Just do it (soon)

Nach meiner furchtlosen Visite des Yasukuni-Schreins gehe ich heute wieder hin, wo es wehtut (wenn auch nicht so weh, als würde ich dabei einen Mikoshi tragen). Der Miyashita-Park ist ebenfalls ein Politikum, wenn auch eines, bei dem die Weltpolitik mit den Schultern zuckt. In Tokio aber wird durchaus kontrovers diskutiert.

In den Miyashita-Park gerät man als Tourist nur, wenn man zu Tower Records will und im Bahnhof Shibuya den falschen Ausgang erwischt hat. Der Park ist auf Karten in Reiseführern der Vollständigkeit halber eingezeichnet, wird aber im Text sicherlich keine Erwähnung finden. Mit Sicherheit steht hingegen in jedem Reiseführer der Hinweis, dass man sich in dieser Stadt selbst als Frau immer und überall ohne Leibgarde frei bewegen kann. Fragt man Tokioterinnen nach der Richtigkeit dieser Einschätzung, pflichten sie im Großen und Ganzen bei. Hängen aber oft noch an: „Außer vielleicht im Miyashita-Park.“ Es handelt sich um einen schmalen, leidlich grünen Streifen zwischen Eisenbahnschienen und Meiji-dori. Ein öffentlicher Park, er gehört also den Bürgern, und die Bürger haben ihn seit Jahrzehnten aufgegeben. Man erinnert sich allenfalls an ihn, wenn man Sperrmüll hat und die Gebühren sparen möchte.

Jetzt hat der Sportartikelhersteller Nike für einen zunächst begrenzten Zeitraum den Park gekauft. Die Firma will dort renovieren und Gratis-Skatergedöns errichten. Außerdem hat Nike für die vereinbarte Zeit das Recht, den Park nach eigenem Gutdünken umzutaufen. Es gilt also als sicher, dass der Miyashita-Park bald Nike-Park heißen wird.

Könnte einen als Skater freuen. Könnte allen anderen Menschen völlig egal sein, wie einem der Park schon immer völlig egal war. Dennoch regt sich jetzt Protest. Wir sind das Volk, und der Park gehört uns, meinen ein paar Aktivisten, die ohne gute Argumente viel Presse bekommen.

Eines der besseren Argumente ist noch, dass der Miyashita-Park beliebt bei Obdachlosen sei. Das ist allerdings kein spezifisches Phänomen dieses einen Parks, sondern wirft auf höherer Ebene die Frage auf, wie eine Gesellschaft mit ihren Opfern umgeht. Es kann keine Lösung sein zu sagen: „Wir lassen die Obdachlosen einfach im Miyashita-Park, den haben wir eh aufgegeben, passt ja.“ Es wäre mir darüber hinaus neu, dass Obdachlose schäbige Parks gegenüber gepflegten bevorzugen. In Tokios schöneren Grünanlagen sind sie durchaus auch anzutreffen. Und es dürfte ihnen genauso egal wie mir sein, ob der Park Miyashita, Nike oder sonstwie heißt.

Mir scheint der jetzige Miyashita-Park ohnehin weniger wie eine Oase für Obdachlose als ein günstig gelegener Ort, wo junge Leute hingehen um Drogen zu kaufen und sich zu erbrechen. Von Drogenhandel halte ich eh nicht viel, und was das Erbrechen angeht: Können das die jungen Leute nicht in den Zügen der Yamanote-Linie machen, wie alle anderen auch?

Könnte es sein, dass es beim Protest nicht etwa um Solidaritätsbekundung mit nicht existierenden Miyashita-Liebhabern geht, sondern um stumpfen Anti-Amerikanismus, gepaart mit plumpen japanischen Nationalstolz, getarnt als Kapitalismuskritik? Schließlich ist es ausgerechnet ein amerikanisches Unternehmen, das hier ein bisschen aufräumen möchte. Dass, ebenfalls in Shibuya, schon seit geraumer Zeit ein ebenfalls öffentliches Veranstaltungszentrum nicht mehr Shibuya Public Hall heißt, sondern nach meiner Lieblingsbrause C.C. Lemon Hall, scheint niemanden groß aufzuregen. C.C. Lemon kommt freilich nicht aus dem Hause Coca-Cola, sondern von der urjapanischen Suntory-Abfüllerei.

Das Vitamin C von wie vielen Zitronen passt wohl in die Halle, wenn in der Haushaltsflasche schon 210 sind?

Shinto Loveparade

Bei lokalen shintoistischen Straßenfesten ist es Brauchtum, mit großem Hallo und vereinten Kräften Schreine durch die Straßen zu tragen. In Nachbarschaften, in denen Ausländer oder ausländerfreundliche Organisationen beheimatet sind, dürfen auch Ausländer mittragen, was diese offenbar gerne tun. Als ich zum ersten Mal davon hörte, dachte ich spontan: Wow – das interessiert mich null. Zuschauen ja, wenn ich in der Gegend bin und es Getränkeverkauf gibt, aber bestimmt nicht aktiv mitschleppen.

Als aber unlängst die Agentur, die mir meine Tokioter Wohnung vermietet, rumfragte, wer denn gerne den Agenturschrein beim Misaki-Festival im Stadtteil Jimbocho mittragen möchte, reckte ich sofort den Arm in die Höhe und rief: „ICH, ICH, ICH!“ Dabei hatte sich meine Einstellung gar nicht großartig geändert. Aber da war der nuttige Gedanke: Ich mach das, damit meine imaginären Leser was zu lachen haben.

