Klingt vielleicht komisch, aber ich habe mal in offiziellem Auftrag ein Konzept für einen TV-Mehrteiler über das Leben von Diego Maradona erarbeitet. Auftraggeber war ein Sportsender, der sein Kompetenzgebiet um fiktionale Formate erweitern wollte, damit in den kalten und ereignisarmen Monaten nicht immer die Abonnenten weglaufen. Ich hatte damals wie heute kein Interesse an Herrenfußball und wusste über Maradona nur: erst Fußball, dann dick.
Selbstverständlich nahm ich den Auftrag an, denn die allerwichtigste Regel beim Schreiben lautet: Sag immer ja. Bedingungslose Verfügbarkeit ist die halbe Miete, nahezu buchstäblich. Ich las mich durch Maradonas Leben und hatte bald ein differenzierteres Bild des Menschen, der mir vorher kaum mehr als eine tragische Witzfigur gewesen war. Dennoch: Seinem sportlichen und menschlichen Werdegang einen positiven Dreh abzugewinnen, wie es der Wunsch des Auftraggebers war, ohne allzu dreist lügen zu müssen (wie es ebenfalls dem Wunsch des Auftraggebers entsprach), war eine Herausforderung. Ebenso in seinem Leben und seiner Karriere Höhe- und Tiefpunkte zu identifizieren, die sich für eine episodische Erzählweise anboten. (Ich bin ganz entschieden nicht der einfältig-modernen Auffassung, dass Fernsehserien nichts anderes seien als überlange Filme mit kurzen Unterbrechungen). Für ein paar sehr intensive Tage und Nächte (so etwas muss ja am besten immer schon vorgestern fertig sein) war ich Maradona. Ich war noch nie zuvor Maradona gewesen, und dieses Arbeiten außerhalb aller meiner Wohlfühlbereiche war belebend, beängstigend und bereichernd. Die Serie ist natürlich – wie die meisten Serien – nicht zustande gekommen, doch der Sender war recht angetan und gab mir gleich den nächsten Auftrag. Dieselbe Chose mit einem Boxer, über den ich nicht viel mehr wusste als: erst boxen, dann beißen. Da war der positive Dreh noch ein wenig schwieriger zu finden, und ich wuchs noch ein bisschen mehr als Autor und Sportexperte. (Außerdem war es eine gute Gelegenheit, endlich meine Boxfilmwissenslücken zu schließen, und ich muss sagen: Ich verstehe nicht, was die Leute an Creed finden. „Armer Bubi boxt sich hoch“ ist eine Geschichte. „Reicher Bubi boxt sich runter“ ist keine. Zumindest keine, bei der ich mir auf den Knien vor dem Bildschirm alle Fingernägel abkaue.) Ungefähr zur gleichen Zeit arbeitete ich an einem größeren Projekt, von dem ich dachte, dass es mehr auf meiner Wellenlänge läge: eine Manga-Verfilmung über Killer-Cyborgs aus der Zukunft. Ganz meine Welt, meinte ich, schreibe ich mit links im Schlaf. Das Ergebnis kam allerdings nicht so gut an. Irgendwie flach, schleppend, unfokussiert, fand man. Es soll sogar gemurmelt worden sein, man könne sich gar nicht vorstellen, dass das dieselbe Type hingeschludert hatte, von der auch diese brillante Maradona-Geschichte war. Merke: Manchmal findet man seine Talente in genau den Ecken, in denen man ohne Überwindung gar nicht nachgeschaut hätte. Und so war mein erster Gedanke, als ich heute Morgen vom Tode Maradonas erfuhr: Ach, schade. Mein zweiter war natürlich, ob man nicht jetzt noch einmal über diese Serie verhandeln sollte. Das Leben geht schließlich weiter.Billy Idolish singt japanisch und Papa wird Illustrator: Gesprächsfetzen ohne Zusammenhang
Ich unterhalte mich gerne mit meiner Frau beim Fernsehen, sie hat oft interessante Schnurren zu teilen. Einmal, es ist schon her, sahen wir einen vielfach preisgekrönten Film eines vielfach preisgekrönten Regisseurs. Als eine vielfach preisgekrönte Schauspielerin auftrat, rief meine Frau hocherfreut: „Die kenne ich, die hat mal Pornofilme gemacht. Meine Mutter ist gut mit ihr befreundet. Ich habe früher oft mit der Tochter gespielt, wenn sie auf der Arbeit war.“ Da hatte ich gleich wieder ein gutes Thema für den nächsten Besuch bei Schwiegereltern.
