Die Nachrichten: I’m still here

Hier war in letzter Zeit ein wenig himmlische Ruhe eingekehrt, weil ich meine musikalische Karriere vorantreiben musste (Abb. unten).

Inzwischen habe ich mich aber rundherum rasieren lassen und konzentriere mich wieder ganz auf meine Kernkompetenz: Blöd gucken.

Zuletzt:

The Disappearance of Alice Creed
Gallants
Symbol

Windstruck

Wird fortgesetzt.

Update 3. 11.: Auch das noch!

Sword with no Name
Wir sind die Nacht

Zugabe 10. 12.

The Last Days of Emma Blank
Solomon Kane
The Vampire Diaries
Fast vergessen 2. 1.

14 Blades
Merantau – Meister des Silat
Mulan – Legende einer Kriegerin
The Treasure Hunter
Dracula – Mythen und Wahrheiten (Vorsicht: Buch!)

Die schöne Geschichte von Aaron und dem kaputten iPod

Mein iPod ist von Apple, er funktioniert also nur manchmal. Habe ich den impertinenten Wunsch nach einer bestimmte Musik, stellt er sich auf entsprechenden Tastendruck erstmal tot, knattert dann eine Weile empört rum und fängt schließlich ungeachtet meines spezifischen Wunsches an, seine komplette Musikdatenbank durchzuspielen, in alphabetischer Reihenfolge nach Namen des Interpreten. Selbstverständlich breche ich das meistens nach den ersten Takten ab. Ich kann gar nicht zählen, wie häufig ich inzwischen die ersten Takte des Liedes ‚Le Tunnel d’Or‘ von Aaron (Fettung durch Admin) gehört habe. Lange hat mich das fuchsteufelswild gemacht. Nicht wegen der Fehlfunktion, sondern weil ich mir nicht erklären konnte, wie dieses Lied auf meinen iPod kommt. Ich kenne gar keinen Aaron. Ich hegte den Verdacht, es handele sich um eine dieser hartnäckigen Beispielmusiken, die Softwaremonopolisten in ihren Betriebssystemen verstecken, und die sich beim Synchronisieren meiner Maschinen vermehrt hatte, bevor ich sie finden und löschen konnte.

Irgendwann stellte ich aber fest: Diese zerknirscht-gehauchte Pianoballade ist gar nicht so schlecht, eigentlich sogar ziemlich gut. Ich stellte außerdem fest, dass das Lied doch von mir kam. Es war von einer der Chanson-Sammel-CDs, die ich palettenweise aufgekauft hatte, als ich vor ein paar Jahren entdeckt hatte, dass Frankreich, Franzosen und Französisch gar nicht so blöd sind, wie man mir in der Schule weismachen wollte. Natürlich habe ich mir die ganzen CDs nie richtig angehört, übertreiben wollte ich es auch nicht.

Überhaupt bin ich mit Kompilationen nie recht warm geworden. Ich brauche immer eine Weile, bis ich mich auf jemanden einlassen kann. Kompilationen sind wie Speed Dating, da bleibt nichts hängen. Also habe ich mir jetzt das ganze Aaron-Album kommen lassen. Direkt aus Frankreich, da Aaron hier im Nachbarlande offenbar kein Thema ist. Um Versandkosten den Stachel zu nehmen kam noch das neue Soloalbum der reizenden und begabten (wie wir im Peter-Frankenfeld-Fernsehen sagen) Dionysos-Veteranin Babet mit ins Päckchen, was hier nur erwähnt sei, weil die reizende und begabte Babet die eine oder andere Erwähnung mehr als verdient hat.

Drei Dinge über Aaron erfahre ich durch das Album, noch bevor ich es gehört habe. Erstens: Ich hatte gedacht, Aaron sei ein Typ. Aaron sind aber zwei Typen. Das Ganze ist ein Bandname und steht für: Artificial Animals Riding On Neverland. Die offizielle Schreibweise ist übrigens AaRON, aber so einen Schnickschnack mache ich nicht mit. Zweitens: Laut Aufkleber (ein anderer als abgebildet) erscheint das neue Album am vierten Oktober 2010. Gibt es denn sowas? Fans der ersten Stunde warten seit zwei Jahren, ich muss nur das Wochenende irgendwie rumkriegen. Drittens: Als französisch getexteter Chanson ist ‚Le Tunnel D’Or‘ auf dem Album die sprachliche Ausnahme, der Rest ist in der Modesprache Englisch abgefasst. Das ist dann auch das einzige kleinere Problem an der Sache. Wie alle Künstler und normalen Menschen, die sich in einer Sprache äußern, die nicht ihre Muttersprache ist, verfallen Aaron dabei häufig in Klischees oder zwanghafte Originalität. Keiner ist davor gefeit, auch ich nicht, und Sie erst recht nicht. Egal wie viele Einser man schon als Kind hatte, egal wie viele schlaue Bücher man im Original liest und wie viele jargonschwangere Filme man ohne Untertitel schaut, egal wie lange man woanders gelebt hat und mit wie vielen Ausländern man jeden Abend trinken geht, eine Fremdsprache bleibt eine Fremdsprache. Die Unnatürlichkeit im Umgang mit ihr liegt nicht zwangsläufig darin begründet, dass man sie nicht richtig kann, sondern darin, dass man so vernarrt in sie ist, dass man ständig über das Ziel hinausschießt, mal meilenweit, mal nur ein trügerisches Quäntchen. Deshalb bin ich dafür, dass sich Liedermacher, Dichter, Journalisten u. ä. stets nur in ihrer Muttersprache ausdrücken. Nicht als national identitätsstiftende Maßnahme oder so ein Quatsch, sonder um zu zeigen, was sie drauf haben. Alles andere ist Verstellung. Nun könnten Sie sagen: „Aber was ist, wenn ein Künstler beispielsweise aus Island kommt und in seiner Muttersprache nur von ungefähr 347 Menschen weltweit verstanden würde? Wäre es dann nicht besser, er bediene sich trotz eines gewissen Genauigkeitsverlustes der englischen oder einer anderen Allerweltssprache, um seine vielleicht wichtige Botschaft so vielen Menschen wie möglich verständlich zu machen?“ Daraufhin würde ich die Arme vor der Brust verschränken, die Zunge zwischen die Lippen schieben und ein unanständiges Geräusch machen, woraufhin Sie sagen würden: „Sehr, sehr erwachsen, Herr Neuenkirchen.“

Ach, hören wir auf zu streiten. Es gibt keinen Grund, hören wir diese wunderbare Musik doch einfach wegen der Musik. Wäre mir daran gelegen, musikjournalistisch korrekt darauf einzugehen, müsste ich wohl von Loops und Grooves und Bleeps und Klaviertupfern und dunklen Klang- und Seelenlandschaften faseln, aber das möchte ich Ihnen und in erster Linie mir ersparen. Ist jedenfalls genau das Richtige, wenn einem der Herbst noch nicht Herbststimmung genug ist. Ich habe vorsichtshalber schon mal das zweite Album bestellt.

