Zwei Schweineartikel, die ich zum Glück nicht geschrieben habe (und weitere Schweinereien)

Selbstverständlich habe ich ein iPig gekauft, Sie ja hoffentlich auch.

Es hat einen guten Klang und ist kleidsam für jeden Raum. Seit Wochen will ich meine Freude mit der Welt teilen, doch fehlen mir die Worte. Zwei halbgare Fragmente warteten Internet-Ewigkeiten im Entwurfslimbo, bis ich mir eingestehen musste, dass ich am Schwein gescheitert bin. Unser Verhältnis bleibt ungetrübt, wir werden weiterhin wunderschöne Stunden miteinander verbringen, das kleine Ferkel und ich, aber wir werden sie für uns behalten. So wie diese beiden Artikel, die nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken werden:

1. verworfener Schweineartikel: 10 Dinge, die man zu seinem iPig sagen kann

Es gibt im Deutschen unglaublich viele Redewendungen und Verbalinjurien um Schweine, Säue und Ferkel, eine lustiger als die andere. Aber wenn man davon wirklich etwas Sinnvolles zu seinem Musikschwein sagen möchte, bleiben mal gerade drei übrig:

  • „Komm raus, du Sau!“ (bei Erhalt der Ware)
  • „Ich glaub, mein Schwein pfeift!“ (bei Bedienungsfehler oder Bobby McFerrin)
  • „Das ist doch Schweinerock!“ (Led Zeppelin u.ä., hab ich aber nicht)

Zugegeben, ich bin schon auf 10 gekommen, aber darunter ist wenig mit direktem Schwein- und Musikbezug, und viel verzweifelt Sinnloses, wie: „Es gibt Schweinelachs!“, oder: „Hic porci cocti ambulant!“ Damit macht man dem Tier nur Angst.

2. verworfener Schweineartikel: Das total süße, schielende Schweinchen (Internet-Kult!) sagt die Oscar-Gewinner voraus

Pustekuchen! Gar nichts hat das Schwein gesagt! Und ich bin in dieser Angelegenheit viel zu leidenschaftslos, um Ihnen hintenrum durchs Schwein eigene Prognosen oder Wünsche unterzujubeln. Das hat das Schwein nicht verdient, und Sie auch nicht. Ich habe keinen Favoriten. Ich werde sogar zum ersten Mal seit Jahren gut gelaunt früh zu Bett gehen anstatt mürrisch aufzubleiben. Nein, es hat nichts damit zu tun, dass der famose offizielle Vorschlag der japanischen Delegation gar nicht erst für den Fremdsprachenoscar nominiert wurde. Oder dass mein Favorit für den Englischoscar, den ich ja gar nicht habe, genau genommen bloß ein Abklatsch eines japanischen Films ist.

Abklatsch ist ja auch nicht mehr schlimm. Kein Schwein muss um sein Amt fürchten, wenn es etwas abklatscht oder abklatschen lässt. Nationaler Skandal ist das nur, wenn es ein minderjähriges Mädchen in einem ausgedachten Roman tut. Wenn es erwachsene Männer in wissenschaftlichen Arbeiten und Lebensläufen tun, zum Beispiel, ist es halb so wild.

Bei diesem hypothetischen Thema fällt mir ein, dass mir vor ein paar Jahren auch einmal das Angebot gemacht wurde, gegen eine Unkostenbeteiligung meinen versäumten Universitätsabschluss nachzumachen ohne etwas zu machen. Für einen geringen Aufpreis und ohne zusätzlichen Arbeitsaufwand meinerseits wäre auch ein Doktor-Upgrade drin gewesen. Ich habe damals davon abgesehen, weil ich dem Sicherheitszertifikat der Website hinsichtlich der Übertragung meiner Kontodaten nicht genügend vertraute, und weil ich fürchtete, es könnte berufliche Konsequenzen haben, wenn die Chose auffliegt. Letzteres war freilich blauäugig.

