch nur bei Figuren an, die einander und vor allem den Zuschauern gehörig auf die Nerven fallen. Ungeachtet der offensichtlich hohen Ambitionen wird das Ganze als volksnahe Komödie verkauft, deshalb fällt zweimal jemand hin.

Last Christmas hat zunächst nur peripher etwas mit den Liedern von George Michael zu tun. Wird einer unsanft aus dem Schlafe geweckt, läuft halt … Sie wissen schon. Bis man am Schluss voller Freude über so viel Mut zum Schmalz feststellt, dass der Titelsong bereits einen RIESEN-SPOILER (!!!) enthält: „Last Christmas, I gave you my HEART…“ Ein Hoch auf die wortwörtliche Interpretation! Der ganze Filme quasi eine Nachricht von Sam äh Tom! The Sixth Sense! Fight Club! Und alles als romantische Weihnachtskomödie! Aber ich möchte nicht zu viel verraten.

Alle Jahre wieder schmeißt uns Netflix gefühlt ein paar hundert lieblos und dilettantisch runtergekurbelte Weihnachtsfilme unter den Baum und lässt uns hoffnungsvoll nach dem einen qualitativen Ausreißer suchen. Single All The Way war er es schon mal nicht. Der Titel-Single lebt wegen Beruf und Lebensstil in San Francisco. Als er zum Weihnachtsfest in die kleinstädtische Heimat fährt, nimmt er aus Gründen, die ich bereits wieder vergessen habe, seinen Mitbewohner und besten Freund mit. Im Kleinstadtidyll müssen die beiden freilich – ganz langsam und gegen innere Widerstände – einsehen, dass es vielleicht etwas noch Besseres als Freundschaft zwischen ihnen geben könnte.

Es ist schwierig, etwas Gemeines über einen Film zu sagen, der so gut gemeint ist, und in dem alle Menschen so nett zueinander sind. Also werde ich das auch nicht tun, schon gar nicht so kurz vor Weihnachten.

In The Happiest Season ist im Vergleich zu Jingle All The Way einiges umgekehrt: In die Kleinstadt reisen zwei junge Frauen statt Männer, sie sind bereits ein Paar, statt grenzenloser Offenheit gibt es Geheimnisse über Geheimnisse, und alle Beziehungen sind so konfliktbeladen, dass man meinen könnte, diese Menschen wären bei anderen Menschen besser aufgehoben. Trotzdem habe ich mir das über weite Strecken gerne angesehen. Vielleicht wegen der nerdigen Schwester, die an ihrem Fantasy-Romanepos arbeitet, oder Daniel Levi, der hier glücklicherweise dieselbe Rolle spielt wie in Schitt’s Creek, nur unter anderem Namen (man kann mir nichts vormachen). Man muss den Film schon für eine sehr angestrengt vorbereitete Pointe lieben, bei der sich eines der Mädchen in einem Wandschrank versteckt, nur damit die Dame des Hauses bei Entdeckung fragen kann: „What are you doing in the closet?“ (Tsching-bum.)

Der sehenswerte Netflix-Überraschungsweihnachtsfilm in diesem Jahr heißt leider Love Hard, er ist für Menschen mit Niveau und Anstand also besonders leicht zu übersehen, klingt der Titel doch nach einer dieser Spritz- und Gröl-Komödien für ungezogene Kinder. Es handelt sich dabei um eine Verquickung von Love Actually und Die Hard. Darauf bin ich allerdings auch erst einige Zeit nach Filmende gekommen. Als Titel also nicht ideal. Zumal die ewige Menschheitsfrage, welcher der beiden dabei vermischten Filme der beste Weihnachtsfilm aller Zeiten wäre, in Love Hard zwar durchaus verhandelt wird, aber kaum eine derart zentrale Rolle spielt, dass man gleich den ganzen Film danach benennen müsste. (Welchen deutschen Titel hat Love Hard eigentlich erhalten? Liebe langsam?)

Von Inhaltsangaben halte ich noch weniger als von hypersensibler Spoiler-Hysterie, also sehen Sie selbst:

Zum Schluss kriegen die beiden sich übrigens. Wunderschöne Szene, die dann tatsächlich Schlüsselszenen aus Love Actually und Die Hard verquickt. Hätte man trotzdem anders nennen können.

Dieses Jahr habe ich selbst einmal den Direktvergleich Die Hard vs. Love Actually gemacht. Dabei ist herausgekommen, dass beide herausragende Vertreter ihrer Gattungen sind, ich Die Hard aber schon dermaßen auswendig kenne, dass ich mir nicht mehr einreden kann, der Spaß daran sei ungetrübt. Einmal pro Jahr Love Actually sollte derweil nicht zu viel verlangt sein. Und bitte laut mitsingen.