Eigentlich geht es mir gar nicht darum, Ihnen ein obskures französisches Pop-Duo schmackhaft zu machen. Ich möchte nur der Welt mitteilen, wie glücklich ich bin, dass mein iPod nicht richtig geht. Und ich möchte an Sie appellieren: Wenn Ihr kaputter iPod Ihnen etwas zu sagen versucht, dann hören Sie auf ihn.

Nachruf mit Ständchen: HMV in Shibuya

Wie mir erst jetzt bekannt wurde, hat am vergangenen Sonntag die HMV-Filiale im Tokioter Stadtteil Shibuya dicht gemacht. Da darf man schon ein wenig sentimental werden. Ich habe auf den 1400 Quadratmetern viele schöne Stunden meines Lebens vertrödelt, und meine Besuche nahmen mit fortschreitendem Alter eher zu als ab. Bevorzugte ich als wilder, flippiger Endzwanziger noch Tower Records um die Ecke, so zog es mich zuletzt immer mehr zu HMV, wo einen die Deko nicht so anschrie, und man das Gefühl hatte, die Jazz- und Klassik-Abteilungen wären nicht nur der Vollständigkeit halber da. HMV Shibuya bedeutete mir und ungefähr gleichaltrigen japanischen Freunden aus unterschiedlichen Gründen gleich viel. Für meine Freunde war es Anfang der Neunziger Jahre eine der wenigen Möglichkeiten, an heiße Scheiben aus dem Westen zu kommen. Für mich war es Ende der Neunziger nicht der einzige, aber einer der wichtigsten Orte, meine Bekanntschaft mit der japanischen Populärmusik zu vertiefen.

Zuletzt muss ich im Juni dort gewesen sein. Just in diesem Monat wurde das nahende Ende der Filiale verkündet, aber es ist damals an mir vorbeigegangen. Sonst hätte ich bestimmt noch ein anständiges Erinnerungsfoto geknipst. So kann ich nur auf eine typische Shibuya-Crossing-Totale zurückgreifen, wie sie sich im Fotoalbum jedes Tokio-Reisenden befindet:

Besser als mit Fotos erinnert man sich an einen Plattenladen ohnehin mit Musik. Lassen Sie mich nicht lügen, aber ich glaube, die erste CD, die ich mir bei HMV Shibuya gekauft hatte, war das Debütalbum des Kyotoer Pop-Rock-Trios (heute Duo) The Brilliant Green, darauf u.a. „There Will Be Love There“:

Ich besaß zu diesem Zeitpunkt (1999) bereits das gerade erschienene zweite und noch bessere Album Terra 2001, ich meine aber, es anderswo erstanden zu haben. Es freut mich sehr zu berichten, dass am 15. September dieses Jahres nach acht langen Jahren der ersatzbefriedigenden Soloprojekte das fünfte echte Album von The Brilliant Green erscheint. Ich rutsche schon nervös auf dem Stuhl herum. Schade nur, dass ich es nicht bei HMV Shibuya werde kaufen können.

Die letzte CD, die ich mir dort gekauft habe, war kürzlich die ‚Super Best‘-Kollektion der japanischen Funpunk-Institution The Blue Hearts. Sie war günstig, weil gerade eine neue Hitsammlung der rüstigen Stimmungskanonen erschienen war, und nun die 2786 früheren Kompilationen, auf denen exakt dasselbe drauf ist, verramscht wurden. Natürlich mache ich mir jetzt ein wenig Vorwürfe. Hätte ich HMV retten können, wenn ich mir die teure neue CD gekauft hätte? Vermutlich nicht, seien wir nicht albern.

Damit rechnen die Leute ja nur, dass jetzt The Blue Hearts mit ihrem beliebtesten Hit „Linda Linda“ kommen. Hatte ich auch vorgehabt, soviel Servicegedanke muss sein. Aber ich würde The Blue Hearts und den Song überhaupt nicht ohne den Film Linda Linda Linda kennen, in dem eine Gruppe sympathisch drömeliger Schülerinnen versucht, rechtzeitig zum Schulfest eine Rockband zu werden. Ich zeige lieber diese Version. Hat zwar im Gesamtzusammenhang nur noch Apropos-Charakter, aber so apropos-charakterstark muss man schon sein. Apropos: Dies war auch das erste Lied, das ich bei einem Karaoke-Vergnügen auf Japanisch durchzusingen versucht habe. Ich habe aber nur den Kehrreim einigermaßen fehlerfrei hinbekommen.

Satoshi Kons Franzen-Obama-Merkel-Erbsensuppe-Massaker

Manchmal, vor allem freitagnachts, überkommt es mich, und ich mache total abgefahrenen crazy stuff. Jetzt zum Beispiel ziehe ich mir voll den neuen Franzen rein, Alter. Ich tue dies in einer Weise, von der ich hoffe, dass Jonathan Franzen sie gutheißt, oder sie zumindest nicht als Affront und Herabwürdigung seiner Arbeit auffasst. Ich öffne vorher eine Flasche nicht ganz billigen Rotweins, lege eine von meinen beiden Klassik-CDs ein, und wenn ich beim Lesen auf eine amüsante Spitze stoße, halte ich die Finger vor den Mund und mache ein kleines Roger-Willemsen-Hühühü. Yeah, checkt das aus, Kids! Bücher rocken! (Ich hatte übrigens neulich 8 von 10 Punkten im Spiegel-Online-Jugendsprache-Test, hühühü).

Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht: 2001 wurde Jonathan Franzen holterdipolter berühmt, weil er sein Buch Die Korrekturen nicht von Oprah Winfrey loben lassen wollte, und weil es tatsächlich so großartig war, wie alle und Oprah sagten. Seine Haltung brachte dem Autoren seltsamerweise nicht den Ruf eines aufrechten Künstlers ein, sondern den eines elitären Schnösels, und so kamen bald die Kläffer, die die unwahre Behauptung verbreiteten, Die Korrekturen sei in echt gar nicht gut. Wer sich gerne mit vermeintlichen Minderheitenmeinungen brüstet, variierte das Gerücht dahingehend, dass Die Korrekturen bloß überbewerteter Hype sei, Franzens gefloppter Erstling Die 27ste Stadt hingegen ein verkanntes Meisterwerk. Das wäre schön, würde es stimmen, ich habe selbst gerne Minderheitenmeinungen. Tatsache ist aber leider doch, dass Die 27ste Stadt eine einzige Plackerei und Die Korrekturen eine einziges Vergnügen ist.

