Mein erstes Mal in Japan (1): Maid Café

hojahojahoWas ich nicht schon alles in Japan gemacht habe. Könnte ich ein Buch drüber schreiben. Ich habe Kugelfisch ohne Schuhe gegessen, Tofu mit Stäbchen, habe mehrmals zu heiß gebadet, bin die 1346 Stufen zum Kompira-san-Schrein hinaufgelaufen, habe keine Erleuchtung erfahren, und bin wieder hinunter gelaufen. Zum Beispiel.

Aber ein paar Erfahrungen habe ich lange aufgeschoben. Keine Zeit, schlechtes Wetter, was Falsches gegessen, die üblichen Lügen Gründe. In meinem zehnten Japan-Jahr aber wollte ich Butter bei die Fische machen (eigentlich nicht üblich in Japan). Erstes nachgeholtes Versäumnis: Besuch eines Maid Cafés. Weder mein Bier noch meine cup of tea, aber es muss sein, denn Maid Café ist ungefähr so japanisch wie Kirschblüten und Karaoke. Die Chronistenpflicht ruft nicht mehr, das hat sie lange genug getan, sie schreit. Ich weiß, mein Leben muss die Hölle sein. Ich möchte nicht mit mir tauschen.

Vermutlich wissen die wenigen Leser, die mit beiden Beinen im Leben stehen, nicht, was ein Maid Café ist: Es handelt sich um ein Lokal, in dem das Personal aus jungen Damen besteht, die angetan sind wie französische Zimmermädchen, bzw. wie sich männliche japanische Manga-Zeichner französische Zimmermädchen vorstellen, Häschenohren und -puschel können also vorkommen. Anders als richtige Frauen behandeln die Damen ihre vorwiegend männlichen Kunden zuvorkommend bis unterwürfig und reden sogar ein paar Worte mit ihnen. Gegen Aufpreis spielen sie auch Spiele, z. B. UNO junior, Schnick-Schnack-Schnuck, oder das mit dem Nilpferd, wo man Sachen reinschießen muss, wenn ich das richtig verstanden habe. Ein Maid Café ist unterm Strich eine jugendfreie Hostessenbar. Quasi Hostessenbar ohne Strich. ‚Hostessenbar‘ kennen Sie aber, oder?

Das Klischee ist klar: Da gehen Männer hin, die sonst nirgendwo hingehen. Die Angst haben, gegen echte Frauen mit tiefen Stimmen Schnick-Schnack-Schnuck zu spielen. Das hab ich zwar auch, würde ich aber nie zugeben.

Was ist, wenn mich da jemand sieht, der mich kennt?! Zugegebenermaßen unwahrscheinlich in Tokio werktags nachmittags. Aber man hat schon Pferde. Paparazzi vielleicht.

Der Ground Zero der Maid-Kultur ist der Tokioter Stadtteil Akihabara, eine Art Mekka für Comicsammler und Computertüftler. Ich gehe da ungern hin, ich fühle mich dort zu sehr an mich selbst erinnert. Also nach Akihabara und dann auch noch in ein Maid Café – danach habe ich mir aber wirklich eine Belohnung verdient. Wenn es klappt. Im Gebäude des ersten Maid Cafés, das ich ansteuere, bekomme ich im Treppenhaus weiche Knie und kalte Füße und kehre wieder um. Beim zweiten komme ich bis nach oben, bin aber total kaputt und habe nicht mehr genug Kraft die Tür zu öffnen.

Beim dritten nehme ich den Fahrstuhl. Der spuckt mich direkt ins Geschehen, ein unauffälliger Rückzug ist nicht möglich. Es ist ausgerechnet das @home Café, das ich eigentlich ganz besonders maiden meiden wollte. Nicht, weil es die kapitalistische Krake unter den Maid Cafés ist. Ein Maid Café ist wohl generell der falsche Ort, sich plötzlich wieder seiner Punk-Rock-Ideale zu erinnern. Meine Bedenken liegen in meiner Recherche begründet. Auf der Homepage des Lokals sind die Schichten der englischsprachigen Maids aufgelistet, und zu meiner anvisierten Zeit hat keine Schicht. Nicht, dass ich auf eine englischsprachige Maid bestehen würde, im Gegenteil, wenn schon denn schon. Ich will mich mit der Maid ja nicht über die Parlamentswahlen oder die jüngste Reform des Rechtswesens austauschen. Ein bisschen Smalltalk in Baby-Sprache bekomme ich auf Japanisch schon hin. Ich war allerdings davon ausgegangen, dass man als Ausländer gar nicht reingelassen würde, wenn gerade kein multilinguales Personal bereitsteht.