Nicht ganz so spektakulär die Enthüllung von neulich. Wir saßen im Homeoffice und schauten Frühstücksfernsehen, als dort Aki Yashiro auftrat, ein Urgestein der Enka-Szene, also der japanischen Schlagervolksmusik. Sie ist 70, sieht aber aus wie gestraffte 50 (Abb. unten nicht aktuell).- Gänsehaut-Garantie im Wohlfühlbereich
- Wenn Influencer suboptimal abholen
- Ich glaub, mein Storyteller kuratiert
- Shitstorm in der Komfortzone
Making of Kawaii Mania: Gegendarstellung
Glücklicherweise fehlt mir momentan die Zeit, die Making-of-Kawaii-Mania-Serie fortzuführen (das heißt nicht, dass sie nie fortgeführt werden würde). Allerdings habe ich gerade eine wichtige Information hereinbekommen, die nicht warten kann.
Mit ernstem Gesicht und Ton nahm mich meine fünfjährige Tochter heute beiseite: „Papa, ich habe mir noch einmal Kawaii Mania angesehen.“ „Das freut mich, Hana.“ „Da ist der Popo-Detektiv drin.“ „Ja, ich weiß. Vielen Dank, den hätte ich ohne dich gar nicht gekannt.“ „Aber der Popo-Detektiv ist nicht niedlich.“ „Nein?“ „Nein.“ Ende des Gesprächs.Making of Kawaii Mania, Folge 2: Kuchen und Kartoffelsalat am laufenden Band
Ich muss gestehen: Ich kenne mich mit Kuchen nicht aus. Meine japanische Frau kennt mehr deutsche Kuchenbezeichnungen als ich. Wie jeder normale Mensch fotografiere ich zwar gerne Süßspeisen, aber mein Appetit in dieser Richtung hält sich in Grenzen.
Da ich kein Mitglied der internationalen Kuchenliebhaberszene bin, war es mir vor meinem Besuch des Maison Able Café Ron Ron in Harajuku nicht bewusst, dass es sich bei dem Lokal nicht etwa um einen Geheimtipp handelte, sondern um einen wohl recht bekannten Pilgerort. Als ich dort gegen 11 Uhr vormittags eintraf, wurde mir gesagt, das Café und die Warteliste seien fürs Erste voll. Ich bekam ein Ticket, das mich berechtigte, mich in zwei Stunden vor dem Eingang in die Schlange zu stellen. Toll, dachte ich, dann kann ich ja vorher noch ordentlich Mittag essen (siehe Folge 1). Genau das war natürlich mein Fehler. Ins Maison Able Café Ron Ron geht man nicht mal eben so nach dem Essen. Ins Maison Able Café Ron Ron geht man, um aus deren Kuchen-Flatrate das bestmögliche Preis-Leistungs-Verhältnis herauszuholen. Männer zahlen im Fließband-Kuchenparadies mehr als Frauen. Als ich das im Vorfeld meiner Frau erzählt hatte, meinte die, dass das den armen, benachteiligten Männern gegenüber ungerecht sei. Iwo, sagte ich, das ginge schon in Ordnung. Schließlich können Männer mehr essen als Frauen. Ich lernte: Generell vielleicht ja. Aber nicht Kuchen. Ich weiß nicht mehr, wie viele der kleinen Dinger ich geschafft habe. Es waren auf jeden Fall weniger als die, die die spindeldürren Mütter und kleinen Kinder, mit denen ich als einziger Mann die Tafel teilte, geschafft haben. Hier bin ich, wie man sieht, beim sechsten:Making of Kawaii Mania, Folge 1: Harajuku
Gerne erinnere ich mich dieser Tage an die total 2019-mäßigen Probleme, die ich im letzten Sommer hatte: Ich konnte einfach keine anständigen Bilder für mein damals im Entstehen begriffenes Buch Kawaii Mania bekommen. Unanständige hätten es auch getan, aber selbst das war schwierig. Offizielle Pressevertreter relevanter Unternehmen konfrontierten mich mit langwierigen Verfahren, komplizierten Antragsformularen, furchteinflößenden Knebelverträgen oder der guten, alten kalten Schulter. Also löste ich das Problem auf total 2019-mäßige Weise: Ich verließ das Haus, stürzte mich ins soziale Gewimmel und knipste selbst. Gleich am ersten Tag ging mir dabei die Kamera kaputt, also machte ich es wie normale Menschen: Ich nahm das Mobiltelefon. Viele der Fotos kamen tatsächlich ins Buch. Etliche nicht. Eine kleine Auswahl der letzteren möchte ich in dieser Serie teilen.
