Die Band, die ich ab jetzt stalken werde

Warum man zu Verfolgung jetzt Stalking sagt, weiß ich auch nicht, aber ich werde das jedenfalls machen. Die Band weiß noch nichts davon, aber sie wird es schon noch merken. Sie heißt moja, ich habe sie vergangenen Freitag als eine von drei Vorgruppen bei der Albumveröffentlichungsfeier der Band Molice (sprich: Morris) gesehen. Die kennen Sie ja, ist schließlich Tokios Gitarren-Hüpf-Band der Stunde. Die hier:

Molice selbst haben das auch ganz, ganz toll gemacht an diesem Abend, aber die zu stalken wäre mir schon jetzt zu mainstream.

Gegen die anderen beiden Vorgruppen kann man auch wenig einwenden. Hekireki, die gegen halb sieben undankbar früh (aber in Japan normal) den Abend für eine Handvoll Pünktlicher eröffneten, haben einen jungen Frontmann mit einem derart einschüchternden Charisma, dass man tut, was er sagt. Wenn der sagt mitklatschen, dann klatscht man mit, auch wenn man vereidigter Mitklatschgegner ist. Man fürchtet, er käme sonst nachher noch vorbei und haue einem eine runter. Solch eine Ausstrahlung ist selten geworden. Meistens hat man bestenfalls das Gefühl, dass ein Musiker hinterher was Gemeines über einen twittert, wenn man nicht mitklatscht. Hier könnte ein Star flügge werden, oder ein Fall für die Klapse, aber das muss sich ja nicht ausschließen. Vielleicht studiert er auch zu Ende und wird Buchhalter bei Softbank, kann man nicht wissen.

Sister Paul stellten sich heraus als ein herzlich hart rockendes Duo, das sich optisch irgendwo zwischen Lou Reed und David Bowie in ihrer Transenphase und Robert Smith jahraus, jahrein eingerichtet hat. Rechnet man das mathematisch durch, würde man wohl Visual Kei rauskriegen, kommt aber doch nicht ganz hin. Beim Drummer bin ich mir nach wie vor nicht sicher, ob unter dem Smith-Mopp ein Trommler oder eine Trommlerin steckt. Dass der Mensch mitunter mitgesungen hat, konnte die Entscheidungsfindung erstaunlich wenig beeinflussen. Beim Hauptsänger und Bassisten immerhin bin ich mir trotz zu viel Make-up und Stöckelschuhen sicher, dass es sich um einen Mann handelt. Schließlich trug er obenrum nichts als Hosenträger.

Das war also auch geschmacklich einwandfrei, aber die Band, die ich zum Stalken auserkoren habe, ist moja. Ebenfalls ein Bass/Schlagzeug-Duo, allerdings weitgehend ungeschminkt, deshalb zu erkennen als Mann (Bass und, nun ja, Gesang) und Frau (Schlagzeug). Als moja loslegten, dachte ich spontan: Gähn. Wüstes Gebolze mit Breaks, in denen geschrien wird. Tausendmal gehört, in tausend Jahren. Je nachdem, ob Musiker und Zuhörer dabei Brillen trugen oder nicht, nannte man es mal Jazz, mal Hardcore, heute aber auf jeden Fall: Gähn.

Aber was soll ich sagen? Man darf Lärm nicht nach den ersten Tönen be- bzw. verurteilen. Je wüster gebolzt wurde, desto deutlicher schälte sich ein punktgenauer, kathartischer Krach heraus, den man sich durchaus ein paar Stunden lang dümmlich-selig lächelnd anhören kann.

So lang war der Auftritt leider nicht, andere wollten ja auch noch drankommen. Aber das macht nichts, denn in dem Aktenkoffer voller Handzettel, der einem bei jedem Konzert am Empfang übergeben wird, hatte ich schon den gefunden, der mojas kommende Live-Auftritte vorskizzierte. Tokio ist groß und mit Großraum noch größer, sie werden in den kommenden Wochen noch öfter in anderen Umfeldern hier auftreten, und ich werde ihnen an den Fersen heften. Im Mai spielen sie sogar gleich bei mir um die Ecke. Dann hab ich sie da, wo ich sie haben will.

Ab und an verlassen sie die Stadt auch, aber das muss für mich kein Problem darstellen. Okinawa steht zum Beispiel auf ihrem Spielplan. Ich hatte eh vorgehabt, früher oder später eine Auszeit von meiner Auszeit zu nehmen und entweder den Berg Fuji hinaufzuwatscheln oder auf Okinawa die Füße still zu halten. Fuji hat sich schon erledigt, denn von meiner dicken Jacke ist ein Knopf abgegangen, musste ich wegschmeißen.