Bei seinem Neuen, Freiheit, hatte Franzen wieder ungefragt prominente Hilfe bei der Publicity: Barack Obama wurde noch vor offiziellem Erscheinen des Schmökers von geschickt platzierten Paparazzi bei der Lektüre erwischt. Bei Präsident Obama muss ich immer an Kanzlerin Merkel denken, und in diesem Zusammenhang insbesondere an das, was der unsterbliche Christoph Schlingensief mehrfach und richtig über sie gesagt hat, nämlich dass sie völlig kulturlos sei. Sie watschelt zwar mitunter fröhlich in Bayreuth und Salzburg herum, verfügt aber merklich in keinster Weise über das Rüstzeug oder auch nur das Interesse, das zu verarbeiten, was sie dort sieht und hört. Und das stört mich ungemein, denn sie ist ja auch meine Kanzlerin. Ich habe sie nicht gewählt, das war der Bundestag, aber ich erkenne das Wahlergebnis an. Über ihre Politik kann man sich nicht großartig aufregen, die ist halt, wie Politik so ist: Mal so, mal so. Frisur, Fashion und Physiognomie auch schnurzpiepe, ich zitiere frei Max Goldt: Ich wünsche mir keine hübsche Kanzlerin, ich wünsche mir eine gute Kanzlerin. (Vielleicht war es auch nicht Max Goldt, und vielleicht ging es auch ganz anders. Hauptsache, die Aussage ist vernünftig.) Und ich wünsche mir eine Kanzlerin, die hin und wieder mit der Nase in einem Buch erwischt wird, vorzugsweise in einem literarischen, oder auf vergleichbare Weise ein Grundinteresse an Kunst und Kultur glaubhaft signalisiert. Faktisch ist sie schließlich mein Staatsoberhaupt, da hat man nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Man komme mir nicht mit dem Papperlapapp von Bundespräsident und Bundestagspräsident. Ich war gerade in Japan stationiert, als sich in Deutschland der letzte Bundespräsident abgeschafft hat. Da habe ich erst gemerkt, wie schwierig es selbst den interessiertesten Zuhörern zu verklickern ist, was ein Bundespräsident soll. Nichts, eigentlich. Auf seiner Abschiedsparty kann man eine interessante Interpretation eines Oldies durch eine Militärkapelle hören, aber ob das den ganzen Verwaltungsaufwand wert ist, weiß ich auch nicht. Kanzlerin und Außenminister hingegen geben nicht nur Musikwünsche ab. Sie vertreten mich im In- und Ausland, und damit fühle ich mich im Moment nicht ausreichend vertreten.

Ach, jetzt habe ich „Christoph Schlingensief“ gesagt, dabei wollte ich doch bis auf Weiteres darauf verzichten, gerade weil die Versuchung dieser Tage so groß ist. Versuchungen widerstehe ich normalerweise mit Genuss, das ist mein Phantomkatholizismus. Jeder, der Schlingensief einmal begegnet ist, erzählt nun gerne davon unter dem Vorwand des Gedenkens. Dabei geht es meist nicht um die Würdigung dieses feinen Mannes, sondern um die Pinselung des eigenen Bauches. Ich, ich, ich bin Schlingensief übrigens auch einmal begegnet. Sie wollen wissen, wie das war? Hm, ach so … Ich erzähle es Ihnen trotzdem. Gut war es, er hat Erbsensuppe gegessen. Ich nicht, ich hatte schon zu Hause gegessen.

Jetzt ist uns in dieser Woche auch noch Satoshi Kon entglitten, der beste Trickfilmregisseur der Welt, einer der kreativsten Filmemacher überhaupt, ganz unabhängig von der Wahl der Mittel. Wir saßen nie zusammen über einer Erbsensuppe. Umso bedauerlicher, dass wir es nun auch nicht mehr tun werden. Zumindest nicht in dieser Welt. Aber bis wir alle gemeinsam von der großen Erbsensuppe des Himmels kosten, erfreuen wir uns hier und jetzt an Satoshi Kons irdischem Werk, ab sofort vielleicht mit ein klein wenig Wehmut. Es ist quantitativ überschaubar, Kon starb niederschmetternd jung, aber qualitativ schier unfassbar. Und so sagen wir im Gedenken alle im Chor:

„Das ist mein Gehirn!“

„Und das ist mein Gehirn auf Anime!“

Mein Kampf (der Titanen)

Unlängst ließ ich mir aus der Videothek zwei Filme kommen, die ich ihrerzeit für einen Kinobesuch als zu unbedeutend eingestuft hatte, Avatar und Kampf der Titanen. Als erstes widmete ich mich Avatar, denn insgeheim konnte ich es kaum erwarten. Nach einer endlosen knappen Stunde aber dachte ich: Also, vergackeiern kann ich mich auch selbst. So zappte ich vorzeitig rüber zum Sandalenschinken und kehrte nie wieder zurück.

Nun ist Kampf der Titanen ein heikles, sehr persönliches Thema. Das Original von 1981 war mein Leib- und Magenfilm, als ich schätzungsweise 12 war, also auf dem Höhepunkt meines cineastischen Urteilsvermögens. Nostalgie halte ich allerdings für ein Geschwür, das mit dem Skalpell der Vernunft und zwei Tupfern namens Hier und Jetzt entfernt gehört. Meinetwegen kann Google bei mir mit Röntgenkameras alles nacktscannen, man wird nichts von Nutella, drei Fragezeichen oder Boba Fett finden. Aber Phantomschmerzen bleiben nach der Operation, und so kann ich nicht verhehlen, dass ich mir den neuen Kampf der Titanen ganz sicher nicht angeschaut hätte, wenn da nicht mal was zwischen mir und dem ersten Film gelaufen wäre.

Eines ist hier schon im emotionalen Vorfeld anders als bei anderen Neuverfilmungen. Ich gestehe es nur ungern ein, aber normalerweise reagiere ich bei Ankündigungen anstehender Remakes wie all die anderen beleidigten Leberwürste, die das Internet vollschreiben: Ich bekomme einen hochroten Kopf und plärre wie ein kleines Mädchen. Bei der Ankündigung der Zweitverwertung von Kampf der Titanen aber blieb ich ganz ruhig und freute mich still in mich hinein, denn ich fand: Wurde auch Zeit. Kampf der Titanen flehte geradezu um Aktualisierung. Ja, wegen der Spezialeffekte, so oberflächlich muss man schon sein. Sonst hat der Film ja nicht viel. Man darf da nicht sentimental schluchzen: „Aber … aber … die sind doch von Ray Harryhausen!“ Ja, eben, sie waren schon Anfang der Achtziger indiskutabel hinter der Zeit, hat man bloß mit 12 nicht gesehen, weil man zu viel Angst hatte, dass Medusa einen vielleicht auch in Stein verwandeln könnte, wenn man im falschen Moment hinguckt. Die Milchmädchengleichung Analog=Gut/Digital=Böse geht mir schon lange gegen den Strich. Glauben die anderen beleidigten Leberwürste wirklich, dass Digitaleffekte von kalten, gefühllosen Robotern ausgedacht und ausgeführt werden? Nein, liebe Geschwister im Geiste, die werden von Menschen ersonnen und umgesetzt. Meistens Menschen mit Bärten und Metal-Shirts. Diese Menschen haben genauso viel oder wenig Leidenschaft für ihre Kreationen wie die Puppenbieger in Uropas Kino. Sie machen es mal gut, mal schlecht. Für manche ist es Berufung, für andere nur ein Job. Wenn man sie sticht, bluten sie. Wenn man sie am Flughafen abtastet, machen sie hihihi. Es sind Menschen. Ob diese Menschen mit Modelliermasse oder Mausklick arbeiten, ist für die Herzenswärme des Resultats unerheblich. Die Modelliermasse an sich ist nicht menschlicher als der Pixelklumpen. Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

Der Film, der in diesem Jahrtausend dabei herausgekommen ist, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem Film, der 1981 hinten rausgekommen ist. Ein paar Details wurden modifiziert, weggelassen, hinzugefügt. Aber wer die Details zum Elefanten aufplustert, der sieht den Film falsch.