Bei der Agentur handelt es sich übrigens um das berüchtigte Sakura House, einen Rucksacktouristen-Stapler von übelstem Leumund. Bevor es weitergeht, möchte ich gerne kurz eine Lanze für Sakura House brechen. In erster Linie ist die Firma bekannt für ihre sog. Guest Houses, in denen wildfremde Menschen sich Schlaf-, Pflege-, Koch- und Spaßbereiche teilen müssen. Dem Vernehmen nach geht es dort tagtäglich und die ganze Nacht zu wie in amerikanischen Filmkomödien über Studentenverbindungshäuser. Das ist nicht jedermanns Sache, meine ganz sicher nicht, deshalb habe ich um diese Art der Unterbringung zeit meines Lebens einen großen Bogen gemacht und gedenke das weiterhin so zu halten. Wer es mag, hat allerdings meinen Segen, da bin ich altersmilde. Ich gebe nur zu bedenken: Wer Jugendherberge bucht, darf sich nicht beschweren, wenn er Klassenfahrt bekommt. Inzwischen macht Sakura House außerdem zusätzlich in einfachen aber regulär ausgestatteten Hotels und eben auch in ganz normalen Wohnungen, falls es länger und teurer sein darf. So eine habe ich. Sie ist komplett unverdächtig. In einer ganz normalen Nachbarschaft mit Mülltrennung, Müttern und Kindern. Das einzige, was sie von einer wirklich ganz normalen japanischen Wohnung unterscheidet, ist, dass auf typisch japanische Fantasiegebühren wie dem legendären ‚Schlüsselgeld‘ verzichtet wird. Ich bin sehr zufrieden, bisher. Nur einmal bekam ich eine völlig aus der Luft gegriffene Mahnung in etwas aggressivem Ton wegen säumiger Miete, vier Tage nach überpünktlicher Bezahlung. Kurz drauf war das Internet für einen knappen Tag kaputt. Ob zwischen den Ereignissen ein Zusammenhang besteht, weiß ich nicht, aber Schwamm drüber, vergeben und vergessen. Vom Sakura-Ringelpietz bekomme ich nur etwas mit, wenn ich per E-Mail zu Sakura-Ringelpietz-Veranstaltungen eingeladen werde und mich aus freien Stücken darauf einlassen kann oder nicht. Womit wir wieder beim Thema wären.

Wer so einen Schrein, amtlich: Mikoshi, tragen will, muss sich ordentlich anziehen. Unten trägt man Tabi:

Obenrum trägt man einen Happi und ein gequältes Lächeln:

Im Hintergrund sehen Sie den Mikoshi selbst. Hier noch einmal, ohne dass einer die Sicht verstellt:

Im Vordergrund, daher perspektiv ungünstig größer, ist der kleinere Kinderschrein. Ich hatte gehofft, ich könnte mich freiwillig für den melden, aber alle tun so, als hätten sie nichts gehört. Ich werde vorne links am Erwachsenenmikoshi platziert. Als wir das Ding an den dafür vorgesehenen Holzbarren hochheben, bin ich ehrlich schockiert: Das ist ja schwer! Ich meine: richtig schwer! Ich hatte angenommen, es handele sich um eine Spaßattrappe für Touristen. Ich weiß noch nicht, ob ich das bis zum Ende durchhalten werde, oder bis zur nächsten Ecke. Ich weiß auch gar nicht genau, wo das Ende der Strecke ist. Eher 10 Meter oder 10 Kilometer? Ich habe vorher nicht gefragt und mache mir jetzt ein bisschen Sorgen. Uns wurde gesagt, man solle keine Hemmungen haben abzugeben, wenn man nicht mehr kann. Ich habe nach wenigen Sekunden alle Hemmungen verloren, sehe aber nirgends einen, an den ich abgeben könnte. Die, die erstmal nicht rangekommen sind, haben wohl inzwischen mitbekommen, dass das kein Spaß ist und halten sich jetzt in sicherer Entfernung.

Ich muss beim Tragen extrem in die Knie gehen, um mich dem Niveau der anderen Träger anzupassen. Dabei rutscht meine Hose, die ich vorher extra etwas lockerer geschnallt hatte, damit nichts kneift. Ich kann freilich meine Hände weder zum Hosehochziehen vom Schrein nehmen, noch um mir den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen, der dort literweise rauskommt. Die Hose rutscht gottlob nicht komplett hinunter, aber ich sehe inzwischen wahrscheinlich aus wie ein Shinto-HipHopper. Echte Japaner tragen den Mikoshi zwar auch in einem Sumo-artigen Look nahezu arschfrei, aber freiwillig und ohne Hose um die Knöchel.

Das Gewicht des Schreins und die Hitze (die vor wenigen Minuten noch eine lang herbeigesehnte angenehme Wärme war) sind nicht die einzigen Probleme, vielleicht nicht mal die größten. Leider muss man mit dem Schrein auch noch ständig auf und ab wackeln, damit die Bimmeln fein bimmeln. Irgendwas geschrien wird auch. Keiner versteht, was da geschrien wird („Toga, Toga“? „Tora, Tora“?), aber alle machen mit, so gut es geht.

