Ator (Herr des Feuers, he/him) und ich (Meister*in des lauwarmen Badewassers)

Als ich noch jung und die Welt ein sonnendurchflutetes Paradies war, hatte die Nachbarsfamilie einen Partykeller. Das war sehr praktisch, förderte aber auch einen gewissen Kellerneid. In unserem Keller standen bloß Sachen rum. Also bekniete ich meine Eltern, auch den in ein Funktionsgewölbe umzuwandeln, damit die Nachbarn nicht ständig tuschelten: „Das sind die, in deren Keller bloß Sachen rumstehen. Das arme Kind.“ Ein weiterer Partykeller wäre aber nicht schicklich gewesen; unsere beschauliche Nachbarschaft sollte ja nicht zu einer Partymeile verkommen. Also entschieden wir uns für das Gegenteil: einen Fitnesskeller. Zumindest hatte ich es so meinen Eltern verkauft, obwohl meine eigentliche Absicht ein Bodybuilding-Keller war, denn ich wollte aussehen wie Conan der Barbar, damals ein beliebtes Jugendidol.

Die Wände des Kellers wurden in einem freundlichen Hellgrün gestrichen, eine Sprossenwand wurde montiert, ein Punchingball eingefädelt und ein paar Hanteln und Expander im Raum verteilt. Schließlich kamen diverse Poster an die Wand; zum einen zur Motivation, zum anderen, um das schreckliche Neongrün zu überdecken. Ich erinnere mich nur an die beiden wichtigsten: Filmplakate zu den Kinofilmen Conan der Barbar und Ator – Herr des Feuers. Das eine zeigte eine anatomisch einigermaßen korrekte Abbildung des Conan-Darstellers Arnold Schwarzenegger, das andere eine anatomisch stark übertriebene Darstellung des Ator-Darstellers Miles O’Keeffe.

Nach ein paar Tagen intensiven Trainings stellte sich heraus, dass man die Art von Muskeln, die mir vorschwebte, nur mit Drogen bekommen konnte, und Drogen gab es im sonnendurchfluteten Paradies nicht. So verlor ich das Interesse an dieser ganzen Bodybuilding-Sache und funktionierte den Raum zu einem Fantasy-Rollenspiele-Keller um. Das hatte den Vorteil, dass man die Poster nicht abnehmen musste.

Meine Freunde und ich waren damals kulturell noch nicht so tief gesunken, dass wir uns absichtlich schlechte Filme angesehen hätten, nur um uns über sie lustig zu machen. Wir waren allerdings bereits tief genug gesunken, die Vokabel ‚Kult‘ viel zu häufig und für viel zu vieles zu verwenden. So ließ es sich nicht vermeiden, dass das Ator-Poster in meinem Keller irgendwann ‚Kult‘ wurde. Meine naseweisen Mitrollenspieler und ich machten uns lustig über den Titel des Films, die anatomisch übertriebene Darstellung des Hauptdarstellers und vor allem über die Abstammung der Titelfigur, mit der das Poster warb: „Seine Mutter war eine Prinzessin – sein Vater ein Barbar!“ Wir fantasierten uns zusammen, welche Absurditäten in diesem Film wohl geschehen mochten, und wir schworen einander, ihn uns niemals anzusehen.

Die Jahre zogen ins Land und wir aus dem Keller hinaus in die weite Welt. Ich dachte in den folgenden Lebensabschnitten immer seltener an Ator, den Herrn des Feuers. Manchmal natürlich schon, wenn jemand etwa beim Party-Smalltalk beiläufig fallen ließ: „Wissen Sie, ich hatte eine recht behütete Kindheit. Meine Mutter war eine Prinzessin und mein Vater ein Barbar.“ Solche Momente brachten einen sofort wieder zurück in den grünen Keller mit seiner ungenutzten Sprossenwand.

Zugegebenermaßen waren solche Momente recht selten. Doch neulich spülte etwas Ator, den Herrn des Feuers, wieder hoch, und zwar ein Algorithmus. Netflix möchte mir mitunter weismachen, dass die Fernsehsendung Mystery Science Theater 3000 etwas für mich wäre. Eine infame Unterstellung. Ich empfand die Sendung in Konzept und Ausführung stets als einen Ausbund an Stinkefaulheit, eine totale kreative Bankrotterklärung. Im Wesentlichen geht es darum, dass eine Gruppe untalentierter Comedy-Komiker ausgemacht schlechte Filme mit blasiertem Pennäler-Sarkasmus kommentiert.

Gerade als ich die erneute Empfehlung dieser unangenehmen Zeitverschwendung wieder wegklicken wollte, sah ich aus dem Augenwinkel, dass einer der in der empfohlenen Staffel verballhornten Filme AHDF war. Vielleicht ist das meine Chance, diesen Film endlich mal zu sehen, dachte ich. Meine Freunde müssen es ja nicht erfahren.

Doch wieder reagierte ich allergisch auf das unlustige Gequatsche über dem Filmton, das die Jungs und vereinzelten Mädchen aus dem giftgrünen Keller um einiges besser hinbekommen hätten als die Crew von MST3K, und schaltete nach wenigen Momenten ab. Nichtsdestotrotz war ich nun wie besessen: Ich MUSSTE diesen Kindheitsschwur endlich brechen! Ich musste Ator – Herr des Feuers sehen! Vielleicht hatte ja irgendein Streamingdienst eine unbefleckte Kopie im Angebot. Erfahrungsgemäß landet man bei solchen Suchen letztendlich immer bei Tubi, also schaute ich dort als erstes nach, und natürlich wurde ich fündig. Sollte Tubi mal nach einem cleveren Werbespruch suchen, würde ich vorschlagen: Alles in Tubi.