Kurz zwischendurch für alle, die seit 1980 oder früher ohne Kommunalkino und Internet in einer Marskolonie lebten und letzte Woche erst zurückgekehrt sind: In Kampf der Titanen geht es um den Halbblutgott Perseus, der im antiken Griechenland gegen allerlei Monster kämpft.

Im Originalfilm tut er es für die Gunst und das Wohlergehen der holden Andromeda, im neuen aus Rache. Das war zunächst mein großer banger Moment. Was den alten Film heute noch so charmant macht, ist nicht der Harryhausen-Kitsch, sondern der Romantikkitsch. Wenn ein gelockter Perseus für sein Mädchen das Schwert schwingt, ist das oberflächlich verlockender als ein Sauertopf mit G.I.-Cut, der bloß Blut sehen will. Weil Perseus 2010 aber nicht irgendwen, sondern seine innig geliebte und völlig unnötig dahingeraffte Adoptivfamilie rächen geht, ist der emotionale Aspekt auch in der Stoppelschnitt-Version voll vorhanden. Ob Harry Hamlin oder Sam Worthington die geilere Frisur hat, sollen die kleinen Mädchen entscheiden, oder wer immer sich sonst berufen fühlt. Was das schauspielerische, sagen wir mal: Talent angeht, ist man schon genug hin- und hergerissen.

Oh, fällt mir jetzt erst auf, Sam Worthington war ja auch in Dings, hab ich gerade noch gesehen, komm ich nicht mehr drauf. Aber mal ehrlich und ernst: Seien wir nicht so hart mit ihm, wie es gerade Mode zu sein scheint. Dass er in jedem amerikanischen Mackerfilm der jüngeren Geschichte auftaucht, wird nicht von ungefähr kommen. Irgendwas ist dran an diesem grimmigen Knuddelbären. Dass Avatar Blödsinn und Terminator: Salvation nicht ganz so gut ist wie 3 Engel für Charlie, ist nicht seine Schuld. Ich jedenfalls werde mir The Expendables erst anschauen, wenn ein paar Szenen mit Sam Worthington hineingeschnitten wurden.

Im Großen und Ganzen ist der aktuelle Kampf der Titanen weniger blutig und nackig als das Original, wie Mainstreamfilme überhaupt über die Jahrzehnte eher zahmer als wilder geworden sind, auch wenn die hysterische Schweinepresse das Gegenteil herbeifantasiert. Lediglich bei der Darstellung des fiesen Calibos hat man diesmal noch eins draufgesetzt. Im Original wurde er gespielt vom Schauspieler Neil McCarthy, kaum zu erkennen unter einer furchterregenden, fratzenhafte Maske. Nicht erschrecken: Der neue Calibos sieht aus wie Mickey Rourke. Er wird allerdings gespielt vom Schauspieler Jason Flemyng, kaum zu erkennen unter einer furchterregenden, fratzenhafte Maske.

In meiner Kindheit hatte mich die Geschichte Perseus’ derart gefesselt, dass ich sogar dicke Bücher über griechische Mythologie wälzte. So musste ich erfahren, dass der Film sich hier und da ein paar künstlerische Freiheiten herausnahm. Wenn sich die griechische Mythologie nicht inzwischen als Aberglaube herausgestellt hätte, müsste man wohl von Blasphemie sprechen. Ich war damals ein wenig enttäuscht, dass nirgendwo in den alten Sagen von einer urkomischen, tollpatschigen kleinen Robotereule die Rede war. Heute schätze ich gerade das an den alten Sagen.

Manch Kenner der griechischen Mythologie nimmt beim 2010er Kampf der Titanen Anstoß an der Zeile: „Don’t look that bitch in the eye!“ Sowas hat Perseus niemals gesagt, nicht mal im Angesicht der Medusa, da sind sich die Gelehrten nach langem Schriftstudium einig. Sie haben bestimmt recht. Mir war der falsche Jargon kaum aufgefallen, ich erfuhr erst später von der Welle der Empörung, mein Fehler. Ich störte mich bereits zuvor nicht daran, dass alle Figuren modernes Englisch sprachen. Skandal natürlich, weiß ich jetzt. Man darf Kampf der Titanen eigentlich nur in Altgriechisch mit Untertiteln und ohne Schimpfwörter (wurden erst später erfunden, ca. 1997) verfilmen. Quasi The Passion of the Perseus. Dafür müssten wir aber wohl zwielichtige Regisseure aus der Klapse entlassen, die wir nie wieder in Freiheit sehen wollen.

Apropos Medusa: Sie ist und bleibt der Endgegner der Herzen, der Darth Vader von Kampf der Titanen. Sie dominiert. Alles, was nach ihr geschieht, ist völlig banane. Dass es auch noch ein Krakenmonster/einen Imperator gibt, interessiert allenfalls die penibelsten Erbsenzähler.

Der Reiz der Medusa ist geblieben, ganz egal, ob man die Knetgummiversion aus dem einen, oder das digital verbesserte Supermodel aus dem anderen Film bevorzugt. Wovon man sich darüber hinaus im neuen Film nicht trennen mochte, ist die Götter-WG in den Wolken, in der hochkarätige Schauspieler Verkehrt-rum-Tag spielen. Sie sagten sich: „Au ja! Heute machen wir all das, wovon man uns in der Schauspielschule gesagt hatte, dass man es auf keinen Fall tun darf!“ Hinterher schauten sich die Nachbearbeiter die Szenen an, und einer sagte: „Das ist ja fürchterlich! Aber wir könnten es noch fürchterlicher machen, indem wir willkürlich ein paar Photoshop-Filter drüberknallen!“ Und alle anderen Nachbearbeiter riefen: „Ja! So machen wir es!“ Das Ergebnis ist herrlich.