Sportunterrichtsflashback: Mittendrin klatscht mich einer der Aufseher ab. Es kränkt zwar meine Ehre, dass er mich als zu schwächlich erkannt hat, ich bin aber zugleich heilfroh über seine glänzende Auffassungsgabe. Ich habe mich jedoch zu früh geschämt und gefreut, denn er will mich gar nicht meiner Pflicht entbinden, sondern mich nur weiter hinten platzieren. Dort sind nämlich nur Mädchen, die gar nicht richtig mitmachen. Die Gesellschaft hier ist zwar viel charmanter als bei den Angebern da vorne, aber jetzt habe ich das Gefühl, den ganzen Schrein ganz alleine zu tragen. Außerdem stehe ich hier unter ständiger Beobachtung dieses Aufpassers, der es offenbar auf mich abgesehen hat. Immer, wenn ich dabei bin, eine eigene und bequemere Tragetechnik zu entwickeln, quetscht er mich wieder mit starken Händen in die schmerzhafte korrekte Haltung. Wenn jeder Innovationsgedanke, jeder Einfluss von außen im Keim erstickt wird, wird sich nie etwas ändern in diesem Land. Es ist wie in diesem japanischen Sprichwort, das jedem Japaninteressierten schon aus den Ohren rauskommt. Sie wissen schon. Das mit dem hervorstehenden Nagel, der eingeschlagen gehört, wenn er ein guter Nagel sein will. Heute bin ich dieser Nagel. Der Aufpasser soll mal lieber die Damen aus Australien, Europa und ‚Die Staaten‘ darauf hinweisen, dass ab und an die Fingerchen aufs Holz legen nicht als Tragen gilt. Die ganze Last liegt buchstäblich auf meinen Schultern, bzw. meiner rechten Schulter.

Das Ende ist geografisch gesehen überraschend nah. Überspitzt könnte man sagen, dass wir den Schrein nur von hinterm Haus vor das Haus getragen haben. Viel mehr wäre aber auch wirklich nicht drin gewesen. Die ganze Aktion kam einem nicht nur wegen der Anstrengung länger vor, sondern auch, weil sie tatsächlich länger als nötig war. Alle paar Meter wurde angehalten. Nicht etwa um zu verschnaufen, sondern um besonders angestrengt zu wackeln und zu schreien. Hätten wir den Mikoshi ohne viel Theater auf schnellstem Wege ins Ziel gebracht, wären wir schon dreimal fertig. Aber leider geht es um das Theater.

Ich traue mich die Frage, ob wir das Ding auch wieder zurück tragen müssen. Nein, wird uns gesagt, aber wir dürfen, wenn wir möchten. Niemand möchte.

Wie anstrengend war es genau? Es war so anstrengend, dass ich hinterher Schwierigkeiten habe, die Arme hoch genug zu heben, um mir Wasser ins Gesicht zu spritzen. Meine rechte Schulter schmerzt, ist gerötet und gehäutet. Ich will es fotografieren, aber versuchen Sie mal ein Foto von Ihrer eigenen Schulter zu machen. Hört sich einfach an, ja-ha. Ich schreibe diesen Eintrag übrigens mit eintägiger Verzögerung. Eigentlich wollte ich gleich nach dem gestrigen Ereignis reinhauen. Geistig war ich bei vollem Bewusstsein, aber meine Arme schafften es nicht, meine Hände lange genug über der Tastatur zu halten. Und eh Sie mich für verweichlicht halten: Ich bin in Höchstform. Ich renne mehrmals die Woche mehrere Runden um den Kaiserpalast. Eine Runde gilt wegen der günstigen Citylage als so gesund wie eine Schachtel Zigaretten. Ich bin also bestens durchtrainiert und abgehärtet. Aber der Mikoshi hat mich trotzdem kalt erwischt.

Bei der Manöverkritik nach Absetzen des Schreins merken die Frauen und Asiaten an, dass der Mikoshi viel zu hoch getragen wurde. Ich und andere Normalgroße vertreten die Auffassung, dass er viel zu tief hing. Aber es gibt keine ernsthaften Vorwürfe, es wird bei Sekt, Bier und Brezeln gelacht und getan, denn man ist gemeinsam heilfroh, lebendig aus der Sache rausgekommen zu sein. Und eigentlich sind wir uns sowieso alle einig: Es war eine wertvolle Erfahrung, aber, um David Foster Wallace zu paraphrasieren, in Zukunft ohne uns.

Eine von 127 Millionen (und noch eine)

Ramen Square NY. Warum wirbt ein japanisches Gastronomie-Erlebniszentrum, das sich auf chinesische Nudelsuppen spezialisiert, mit New York im Namen? Das einzige, was mich daran wundert, ist, dass es mich gar nicht mehr wundert. Alles, was ich weiß und wissen muss: Befindet sich in Tachikawa, westlich der Stadt Tokio, innerhalb der Präfektur Tokio, erreichbar über einen Laufsteg direkt vom örtlichen Bahnhof. Etliche Ramen-Blogger haben schon darüber gebloggt.

Bin ich hier etwa auch wegen der Nudeln rausgefahren? Nein, Nudeln gibt’s auch in Tokio, ich bin hier wegen der Musik. (Die Nudeln sind allerdings auch ganz gut, nur als Pescetarier muss man ausnahmsweise mal ein Auge zudrücken, und als noch schlimmerer Tarier alle beide, oder eben Magen knurrt während des Konzerts.)

