Die schöne Geschichte von Aaron und dem kaputten iPod

Mein iPod ist von Apple, er funktioniert also nur manchmal. Habe ich den impertinenten Wunsch nach einer bestimmte Musik, stellt er sich auf entsprechenden Tastendruck erstmal tot, knattert dann eine Weile empört rum und fängt schließlich ungeachtet meines spezifischen Wunsches an, seine komplette Musikdatenbank durchzuspielen, in alphabetischer Reihenfolge nach Namen des Interpreten. Selbstverständlich breche ich das meistens nach den ersten Takten ab. Ich kann gar nicht zählen, wie häufig ich inzwischen die ersten Takte des Liedes ‚Le Tunnel d’Or‘ von Aaron (Fettung durch Admin) gehört habe. Lange hat mich das fuchsteufelswild gemacht. Nicht wegen der Fehlfunktion, sondern weil ich mir nicht erklären konnte, wie dieses Lied auf meinen iPod kommt. Ich kenne gar keinen Aaron. Ich hegte den Verdacht, es handele sich um eine dieser hartnäckigen Beispielmusiken, die Softwaremonopolisten in ihren Betriebssystemen verstecken, und die sich beim Synchronisieren meiner Maschinen vermehrt hatte, bevor ich sie finden und löschen konnte.

Irgendwann stellte ich aber fest: Diese zerknirscht-gehauchte Pianoballade ist gar nicht so schlecht, eigentlich sogar ziemlich gut. Ich stellte außerdem fest, dass das Lied doch von mir kam. Es war von einer der Chanson-Sammel-CDs, die ich palettenweise aufgekauft hatte, als ich vor ein paar Jahren entdeckt hatte, dass Frankreich, Franzosen und Französisch gar nicht so blöd sind, wie man mir in der Schule weismachen wollte. Natürlich habe ich mir die ganzen CDs nie richtig angehört, übertreiben wollte ich es auch nicht.

Überhaupt bin ich mit Kompilationen nie recht warm geworden. Ich brauche immer eine Weile, bis ich mich auf jemanden einlassen kann. Kompilationen sind wie Speed Dating, da bleibt nichts hängen. Also habe ich mir jetzt das ganze Aaron-Album kommen lassen. Direkt aus Frankreich, da Aaron hier im Nachbarlande offenbar kein Thema ist. Um Versandkosten den Stachel zu nehmen kam noch das neue Soloalbum der reizenden und begabten (wie wir im Peter-Frankenfeld-Fernsehen sagen) Dionysos-Veteranin Babet mit ins Päckchen, was hier nur erwähnt sei, weil die reizende und begabte Babet die eine oder andere Erwähnung mehr als verdient hat.

Drei Dinge über Aaron erfahre ich durch das Album, noch bevor ich es gehört habe. Erstens: Ich hatte gedacht, Aaron sei ein Typ. Aaron sind aber zwei Typen. Das Ganze ist ein Bandname und steht für: Artificial Animals Riding On Neverland. Die offizielle Schreibweise ist übrigens AaRON, aber so einen Schnickschnack mache ich nicht mit. Zweitens: Laut Aufkleber (ein anderer als abgebildet) erscheint das neue Album am vierten Oktober 2010. Gibt es denn sowas? Fans der ersten Stunde warten seit zwei Jahren, ich muss nur das Wochenende irgendwie rumkriegen. Drittens: Als französisch getexteter Chanson ist ‚Le Tunnel D’Or‘ auf dem Album die sprachliche Ausnahme, der Rest ist in der Modesprache Englisch abgefasst. Das ist dann auch das einzige kleinere Problem an der Sache. Wie alle Künstler und normalen Menschen, die sich in einer Sprache äußern, die nicht ihre Muttersprache ist, verfallen Aaron dabei häufig in Klischees oder zwanghafte Originalität. Keiner ist davor gefeit, auch ich nicht, und Sie erst recht nicht. Egal wie viele Einser man schon als Kind hatte, egal wie viele schlaue Bücher man im Original liest und wie viele jargonschwangere Filme man ohne Untertitel schaut, egal wie lange man woanders gelebt hat und mit wie vielen Ausländern man jeden Abend trinken geht, eine Fremdsprache bleibt eine Fremdsprache. Die Unnatürlichkeit im Umgang mit ihr liegt nicht zwangsläufig darin begründet, dass man sie nicht richtig kann, sondern darin, dass man so vernarrt in sie ist, dass man ständig über das Ziel hinausschießt, mal meilenweit, mal nur ein trügerisches Quäntchen. Deshalb bin ich dafür, dass sich Liedermacher, Dichter, Journalisten u. ä. stets nur in ihrer Muttersprache ausdrücken. Nicht als national identitätsstiftende Maßnahme oder so ein Quatsch, sonder um zu zeigen, was sie drauf haben. Alles andere ist Verstellung. Nun könnten Sie sagen: „Aber was ist, wenn ein Künstler beispielsweise aus Island kommt und in seiner Muttersprache nur von ungefähr 347 Menschen weltweit verstanden würde? Wäre es dann nicht besser, er bediene sich trotz eines gewissen Genauigkeitsverlustes der englischen oder einer anderen Allerweltssprache, um seine vielleicht wichtige Botschaft so vielen Menschen wie möglich verständlich zu machen?“ Daraufhin würde ich die Arme vor der Brust verschränken, die Zunge zwischen die Lippen schieben und ein unanständiges Geräusch machen, woraufhin Sie sagen würden: „Sehr, sehr erwachsen, Herr Neuenkirchen.“

Ach, hören wir auf zu streiten. Es gibt keinen Grund, hören wir diese wunderbare Musik doch einfach wegen der Musik. Wäre mir daran gelegen, musikjournalistisch korrekt darauf einzugehen, müsste ich wohl von Loops und Grooves und Bleeps und Klaviertupfern und dunklen Klang- und Seelenlandschaften faseln, aber das möchte ich Ihnen und in erster Linie mir ersparen. Ist jedenfalls genau das Richtige, wenn einem der Herbst noch nicht Herbststimmung genug ist. Ich habe vorsichtshalber schon mal das zweite Album bestellt.

Eigentlich geht es mir gar nicht darum, Ihnen ein obskures französisches Pop-Duo schmackhaft zu machen. Ich möchte nur der Welt mitteilen, wie glücklich ich bin, dass mein iPod nicht richtig geht. Und ich möchte an Sie appellieren: Wenn Ihr kaputter iPod Ihnen etwas zu sagen versucht, dann hören Sie auf ihn.