Jedoch nicht göttlich. Göttlich ist nur Sir Laurence Olivier als Zeus auf seinem funky Laser-Disco-Thron. Deshalb bevorzuge ich nachwievor den alten Film. Aber das ist mit Augen des Nostalgikers gesehen. Alle richtigen zwölfjährigen Jungs sollten mit dem neuen Film bestens bedient sein. Und wer an dem was zu meckern hat, ist wahrscheinlich kein richtiger zwölfjähriger Junge. Für den ist der Film dann aber auch nicht gedacht. Genau wie damals. Gut möglich, dass in ein paar Jahrzehnten die heutigen Zwölfjährigen wutschnaubend über ein neues Remake herziehen, das in ihren Augen keinesfalls so viel Herz, Charme und Fantasie hat wie der gute alte Film von 2010, der damals ihr Lieblingsfilm war, wie sie nicht müde werden jedem jederzeit mitzuteilen. Und das geht in Ordnung. Sie hätten sich schlimmere Lieblingsfilme aussuchen können. Avatar, zum Beispiel.

Bitte machen Sie sich Ihr eigenes Bild:


I have no mouth, but I must eat Kellog’s Hello Kitty Loops with milk for breakfast

Ich entschuldige mich in aller Form für die sperrige Überschrift, selbstredend eine Anspielung auf Harlan Ellisons Kurzgeschichte ‚I Have No Mouth, But I Must Scream‘. Ich schreibe gerade etwas unter Zeitdruck an Sie, lieber Freund, da habe ich einfach das genommen, was einem als erstes in den Sinn kommt. Ich kenne die Geschichte selbst nicht. Ich weiß nur, dass es mal ein Computerspiel dazu gab, das ich aber auch nicht kenne.

Ich war gestern in einem Supermarkt Lebensmittel einkaufen und hatte u. a. das Wort ‚Brot‘ in meine Kladde geschrieben. Ich strich es sofort durch, als ich vor Ort dieses Produkt sah, das ich ohne Umwege mit heim nahm:

Wie selbstlos, dachte ich. Da macht sich eine Cartoonfigur von beachtlichem Renommee für ein Produkt stark, das sie sich aufgrund ihrer charakteristischen Mundlosigkeit selbst nirgendwo sinnvoll hinstecken kann. Wie das schmeckt? Ist doch egal, wie das schmeckt! So sieht es jedenfalls aus:

Ich habe vor lauter Aufregung kaum Platz für Milch gelassen. Aber ich mag Milch eh nicht so gerne. Die Loops sehen ein bisschen aus wie Trockenfutter für Haustiere, schmecken aber anders, könnte ich mir vorstellen. Viel wichtiger ist eh das Bonusmaterial, das auf die Packung zum Ausschneiden aufgedruckt ist: Ein Lesezeichen, ein Türschild und ein Knobelspiel, eine Art Mischung aus Sudoku und Memory. Das ist mir zu kompliziert, ich lasse es unausgeschnitten. Das Lesezeichen aber muss jeder Bücherwurm und jede Leseratte, überhaupt jedes literaturbegeisterte Kleintier, haben. Im Nu wertet es jede Lektüre auf:

Kitty im loopy Leopardenmusterlook. Hello Kinky!

Auf der Packung steht extra noch drauf:

Lass dir beim Ausschneiden von deinen Eltern helfen!

Jetzt kommen meine Eltern voraussichtlich aber erst im Oktober wieder zu Besuch, so lange konnte ich nicht warten. Das hat man dann davon.

Aber die Arbeit und der Schmerz haben sich gelohnt. Schließlich sollen meine Eltern nicht vor so einer abweisenden Tür stehen:

Sondern vor so einer einladenden:

Dann wissen sie, dass sie auf ihren erwachsenen Sohn stolz sein können. Ganz alleine hat er es ausgeschnitten und montiert. Ein richtiger kleiner Heimwerker ist aus ihm geworden.

Kein Anlass könnte besser passen, um jetzt im Hauptprogramm den Trailer für Alan Rudolphs brillante Verfilmung von Kurt Vonneguts auch nicht schlechten Roman Breakfast of Champions zu zeigen.

Ich höre tote Menschen

Ian Lowery ist schon 2001 gestorben, aber es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen. Vielleicht, weil ich erst gestern davon erfahren habe.

Wer war dieser Ian Lowery? Ich habe keinen blassen Schimmer. Wir sind uns nie begegnet, und sein Name sagt mir nicht viel. Als ich von seinem Tod erfuhr, war es also eher ein seufzendes „Ach, schade“ als ein anklagendes: „Gott! Waru-hu-hu-hum?!“

Schade ist es, weil ganz verkehrt kann dieser Ian Lowery nicht gewesen sein. Ich kannte ihn unbekannterweise als Vorsteher der Band King Blank, die 1988 ein Album namens The Real Dirt aufgenommen hatte, das ich damals aus einer Laune heraus kaufte (mir gefiel das Cover – ja, wir Menschen vom Planeten Erde sind so oberflächlich). Damit gehörte ich wohl einer Minderheit an, denn mehr kam da nicht. Und das fand ich schon damals schade, denn The Real Dirt war eine ganze Zeit lang eine meiner absoluten Lieblingsschallplatten, wie ich mich inzwischen wieder erinnere. Mein soziales Umfeld zuckte mit den Schultern, fand die Platte nett aber nicht besonders. Ging mir beim ersten Hören auch so, aber wenn man Ausdauer hat, beißt sie sich in Gehör und Gehirn fest und lässt nicht mehr los. Anfangs klingt sie ein bisschen nach Tante-Emma-Laden: von allem etwas, aber nichts so richtig. Für Rockabilly zu zornig, für Punk zu komplex, für Gothic zu lebendig, für Blues zu weiß. Doch irgendwann macht es Klick und Pling, denn der Groschen ist gefallen, und man weiß: Hier macht jemand, was er machen muss, egal wie man das nennt. Musik eben.

Ins Hirn gebissen oder nicht, irgendwann müssen alte Lieblingsplatten für neue Lieblingsplatten Platz machen, und so verschwand The Real Dirt mit der Zeit in meinem Unterbewusstsein. An die Oberfläche gespült wurde sie neulich wieder, als ich meine Vinyl-Schallplattensammlung umtopfte. Plötzlich hielt ich das Album wieder in den Händen, und all die alten Gefühle kamen wieder hoch. Mit Tränen der Rührung in den Augen dachte ich: Ist bestimmt voll der Scheiß.

22 Jahre sind eine lange Zeit, und manche Musik ist exklusiv an ein bestimmtes Lebens- und Zeitalter gekoppelt. Dennoch gab ich King Blank eine Chance zu beweisen, dass ihre Musik vorteilhafter gealtert ist als die von Vadder Abraham, zum Beispiel. Ich zelebrierte den ganzen Haptik-Quatsch mit Entstauben und Nadel auflegen, sinnierte kurz pflichtgemäß über den bösen, kalten technologischen Fortschritt, und war sofort wieder so angetan wie ich es damals erst nach hartnäckiger Hörarbeit war. Ach, Herr Lowery zieht schon ein wenig heftig vom Leder mit seiner Zorniger-Junger-Wilder-Mann-Nummer, aber er hält dabei die rechte Balance zwischen pampiger Ernsthaftigkeit und augenzwinkerndem Humor. Im Nullkommanichts wackelte ich wieder mit meinem kleinen Hintern durchs Kinderzimmer äh Wohnzimmer, wie ich es seinerzeit tat, wenn nach meiner Meinung keiner geguckt hat.