Zweimal die Woche singt hier Megumi Sakurai zur Begleitung ihrer bis zu vierköpfigen Jazzband. Megumi, wir sind per Vornamen, unterscheidet sich von den meisten Japanern. Die meisten Japaner sagen: „Was auch immer Sie tun – schreiben Sie bloß nichts über mich!“ Megumi hingegen sagt: „Schreib doch mal was über mich!“

Das lass ich mir nicht zweimal sagen. Megumis vorauseilende Bereitwilligkeit zur Berichterstattung begründet sie übrigens haargenau so wie all die anderen Japaner ihre Zurückhaltung in dieser Angelegenheit: „Ich bin doch nicht berühmt!“

Im Gegensatz zu den meisten anderen Japanern hätte Megumi es aber sein können. Das Vorsingen war bestanden, das Bett in der offiziellen Starwohnung frisch bezogen, die Verträge lagen bereit. Aber Megumi kam gerade noch rechtzeitig auf den Trichter, dass frei sein wichtiger ist als berühmt sein, und so reiste sie lieber in der Welt herum, studierte unter anderem in Stuttgart Anthroposophie, die Fantastischen Vier und die deutsche Sprache. Heute schreibt sie Lyrik und Journalismus, legt Karten und malt mit behinderten Kindern. Das muss Ayumi Hamasaki ihr erstmal nachmachen. Und montags und dienstags singt sie im Ramen Square NY den Bossa Nova (der war aber nicht allein schuld) für alle, die es hören wollen. Das sind gar nicht wenige. Die umliegenden Lokale sind beliebt in der Ramen-Szene, ein paar Obdachlose sagen auch nicht nein zu überdachten Gratissitzgelegenheiten mit Musik. Wenn einer zu deutlich schnarcht, muss Trommler Alex halt mal etwas lauter trommeln.

Ich lernte Megumi in der Kleinstadt Kunitachi kennen, mit der unverzichtbaren Chuo-Eisenbahnlinie gar nicht so weit von Tokio. Kunitachi zeichnet sich in erster Linie durch einen Bahnhofsvorplatz aus, der in der Saison ganz besonders eindrucksvoll von Kirschblüten umringt ist. Ich habe leider kein Foto gemacht, weil ich dachte: Kann ich später immer noch machen. Konnte ich aber doch nicht mehr. In zweiter Linie zeichnet sich Kunitachi dadurch aus, dass jeder entlegene Trampelpfad von einer trägen Fußgängerampel reglementiert wird, nur auf der mehrspurigen und pausenlos befahrenen Hauptstraße ist man ampellos dem Schicksal ausgeliefert. Zebrastreifen, das sollte der Reisende wissen, sind in Japan nicht Signal für Autofahrer, dass sie auf Fußgänger achten sollen, sondern umgekehrt.

Und es gibt das Jaran-jaran-goya, ein improvisiertes Mini-Café einer örtlich bekannten Biobauerin.

Hier gibt es gesunden Kuchen und starken Kaffee, und wenn einer Kopfschmerzen hat, wird eine Stimmgabel auf einen Bergkristall geschlagen. Man sollte solchen Kreisen nicht verfallen, aber ein unverbindlicher Besuch alle paar Jahre ist gestattet. Schlechten Menschen begegnet man anderswo.

Megumi (unten rechts im Bild) hatte hier im April das Erdgeschoss für eine Ausstellung ihrer Bilder und Gedichte (gratis) und eine Demonstration ihrer Kartenkünste (300 Yen, Schnäppchen).

Einige ihrer Gedichte sind in deutscher Sprache verfasst, bzw. in einem Remake der deutschen Sprache, das viel besser ist als das Original.

Megumi hat eine tolle Stimme, eine einnehmende und felsenhaft gefestigte Persönlichkeit, sie pflegt einen furchtlosen, beneidenswert poetischen Umgang mit mehreren Sprachen, und sie hat gerade soviel Macke, wie jeder angenehme Mensch braucht, auch wenn man die spezielle Macke nicht teilt. Vielleicht überlegt sie es sich ja noch mal und wird doch noch berühmt. Der Welt würde es bestimmt nicht schaden. Und Sie erinnern sich in diesem Falle bitte daran, wo sie es Sie es zuerst gelesen haben.

Ta-daaa: Noch eine gute Japanerin

Zwei weitere Künstlerinnen stellten ihre Werke im Jaran-jaran-goya aus, als mich Megumi unlängst hinein gelockt hatte. Eine traf ich an, als ich schauen wollte, was sich oberhalb dieser schmalen Treppe befindet (mit im Bild: Megumi droht mit Tee und Karten):

Satoko Kakimoto hat zwar nicht ausdrücklich gesagt, ich solle über sie schreiben, es aber auch nicht ausdrücklich untersagt. Hier ist sie mit ihren beiden Ballons:

Es handelt sich um Luftballons, umgestaltet zu Figuren, die Daruma ähneln, japanischen Glücksbringern, einem wiederkehrenden Motiv in Kakimotos Werk. Aber es gibt auch Ensembles von gefundenen und geschaffenen Objekten, die mich verwirren und mir daher gut gefallen:

Eilmeldung: Koreanische TV-Serie Riesen-Hit in Japan!