Heute geht es erst mal ins Teenager- und Touristenviertel Harajuku, dort selbstverständlich in die Takeshita Dori.Verliebt in einen Highlander 2: The Quickening
Filme aus den 80ern sind leider nie so herrlich, wie man sie gerne hätte, außer Highlander II: The Quickening. Ich weiß das, weil ich ihn gesehen habe, und zwar gestern Abend zum ersten Mal (bestimmt nicht zum letzten). Bevor jemand was sagt: Ja, der Film kam 1991 heraus. Kulturell sind Jahrzehnte allerdings nicht so trennscharf wie kalendarisch. Highlander II dürfte derweil nicht nur mental, sondern sogar kalendarisch ein 80er-Jahre-Film sein. Wahrscheinlich wurde er 1990 gedreht, dem zehnten Jahr der 80er (nicht dem nullten Jahr der 90er; so etwas gibt es gar nicht). Ich fand ihn gestern beim Scrollen (die Boomer sagen: Zappen), wollte nur vorm Schlafengehen kurz reinschauen, war von der ersten Kamerafahrt an angetan und blieb bis zum Schluss. Eine langweilige Minute erlebte ich währenddessen nicht.
Dass es mit uns so lange gedauert hat, hatte nichts mit empörter Fanpersonenwüterei meinerseits zu tun. Ein bewusster Boykott fand nie statt. Ich hatte seinerzeit lediglich gedacht: Das sieht irgendwie nicht ganz so gut aus, ich gucke es mir vielleicht später an. Und dann sind es halt knapp 30 Jahre geworden. Irgendwas ist immer.Natürlich hatte man zunächst gar nicht so schrecklich viel gesehen vom Film, bevor man den Film an sich sehen konnte. Wir hatten ja kein YouTube, damals, wir hatten nur Wetten dass…?. Das schaltete man ein, wenn man Ausschnitte brandaktueller Kinofilme sehen wollte. Schauspieler (also Christopher Lambert) setzten sich aufs Sofa und taten oscarreif so, als hätten sie gerade eben mal wieder in einem schwindelverursachenden cineastischen Meisterwerk mitgespielt, auf das sie stolz wie auf keines zuvor waren. Dann kam irgendein Ausschnitt, vermutlich der mit den fliegenden Skateboards, und anschließend versuchte irgendjemand irgendetwas am Geruch zu erkennen und der Beginn des Sportstudios verzögerte sich um eine Stunde oder zwei. Hatten sich der Lambert und der Tommy wieder verquatscht.