Und jetzt ist Ian Lowery also plötzlich tot, seit neun Jahren. Schade. Ich hätte gerne noch mehr von ihm gehört, und mehr über ihn erfahren. Auf der Website seiner Erben gibt es mehrere Dokumente zu Leben und Werk, aber soweit kommt das noch, dass ich längere Texte im Internet lese. Immerhin habe ich in Erfahrung bringen können, dass es noch ein Album mit dem eigenartigen Namen King Blank To von einer gewissen The Ian Lowery Group gibt, das man sich sogar heute noch erschwinglich legal herunterladen kann, wo es The Real Dirt vermutlich nur noch im dreistelligen Eurobereich auf eBay gibt (so billig bekommen Sie meine Platte aber nicht). Vermutlich muss man den Band- und Plattentitel als Ganzes lesen: From King Blank To The Ian Lowery Group. Nur eine Theorie. Tatsache hingegen: Mindestens genauso fesch und fetzig wie The Real Dirt.

Die nachfolgende Sendung ist für Zuschauer unter 40 Jahren nicht geeignet. Sie entstand in den 1980ern. Sie enthält ästhetische und dramaturgische Konzepte, die heutige Sehgewohnheiten verunsichern oder gar beleidigen könnten. Bitte schließen Sie zunächst Ihre eigenen Augen und halten dann die anwesender Kinder zu, aber hören Sie hin.

Rowland S. Howard ist auch so ein Toter. Einer von denen, wie ich nun erfahren muss, die trotzdem munter weitermachen. Im Mai wohl ist das neue Album erschienen, ich bekam es erst jetzt mit, ich war im Mai sehr beschäftigt. Howard scheint im Tode viele Freunde zu haben, wenn man sich das Internet so durchliest. Da möchte man sich mit der Eifer- und Geltungssucht des klassenbewussten Musikliebhabers schützend vor ihn werfen und fauchen: Aber ich fand den schon gut, bevor er gestorben ist!

Dabei ist mir verhältnismäßig egal, dass er Gründungsmitglied von The Birthday Party war. Hand aufs Herz: Die Birthday-Party-Platten übernehmen im Regal in erster Linie repräsentative Aufgaben. Das Beste an The Birthday Party war, dass daraus Nick Cave & The Bad Seeds wurden, und das Beste an Nick Cave & The Bad Seeds ist, dass daraus Grinderman geworden sind, die wiederum so klingen wie The Birthday Party, wenn The Birthday Party Humor gehabt hätten. Mit Humor wird nämlich doch ein Schuh draus.

Aber das alles hat wenig mit Rowland S. Howard zu tun. Nach The Birthday Party spielte er in einigen anderen unantastbaren Bands, mit denen ich ebenfalls nie richtig warm wurde, es liegt vermutlich an mir. Aber dann nahm er im Jahr 2000 sein erstes richtiges Soloalbum mit dem unnötig rabaukigen Titel Teenage Snuff Film auf, eines der weltweit drei bis zehn besten Alben, die man für Geld kaufen kann. Das neue Soloalbum, Pop Crimes, ist so etwas wie eine gelungene Fortsetzung: Vielleicht (aber auch nur vielleicht) nicht ganz auf der Höhe des ohnehin unerreichbaren ersten Teils, in jedem Fall aber ein schöner Nachschlag von dem, was man durch den Vorgänger zu schätzen gelernt hat. Beide Alben ergehen sich in romantischer Verbitterung und sehen das Ganze recht locker. Musikalisch über weite Strecken so elegisch, dass man sich in düsterer Gemütlichkeit mit jedem Ton einzeln beschäftigen kann. Beide Alben beinhalten über Eigenkompositionen und Klassiker-Covers hinaus auch eine Verbesserung eines Achtzigerjahregassenhauers. Bei Teenage Snuff Film war es ‚White Wedding’, hier ist es – ausgerechnet – ‚Life’s What You Make It’. Klingt in Howards knurrender Schnodderigkeit, als würde man es jetzt erst verstehen, ob man will oder nicht.

Nach gewissenhafter Recherche (Wikipedia) stelle ich fest, dass Pop Crimes in Howards Heimat Australien bereits 2009 ein paar Monate vor seinem Tod erschienen ist und nur im Rest der Welt posthum nachgereicht wurde. Schön, dass er die ersten warmen Worte von Lokalpresse und angetanen Kollegen noch mitbekommen hat.

Rowland S. Howard erinnert mich immer ein wenig an Marc Moreland († 2002). Nicht nur, weil auch Letzterer auf seinem Soloalbum Take It to the Spotlight (VÖ 2002) mit ‚Bette Davis Eyes‘ einen Hang zur Schlagermusik einer geschmacklich ambivalenten Dekade zeigte. Bei Howard wie bei Moreland kann man sich bei ihren Coverversionen nie ganz sicher sein, ob sie Beleidigung oder Huldigung sind, was viel spannender ist als die feige Ironisierung oder kriecherische Werktreue, die solche Unterfangen in der Hand kleinerer Geister haben. Stärker noch eint beide Künstler, dass sie in jungen Jahren die zweite Geige in Bands spielten, die heute nostalgisch verklärt werden. Howard in The Birthday Party, Moreland bei Wall of Voodoo. Letztere verkläre vor allem ich nostalgisch. Man könnte sagen: Wall of Voodoo ist meine Birthday Party. So sind wir jungen Dinger.

Marc Moreland klingt auf Take It to the Spotlight kranker und kaputter als Rowland S. Howard. Man kann in Howards Pop Crimes mit dem heutigen Wissensstand auch einiges an Krankheit und Todesgewissheit hineinhören, realistisch gehört aber klingt er gerade so kokett kaputt, wie er schon geklungen hat, als es ihm noch zu gut ging. Ein Glück, denn so lieben wir ihn, und so wollen wir gedenken. Marc Morelands Schwanengesang derweil gerät immer wieder zu einem musikalisch begleiteten Alter-Mann-Gebrabbel darüber, dass der Ehrliche der Dumme ist & die da oben sowieso machen was sie wollen & nirgendwo darf man mehr rauchen & die jungen Leute heutzutage. Man muss nicht jedes Gebrabbel abnicken, aber dem Sound kann man sich schlecht entziehen. Der Wall-of-Voodoo-Sound war eben kein Zufall, sondern zu keinem geringen Anteil das Werk von Gitarrist Moreland mit seiner Gleichzeitigkeit der derzeit modernen New-Wave-Beeinflussung und einer furchtlosen und ehrlichen Country-Verbeugung.