Weitere Top-Nachrichten des Tages: Heute Morgen U-Bahn schon wieder voll! Schnee auf dem Fujiyamaberg gesichtet! Japaner gesteht: Ich steh auf Kirschblüten und habe Fotos davon gemacht!

Gut, es ist nicht ungewöhnlich, dass südkoreanische TV-Unterhaltung in Japan ein begeistertes Publikum findet. Etwas aber ist besonders an Iris, seit Mittwoch auf TBS. Es ist die erste koreanische Fernsehserie, die zur besten Sendezeit auf einem der großen terrestrischen Gratis-Sender läuft. Normalerweise gibt es Korea-TV nur auf Bezahlkanälen oder zu Sendezeiten, zu denen die Männer nicht mitbekommen, wofür ihre Frauen schwärmen. Iris genießt erhöhtes Interesse in Japan, da das Agenten-Drama genregerecht in aller Welt gedreht wurde, eben auch in Japan, in der Präfektur Akita. Müssen Sie jetzt nicht hin, zu viele Iris-Touristen. Die Ausstrahlungsrechte am Straßenfeger hat sich TBS einiges kosten lassen. 400 Millionen Yen sagt man, das ist umgerechnet eine Menge Geld.

Ich konnte es selbst kaum erwarten. Wenn man mehrmals am Tag am großen Iris-Poster am örtlichen Bahnhof vorbei geht, hat man keinen freien Willen mehr. Ich war bereits am Dienstag so weit, hatte mir extra ein traditionelles koreanisches Gericht zubereitet (Spaghetti mit Kimchi), und dann erst festgestellt, dass noch nicht Mittwoch ist. Wochentage bereiten einem Schwierigkeiten, wenn man keiner kontrollierten Beschäftigung nachgeht. Ich rechne momentan nicht nach Montag, Dienstag, etc., sondern dank des japanischen Müllabholungssystems nach Brennbar-Tag, Nichtbrennbar-Tag etc. Auf Werbeplakaten sollten also nicht so schwammige Formulierungen stehen wie: „Ab Mittwoch!“, sondern: „Ab PET-Flaschen-Tag!“, zum Beispiel.

Gott sei Dank hatte ich vorgekocht, es war also am Mittwochabend noch genügend Folklorefutter im Topf. Iris erzählt von zwei dick befreundeten Agenten, denen schon auf der Schulbank dieselbe Agentin gefällt. Das geht lange gut, aber nicht allzu lange. Man überwirft sich und verrät einander, vermeintlich Tote leben unbemerkt weiter, und es gibt eine Untergrundorganisation namens Iris, die die bevorstehende Wiedervereinigung der Koreas verhindern möchte.

Iris ist eine Produktion für die ganze Familie. Es gibt genug Gewalt und laute Musik, um die Kleinen wach zu halten. Papa freut sich an verwegenen Kerlen, die verwegene Sachen mit Sportwagen und Satellitentechnologie machen, und sich dabei mitunter im männerbündischen Adrenalinrausch kehlig lachend gegenseitig auf Schultern schlagen. Mama freut sich, dass ihnen kein Anlass zu fadenscheinig ist, dabei das Hemd auszuziehen. Die Szenen mit halbnackt im Matsch rangelnden Soldaten kann man auch gerne homoerotisch finden, wenn es einem danach besser geht.

Mit anderen Worten: Eine Serie für beide Fraktionen des Bourne-Publikums. Für jene, die die Jason-Bourne-Filme wegen Matt Damon gucken, und jene, die sie trotz Matt Damon schauen. Und von 24 oder Cobra 11 ist man ohnehin ganz schnell kuriert. Hoffentlich hat RTL2 oder Tele 5 noch 400 Millionen Yen über.

Saori, ihm schmeckt’s nicht

Eigentlich sollte das der fünfte Teil der beliebten Sendereihe ‚Mein erstes Mal in Japan‘ werden, weil ich tatsächlich erst jetzt zum ersten Mal dazu gekommen bin, ein japanisches Kino von innen zu sehen. Vor ein paar Jahren hatte das Tokyo International Film Festival (TIFF) mein Akkreditierungsgesuch abgelehnt, danach habe ich lange geschmollt und komplettverweigert. Aber inzwischen sehe ich die Sache als verjährt an.

Es stellt sich heraus, dass Kino auch in Japan wie Kino ist. Ist dunkel, und vorne läuft ein Film. Hin und wieder kommen Leute rein und meinen, sie müssen trotz immenser Verspätung in einem dreiviertelleeren Saal auf genau die Plätze bestehen, die auf ihren Eintrittskarten angegeben sind, und allen die Sicht auf den Hauptfilm versperren, solange diese Plätze nicht gefunden sind. Manche Leute lachen an den falschen Stellen. Andere benutzen die dunkle Intimität des Kinosaals um mal wieder richtig miteinander zu reden. Mehrfach werden Dinge gegessen und getrunken, von denen mir schon meine Nase sagt, dass ich sie nie im Mund haben möchte. Die Magie namens Kino, sie ist international. Einziger Unterschied, der mir auffällt: Vor dem Film läuft keine Werbung für kinofremde Produkte. Liegt aber vielleicht daran, dass es sich um eine untertitelte Vorstellung für Ausländer handelt. Dachte man sich vielleicht, die verstehen unsere Bier- und Bindenwerbung eh nicht. Dabei braucht man nur zwei Worte um japanische Werbespots zu verstehen: atarashii (neu) und oishii (köstlich). Leider lernt man vom Schauen japanischer Werbung auch nicht viel mehr als diese beiden Wörter.