Sumo spült sich runter, Washlet seit 30 Jahren obenauf

Die Nachrichtenlage in Japan bleibt angespannt: Seit dieser Woche steht fest, dass an Sumo gar nichts mehr gut ist. Dass im fetten Stil betrogen wird, erzählen Täter zwar schon seit rund 40 Jahren, und das „Hey Kids, Mathe ist cool!“-Buch Freakonomics hatte bereits 2005 vorgerechnet, dass Sumo rein rechnerisch ohne Beschiss nicht möglich ist. In Japan gilt etwas aber erst als rechtskräftig, wenn man es auf dem Handy lesen kann. Nachdem nun auf Mobiltelefonen E-Mails gefunden wurden, die belegen, dass Siege und Niederlagen und entsprechende Geldbeträge regelmäßig in aller Seelenruhe vor den Kämpfen verbindlich besprochen wurden, ist die Wut, Trauer und Betroffenheit groß. Ob das Fernsehen Sumo weiterhin zeigen kann, oder ob sowas überhaupt noch stattfinden sollte, wird hitzig diskutiert. Leider kann man nicht mal die nicht integrationswilligen Gastathleten aus dem Ostblock (von Japan aus: Westblock) verantwortlich dafür machen, dass Sumo sich abschafft, obwohl die doch sonst für jeden Skandal rangenommen werden. Die drei bislang eindeutig überführten Mauschler und Drahtzieher sind gebürtige Japaner, zum Beispiel Chiyohakuhō Daiki, der deshalb namentlich genannt wird, weil man von ihm am leichtesten an Bilder kommt.

Ob es über kurz oder lang wirklich so ein dickes Ding ist, wird sich zeigen. Da Sportwetten in Japan ohnehin gegen das Gesetz sind, gibt es gegen Absprachen erst gar keines. Die Empörung ist also rein moralisch, juristisch ist das ganze eine Nullnummer. Gemüter kühlen sich meist schneller, als man gucken kann. Schon jetzt weisen Kommentatoren darauf hin, dass nicht alle Absprachen schnöde monetäre Beweggründe haben, sondern auch als soziales Netz verwendet werden, um alternde und schwächelnde Ringer etwas länger in der privilegierten Sumo-Welt zu halten.

Wie auch immer es ausgeht: Andere japanische Traditionen leben ganz sicher weiter. Das Washlet, diese wunderbare Mischung aus Toilette und Intimspülmaschine, feiert dieser Tage 30. Geburtstag und bleibt eine einzige Erfolgsgeschichte. 70% aller japanischen Haushalte mögen nicht drauf verzichten, allein Erfinderfirma Toho hat weltweit (also asienweit) 30 Millionen Exemplare losgeschlagen. Das Verkaufsargument zur Produkteinführung gilt immer noch: Hände wischt man ja auch nicht nur mit Papier ab, wenn sie schmutzig sind.

Bonus-Nachricht, weil ich Sie nicht ohne Hello-Kitty-Geschichte ins Bett schicken möchte: In Saitama wurde ein 36-jähriger Einbrecher gefasst, weil er Hello-Kitty-Sandalen trug, die per Schuhabdruck einem Tatort zugeordnet werden konnten. Da hatte der Mann aber Glück. Ich habe gesucht und gesucht, aber nie Hello-Kitty-Sandalen in meiner Größe gefunden (tsching-bum).

Die Nachrichten: Jetzt schon an Weihnachten denken

Das nächste Weihnachtsfest kommt bestimmt. Falls Sie immer noch nicht wissen, was Sie Ihren Lieben dann unter den Baum legen, fällt mir etwas ein: Als im Frühjahr letzten Jahres die zweite Auflage meines Buches Gebrauchsanweisung für Japan erschien, kam mir das zeitlich so ungelegen, dass ich gar nicht dazu gekommen bin, an dieser Stelle angemessen damit zu prahlen. Das möchte ich nun gerne anlässlich der dritten Auflage nachholen, die in diesem Monat in die Welt entlassen wird. Das Buch sieht aus wie immer, wurde aber innendrin, wie auch schon in der zweiten Auflage, stellenweise verfeinert. Der Yen wurde aufgewertet, Japan als Wirtschaftsmacht dennoch herabgestuft, die Welt hat jetzt einen Plattenladen und The Brilliant Green ein Mitglied weniger.

Weitere Nachrichten für Sie im Überblick: Beim Manifest gibt es eine neue Filmbesprechung von mir, nämlich Ip Man 2. Kostenlos, aber nicht umsonst. Weitere Trachten Prügel in Vorbereitung.

Aktualisierung 27. 2.

Außerdem aktuell geprüft und bewertet:

Dream Home

King of Thorn

Ong Bak 3

The Resident

Hello Kaninchen

Sie erinnern sich noch an meinen Kaninchen-Kalender, den ich Ihnen neulich gezeigt habe (letzte Abbildung, nach dem Politik-Teil)? Manchmal habe ich eine lange Leitung. Selbstverständlich ist es hochgradig sinnvoll, auf einen Kalender für das Jahr 2011 „Kaninchen“ zu schreiben, meinetwegen auch in crazy kleinschreibung. Es ist schließlich das Jahr des Hasen. Soweit hatte ich gar nicht gedacht.