Die fliegenden Skateboards wurden schnell zu einem Sinnbild für die Sinnlosigkeit des Films. Rückblickend erschließt sich gar nicht mehr warum. Sind doch cool, die fliegenden Skateboards. Highlander II bietet wahrlich berechtigtere Ansätze zur Kritik, aber wer will schon Erbsen zählen, nach all den Jahren. Zunächst einmal ist es ein verdammt gutaussehender Bengel von einem Film. Bereits beim Anfang in der Oper dachte ich: Ein so schöner Film kann gar nicht so schlecht sein, wie alle sagen. Machen wir uns nichts vor; Optik ist bei Filmen schon die halbe Miete. Und optisch wird hier alles aufgefahren, was es in den 80ern gab: Halb offene Jalousien (oder halb geschlossene; je nachdem, ob man der Halb-offene- oder Halb-geschlossene-Jalousien-Typ ist), lasziv rotierende Ventilatoren, und dahinter jeweils blauweißes Gegenlicht mit ein bisschen Nebel. Man meint, jederzeit könnte Kim Basinger vorbeikommen, sich ‘nen Hut aufsetzen und es wunderbar finden (noch so ein Film, bei dem mir seit Jahrzehnten immer wieder was dazwischenkommt). Nachdem ich eine Nacht drüber geschlafen habe, ist meine Liebe noch so stark wie gestern Abend; die Handlung allerdings bekomme ich nicht mehr ganz zusammen. Irgendwas mit Ozonschicht, und Michael Ironside ist böse (Schock!). Connor MacLeod ist zuerst alt und dann jung, weil nur junge Menschen die Welt retten können. Sean Connery hat schnell den Kopf wieder rangemacht und ist auch dabei. Immer wenn er auftritt, gibt es Dudelsackmusik, obwohl er im Film doch einen Ägypter spielt. Kleine Patzer kommen halt selbst in den besten Filmen vor. Ich bin übrigens der festen Überzeugung, dass Richard Lewis seine Rolle als Richard Lewis in der Sitcom Curb Your Enthusiasm an Christopher Lamberts Verkörperung des alten Connor MacLeod in Highlander II angelehnt hat. Ich habe leider kein Bild des alten Connor MacLeod zur Hand, aber eines von Richard Lewis immer im Portemonnaie:Neben seinen vielen anderen Qualitäten ist Highlander II auch noch angenehm brutal. Sowas wird heutzutage gar nicht mehr gemacht, zumindest nicht im Wetten-dass-Mainstream. Die Einschätzung, Filme würden immer brutaler, muss auf eine Wahrnehmungsstörung zurückgehen. Vermutlich verwechselt man da was mit Fernsehen. Oder es liegt an diesem neumodischen Dolby-Atmos-Mist. Als wir uns neulich Die Eiskönigin 2 (ohne ‘Quickening‘) im Kino ansahen, musste ich meiner Tochter ungefähr zehn Minuten lang die Ohren zuhalten, bis sie sich einigermaßen an den unsäglichen Krach gewöhnt hatte. Darüber möchte ich mich nicht beschweren; mache ich gerne für meine Tochter. Ich möchte mich allerdings darüber beschweren, dass mir keiner die Ohren zugehalten hat.
Hinterher bat ich meine Tochter, mir kurz die Handlung des Films zusammenzufassen, weil ich sprachlich nicht immer ganz mitgekommen bin. Sie sagte: „Elsa hat die Haare offen und reitet ein cooles Pferd.“ Und so sollten wir auch Highlander II rezipieren: Connor hat die Haare offen und fliegt ein cooles Skateboard. Mir langt das.(Serviceteil: Ich habe diesen Film über die Streaming-Plattform Tubi gesehen, über die ich eines Tages beinahe zufällig gestolpert war. Seitdem hat sie mein Leben sehr bereichert. Ich kann gar nicht glauben, dass Tubi nicht bekannter ist, als es ist. Falls sich jemand fragt, wo all die chinesischen Kung-Fu-Filme der 70er, italienischen Endzeit-Barbarenfilme der 80er und amerikanischen Horrorvideopremieren der 90er hin sind: Sie sind auf Tubi, oft in erstaunlicher So-und-so-viel-K-Restaurierungsqualität. Netflix ist das reinste Ödland dagegen. Und was kostet der Spaß, möchten Sie wissen? Null Mark und null Pfennig! Hin und wieder kommt Reklame, aber nicht allzu oft. Während Highlander II sah ich nur zwei Spots (Wick Medinait und irgendwas mit Obama). Gegebenenfalls muss man zum Empfang etwas an der eigenen Standortbestimmung rütteln. Aber wenn ich das schaffe, schafft das jeder.)
Wundertüten gibt es immer wieder
Letztes Jahr (gucken Sie hier) spazierte ich am dritten von eigentlich nur zwei Verkaufstagen in die internationale Kinokuniya-Buchhandlung in Shinjuku und hatte noch freie Auswahl zwischen mehreren Variationen der beliebten Neujahrswundertüten, in denen japanische Händler traditionsgemäß zum Jahresauftakt Überraschungssonderangebote zu Schleuderpreisen raushauen. Mein Anfängerglück nicht als solches erkennend, meinte ich, die Gerüchte um die Begehrtheit dieser Tüten seien stark übertrieben.