Interessanteres Thema als der Kinogang als solcher ist vielleicht das, was ich mir angesehen habe. Daarin wa gaikokujin – My Darling is a Foreigner ist gerade die Nummer 3 der japanischen Kinocharts, also im Grunde die Nummer 1 der japanischen Filme, denn wie alle Menschen außerhalb der USA schauen auch die Japaner am liebsten ausländische Filme, und so ist es für eine einheimische Produktion gerade schwierig gegen Leo in der Klapse und Aliens in Südafrika anzukämpfen. Der Film basiert auf einem autobiografischen Manga der Künstlerin Saori Oguri. Kannte ich vorher auch nicht, ist aber ein riesen Ding in Japan, wie ich jetzt an jeder Ecke feststelle. Schon im Kino lassen sich Mousepads, Kaffeetassen, Mobiltelefonschmuck und sonstige Gebrauchsgegenstände mit dem karikierten Konterfei der Hauptfiguren erstehen.

Als ich den Titel hörte, wusste ich: Dieser Film soll mein erstes Mal werden. Ich hätte ihn mir freilich auch ohne Untertitel angeschaut, aber meine Begleitung bestand darauf, dass ich welche brauche. Grund meines sofortigen Interesses an dem Stoff war, dass ich nach dem Trailer meinte, dies sei einer dieser Verkehrsunfallfilme: Es ist ganz schrecklich, aber man muss einfach hingucken. Dann las ich die erste wohlwollende Kritik. Bald die zweite. Es ging weiter in diesem Tenor, und schließlich kaufte ich den ersten Manga-Band. Es gibt inzwischen eine zweisprachige Ausgabe für Japaner, die Englisch lernen wollen. Im Buchladen findet man sie in der Abteilung für Ausländer, die Japanisch lernen möchten. Die Verwirrung ist perfekt. Der Manga setzt nicht auf langen erzählerischen Atem, sondern präsentiert monologische Kabinettstückchen aus dem Leben der Autorin mit ihrem Tony, einem perfekt japanisch sprechenden Amerikaner ungarisch-italienischer Abstammung. Inzwischen sind die beiden verheiratet, und die Comicserie geht auch munter weiter (wir gratulieren, ein Band heißt: My Darling is a Foreigner with BABY).

Ganz unumstritten ist Daarin wa gaikokujin unter in Japan lebenden Ausländern nicht, auch wenn im Titel das korrekte gaikokujin und nicht das böse gaijin verwendet wird. Dabei findet sich wenig Beklagenswertes im kuschelweichen Humor von Comic und Film. Tony ist ein knuddeliger Superheld, der besser japanisch spricht als die meisten Japaner und mehr auf Traditionen pocht als seine japanische Freundin/Ehefrau. Kritische Zungen fragen aber: Warum dieser Titel? Warum nicht: Mein Liebling trägt Bart. Oder: Mein Liebling heißt Tony. Tatsächlich basieren die meisten der kleinen Saori-Tony-Schnurren mehr auf den sehr spezifischen Eigenheiten der beiden Persönlichkeiten, weniger auf herkömmlichem Culture Clash. Trotzdem sage ich: Was soll’s. Ich mag den Titel. ‚Mein Liebling ist Ausländer‘ ist ein schönes Bekenntnis, gerade weil doch viele Einheimische mit einer derartigen Aussage nachwievor Probleme haben. Dass weder Film noch Manga in irgendeiner Weise aufmüpfig oder nassforsch daherkommen, sondern wirklich niemandem wehtun mögen, macht das ganze noch schöner. Der Film ist sehr cooler uncooler Mainstream. Es gibt zu viele Montagen zu Popmusik (u. a. von der deutschen Band Wagner Love, die man nur in Japan kennt), Hauptdarstellerin Mao Inoue ist etwas zu quirlig, und es wurden ein paar allzu filmische Dramaturgiekniffe herbeifantasiert, die in der Vorlage nicht vorkommen (der Vater ist im Film gegen die Beziehung, im Comic nicht; eine Beziehungskrise kurz vor Akt 3 findet in der Vorlage ebenfalls nicht statt). Und obwohl man das durchschaut, kämpft man gegen die aufrichtigen Tränen. Verdammt.

Bonus-Information

Weil es Sie brennend interessiert und total beeindruckend ist: Der Tony-Darsteller Jonathan Sherr ist ein Freund des Englischlehrers einer Freundin von mir. Er soll ganz nett sein.

Erdbeerpille statt Plastik

Fremde Kulturen, muss man immer vorsichtig sein. Dem Japaner seine Plastiktüte zu nehmen ist ein ähnlich heikles Thema, wie dem Amerikaner seine Mordwaffe nehmen zu wollen. Vor der geistigen Fernsehkamera steht Toshiro Mifune, gealtert aber noch lebendig, eine Plastiktüte triumphierend über den Kopf haltend und mit bedrohlichem Bass intonierend: „From my cold dead hands!“ Tosender Beifall landaus, landein.

Man bekommt bei jedem Einkauf in japanischen Supermärkten vorsichtshalber doppelt so viele Plastiktüten, wie man benötigt. Auch in anderen Geschäften ist die Tüte selbstverständlicher als der Kassenbon. Deshalb tragen Japanerinnen die Handtasche grundsätzlich in der Armbeuge. Die Hand muss frei und bereit sein für die nächste Plastiktüte, die schon hinter der nächsten Ecke lauern könnte. Meine Theorie.

