Generation Freddy, Teil 3: Das Letzte

Nach den Achtungserfolgen von Teil 1 und Teil 2 nun der dritte, überraschend lineare Teil meiner ansonsten non-linearen Nightmare-on-Elm-Street-Retrospektive.

Jetzt bitte alle die Freddy-Vision-Brillen aufsetzen, denn es ist Zeit für Freddy’s Finale – Nightmare on Elm Street 6.

Nightmare 6 war tatsächlich der letzte Teil der Serie, aber irgendwie auch nicht so richtig. Es ist ein 3D-Film, aber nicht ganz. Er spielt in einer postapokalyptischen nahen Zukunft (von uns aus gesehen eine postapokalyptische nahe Vergangenheit), in der es keine Teenager mehr gibt, weil Freddy Krueger sie alle abgemurkst hat. Aber irgendwie gibt es doch noch welche. Das Worldbuilding hat es nicht so mit der Eindeutigkeit. Es gibt Gastauftritte von Leuten, die mal berühmt waren (Roseanne Barr, Tom Arnold, Johnny Depp), und Alice Cooper. Johnny Depp spielt hier eine andere Rolle als im ersten Nightmare. Der Film nimmt es also mit der Kontinuität ebenfalls nicht allzu genau.

Bei aller konzeptioneller Lieblosigkeit gibt es doch ein paar inspirierte Szenen, und zwar vor allem im vergnüglichen zweiten Akt, wo Filme traditionell eher durchhängen (kann Nightmare 6 denn gar nichts richtig machen?). Die Kopfexplosion durch nervige Tafelkratzgeräusche und das Videospielduell gegen Freddy, bei dem angeblich mutwillig ein Nintendo-Copyright verletzt wurde, haben genau die richtige Mischung aus Horror und Humor, die der Serie zum Markenzeichen wurde. Freddy-Darsteller Robert Englund hat man auch schon mal unmotivierter gesehen. Obwohl ich manchmal hätte schwören können, dass er hier von Ed O’Neill gedoubelt wurde.

Letztendlich kann man sagen: Eine halbe Stunde trostlose Langeweile, eine halbe Stunde flotte Unterhaltung. Und dann kommt die Freddy-Vision.

Nightmare 6 wurde als 3D-Film beworben, tatsächlich ist allerdings nur eine kurze Passage im Showdown wirklich in 3D. Das ist vielleicht gut so. Von Metalstorm über Tutti Frutti bis zur beängstigend langen 3D-Idiotie der Nuller- und 10er-Jahre war die dritte Dimension noch nie eine, die bei Bewegtbildwerken irgendetwas besser gemacht hätte. Nightmare 6 ist da keine Ausnahme.

Wenn die Charaktere im Film nach einer äußerst windigen Erklärung ihre 3D-Brillen aufsetzen, sollte das Kinopublikum das ebenfalls tun. Der Film wird dann zu einer schluderig gemachten Geisterbahnfahrt durch Freddys Bewusstsein. Leider werden die guten, dramatischen Charaktermomente dabei stets unterbrochen, weil wieder irgendwas in die Kamera fliegen muss. Wegen besagter guter Momente kommt mir Nightmare 6 heute immerhin nicht mehr wie der Totalausfall vor, an den ich mich zu erinnern glaubte. Ein würdiger Abschluss sieht trotzdem anders aus.

Bevor es weitergeht, reden wir ausnahmsweise mal Klartext: Ich bekomme NICHTS dafür, dass ich das hier mache. Außer Liebe. Aber für Liebe kann man sich bekanntlich nicht mal Lakritzschnecken kaufen. Und es kommt noch bunter: Ich habe bei dieser Retrospektive sogar draufgezahlt. Und zwar 330 Yen Leihgebühr für Nightmare 6. Die anderen bislang besprochenen Filme gab es alle im regulären Hulu-Programm, für das ich eh schon bezahle, um ständig über die neuesten Castingshow-Ergebnisse informiert zu sein. Nightmare 6 war von diesem Schein-Gratisprogramm ausgenommen. Der nächste Film, New Nightmare, gar nicht erst im Angebot. Könnte ich mir anderswo kostenpflichtig leihen, aber irgendwann ist es auch mal gut mit meiner Bereitschaft, immer nur zu geben und zu geben und zu geben und nichts zurückzubekommen (außer Liebe). Sicher, ich könnte auch meine eigene DVD suchen, die bestimmt in irgendeinem Einsteckordner steckt (oder bewahrt ihr die ganzen Umverpackungen auf?). Hätte ich damals bei der Bestückung der Ordner irgendeine Ordnung walten lassen, wäre das in Betracht zu ziehen. Habe ich aber nicht, als ich meine Nightmare-DVDs für immer verlor, irgendwo zwischen Citizen Kane und Josie and the Pussycats.