Hurra, wir leben noch

Wo wir gerade bei Wall of Voodoo sind und krampfhaft einen lebensbejahenden Ausklang für diesen deprimierenden Eintrag suchen: Die beiden Sänger der Band sind noch recht munter. Stan Ridgway veröffentlicht Ende August sein neues Soloalbum. Wenn es so wird, wie die letzten sieben sind, wird es ein Meisterwerk (keine Sorge, auf der Bühne wird er ‚Camouflage‘ bestimmt trotzdem noch spielen, wenn man nur penetrant genug grölt).

Wie man noch tiefer unter dem Radar der Öffentlichkeit fliegen kann als Stan Ridgway, hat der zweite Wall-of-Voodoo-Sänger Andy Prieboy vorgemacht, auch wenn seine beiden Soloalben Upon My Wicked Son und Sins of Our Fathers zu den weltweit zwei bis fünf besten Alben gehören, die man für Geld kaufen kann. Er tingelte viele Jahre vorwiegend durch die USA mit seinem Musical White Trash Wins Lotto, der Geschichte von Axl Rose bzw. „jemanden wie Axl Rose“ (Anwalt). Prieboy, einer der weltweit besten ein bis drei Liedermacher, hat sich heute in seinem Malibu Ghraib Studio eingeigelt und legt hin und wieder auf seiner Website ein Ei.

Dort findet sich auch eine Version des Songs ‚Shine‘, auf der Stan Ridgway die Mundharmonika bläst. Der Umstand klingt erstmal nicht ungewöhnlich, wo die beiden doch in derselben Band gewesen waren. Ist aber doch ungewöhnlich, weil selbstredend keine vernünftige Band mehr als einen Sänger braucht. Ridgway und Prieboy sind sich zu Voodoo-Zeiten nie begegnet, der eine hatte den anderen abgelöst. Dann gab es ca. 2006, lange nachdem die letzte Wall-of-Voodoo-Besetzung sich unter Alkoholeinfluss und ohne ordentliche Auflösung schlicht aus den Augen verloren hatte (Prieboys Darstellung), ein Foto, das Fans der Band augenblicklich die Pupillen hochdrehen und in Zungen sprechen ließ. Uneingeweihte sahen darauf nur zwei grau melierte Herren beim Sonntagsspaziergang und zuckten mit den Schultern, aber ich und die beiden anderen Wall-of-Voodoo-Historiker wussten: Das sind Andy Prieboy und Stan Ridgway auf demselben Foto!

Scheibenkleister, ich wollte es hier zeigen, aber ich kann es ums Verrecken nicht wiederfinden. Weder zuhause noch im Internet. Es ist, als hätte es nie existiert. Aber ich habe es gesehen, damals! Ich habe es Bekannten gezeigt, und sie haben mit den Schultern gezuckt, so als würden sie nicht begreifen, dass das das coolste Foto der Nullerjahre ist. Ist es aber. Wo immer es sein mag.

Die Geschichte hinter dem Foto war weniger schön als seine schlichte Existenz. Ridgway ging damals Klinkenputzen für eine Wall-of-Voodoo-Wiedervereinigung, die dann kurzzeitig im Vorprogramm von Cindy Lauper (lebt) stattgefunden hat, obwohl kaum einer mitgemacht hat (neben Marc Moreland war auch Trommler Joe Nanini schon tot, und Marcs notorisch ungesunder Bassisten-Bruder Bruce Moreland war so zerstritten mit Ridgway, dass er gar nicht erst gefragt wurde). Genau so gut hätte Billy Corgan sich Smashing Pumpkins nennen können. Oder Andrew Eldritch sich Sisters of Mercy. Oder David Bowie sich Tin Machine. Oder Lou Reed sich Lou Reed.

Schwamm drüber, wir alle haben mal klamme Tage. Das neue Ridgway-Album wird bestimmt toll, die neuen Prieboy-Songs sind es schon.

Und damit wären wir zurück im Reich der Lebenden und verabschieden uns – nur für heute – mit dem schönsten Reim Rowland S. Howards:

You’re good for me like coca-cola
I don’t get any younger, you don’t get any older

Gut, klingt von ihm gesungen besser als von mir getippt. Müssen Sie unbedingt hören, solange Ihnen Zeit bleibt.

Boys! Boys! Boys!

Vor ein paar Jahren unternahm ich eine Bildungsreise durch die Biermuseen Japans. Wie es sich gehört, kaufte ich dabei in den Museumsandenkenläden mehrere Postkartensets mit nostalgischen Motiven aus der Bierplakatreklame. Auf den meisten Karten war ein Bier in einer Flasche oder einem Glas und ein Mensch abgebildet, mal ein Mann, mal eine Frau. Lebenserfahrung zeigt, dass Frauen und Bier immer eine gute Kombination sind, während Männer und Bier schnell langweilig wird. Zu Hause also wanderten die Karten mit Frau/Bier-Abbildungen an die Wand, die Männer-Postkarten in eine ‚Zeug-das-ich-später-mal-wegschmeiße‘-Schublade, in der noch Platz war. Ich nahm mir allerdings fest vor, die Männerpostkarten vielleicht einmal als Lesezeichen zu verwenden, damit sie sich nicht ganz so nutzlos vorkommen, wie sie sind.

Leider eignen sich Postkarten in Größe und Konsistenz selten als Lesezeichen. Man braucht schon ein Buch, das was aushält. Wie zum Beispiel Role Models, John Waters‘ jüngst erschienenes, längst überfälliges Newsupdate zum War on Taste. Zur Markierung meines Lesefortschritts wählte ich durch Zufall diese Postkarte:

Ein Motiv, das bei der ersten Begutachtung überhaupt nicht zu mir gesprochen hatte. Was sagt dieses Bild? Dicke Männer trinken gerne Bier. Was für ein Unsinn! Ich schaue auch Werbung, daher weiß ich, dass nur gut gebaute, charismatische Haudegen gerne Bier trinken. Männer wie du und ich.

Nun war es in letzter Zeit sehr heiß, da liest man nur in kurzen Schüben. Ständig ging die Karte rein und raus, und je öfter ich sie dabei betrachtete, desto mehr freundete ich mich mit ihr an. Eigentlich sieht der Typ doch ganz sympathisch aus. Zu viel Lippenstift hin oder her, sein Lächeln wirkt aufrichtig und einladend. Seine Frisur und sein Schnauzer mögen für sich etwas komisch aussehen, aber sie passen gut zur Gesamterscheinung. Und so dick ist er auch wieder nicht, genau betrachtet.

