Das Beste aus meinem schrecklichen Lesejahr

Normalerweise veröffentliche ich die Jahresbestenliste meiner Lektüren nur auf meiner Facebook-Seite, und damit hat sich’s. Aber ach, ich hatte ein furchtbares Lesejahr, und ich möchte darüber reden, und auf Facebook fasse ich mich lieber kurz.

Ich habe in diesem Jahr so wenige Bücher gelesen wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2000. Ein triftiger Grund ist schwer auszumachen. Es war ein gutes Schreibjahr, im Gegensatz zum annus horribilis 2022, in dem Verlage keine neuen Bücher kauften und Leser keine alten. Das hat sich beides wieder eingerenkt, vielen Dank.

Geschrieben habe ich sehr fleißig, doch gelesen habe ich wie ein blutiger Anfänger. Habe normal viele Bücher gekauft (also zu viele), aber kaum eines beendet. Und wenn doch, dann oft die falschen. Habe stur an Texten festgehalten, die mir bereits nach wenigen Seiten signalisiert hatten, dass sie mich nicht packen werden. Oder habe versucht, weiter durch den trägen Lesesumpf von Wälzern zu waten, in denen schon seit Jahren meine Lesezeichen nahezu unbewegt steckten, was ja meistens seine Gründe hat. Ich würde gerne auch Videospielen und Fernsehserien die Schuld an der mageren Ausbeute 2023 geben, allerdings bin ich bei Videospielen und Fernsehserien ebenfalls nicht recht weitergekommen.

Aber genug von all dieser Negativität. Im nächsten Jahr wird alles besser. Hier kommen die zehn Lektüren, die meinen Glauben aufrecht erhalten haben, in Lesereihenfolge. Mit launigen Kommentaren, doch ohne ausführliche Beschreibungen oder tiefgehende Analysen. So redselig fühle ich mich auch wieder nicht.

Lustige Geschichte: Ich habe dieses Buch aus Versehen gekauft. Ich hatte es mit einem anderen verwechselt. Es hat mir so gut gefallen, dass ich inzwischen ganz vergessen habe, welches ich eigentlich kaufen wollte.

In meinem bislang undiszipliniertesten Lesejahr dieses Jahrtausends habe ich zwei Regeln dieser Liste gebrochen: „Keine Comics“ und „keine Hörbücher“. Streng gesehen ist dies ein Comic. Dagegen habe ich freilich nichts, allerdings folgen Comics gänzlich anderen erzählerischen Gesetzen als reine Prosa, deshalb sollte man da fein trennen. Hier jedoch drücke ich ein Auge zu, weil der Text beinahe auch ohne die Zeichnungen als ein wunderbar warmherziges Showbiz-Memoir funktionieren würde. Schön natürlich, dass die Bilder trotzdem da sind.

Klar bin ich nur durch die ganz vorzügliche Fernsehserie darauf aufmerksam geworden. Nach der Lektüre fand ich die Fernsehserie nach wie vor ganz vorzüglich, aber das Buch noch vorzüglicher. So vorzüglich, dass ich es und seinen Autor in meinem eigenen neuen Buch name-droppe, auf gut Deutsch gesagt. Als ob sie das nötig hätten. Aber Name-Dropping dient ja immer nur den Droppenden, nicht den Gedroppten.

Ich hatte übrigens in meiner Jugend bereits die Billardromane von Tevis gelesen, Haie der Großstadt und Die Farbe des Geldes. Ich hatte damals allerdings nur so getan, als fände ich sie ganz vorzüglich. Vielleicht sollte ich sie vor dem Hintergrund meiner erlangten Altersweisheit noch einmal lesen.

Mir gefiel Cosbys Razorblade Tears (dt.: Die Rache der Väter) seinerzeit so fantastisch, dass ich mich lange nicht getraut habe, etwas anderes von ihm zu lesen. Ich hatte Angst, enttäuscht zu werden. War völlig unbegründet, wie sich herausstellt. Im fortgeschrittenen Alter noch einen neuen Lieblingsautor zu entdecken, das ist schon ein Geschenk. Um zum besinnlichen Jahresausklang mal eine angemessen schleimige Formulierung zu bemühen.

