Es ist jetzt schon so lange her, dass ich eine Scheibe nur für mich allein in den heimischen Blu-ray-Player legen konnte, dass ich befürchtete, als ich es neulich doch einmal wieder tat, ich könnte ungefähr so eine Botschaft auf dem Bildschirm angezeigt bekommen:
Warning: There was a problem with your disc. This is not a Biene Maja disc. Are you sure you want to continue? [Yes] [No] [Hü-hüpf] Der Film, den ich mir anstatt Willi zieht aus oder Knacks im Schneckenhaus an meinem freien Vormittag gönnen wollte, war Ip Man 3. Natürlich nicht den ganzen Film auf einmal, so frei sind meine freien Vormittage nun wieder auch nicht, irgendwann muss ich schließlich diese blöden Bücher schreiben, so lautet die Abmachung. Mein Plan war: Eine Hälfte jetzt, wo die Familie aus dem Haus ist, eine Hälfte später, wenn die Familie im Bett ist. So muss niemand etwas davon mitbekommen, dass ich noch immer einen freien Willen habe, ahahaha! Nur für die, die sich nicht gewohnheitsmäßig mit Kung-Fu-Legendenbildung und Kung-Fu-Kino auseinandersetzen: Ip Man war ein chinesischer Kung-Fu-Meister, der heute vor allem als Lehrer von Bruce Lee bekannt ist. In den letzten Jahren vermehrt Gegenstand von Spielfilmen, die drei mit Kampfkunstkinosuperstar Donnie Yen sind darunter die beim einfachen Volk beliebtesten, wenn auch nicht die künstlerisch gelungensten. In der Nacht nach dem freien Vormittag dann allerdings, als die Möglichkeit gekommen war, den Film unbemerkt fortzusetzen, dachte ich plötzlich: Ach, ich würde jetzt lieber etwas weniger Primitives und Blödsinniges als Ip Man 3 sehen. Also habe ich mir Ninja III: The Domination angesehen. Die Handlung dürfte bekannt sein: Christie ist Telekommunikationsentstörungstechnikerin bei Tag, Aerobic-Trainerin bei Nacht, und nach Bestrahlung durch einen Telespielautomaten wird sie vom Geist eines echten Ninja besessen (basierend auf einer wahren Begebenheit). Nur für alle, die nicht wissen, was ein echter Ninja ist: Franco Nero ist ein echter Ninja. Ninja III: The Domination ist so faszinierend, dass ich, anders als geplant, nicht nur kurz vorm Schlafengehen reinschaute, sondern gleich den ganzen Film durchnahm. Das hatte natürlich Konsequenzen, zum Beispiel konnte ich am nächsten Morgen um fünf nicht mit voller Konzentration Biene Maja sehen. Wie schön, dass ich die Folge Der Schmetterlingsball schon ungefähr 487 Mal in den vergangenen Tagen gesehen hatte (Lieblingsfolge meiner Tochter, wegen: „Flap-flap!“). Ninja III: The Domination ist außerdem so absurd, dass man erst mal gar keine Meinung dazu haben kann. Im Gegensatz zu Ip Man 3, der so absurd ist, dass man dazu schon eine Meinung hat, bevor der Film halb rum ist. Bei Ninja III: The Domination handelt es sich um eine Produktion der Cannon-Studios, die ihre bedeutendsten Werke in den 1980ern schufen, vor allem in den Bereichen des Ninja- und Lambada-Films. Obgleich ich von Alters Wegen genau in die Generation Cannon passe, habe ich mich erst in den letzten Jahren ausführlicher mit ihrem Oeuvre befasst, im Zuge meiner phantomnostalgischen Lebensphase (nostalgische Gefühle für etwas, das eigentlich gar kein Teil der eigenen Biografie ist, siehe hier, irgendwo unten, glaube ich) und bestärkt durch die großartige, großartige, großartige (sagte ich schon: großartige?) Dokumentation Electric Boogalooo. Als Teenager war ich zu qualitätsbewusst und hatte von Cannon nur die ganz großen Tentpole-Flagship-Milestone-Event-Blockbuster wie Masters of the Universe mitgenommen. Die gingen meist finanziell in die Hose, ganz anders als die preiswerteren Ninja- und Modetanzfilme des Studios. Mit Ninja III: The Domination ist Cannon eine kongeniale Quasi-Symbiose seiner Kernkompetenzgenres gelungen. Die Ip-Man-Filme mit Donnie Yen waren von Anfang an eine ideologisch fragwürdige Angelegenheit. Ihre latente Fremdenskepsis konnte im ersten Film noch schöngeredet werden, schließlich spielte er in den 1940ern, und die Fremden waren die Japaner, und die waren ja nun wirklich die Bösen. Im zweiten Teil wird das Feindbild mit Hongkongs britischen Kolonisten schon etwas verzerrter, aber mit viel gutem Willen kann man die finale ‚Können wir uns nicht einfach alle vertragen?