Das Bild kommuniziert freilich nicht nur, dass der gar-nicht-so-dicke Mann gerne Bier trinkt, sondern auch mit Erfolg Golf spielt, die schönste Sportart der Welt. Sturzlangweilig anzuschauen und modisch völlig inakzeptabel (wie allerdings jede Sportart außer Eiskunstlauf), in der Ausübung aber ein Fest für Körper, Geist und Seele. Zu dumm (und komplett unverständlich), dass ausschließlich Schwachköpfe Golf spielen, sonst wäre ich sofort dabei. Vielleicht könnte man die Gebühren und Ausrüstung teurer machen, damit nicht mehr jeder Hans und Franz auf den Platz kommt.

Der Mann auf der Postkarte ist bestimmt kein Schwachkopf, das spüre ich. Das schönste Detail des Bildes ist rechts unten: Da steht noch ein Bier auf dem Tisch. Es lädt ein, sich zu dem Mann zu setzen, und mit ihm auf seinen frisch gewonnenen Pokal anzustoßen. Eine Bierwerbung kann ein Freund sein, und diese ist mir einer geworden. Ich habe Mr. Waters‘ Buch längst ausgelesen und verwende ein Lesezeichen niemals für mehr als ein Buch (ein nervöser Tick), aber diese Postkarte ist mir dennoch zum ständigen Begleiter geworden. Sie liegt auf meinem heimischen Schreibtisch, wenn ich daheim bin. Gehe ich aufs Amt, packe ich die Karte so selbstverständlich ein wie das Butterbrot und lege sie auch dort auf meinen Schreibtisch.

All die Jahre wurde mir nachgesagt, in erster Linie von mir selbst, ich hätte eine Schwäche für japanische Frauen. Aber jetzt weiß ich, ich habe mir und der Welt nur etwas vorgemacht, eine Lüge gelebt, ein richtiges Leben im falschen versucht, was es bekanntlich nicht geben kann. Ich muss feststellen: Ich habe in Wirklichkeit eine Schwäche für japanische Männer. Zumindest für die aus der Bierwerbung.

Verblüffend ist die Erkenntnis nicht. Schließlich berichtete schon der neunundneunzigmalkluge Jeffrey Eugenides in seinem 2002er Saisonbestseller Middlesex davon, dass der Hang zu asiatischen Frauen beim Manne nur das Vorzeichen einer noch nicht diagnostizierten Homosexualität sei, weil diese Asiatinnen ja alle so knabenhafte Körper haben. Haben Sie das gewusst, liebe asiatische Ehefrauen? Erstens, Sie sehen gar nicht aus wie Frauen. Zweitens, Ihr Mann ist schwul. Ich hatte das vorher auch nicht gewusst. Ich hatte ja noch nicht mal gewusst, dass Knabenliebe und Homosexualität jetzt doch dasselbe ist. Ich hatte angenommen, die Theorie gälte als überholt, seit Menschen in weiten Teilen der Welt nicht mehr öffentlich verbrannt werden, wenn sie sagen, dass sich vielleicht die Erde um die Sonne dreht. Aber ich muss mich geirrt haben, Dr. Eugenides wird es schon wissen. Keine Ahnung, ob er einen Doktortitel hat, aber bestimmt, soviel wie er weiß.

Ich jedenfalls habe sofort gesucht, ob ich noch mehr der einst verschmähten Männerpostkarten wiederfinde. Leider fand ich nur eine, die hier:

Auch eine sympathische Type, ein Lebemann, der weiß, was das Leben lebenswert macht.

Aber wo schaut der denn da hin?!

Andererseits, ich kann ihn verstehen, wenn ich sie mir so ansehe, mit ihren knabenhaften Körpern und rauen, männlichen Posen …

Aber nein, ich darf mich da nicht reinsteigern. Das wäre ein Rückschritt in meiner menschlichen und männlichen Entwicklung. Ich war doch schon weiter. Ich bin so verwirrt, weiß nicht mehr, wo ich hingehöre. Schuld ist die Werbung. Und Jeffrey Eugenides. Und Ayako Imoto.

Die Nachrichten: Das Manifest

Ich hatte die Güte und die Ehre zwei neue DVDs für Das Manifest zu besprechen. Darauf zu sehen waren der thailändische Agentinnenfilm Final Target (ich rate dringend ab) und die südkoreanische Romkom My Sassy Girl (ich rate halbherzig zu).

Update 12. 8. 2010

Ich pack das mal noch hier mit rein: Für The Sniper, Porno-Edes vorerst letzten Film, habe ich auch ein Gutachten geschrieben.

Knack und Baku

Seit Jahren fragt man mich entgeistert: „Wie können Sie nachts überhaupt noch schlafen?!“ Man ist besorgt um mich, weil ich nicht von den Gruselfilmen lassen mag. Meine Antwort war lange Zeit jugendlich unbekümmert: „Och, ich baller mir einfach jeden Abend sowas von die Birne zu, dass ich eh nichts mehr mitkrieg.“

Jetzt sind aber Alkoholkranke nur solange total süß, wie sie klein sind. Da hauen sie mit lässig fahrigen Gesten, sexy Nuscheln, keckem Grinsen und funkelnden Augen ein Bonmot nach dem anderen raus, vor allem in ihrer eigenen Vorstellung, und es ist drollig, ihnen dabei zuzusehen. Wenn sie aber groß werden, haben sie nur noch schlechte Haut und fahlen Blick, man wendet sich lieber ab. Von Jennifer Jason Leigh als Dorothy Parker zu dem einsamen Typen mit der Knollennase, den man hin und wieder an der Tanke trifft, ist es ein sehr kurzer Weg.

Wie gut, dass ich nicht mehr so viel trinken muss, ich habe ja jetzt Baku (Abbildung oben). Nur eines aus Stoff, aber es wirkt. Ich bekam es neulich in Tokio von einer guten Seele anlässlich eines vorläufigen Abschieds geschenkt. Es handelt sich beim Baku um ein mythisches Wesen der chinesischen und japanischen Folklore, das böse Träume frisst. Es wird oft in der Form eines Tapirs dargestellt. So eins hab ich. Was ein Tapir frisst, weiß ich nicht. Steht aber bestimmt auf Wikipedia.

Das Baku ist mein neues Krafttier, seit mein Wellensittich den Löffel abgegeben und ins Gras gebissen hat. Es wohnt tief in meiner inneren Höhle. Wenn es dort zu dunkel wird, geht das große Fressen los, und ich kann wieder was sehen.

Auch eine Lösung: Einfach nur Filme schauen, von denen man böse Träume gar nicht erst bekommt, sondern nur wunderschöne. Die Filme des Regisseurs Satoshi Miki sind da eine sichere Bank. Gerade reinbekommen: Instant Swamp.

Läuft schon länger in meiner Höhle, aber das ist ja keine Schande: Turtles Are Surprisingly Fast Swimmers. Wer diesen Film schaut, muss sich leider drauf einstellen, dass er lebenslänglich nicht mehr um eine Ecke oder in einen Schrank schauen kann, ohne „Hwä Hwä Hwä Hwä Hwäää“ zu machen. Das geht nicht wieder weg. Ist es aber wert.

Ich leg mich wieder hin.