Wo wir bei niedlichen Tieren sind, muss ich noch schnell die schönsten Erinnerungsfotos meiner kürzlichen Meditationsreise zu den altehrwürdigen Berg-, Wald- und Seenlandschaften in und um Hakone zeigen:

Seilbahn-Begrüßungs-Kitty:

Kunstschnitzerei-Kitty:

Und natürlich Schwarze-Eier-Kitty:

Die schwarzen Eier von Hakone werden eine Stunde in Schwefelquellen gekocht, bis sie schwarz sind und stinken. Schmecken aber ganz normal. Katzen haben am allgegenwärtigen Schwefelgestank nichts auszusetzen. Hauptsache warm, finden sie:

Weihnachten für Profis

Falls es in Ihrer Fernsehzeitung nicht steht: Es ist Weihnachten! Das coolste Fest der Welt! Darum will ich heute gar nicht viele Worte machen, ich bin schon viel zu aufgeregt, es gibt Aal. Nur ein paar besinnliche saisonale Eindrücke aus Tokio, der weihnachtlichsten Stadt der Welt.

Im gediegenen Einkaufs-, Büro-, Gastronomie- und Kulturzentrum Roppongi Hills gibt es einen Weihnachtsmarkt wie bei Muttern im Garten:

Hier hat es alles, was die Weisen aus dem Morgenland dem Jesukindlein an die Krippe brachten:

Im noch gediegeneren Einkaufs-, Büro-, Gastronomie- und Kulturzentrum Tokyo Midtown, also zwei Ecken weiter, wird viel Licht angeknipst, wenn es dunkel ist:

Die blauen Lichter fliegen bisweilen wild durch die Gegend, vielleicht wäre ein Video das bessere Medium, aber so neumodisch bin ich nicht.

Ebisu ist die entspannte Flaniergegend für die Ü30-Flanierer wie Sie und ich, die zu gebrechlich sind für Shibuya und sich mit wechselndem Erfolg einreden, dass sie Shibuya sowieso total doof finden:

Und als der Stern über Betlehem seine Position erreicht hatte, da sang für alle AKB48, die Guinness-geprüft meiste Band der Welt: [Ach, das Video, schon wieder wurde es entfernt. Mir fehlt die Kraft, erneut ein anderes Exemplar zu suchen, nur um es mir dann doch wieder entreißen zu lassen. Ich lasse es jetzt schwarz, als Mahnmal: Kinder, Videopiraterie lohnt sich nicht, man hat nur Ärger.] [Mich laust der Affe, jetzt sehe ich es wieder! Aber ich hab nichts gemacht, ehrlich. Bitte entscheiden Sie fortan selbst, ob das Video da ist oder nicht. Höhere Mächte scheinen im Spiel.]

Und sie brachten mit sich den offiziellen AKB48-Weihnachtskuchen:

Fischstäbchen aus dem Weltall

Männer und Frauen müssen manchmal Kompromisse eingehen. Etwa im Kino, wenn sie partout nicht Paranormal Activity: Tokyo Night sehen mag, und er sich nicht für Knight and Day erwärmen kann. Dann ist beiden am besten gedient mit einem Film, der beide nicht die Bohne interessiert, zum Beispiel Space Battleship Yamato. Eine hoch emotionale Angelegenheit für Millionen von Menschen, denen die zugrundeliegende Zeichentrickserie (int.: Star Blazers) eine wohligwarme Kindheitserinnerung ist. Meine Kino- und Lebensbegleitung und ich gehören nicht zu diesen Menschen, aber die günstige Anfangszeit des Films hat uns restlos überzeugt.

Die Yamato ist ein Raumschiff im Wortsinne, soll heißen, es sieht wirklich aus wie ein Schiff, bloß dass es durchs Weltall schippert. Da ist es nur angemessen, dass der Kapitän aussieht wie ein alter Seebär, gespielt von dem lustigen Alten aus Nokan – Die Kunst des Ausklangs. Der liegt aber die meiste Zeit krank im Bett. Die Rettung der Erde vom Weltraum aus liegt in der Hand eines gut geföhnten jungen Hitzkopfes, der wie jeder Held in jedem japanischen Unterhaltungsfilm von einem Mitglied der Herrenband SMAP gespielt wird.