Aber Umweltschutz ist in Japan genauso beliebt wie jedes andere Thema, zu dem sich niedliche Maskottchen erfinden lassen. Deshalb schleichen sich langsam aber erfolgreich Reformen ein. In der Kaufhauskette Seiyu (engl.: Wal-Mart) kann man auf das Plastik freiwillig verzichten und spart pro Einkauf 2 Yen (aufgerundet 1,6 Cents). Hammer, dachte ich zuerst, und meinte es jugendlich sarkastisch. Laut Zeitungsumfragen ist die Ersparnis aber wirklich für nicht wenige japanische Hausfrauen ein Grund, hin und wieder den eigenen Beutel mitzubringen. Das Prozedere ist landesüblich diskret, man muss mit dem niederen Bediensteten an der Kasse kein Wort wechseln. Man nimmt sich eines der bereitgehängten MyBag-Schilder (mit dem niedlichen Tütenmaskottchen drauf), legt es in den Korb zu den anderen Einkäufen, und man bekommt automatisch 2 Yen vom Endbetrag abgezogen und keine einzige Plastiktüte.

Nun habe ich gerechnet (soll nicht wieder vorkommen): In einer ereignislosen Woche ohne großen Kaufrausch bekommt man ca. 14 Plastiktüten, wenn man nicht aufpasst. Also im Schnitt zwei pro Tag. Wenn man wirklich nur das Nötigste kauft. Ja, ich habe Strichliste geführt, man kommt nicht raus aus seiner Haut. Beschränkt man sein Einkaufsverhalten auf Häuser, die der 2-Yen-MyBag-Regel folgen, spart man in der Woche also … warten Sie … 28 Yen. Als trauriger trotzig stolzer Single-Haushalt. Was bekommt man für 28 Yen? Ich dachte: Nüscht. Dachte ich aber auch nur. Ich habe mal genauer geschaut und bin fündig geworden. Man bekommt zum Beispiel diese roten Dinger:

Oder diese zwei Sachen:

Bei beiden Szenarien kriegt man sogar noch was raus.

Aber was soll das sein? Wollen wir mal schauen? Au Prima!

Die roten Dinger, die aussehen wie die Pille zum Üben, kann man erwartungsgemäß essen, schmecken entfernt nach Erdbeere, die Verpackung verspricht das auch. Für den Preis muss man sich nicht als Gastrokritiker aufspielen.

Das Längliche ist sowas:

Sieht lecker aus, aber ich hatte gerade erst den sehr sättigenden Veggie-Burger in Tokios hipster Burgerbraterei Arms (in der Nähe des Westeingangs des Yoyogi-Parks auf der anderen Straßenseite; fast genau gegenüber von dem der Nase nach [gesehen von Yoyogi-koen Haltestelle] danach folgenden Eingang, dessen Namen ich vergessen habe; halt da, wo der Parkplatz ist), jetzt kann ich nicht mehr.

Im anderen Ding auch so eine Art Biersnack. Obwohl aus dem Kinderregal, also Biersnack zum Üben:

Maske? Welche Maske?

Bitte bedenken Sie, wie viele Mäuler Sie mit Erdbeerpillen stopfen könnten, wenn Sie für einen größeren Haushalt oder über einen längeren Zeitraum einkaufen und dabei auf die Plastiktüte verzichten.

Unser Planet, ein süßes Maskottchen und ich (quasi noch ein süßes Maskottchen) sagen: Danke.

Mein erstes Mal in Japan (4): Yasukuni-Schrein

(Arbeitstitel verworfen: Shakira Kurosawa und der Tempel des Bösen)
(Ist nämlich gar kein Tempel, ist ein Schrein.)

Um den Yasukuni-Schrein hatte ich bislang einen großen Bogen gemacht, damit mich kein Paparazzo erwischt. Die Presse beobachtet sehr genau, wer sich dem Schrein wann wie weit nähert, und was er da macht. Zumindest die japanischen Politiker, und mit solchen werde ich wegen meiner herzlichen Art ständig verwechselt. Das Interesse ist so groß, weil der Schrein nicht nur offizieller Gedenkort für unschuldige Kriegsopfer ist, sondern auch für einige verurteilte Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs. Der Politiker, der sich hier sehen lässt, gilt redlichen Menschen also als zumindest fragwürdig. Muss ich nicht hin, hab ich immer gedacht, gibt genug Schreine für Vernunftmenschen.

Aber kennt man ja. Da gurrt plötzlich so ein junges Ding: „Wollen wir morgen Kirschblüten gucken gehen nach der Arbeit? Ich weiß einen guten Ort …“ Und schwupps ist man beim Yasukuni-Schrein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Weltpresse: Ich schaue mir hier nur die Kirschblüten an, denn die Zeit rennt mir davon. Kirschblüten blühen nicht lange. Das Wetter ist immer schlecht, wenn ich frei habe, und immer toll, wenn ich den ganzen Tag Indoor-Termine habe. Jetzt musste so langsam was passieren, also hab ich mich bei Nieselregen und Dämmerung zum Yasukuni-Schrein abschleppen lassen.