Überhaupt: Wer glaubt, Die Hard sei ein Weihnachtsfilm, der glaubt auch, Coco-Cola hätte den Weihnachtsmann erfunden. Beides typische Klugscheißer-Meinungen und allenfalls Fakten der alternativen Sorte. Echte Fakten: Nicht jeder Film, der an Weihnachten spielt, ist ein Weihnachtsfilm, und den Weihnachtsmann gibt es bereits seit 1821 in Rot und Dick und mit Rentieren. Coca-Cola gibt es erst seit 1886 und den Coco-Cola-Weihnachtsmann erst seit 1931. Yippie Yah Yei, Schweinebacke.

Ebenfalls kein Weihnachtsfilm ist The Advent Calendar, wie sich herausstellt. Gefunden habe ich ihn beim auf Horror spezialisierten Streaming-Dienst Shudder, also hatte ich schon so einen Verdacht. Über Shudder dachte ich immer: Die haben nur zwei Sorten von Filmen: Solche, die ich bereits unzählige Male gesehen habe, und solche, die ich kein einziges Mal sehen möchte. Über normalerweise gut unterrichtete Quellen (Kommentare in Horrorfan-Facebook-Gruppen) war mir derweil zu Ohren gekommen, dass es dort doch zwei oder drei Titel gäbe, für die ich mich schon lange interessierte, wenngleich nicht genug, um sie mir für viel Geld als Hardcopy aus Übersee kommen zu lassen. Man weiß ja, wie das läuft mit diesen Streaming-Diensten: Man denkt sich: Die paar interessanten Filme reiß ich in der Gratiswoche runter, danach sehen die mich nie wieder. Dann allerdings findet man ein paar interessante Filme mehr und entscheidet: Gut, einen Monat kann ich das ruhig bezahlen, aber dann bin ich raus aus der Sache. Und schließlich findet man: Auf ein Abo mehr oder weniger kommt’s jetzt auch nicht mehr an, und Hulu macht’s bestimmt eh nicht mehr lange.

The Advent Calendar ist jedenfalls ein französischer Horrorfilm über einen bösen deutschen Adventkalender. Als Maso-Deutscher liebte ich ihn bereits, bevor ich ihn gesehen hatte. Danach allerdings nicht mehr ganz so sehr. Man erwartet von französischen Horrorfilmen ja entgegen allzu vieler Belege immer, dass sie irgendwie substanzieller, existenzieller, zumindest aber transgressiver als der Bubblegum-Horror amerikanischer Machart daherkämen. The Advent Calendar ist leider so konventionell, dass ich fest damit gerechnet hatte, dass aus dem letzten Türchen Freddy Krueger springen und irgendwas Lustiges sagen würde. Die einzige Überraschung war, dass das nicht passierte.

Gleich zwei Weihnachten-Origin-Storys gibt es auf Netflix: Klaus und A Boy Called Christmas (in christlich geprägten Kulturgegenden noch nicht auf Netflix, wie ich hörte). Klaus geriert sich so lange in banalem Klamauk und ausgemachter Tristesse, dass es mir, als es dann doch weihnachtlicher wurde, auch egal war. Bei A Boy Called Christmas haben wir den umgekehrten Fall: Erst ganz sympathisch, dann nur noch Rambazamba. Gut, ist halt für junge Leute; die mögen wahrscheinlich Rambazamba. Ab einem gewissen Alter ist hier die eigene Meinung genauso irrelevant wie bei Superhelden-Filmen oder Erdbeergummis.

Apropos Erdbeergummis: Die Marvel-Weihnachtsserie Hawkeye ist wirklich ganz herzallerliebst. Ich bin allerdings im Internet auf Wortmeldungen Minderjähriger gestoßen, die das Gegenteil behaupten. Vermutlich haben die recht.

Auch kein Film im strengen Sinne, aber zu drollig, um hier unerwähnt zu bleiben: Trolls Holiday. Ich habe meine Tochter zwingen müssen, sich dieses Special mit mir anzusehen (sie studiert dieser Tage lieber Minecraft- und Animal-Crossing-Vlogs, um ihr Spiel zu perfektionieren), und wir haben es beide nicht bereut. Seit die Muppets müde geworden sind, haben die Menschen die Trolls, um die Generationen vor dem Fernseher zu versammeln.

Überraschende Wendung zum Schluss: Ich habe Shudder doch gekündigt. Noch vor Ablauf der Gratiswoche. Eiskalt, als hätten wir eine weiße Weihnacht. Denn mehr Filme heißt ja nicht automatisch mehr Zeit, um sie zu sehen. Und gerade an diesen Tagen wollen wir unsere Zeit natürlich mit unseren Lieben verbringen. Vor dem Fernseher, mit Weihnachtsfilmen. Echten Weihnachtsfilmen. Ein gesegnetes Fest allerseits.