Um Zeit zu gewinnen, beschloss ich, etwas Tolldreistes zu wagen: Mir das Nightmare-Remake von 2010 anzusehen. Man muss wohl nicht extra erwähnen, dass das nicht Teil meines ursprünglichen Plans war. Nun rationalisierte ich, dass es zwei gute Gründe gäbe, diesem Werk doch noch eine Chance zu geben. Zum einen wird es ja nun wirklich von allen gehasst, also stehen die Chancen gut, dass ich ihm etwas abgewinnen kann. Denn ich habe schließlich nichts im Leben außer meinen kindisch-konträren Meinungen. Zweitens sah ich es zum ersten und bislang einzigen Mal in einem sehr angespannten Lebensabschnitt, in dem ich rückblickend manchem Film Unrecht getan hatte. Ich arbeitete in einem bürgerlichen Beruf, der mir einiges abverlangte (vor allem Zeit, die sich sinnvoller hätte nutzen lassen), und an einigen Tagen besuchte ich danach noch die Abendschule für den Fremdsprachenunterricht. An solchen Tagen war es Tradition, bei meiner späten Heimkehr eine Flasche Wein und den neuesten Umschlag der Versandvideothek zu öffnen, und mich gefälligst gut unterhalten zu lassen. Oft konnte ich die Augen nicht bis zum Schluss des Films offen halten, was ich dem Film ankreidete, und nicht etwa den ausbeuterischen Gesellschaftsverhältnissen oder dem Weine. Als ich so eines Nachts das Nightmare-Remake ansah (oder eben nicht ansah), erinnerte ich mich an meinen eigenen Großvater, als wir einmal spät nachts im großelterlichen Wohnzimmer nach der Ziehung der Lottozahlen und der Sportschau Godzilla gesehen hatten. Wenn solche Filme im Fernsehen liefen, musste ich als kleiner Bub bei meinen Großeltern übernachten, weil ich sie zu Hause nicht sehen durfte. Mein Großvater verschlief den Großteil des Films, wachte aber gelegentlich kurz auf, grummelte: „Was ist denn das für ein Quatsch?“, und schlief dann gleich wieder ein. Haargenau so habe ich beim ersten Mal A Nightmare on Elm Street von 2010 erlebt, nur dass ich jetzt selbst der Opa war.

Bonusgrund für einen Neuversuch: Ich habe theoretisch gar nichts gegen Remakes. Bloß praktisch. Prinzipiell finde ich es legitim, klassische Stoffe zu aktualisieren, neu zu interpretieren, aus anderen Perspektiven zu betrachten, dabei unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. Ist beim Theater gang und gäbe. Da wird zwar auch nicht jede Neuinszenierung von Publikum und Kritik mit der gleichen Wärme empfangen, aber wenigstens fehlt der Chor bärtiger Muttersöhnchen in Heavy-Metal-T-Shirts, die jedes Mal reflexartig lamentieren: „Uäh, nicht noch ein Macbeth-Remake!“

Einen Haken hat die Sache selbstverständlich: Film-Remakes werden nie aus den richtigen Gründen gemacht. Film-Remakes werden gemacht, weil sich die Verantwortlichen denken: Hat schon mal Kasse gemacht, macht bestimmt wieder Kasse. Und man muss sich im Vorfeld nicht so viele von diesen lästigen kreativen Gedanken machen wie bei Originalstoffen.

Vielleicht ist es beim Nightmare-Remake ja anders.