Also ahnte ich nichts Böses, als ich in diesem Jahr am Nachmittag des Erstverkaufstages mit betonter Lässigkeit ins Geschäft schlenderte. Diesmal wollte ich mehr als eine Tüte. Zwar habe ich von den Büchern aus der von vor einem Jahr bislang nur eines gelesen, aber darauf kommt es ja nun wirklich nicht an. Leider wird nur ein Beutel pro Nase ausgegeben. Deshalb hatte ich meiner Frau 2020 Yen zugesteckt und sie instruiert, sich ganz normal zu verhalten. Im Nullkommanichts würden wir den Laden mit zwei sogenannten Lucky Bags verlassen haben, und niemand müsse je erfahren, dass beide für mich bestimmt sind. Doch, Schockschwerenot, auf dem Wundertütentisch standen nur noch die Ausverkauft-Schilder. Auf Anfrage versicherte man uns, dass es am nächsten Tag eine weitere Chance gäbe, wir uns allerdings gefälligst recht früh, also vor Ladenöffnung, vor dem Haupteingang im Erdgeschoss einfinden sollten, so uns die Sache wichtig wäre. Abkürzungen über andere Zugänge seien nicht erlaubt. Wir fügten uns. Als wir um zehn vor zehn ankamen, warteten bereits ungefähr 20 andere auf ihr Glück.Die McDonald’s-Schläferin und die totgeschlagene Fliege: Zwei Urlaubs-Zen-Momente ohne Abbildungen
Weil wir dem Kinde vor der Bahnfahrt in den Urlaub etwas ganz Besonderes bieten wollten, kehrten wir zum Frühstück in ein McDonald’s-Schnellrestaurant ein. Japan ist zwar ein McDonald’s-Land, aber kein Frühstücksland, so war die Filiale am Bahnhof Meguro am frühen Sonntagmorgen nur mäßig gefüllt. Bei der Platzwahl entschieden wir uns für eine Ecke einer langen Tafel im zweiten von drei großzügig bemessenen Stockwerken. An der Tafelecke schräg gegenüber von unserer saßen zwei Frauen im besten Alter, also ungefähr in meinem. Sie mögen Freundinnen gewesen sein, denn ihr Ton und ihre Haltung sprachen von einer gewissen Vertrautheit miteinander. Eine trug eine schwarze Lederjacke mit vielen kleinen Reißverschlüssen, die andere etwas Altersangemesseneres. Wovon sie sprachen, war nicht zu verstehen, denn sie unterhielten sich in angenehmer japanischer Zimmerlautstärke. Vielleicht versuchten auch sie, wie zuvor ergebnislos wir, den Unterschied zwischen Hotcakes und Pancakes zu erörtern. Der Mann an der Kasse hatte uns auf Anfrage mitgeteilt, dass es einen gäbe. Diese Frage allein schien ihn allerdings bereits derart aufgewühlt zu haben, dass wir das Thema nicht noch vertiefen wollten.