Habe ich mich aber geirrt. „Das erste Mal?“, sieht es mir die Empfangs-Maid an der Nasenspitze an. Ich bejahe und bekomme die Hausordnung zum Studieren und Bestätigen in die Hand gedrückt. Nicht fotografieren, keine persönlichen Fragen, niemanden anfassen. Ich erkläre mich einverstanden und werde zu meinem Tisch geführt. Und zwar so, wie es wohl jeder am liebsten hat, wenn er alleine ein Lokal betritt: Mit Glockengeläut auf dem Weg und der lautstarken Ankündigung, dass ein neuer Gast da ist. Bzw. ein ‚Meister‘, wie die Kunden hier genannt werden.

Der Raum ist bunt und simpel eingerichtet, ein bisschen wie Kindergarten. Die Tische sind alle mit Blick zu einer kleinen Bühne ausgerichtet, ich sitze ganz vorne links außen. Der Typ mir gegenüber ist einer von wenigen, die allein hier sind. Seine Jugend hat er schon länger hinter sich, sein Haarwuchs will nicht mehr so richtig, was er mit Radikalkurzhaarfrisur als Absicht zu kaschieren versucht (wie sagte einst unser Schutzpatron Bruce Willis: „Die Glatze ist die neue Überkämmfrisur.“). Er beobachtet das Treiben mit einem Anflug von Lächeln, das um eine Balance aus Freundlichkeit und abgeklärtem Sarkasmus bemüht ist. Es dauert eine Weile, bis der Groschen fällt: Verdammt, der Typ bin ich auf Japanisch! Ansonsten ist hier viel junges Publikum, ausschließlich männlich, aber zu einem erstaunlich großen Teil erstens in Cliquen, zweitens in Garderobe und mit Frisuren, die durchaus auf der Höhe der Mode sind. Ausgelassene, selbstsichere Typen, von denen man denken möchte, dass sie es nicht nötig hätten. Die erwarteten verhuschten Einzelgänger, die die Familiengarderobe aus der Showa-Ära auftragen, sind in der Minderheit. Einer von ihnen lässt sich gerade auf der Bühne mit einer Maid offiziell fotografieren (500 Yen), und man sieht ihm an, dass das einer der schönsten Augenblicke seines Lebens ist. Ich weiß jetzt schon, dass ich das auch will, sobald ich mich gestärkt habe, ich brauche ein Beweisfoto. Ein anderer zeigt einer Maid, was er sich gerade gekauft hat: eine Computer-Maus. Die Maid ist begeistert (im Preis inbegriffen). Ulkiger Zufall: Ich habe mir auch gerade eine Computer-Maus gekauft (zeige ich Ihnen später), die ist sogar viel besser wie die von dem Angeber. Aber wenn ich jetzt meine Maus raushole, wäre das nachgeäfft. Chance vertan.

Meine Maid ist trotzdem freundlich zu mir. Sie zeigt mir die Karte und erklärt mir jedes Gericht. Ich fühle mich noch immer ein wenig fehl am Platze, deshalb will ich das schnell hinter mich bringen: „Klingt toll! Ich nehm das erste und das zweite!“ Aber das lässt die Maid nicht zu und erklärt die Karte zu Ende. Schließlich entscheide ich mich für einen Cocktail, den die Maid verspricht auf Basis ihrer eigenen Stimmung und meiner Lieblingsfarbe zu mischen, und für die Zauber-Spaghetti („Pink! Pink! Messed it up!“, verspricht die Karte).