Ist halb so wild. Die meisten Tage des Jahres ist der Schrein nur eine mittelprächtige Sehenswürdigkeit mit nur einem sichtbaren Wachtposten. Zum umkämpften Politikum wird er nur an staatstragenden Feiertagen.

Hier steht er, als könnte er kein Wässerchen trüben:

Hier mit Kirschblüten und Regenschirmen bei unvorteilhaften Lichtbedingungen:

Und es stimmt schon: Die Gegend um ihn herum, also grob zwischen und um den Bahnhöfen Ichigaya und Iidabashi, gehört zu den besten, um außerhalb von ausgewiesenen Parkanlagen Kirschblüten zu gucken. Wenn Kirschblüten, städtische Kanäle und Skyline optisch aufeinandertreffen, ist das reizvoller, als Kirschblüte in reiner Natur. Finde ich.

Aber ich bin kein Fotograf. Bitte schauen Sie selbst. Sie haben noch ein paar Tage, und morgen soll schön werden. Warten Sie nicht zu lange, denn zum Schluss der Saison fallen nicht nur Blütenblätter von den Bäumen, sondern auch Würmer. Und wer hat schon gerne Würmer in der Bierdose.

Ich wünscht ich wär Ayako Imoto

Maske? Welche Maske?

Das terrestrische japanische Fernsehen zeichnet sich in erster Linie dadurch aus, dass man sich schnell entschließt, doch lieber mehr Zeit draußen zu verbringen oder mal wieder ein gutes Buch zu lesen. Ein mittelmäßiges würde es auch tun. Oder irgendeins. Oder das Tapetenmuster mal genauer studieren.

Nicht, dass alles schlecht wäre. Dramen, in denen mindestens ein Mord geschieht, sind meistens sehenswert (Dramen, in denen bloß jemand im Krankenhaus liegt, derweil nicht). Und dann gibt es die göttliche Ayako Imoto, für die ich sogar eine Kochsendung ansehen würde. Eine Sportsendung habe ich wegen ihr schon gesehen. Und Tiersendungen, sonst auch nicht mein Metier, sind unvermeidlich, wenn man der Imoto verfallen ist.

Es war Sommer, als ich sie zum ersten Mal sah, und zwar der des letzten Jahres. Beim alljährlichen Wohltätigkeitsfernsehereignis 24H TV ist es Tradition, dass ein Prominenter einen dreifachen Marathon läuft, und diesmal hatte die junge Komikerin Imoto sich gemeldet. Das interessierte mich, weil ich selbst gerade wieder angefangen hatte, ab und an um mein[en] Block zu schnaufen. Sonst guck ich kein[en] Sport, aber da dachte ich mir: Dreifacher Marathon, das will ich sehen. Und: Komikerin, das ist bestimmt lustig. Als ich Ayako Imoto dann sah, dachte ich: Ach, so eine ist das. Ich war enttäuscht. In der westlichen Komik gibt es eine einzige Regel, die unumstößlich ist und keine einzige Ausnahme kennt: Wer sich als Komiker komisch verkleidet und komische Gesichter macht, ist nicht komisch. Ob in Japan die Regel nicht gilt und Imoto trotz ihres albernen Stylings komisch ist, konnte ich erstmal nicht beurteilen. Aber bald stand fest: Fit ist sie. Und willensstark. Und monströs sympathisch. Ich sah sie dann noch häufiger, und es stellte sich heraus, dass sie mich auch zum Lachen bringen konnte.

Ayako Imoto ist eine Art Mischung aus Anke Engelke mit fetten Augenbrauen und Chuck Norris in Schulmädchenuniform. Ihr Ding ist es, in der Welt herumzureisen und sich mit wilden Tieren anzulegen. Meistens endet es damit, dass sie und ihr Kamerateam ganz schnell vor etwas mit Zähnen davonlaufen müssen. Weil das japanische Fernsehen sehr auf sein Recht am Bild pocht, finde ich leider keine regulären Lustigvideos mit ihr in vertretbaren Quellen. Aber meine Obsession begann ja ohnehin beim dreifachen Marathonlaufen, deshalb hier genau das (im Mittelteil gekürzt):

Vorher:

Nachher:

Die unter japanischen und japanophilen Teenagern heiß diskutierte Kontroverse ums zweite Video ist freilich: Läuft da was zwischen Ayako Imoto und Boyband-Boy Yuya Tegoshi (gelbes Hemd, scheußliche Frisur)? Ist mir egal! Ich will ja nicht Ayako Imotos Boyfriend sein, ich will Ayako Imoto sein! Schon jetzt rufe ich mir jedesmal beim Traben ihr Gesicht vors geistige Auge, wenn es nicht mehr recht läuft, und es geht weiter. Sie ist mein Idol. Obwohl mir eine japanische Bekannte sagte, ich solle mir Imoto nicht zum Vorbild nehmen, denn sie habe „eine raue Zunge“. Weiß der Teufel, woher meine Bekannte das weiß. Mir egal!

Wenn ich Ayako Imoto wäre, könnte ich endlich mit Tieren arbeiten, schon immer mein großer Traum (fragen Sie nicht, ich wache jedesmal schweißgebadet auf). Außerdem hätte ich mein eigenes Nintendo-DS-Spiel:

Mit spektakulären Boss Fights:

Und weiteres hochwertiges Merchandising:

Leider bin ich nicht Ayako Imoto. Aber ich bin fest entschlossen, meinen Traum zu leben.