Die Verwirrung setzte früh ein. Mein Leben lang gab es in Bezug auf Ator nur eines, dessen ich mir sicher war: Seine Mutter war eine Prinzessin, sein Vater ein Barbar. Sinnvollerweise beginnt der Film mit der Geburt des kleinen Ator und verständlicherweise hat die Mutter dabei mehr zu tun als der Vater, der nach alter Barbarensitte mit Abwesenheit glänzt. Da ist es doch ein wenig befremdlich, dass diese Geburt in einer schlichten Holzhütte zwischen groben Tierfellen vonstattengeht. Wurde die Prinzessin wegen nicht standesgemäßer Schwangerschaft aus dem Palast verbannt? Oder wurde das Plakat im Geiste der unsäglichen deutschen Blödelsynchronisationen betextet: „Hallöchen, Popöchen, was sehen meine entzündeten Äuglein? Da ist ja noch Platz auf dem Popösterchen! Schreib doch mal irgendwas hin, Zuckerschnute, muss auch nichts mit dem Film zu tun haben.“ Korrekt hätte der Spruch wohl heißen müssen: „Seine Eltern waren – Barbaren!“ Das hat natürlich nicht den gleichen Wohlklang und ist kaum ein Alleinstellungsmerkmal. Um die Botschaft noch klarer zu kommunizieren, hätte man den Film gleich Ator der Barbar nennen können.

Rätsel gibt ebenso der Schurke des Films auf. Was den Bösen von den Guten unterscheidet, ist offenbar, dass er Spinnen ganz, ganz toll findet, während andere eher sagen: Iiieeh! Jedenfalls spielt er gerne verträumt mit den behaarten Achtbeinern, lässt sie über seine Hände und seine Glatze spazieren, kümmert sich rührend um sie. Diese positive Einstellung zu den oft missverstandenen Arachniden macht ihn meiner Ansicht nach mehr zu einem Tierrechte-Aktivisten als zu einem Fantasy-Film-Schurken, aber es waren wohl andere Zeiten, damals.

Außerdem rätselhaft: Warum ist der Film in der deutschen Fassung mit ‚Herr des Feuers‘ und in der englischen, mit der ich Vorlieb nehmen musste, mit ‚The Fighting Eagle‘ untertitelt? Weder Feuer noch Adler spielen größere Rollen. Der italienische Originaltitel erwähnt keines von beidem.

Apropos Italien: Spät im Film gibt es eine Szene, in der Ator und Red Sonja (nicht die echte Red Sonja) durch eine Höhle voller blinder Schwertschmiede schleichen müssen. Da hatte ich den Eindruck, das hätte auch von Fellini sein können. Außerdem hatte ich da die Flasche schon fast aus und der Handlung nicht mehr recht folgen können. So lässt sich vielleicht ebenfalls erklären, dass mich der finale Twist völlig überrumpelt hat. Nachdem der angenommene Ober-Schurke explodiert, weil er sich im Spiegel gesehen hat (vermutlich gab es eine Erklärung, die mir entgangen ist), stellt sich eine andere Figur als der wahre Ober-Schurke heraus. Zumindest für ein paar Sekunden, denn das Totschlagen geht schnell, der Film ist ja bald vorbei. Immerhin gibt es zum Schluss endlich die Riesenspinne, auf die wir von Anfang an gewartet haben. Beziehungsweise: Es gibt die zwei bis drei Riesenspinnenbeine, für die man Geld hatte. Zum Glück stirbt dann noch schnell Red Sonja (nicht die echte Red Sonja), so dass Ator ohne amouröse Komplikationen seine Schwester heiraten kann, wie es sich gehört.

Zu den weiteren Überraschungen zählt ein Auftritt der Schauspielerin Laura Gemser. Ich hatte sie rein zufällig bereits in dem einen oder anderen Kabelfernsehspätfilm gesehen, aber noch nie komplett bekleidet.

Eine Entschuldigung schulde ich Hauptdarsteller Miles O’Keeffe: So anatomisch übertrieben ist seine Darstellung auf dem Filmplakat auch wieder nicht, wie sich herausstellt. Wahrscheinlich waren die Szenenfotos, die ich kannte, nur aus unvorteilhafter Perspektive geknipst. Im Bewegtbild sieht man ihm schon an, dass er vermutlich einen Bodybuilding-Keller zu Hause hat. Anders als beispielsweise Mark Hamill.

Inzwischen, das ist mir bewusst, braucht Ator mich eigentlich nicht mehr. Neben MST3K hatte den Film bereits Oliver Kalkofe öffentlich veralbert, der so etwas gemeinhin besser hinbekommt als das amerikanische Format, bei dem er ein kleines bisschen abgeguckt hat. Was soll ich da noch sagen? Etwa darauf hinweisen, dass eine mutmaßlich bewusst überbelichtete und bewegungsarme Szene so lange dauerte, dass ich schon aufstehen und an der WiFi-Box fummeln wollte? Oder dass ich mir ziemlich sicher bin, dass Ator in einer Szene lange Bluejeans unter dem Felllendenschurz trägt? Hundertprozentig sicher bin ich mir nicht, denn ich wollte nicht zurückspulen und die Erfahrung unnötig in die Länge ziehen.

Letztendlich kommt es bei solchen Filmen natürlich drauf an, was hinten rauskommt. Und das wäre bei AHDF: Ich habe mich gut amüsiert. Ob gut genug, um mir auch Ator II – der Unbesiegbare und Iron Warrior (vulgo Ator 3) anzusehen, weiß ich noch nicht. Aber ich fürchte schon, wie ich mich kenne.