Als die Freundinnen an unserer Tafel ihre Hotcakes oder Pancakes verspeist hatten, beendeten sie ihr Gespräch, blieben aber noch sitzen. Die in der Lederjacke holte ein Handtuch aus ihrer Handtasche hervor, das sie vor sich auf der Tischplatte sorgsam mehrfach faltete. Am Ende des Faltvorgangs prüfte sie die Weichheit der Konstruktion mit dem Finger. Nicht ganz zufrieden mit dem Ergebnis nahm sie ihren Schal vom Hals, faltete ihn in gleicher Manier und legte ihn auf das Tuch. Dann bettete sie ihr Haupt zum Schlafe, und zwar mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie sich das ganze Wochenende auf diesen Moment gefreut. Ihre Begleitung nahm einen Stapel Formulare und eine Handvoll verschiedenfarbiger Stifte aus ihrer Tasche und machte sich in aller Seelenruhe ans Ausfüllen der Papiere. Meine Frau spürte meine Verzückung und sagte: „Mach bitte kein Foto.“ Außerdem sagte sie: „Wenn du etwas über die japanische Kultur erfahren möchtest, gibt es wirklich keinen besseren Ort als McDonald’s. Hier kommt jeder hin, vom Baby bis zum Opa.“ Da sagte sie was. Genau diesen Eindruck hatte ich bereits bei meinem allerersten Aufenthalt in Japan 1999 gehabt, als ich aufgrund gewisser Unsicherheiten weit mehr Mahlzeiten in solchen Lokalen zu mir nahm, als ich jemals öffentlich zugegeben habe. Es zwanzig Jahre später von einer Einheimischen bestätigt zu bekommen, schließt einen Kreis und eine alte Wunde. Eine Zugfahrt später hatten wir schon wieder Hunger. Weil wir außerdem einen dringenden Termin im Spaßbad hatten, entschieden wir uns für das erstbeste rustikale Nudelsuppenlokal am Bahnhof Hakone-Yumoto. Bald summte eine Fliege über unserem Tisch, was Frau und Kind zu energischem, anhaltenden Fuchteln veranlasste. Schließlich sprach ich ein Machtwort: „Familie, dieses Gewedel stört mehr als das Tier. Akzeptiert einfach, dass die Fliege hier ist. Sie ist so authentisch wie das Lokal.“ Das überzeugte niemanden, zumindest nicht komplett. Immerhin wurde mir zuliebe ein kleines bisschen weniger gefuchtelt. Nach einer Weile trat die schon etwas betagte Bedienung wortlos an unseren Tisch, klatschte in die Hände und entfernte sich wieder, weiterhin wortlos, mit der nun toten Fliege. Nach Entsorgung des Leichnams ging das Muttchen zu unserem Nachbartisch und vermeldete: „Ist erledigt.“ Der Nachbartisch hatte sich offenbar beschwert. Ob über die Fliege oder über das Gefuchtel, weiß ich nicht. Ich habe aber meine Vermutung, und meine Frau hat ihre.Ich bin der Fernsehflorist
Hätte mein Blog zwei Leser, könnte ich mir folgendes Gespräch vorstellen:
Leser 1: „Schon gesehen, Leser 2? Auf Shakira Kurosawa gibt es einen neuen Beitrag.“ Leser 2: „Echt jetzt, Leser 1? Na, meine Neugier hält sich in Grenzen. Ist wahrscheinlich wieder nur so ein apologetisches Geflenne, warum der Typ so selten in seinen Blog schreibt. Hat zu viel zu tun, blabla, schließlich erscheint sein neues Buch Kawaii Mania bald für 19 Euro 95 im Conbook Verlag, blabla, und im Frühjahr kommt schon wieder was, blablabla …“ „Hm, tja, ein bisschen so ist der Beitrag durchaus. Aber gleichzeitig vieles mehr. Eine Geschichte von Liebe und Verrat, von Rache und Drachen, Würfelspielen und Schwertkämpfen, waghalsigen Fluchten und dramatischen Konfrontationen, verloren Söhnen, schönen Prinzessinnen, gefährlichen Piraten und einem Mann mit sechs Fingern.“ „Ach, der Ärmste. Jeweils drei Finger rechts und links? Oder vier und zwei? Oder …“ „Nein, nein. Ich hätte es anders formulieren sollen. Sechs Finger an einer Hand, die andere ganz normal, also fünf.“ „Gibt es in dem Beitrag wirklich einen elffingerigen Mann?“ „Ehrlich gesagt nein.“ „Und die anderen Sachen auch nicht, oder?“ „Nein, da muss die Euphorie mit mir durchgegangen sein.“ „Ich werd’s wohl trotzdem lesen.“ „Gleich nach der Reklameeinblendung geht’s los.“Lesebändchen gegen Nazis
Als ich Ende letzten Jahres kurz in Deutschland weilte, um dem dortigen Buchhandel ein segenreiches Q4 zu bescheren, erschrak ich über mich selbst. Und zwar als ich feststellte, dass es mir beim Bücherkauf offenbar ein Kriterium geworden war, ob ein Buch ein Lesebändchen hatte oder nicht. Dabei mokiere ich mich seit Jahren über die Sammellämmer im Filmbereich, denen Inhalte längst egal geworden sind, solange sie nur in limitierten und nummerierten Blechboxen geliefert werden. Bin ich etwa genauso ein oberflächlicher Ausstattungsfetischist geworden?