Michael Connelly ist einer dieser sehr produktiven und sehr verlässlichen Kriminalromanautoren, bei denen man eigentlich blind zuschlagen kann. Vielleicht habe ich deshalb in meinem von Unentschlossenheit geprägten Lesejahr gleich viermal zugeschlagen, jedes Mal ohne es zu bereuen. Dieses Buch sticht heraus: Es ist weit mehr als nur vollkommen befriedigende Stangenware. Würde Connelly seltener Bücher veröffentlichen, und wären die wenigeren mehr wie dieses, würde das Feuilleton ihn nicht nur in der Alibi-Krimispalte preisen. Aber ich bin ganz froh, dass er sich nicht nur auf die Meisterwerke konzentriert. Ich brauche produktive und verlässliche Autoren, denen ich blind vertrauen kann, wenn ich als Leser mal nicht weiterweiß.

Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin allzeit bereit, die Lieblingsgenres meiner Kindheit und Jugend (Science-Fiction, Fantasy und Horror, in dieser Phasenreihenfolge) gegen jede Form von literarischem Snobismus zu verteidigen. Nicht mit meinem Leben, ich bin ja nicht blöd, aber mit Argumenten und Beleidigungen. Ebenso ist wahr: Meine Loyalität fußt vor allem auf Nostalgie. Heutzutage finde ich in diesen Bereichen nur noch selten etwas, das mich über mehrere Kapitel hinweg fesseln könnte (in beiläufiger als Bücher zu konsumierenden Darreichungsformen sieht es anders aus). Es liegt nicht an den Genres, es liegt an mir. Mir fehlt der alte Eifer, das Überangebot zu durchfiltern (aus diesem Grund kenne ich auch keine coolen, jungen Indie-Bands mehr, obwohl es bestimmt welche gibt). Wie schön, wenn einem doch mal wieder ein Fang ins Netz geht. Ich bin erst in diesem Jahr mit Fonda Lees Trilogie fertig geworden, weil ich das Ende so lange wie möglich hinauszögern wollte. Und als es dann vorbei war, habe ich die mittlerweile erschienene deutsche Übersetzung als Ausrede genommen, gleich wieder von vorne anzufangen.

Die Jade-Trilogie wird gemeinhin mit klassischen Hongkong-Gangsterfilmen verglichen. Wahrscheinlich stand das mal in irgendeinem Pressetext, und Nachplappern ist ja immer einfacher als eigene Meinung. Ich würde eher sagen, es ist eine Mischung aus Der Pate und Matrix vor dem Hintergrund einer faux-asiatischen Urban-Fantasy-Welt. Wenn das kein geschmeidig runtergehender PR-Slogan ist, weiß ich auch nicht.

Schnell mal nachgezählt: Ich habe bislang 17 Nothombs gelesen, davon haben mir zwei nicht gefallen. Dies ist einer der anderen 15.

Ja, das hat damals jeder und seine Mudder gelesen. Ich war aber gerade in dem Alter, in dem man dezidiert nicht das liest, was seine Mudder liest. Ich war eher in dem Alter, in dem man Bukowski oder Kerouac oder so einen Quatsch liest.

Hatte Mutter wieder mal recht, genau wie bei der Sache mit dem Mützeaufsetzen. Ich verstehe nun auch, warum Süskind danach keinen weiteren Roman geschrieben hat. Bringt ja nichts. (Und auch hier war ich mir nicht zu schade, den Namen in meinem eigenen neuen Buch zu droppen. Dort war er mir allerdings in erster Linie wegen Monaco Franze eingefallen.)

Um ein Haar hätte ich dieses Buch nicht gelesen, weil es im Feuilleton oft so dargestellt wurde, als ginge es hier 600+ Seiten lang um Bäume. Geht es auch, eigentlich. Oberflächlich spielen zum Glück auch Menschen mit. Aber die Bäume sind die, die bleiben. Ein Buch, das tatsächlich meine Sichtweise auf einiges verändert hat. Auf Bäume, sicherlich, aber auch auf alles, was damit zusammenhängt. Also auf alles.

Das letzte Buch der Liste ist ihre zweite Ausnahme, ich habe es nämlich gegen meine Gewohnheit lediglich als Hörbuch gehört. Die Gründe dafür wären hier zu kompliziert zu erklären (okay, Audible-Lockangebot). Obwohl es kein Schreibratgeber ist, hat es mir enorm bei meinen eigenen Schreibarbeiten in diesem Jahr geholfen, ganz einfach weil man merkt, wie ernst Milch seine Arbeit nimmt. Davon kann man sich bei Bedarf eine Scheibe abschneiden, wenn man Gefahr läuft, den Autopiloten anzuwerfen oder sonst wie den bequemeren Weg zu nehmen. Außerdem hervorragend gelesen von Michael Harney, der so anrührend vom Leben gezeichnet und gebrechlich klingt, wie es der Autor wohl inzwischen ist. (Ich habe Harney mal gegoogelt, er sieht eigentlich ganz gesund aus.)