‘-Ansprache mildernd anrechnen. Ip Man 3 überspannt den Bogen deutlich. Alle Ausländer sind hinterhältig und gemein, manche obendrein noch dumm und feige, werden unwidersprochen als „fremde Teufel“ bezeichnet, die es zu vertreiben gelte. Mir ist durchaus bewusst, dass ‚fremde Teufel‘ ein geflügelter Ausdruck im Chinesischen ist. Wenn er allerdings in einem Film aus dem 21. Jahrhundert fällt und die gute und weise Hauptfigur dazu nur zustimmend lächelt, dann ist das arg fahrlässig, selbst wenn der Film im finsteren 20. Jahrhundert spielt. Ich muss mich korrigieren: Das ist nicht fahrlässig, das ist mutwillig und kalkuliert. Dieser Film-Ip-Man soll der überlebensgroße Volksheld werden, der alle Chinesen heim ins Reich holt. Viele Anhänger des Hongkong-Kinos sehen die Annäherung der Volksrepublik an die Sonderverwaltungszone eher als Fluch denn als Segen. Sie befürchten staatliche Zensur oder zumindest den vorauseilenden Gehorsam vor potenzieller staatlicher Zensur genauso wie vor dem angenommenen Geschmack des Festlandpublikums (alles Reisbauern und Wanderarbeiter, die nur Furzwitze und 3D-Effekte verstehen). In meiner Sichtweise hingegen überwiegt das Segenreiche: die größeren Budgets, das größere Reservoire an Talenten, Themen und Orten. Etablierte Regisseure wie John Woo oder Johnnie To haben im Zeitalter der chinesisch-chinesischen Koproduktion kreativ eher zugelegt als nachgelassen. Sicherlich gibt es auch junge Talente, aber junges Kino verfolgt man in meinem Alter nicht mehr. Gleichwohl möchte ich nicht leugnen, dass es ihn gibt, den gesamtchinesischen Parteipropagandakintopp, und Ip Man 3 ist das hässlichste Beispiel dafür (zumindest unter den Machwerken, die man außerhalb Chinas überhaupt zeigen kann, ohne von der ganzen Welt ausgelacht zu werden). Nun gibt es selbstverständlich noch die Auffe-Fresse-Fraktion, die nölt: „Mönsch, das ist doch reine Unterhaltung! Hauptsache auffe Fresse!“ Wir wollen gar nicht wieder davon anfangen, dass es reine Unterhaltung nicht gibt, und dass die, die am vehementesten das Gegenteil behaupten, genau die sind, die man am genauesten beobachten sollte (oh, jetzt habe ich doch wieder davon angefangen). Leider hat Ip Man 3 keinerlei Ausweichqualitäten, auf die man sich konzentrieren könnte im Versuch, den Propagandaquatsch auszublenden. Als Biopic taugt keiner der Donnie-Yen-Filme, denn die sind in etwa so authentisch biografisch wie diese Romane, in denen Elvis Presley Kriminalfälle löst. Eine kompetente Würdigung von Ip Mans Wing-Chun-Stil findet schon gar nicht statt, hier wird eher Drahtseilakrobatik als Kampfsport geboten. Mich stört das nicht, aber Auffe-Fresse-Puristen haben damit häufig Probleme. Donnie Yen ist zweifelsohne und mit Recht der weltgrößte Martial-Arts-Star über 50 und unter 60. Aber seinen sportlichen Zenit hat er, völlig verständlich, deutlich überschritten. Er sollte sich schleunigst nach anderen Arten von Rollen umsehen (das Talent dafür hätte er), bevor er endet wie Jackie Chan oder Jet Li. Und jetzt kommt der Hammer Äh … ich muss Ihnen etwas sagen … meine ganze, etwas übereifrige Beschwerde bezieht sich nur auf die erste Hälfte des Films. Ich schrieb zu früh, ich war sehr aufgebracht, die Pferde sind mit mir durchgegangen. Inzwischen habe ich mir zuerst widerwillig, dann recht angetan den Rest des Films angesehen. Nach einer ersten Hälfte, die alles falsch macht, folgt eine zweite, die alles richtig macht (wenn auch nicht alles Falsche wiedergutmacht): charakterbetont, gefühlvoll (also schnulzig, das ist ja nichts Schlimmes, ist halt Kino) und ordentlich auffe Fresse. Die Story über die fremden Teufel, die den chinesischen Kindern (Kindern!) die Schule stehlen wollen (die Schule!) wird einfach sang- und klanglos abgebrochen (vielleicht der längste McGuffin der Welt). Danach geht es um die Krebserkrankung von Ip Mans Frau (eine sträflich vernachlässigte Figur in den ersten beiden Filmen) und, wie in jedem Martial-Arts-Film, um die Rivalität mit einem anderen Kung-Fu-Meister. In dessen Darsteller Max Zhang, der drolligerweise bereits eine ähnliche Rolle im überlegenen Ip-Man-Konkurrenzfilm The Grandmaster spielte, hätte übrigens Donnie Yen schon einen würdigen (wenn auch selbst nicht mehr ganz jungen) Nachfolger gefunden. Am schönsten und heftigsten auffe Fresse gibt’s von ihm. In echt hätte er wohl den Donnie windelweich vermöbelt, aber in der großchinesischen Filmwirtschaft hat man Respekt vorm Alter, so bleibt Ip Man siegreich. Vom Vorwurf der rasenden Fremdenfeindlichkeit kann man den Film freilich nicht ganz freisprechen, nur weil sie in der zweiten Hälfte irgendwie vergessen wurde. Dennoch wird sie ein ganz klitzekleines bisschen abgemildert, wenn sich der ausländische Oberschurke (Mike Tyson natürlich) immerhin als halber Ehrenmann erweist, als er zu seinem Wort steht und sich nach fair verlorenem Kampf einfach so aus dem Film verzupft. Es ist nicht viel (Tysons Rolle ist ohnehin nicht viel, die Marketingkampagne ist eine Lügenmarketingkampagne), doch es ist ein Strohhalm, an den sich der Apologet, dem es sehr nach Auffe-Fresse durstet, notfalls klammern kann. Eigentlich möchte ich nur richtigstellen: Es könnte sein, dass Ip Man 3 in mancher Hinsicht (nicht in jeder) doch ein besserer Film ist als Ninja III: The Domination. Ganz sicher bin ich mir aber nicht. Und die Beste bleibt natürlich Biene Maja.