Nach einer 20-minütigen Lektion in erbärmlichster cineastischer Ideen-, Lust- und Leidenschaftslosigkeit zitierte ich wieder meinen Großvater, schaltete den Fernseher aus und begann wie von Sinnen meine DVD von New Nightmare zu suchen. Ich fand sie in keinem meiner Einsteckordner, also vermutete ich, sie könnte noch Teil eines der wenigen Boxsets sein, die ich intakt gelassen und nicht zerrupft habe, aus Gründen der Platzersparnis und als Protest gegen den kapitalistischen Sammelfetischismus. Ich schaute in allen klassischen DVD-Box-Geheimverstecken nach. Im obersten Regal im Kinderzimmer, in den Einbauschränken und Muji-Schubladengarnituren des Master Bedrooms, in der Fernsehkommode ebendort und der im Wohnzimmer, im Sicherungskasten im Flur. Ich machte ein paar erfreuliche Überraschungsfunde, doch hinsichtlich Nightmare überall Fehlanzeige.

Ein Wendepunkt in meinem Verhältnis zu materiellem Besitz war selbstverständlich mein Umzug nach Japan gewesen. Nicht jeder kleine Trash konnte damals mit auf die Arche. Dieses Loslassen vom Tand war sehr befreiend. Aber dass ich nicht sentimental genug gewesen sein sollte, meine Nightmare-Box oder zumindest ihren Inhalt einzupacken, kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht dachte ich mir damals: Kaufe ich mir wahrscheinlich eh bald als Blu-ray nach. So weit ist es allerdings nie gekommen, und heute kommt mir dieser unpraktische, unansehnliche Kunststoffschrott nicht mehr ins Haus.

Also bezahle ich eben doch die Leihgebühr – für EUCH!

Freddy’s New Nightmare (im Original weniger volkstümlich Wes Craven’s New Nightmare) ist nur bedingt eine direkte Fortsetzung der vorangegangenen Filme, da hier diverse Schauspieler und Kreativköpfe der Serie sich selbst spielen und die bisherigen Filme zur Fiktion innerhalb der Fiktion erklärt wurden. New Nightmare war ein Meta-Horrorfilm, bevor ‚meta‘ zu einem Augenroll-Wort wurde.

Beim ersten Sehen dachte ich: Zu wenig Horror und zu viele Szenen mit Menschen, die auf Parkbänken sitzen und weinen. Bei meiner ersten Retrospektive vor schätzungsweise 20 Jahren dachte ich: Stimmt, immer noch zu wenig Horror und zu viel Parkbank-Heulerei. Heute denke ich: Ich verstehe diese Menschen, die da auf den Parkbänken weinen! Der reine Horror!

Bei aller Ablehnung gegen melodramatische Klischeephrasen muss ich sagen: A-ha-ha-hals Va-ha-ha-hater sehe ich den Film heute vielleicht tatsächlich anders. Oder genauer. Oder fühle ihn anders. Oder genauer. Aber Gefühlen sollte man freilich ohne wissenschaftliche Überprüfung nicht trauen. Auch Meinungen und Gefühle von Nicht-Eltern haben weiterhin ihre Gültigkeit.

Nach wie vor finde ich, dass der Film seine satirische Ebene und seine Horrorebene nicht befriedigend zusammenbringt. So mega meta ist er letztendlich doch nicht. Irgendwann ist die Selbstreferenzialität kaum mehr als ein zu vernachlässigendes Gimmick in einer soliden Freddy-Fortsetzung. Immerhin ist es ein besseres Gimmick als Freddy-Vision. Deshalb bin ich froh, dass meine Retrospektive mit diesem schönen Film endet, dessen Längen mir früher deutlich länger vorkamen.

Ich bin ebenfalls froh, dass ich es überhaupt gemacht habe (in 20 Jahren wieder, versprochen, behaupte ich mal so). Selbst wenn ich hier und da ein bisschen gemein gewesen sein sollte (so wird man halt im Alter), hatte ich unterm Strich doch mehr Spaß als Verdruss.

Und ich bin froh, dass es nun erst mal wieder vorbei ist. In den letzten knapp drei Wochen habe ich nicht nur acht themenrelevante Spielfilme und einen Zerquetschten gesehen, sondern auch zwei Nightmare-Dokumentationen mit insgesamt fast 6 Stunden Laufzeit. Jetzt kann ich damit bestimmt beim Großen Preis auftreten. Ich schicke gleich mal meine Bewerbungsunterlagen inklusive vorfrankiertem Rückumschlag ans ZDF.