Die moja-CD habe ich mir am Freitag nicht gleich gekauft. Zum einen aus Rücksicht auf meine Finanzen, ich war am Vorabend kostspielig mit einem Rapper und zwei Komikerinnen versumpft (gute Geschichte, bekomme ich aber nicht mehr zusammen). Zum anderen kann ich mir die CD ja noch auf Okinawa kaufen. Außerdem ist CDs abspielen gerade so eine Sache. Als einzige Möglichkeit hätte ich einen portablen DVD-Player vom Grabbeltisch, aus dem jede CD wie ein Bootleg klingt. Er geht weder bis 11, noch hat er Dobly. Sabbatical-Monate sind keine Herrenjahre. Moja machen ohnehin nicht unbedingt Musik für Zimmerlautstärke. Obwohl meine Wohnung landesuntypisch großzügig geschnitten ist, so wird doch beim Umfang der Wände das japanische Klischee voll bedient. Wenn draußen einer mit der Plastiktüte raschelt, ist es mit der Mittagsruhe vorbei. Da will ich meiner Nachbarschaft nicht mit sowas kommen:

Bonus Track: I know the way to the Rock Joint GB

Ich habe mir ganz doll auf die Finger gebissen, um nicht noch eine lustige Glosse darüber zu schreiben, wie ich mich in Tokio auf der Suche nach einem Konzertspielort verlaufe. Bei genauerer Überlegung könnte es aber doch hilfreich für die Nutzer dieses Infodienstes sein, wenn ich die Hand wieder aus dem Mund nehme und noch mal in das Thema einsteige. Diesmal geht es in den Rock Joint GB in Kichijoji, einen aufgrund guter Plattenläden, günstiger sonstiger Läden und einer unaufdringlichen Ausländerfreundlichkeit zurecht beliebten Vorort Tokios entlang der ebenfalls zurecht beliebten Chuo-Eisenbahnlinie. Ob das GB im Namen des Rock Joint auf England oder auf die großen vier Buchstaben in der New Yorker Ausgehhistorie anspielt, weiß ich nicht. Auf Grundlage des Veranstaltungsprogramms vermute ich aber Letzteres. Mehr interessierte mich im Vorfeld, wie ich hinkomme. Leider musste es schnell gehen, deshalb habe ich etwas getan, was man keinem erzählen kann, deshalb schreibe ich es im Internet, denn das versendet sich: Ich habe nicht brav die japanische Wegbeschreibung auf der offiziellen Website im Original studiert, sondern sie in den Google-Übersetzer geworfen, um sie ratzfatz in korrektem Deutsch zu haben, damit ich schnell los kann. Dabei kam natürlich ungefähr das heraus:

Sie Bahnhof! Nord linksrechts der Parco rechtslinks ein KUHHORN! Keller 2 Stockwerkchinaküche bitte sehr!

Ich übertreibe natürlich maßlos, um Ihnen ein Lächeln abzuringen. Ganz eindeutig war das reale Ergebnis aber wirklich nicht, und ich habe mich wieder sehr verlaufen. Diesmal allerdings im Gegensatz zum letzten Mal nicht, weil ich zu einfach gedacht hatte, sondern zu kompliziert. Es ist nämlich ganz einfach. Deshalb hier für Ihre Reiseplanung die einzige Wegbeschreibung zum RJGB, die Sie jemals brauchen werden:

Verlassen Sie den Bahnhof Kichijoji durch den Center Exit (auch ‚Nordausgang‘, wenn man Kanji kann und sich profilieren möchte).

Gehen Sie LINKS in Richtung, wo es nach teuren Geschäften aussieht.

Machen Sie einen langen Hals, bis Sie das Kaufhaus Parco (PARCO PARCO PARCO) sehen. Es wird sich im Blickfeld rechts befinden, aber wahrscheinlich noch nicht unmittelbar nach Verlassen des Bahnhofs (es sei denn, Sie haben einen längeren Hals als ich).

Gehen Sie der Nase nach daran vorbei und recken Sie den Hals nach dem Kaufhaus Tokyu, schräg rechts hinter Parco.

Wenn Sie vor Tokyu stehen: Umkreisen Sie das Gebäude in beliebiger Richtung, bis Sie auf der empfundenen RÜCKSEITE des Hauses sind.

Dort ist gleich gegenüber von Tokyu der Rock Joint GB. Schild ist so groß, dass ein Blinder mit Krückstock voll dagegen knallen würde. Treppe runter und rock’n’roll.

Gern geschehen.