Bald kommt sie zurück mit dem Cocktail-Shaker und schaut mich erwartungsvoll an. Ich wusste schon, dass jetzt ein Ritual kommt, steht schließlich in der englischen Karte: „Your maid will do SHAKE-SHAKE at your table!“ Ich wusste nur nicht, dass ich bei dem Ritual mitmachen muss. Die Maid sagt: „Sprich mir nach: SHAKE-SHAKE!“

„Äh … shake-shake?“

„Ich kann dich nicht hören! SHAKE-SHAKE!“

„SHAKE-SHAKE!“

„MOE-MOE!“

„Moe-moe.“

„Nein: MOE-MOE!!!“

„MOE-MOE!“

Zur Formel gehören noch einige Doppelbeschwörungen mehr, es ist wie bei einem Cab-Calloway-Konzert. Während wir uns lustig anschreien, schüttelt die Maid den Cocktail im Takt, schließlich darf ich ihn trinken, aus einem roten Plastikbecher. Der Cocktail ist lecker. Ich meine: LECKER-LECKER!

Der Alkohol entspannt mich. Auf der Bühne führen jetzt zwei Maids ein Tänzchen mit Gesang auf, daraus wird natürlich ein Mitsing- und Hände-hoch-Spiel. So entspannt bin ich auch wieder nicht. Nur ich und mein japanischer Doppelgänger tun nicht mit. Wir lächeln nur auf unsere spezielle Art und versuchen, einander nicht anzuschauen, denn wir sind uns gegenseitig doch zu unheimlich.

Eines wird mir langsam klar: Hier werden nicht Frauen erniedrigt, sondern Männer zum Affen gemacht (wofür es laut Feministen und Darwinistinnen ohnehin nicht viel braucht). Außerdem wird mir klar, warum hier soviele junge Männer anzutreffen sind, die keinerlei offensichtlichen Mangel an sozialer Kompetenz zeigen: Weil es Spaß macht. Es ist ein bisschen blöd – okay, ziemlich blöd – aber es muss ja nicht immer Beckett sein.

Die Spaghetti darf ich selbstverständlich auch nicht einfach so essen. Wir machen wieder ein launiges Call-and-Response-Spiel, während die Maid die Spaghetti mit der Soße verrührt. Dazu bin ich angewiesen mit beiden Händen ein Herz zu formen und mit ruckartigen Bewegungen Liebesmagie in Richtung Pasta zu schicken. Das ist so ganz anders als ich sonst Spaghetti mache. Aber es wirkt, denn sie schmecken sehr gut. Das muss ich überhaupt mal festhalten: Zwar geht niemand in ein Maid Café, weil er die Adresse aus dem Guide Michelin hat. Deshalb liest man, wenn man von Maid Cafés liest, kaum etwas über die Qualität von Speis und Trank. Aber das, was ich habe, ist sehr anständig. Natürlich zu wenig für das Geld, aber in erster Linie bezahlt man ja für shake-shake und moe-moe.

Wenn ich übrigens sage: „die Maid“, dann meine ich eigentlich: „eine Maid“. Man hat hier nicht eine einzige, die einem nie von der Seite weicht. Abwechslung gehört zum Konzept, die Maids rotieren. Das macht es nun etwas schwierig, denn ich will ja meinen Schnappschuss. Durch das Rotationsprinzip habe ich zu keiner Maid eine tiefere emotionale Bindung aufgebaut. Ich könnte nicht sagen, wer meine Lieblings-Maid ist. Die waren alle sehr nett. Aber die werden nicht alle mit aufs Foto können. Am besten gefällt mir eine mit Brille, aber gerade die hatte ich gar nicht, die ist mir nur so aufgefallen. Ich beschließe, dass die Maids alle niedlich sind, schnappe mir verbal einfach die nächstbeste und frage, ob wir ein Foto machen können. Ja, sagt sie, einen Moment. Dann kommt sie wieder mit einer Tafel, auf die alle Maids, die gerade auf diesem Stockwerk Schicht haben, fotografisch angepinnt sind. Ich kann mir eine aussuchen. Ich patsche mit meinen Fettfingern auf die Tafel: „Ich will die mit der Brille!“ Etwas unangenehm ist mir, dass die mit der Brille ausgerechnet die einzige ist, die auf ihrem Foto lasziv-erotisch posiert und provokanten Strumpf zeigt. Aber das ist gar nicht der Grund, warum ich sie erwählt habe, mir gefiel sie schließlich schon vor dem Strumpffoto. Ich finde es halt sexy, wenn Frauen nicht gut gucken können.

Die Tafel-Maid nimmt meinen Namen und meine Bestellung auf, und bald werde ich auf die Bühne gerufen. Die mit der Brille ist schon drauf. Sie zeigt mir die Requisiten, die wir benutzen können. Es gibt Stethoskope und Spritzen, Regenschirme und Hüte, allerlei Masken. Ich entscheide mich für den Klassiker: Häschenohren. Wir setzen uns beide welche auf, die Maid mit der Brille schlägt mehrere offizielle Maid-Posen vor, ich wähle die Häschen-Pose. Wir tun wie die Häschen, und es kommt das Vögelchen. Das Ergebnis ist Ihnen bestimmt nicht entgangen.

Später kommt die mit der Brille mit dem fertigen und fertig verzierten Bild zu mir. Dadurch erfahre ich, dass sie Cocco heißt. Weil ich Cocco zu meiner Lieblings-Maid des Tages gewählt habe, darf ich mich jetzt mit ihr unterhalten. Was ich in Japan tun würde, wo ich herkäme, wie mir Japan gefiele, ob ich japanisches Essen möge. Jede meiner Antworten findet sie rasant interessant und ist dabei sehr glaubwürdig. Sie sagt mir, dass ich ganz toll Japanisch spräche. Das hat mir noch nie jemand gesagt. Dafür musste ich erst eine bezahlen.

Und da ist die Stunde auch schon rum. Ich hatte anfangs nicht gedacht, dass ich die vorgeschriebene Höchstzeit überhaupt durchhalten würde. Aber es hat gar nicht weh getan, und langweilig war es ganz bestimmt nicht. Ich bekomme nun meine offizielle internationale Mitgliedskarte. Ich bin Level 1, ‚My Master‘. Mit weiteren Besuchen kann man Punkte sammeln und aufsteigen. Meister höherer Stufen bekommen Vergünstigungen, mehr Maid-Zeit und aufwendigere Verzierungen auf Speisen und Schnappschüssen.

Große Gewissensfrage: Werde ich nochmal hingehen? Ich muss gestehen: Ich kann es nicht kategorisch ausschließen. Nicht dass ich meine, das mit mir und Cocco hätte mehr Zukunft als das mit mir und Lucy Liu. Aber ich habe jetzt ja die Mitgliedskarte, und da ist der alte rollenspielerische Ehrgeiz geweckt, die nächste Stufe zu erreichen. Aber ich werde niemandem vor dem Café auflauern und wehklagen: „Aber Cocco, du hast doch gesagt, du herzt mich! Ich habe es doch hier blau auf weiß! Bedeutet das dir denn gar nichts mehr?! Willst du all das wegwerfen, was wir hatten?! Kann ich wenigstens noch ein letztes Mal das Foto mit dem Strumpf sehen?“

Ich sollte mich da nicht jetzt schon reinsteigern. Ein Schritt nach dem anderen.

Und wie belohne ich mich nach der ganzen Aufregung? Mit einem unaufgeregten Fernsehabend in meiner unaufgeräumten Ferienwohnung, Otaku-Style. Und was gibt es? Die spannende neue Krimireihe ‚Maid Deka‘ (Maid-Detektiv) auf TV Asahi. Es geht um eine junge Undercover-Polizistin, die ausschließlich als Zimmermädchen verkleidet komplizierte Kriminalfälle löst und zum Schluss die Schurken mit dem Wischmop der Liebe zur Strecke bringt.

Es muss nicht immer Beckett sein.

WISCH-WISCH! MOP-MOP!