Jeder erlebt die Magie, die Space Battleship Yamato ist, auf seine eigene Art und Weise. Meine Begleitung berichtete hinterher, der Herr mittleren Alters links neben ihr (nicht zu verwechseln mit mir) habe über weite Strecken des Films hemmungslos geweint. Die beiden Mädchen rechts von mir hingegen mussten nur häufiger mal auf die Toilette. Oder Textnachrichten verschicken, oder was man sonst so in diesem Alter dringend zu zweit tun muss. Ich selbst blieb ungerührt an Ort und Stelle, vor allem auch, weil ich den ewigen Kampf gegen den Schlaf hier und da vorübergehend verlor. Nicht ausschließlich eine Frage des Films, auch eine des Lifestyles. Aber der Film war keine große Hilfe. Auch nicht die Blicke meiner Begleitung, die anzudeuten schienen, dass das alles meine Schuld sei. Dabei war Space Battleship Yamato ungelogen ihr Kompromissvorschlag, den ich lediglich abgenickt hatte.

Weil ich auf dem japanischen Ohr manchmal ein wenig taub bin, fragte sie nach dem Film: „Hast du denn auch alles verstanden?“

Ich sagte: „Also, diesen Film versteht nun wirklich jeder, der schon mal einen Science-Fiction-Film gesehen hat. Auch ganz ohne Ton.“

„A so. Deshalb hab ich ihn vermutlich kein Stück verstanden.“

Nach allem, was man so hört, ist Space Battleship Yamato bzw. Star Blazers vor allem wegen seiner faschistoiden männerbündischen Rituale und klaren militärischen Hierarchien so beliebt. Fans nah und fern seien beruhigt, all das hat den Real-Relaunch überlebt. Auch im modernen Kinofilm gibt es sie, die zackigen Begrüßungen, die schnieken Uniformen und den ekligen Gruppenmief herrlichen Teamgeist. Geändert hat sich allenfalls, dass inzwischen auch die Mädchen richtig mitmachen dürfen, wenn Außerirdische abgeknallt werden. Wenn es um das finale Opfer zum Wohle von Mutter Erde geht, ist das aber doch alleine Männersache, denn die Frauen werden noch zum Gebären gebraucht, sie müssen vor der Selbstmordmission also schnell in Sicherheit gebracht werden.

Wer bei so viel Romantik zum Schluss noch immer keinen Kloß oder sonstwas im Hals hat, der bekommt noch eine heisere Power-Ballade um die Ohren gedonnert, die den Rest erledigt. Ich dachte gleich: Oh je, wieder so eine schäbige J-Rock-Band, die mit abgedroschenen Phrasen in schlecht gereimtem Englisch versucht, wie Aerosmith zu klingen. Hatte ich mich aber geirrt, und ich entschuldige mich in aller Form bei allen schäbigen J-Rock-Bands. Der Song im Film stellte sich als written and performed by Steven Tyler heraus.

Noch besser:

Tokio Dekadenz Dry

Sagt die Frau so: „Möchtest du etwas Bestimmtes sehen, wenn du in Tokio bist?“

Sagt Mann: „Ich habe den Sky Tree noch nie gesehen, das schon jetzt höchste Gebäude der Stadt, obwohl es noch gar nicht fertig ist.“

„Kannst du von meinem Fenster aus sehen. Sonst noch Wünsche?“

„Etwas Weihnachtsbeleuchtung wäre nett. Tokyo Tower soll schön sein.“

„Kannst du auch von meinem Fenster aus sehen.“

Das haben wir jetzt davon:

Ich leg mich wieder hin.

Territorialer Konflikt um Kaninchen mit Schleife am Ohr

Seit Japan nicht mehr zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist, kommen sich andere Länder plötzlich mächtig groß vor. Im September nahm die japanische Küstenwache die Mannschaft eines chinesischen Fischerbootes fest, weil es in Gewässern fischte, die Japan für japanisch, China für chinesisch und Taiwan für taiwanisch hält. Daraufhin setzte China Waren- und Schüleraustauschprogramme aus, klingelte mehrfach den japanischen Botschafter zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett, sagte Verabredungen unter Politikern ab, nahm seinerseits ein paar Japaner fest, forderte Entschuldigungen und drohte damit, unter Umständen mit etwas richtig Schlimmen zu drohen. Inzwischen wurden alle Fischer wieder auf freien Fuß gesetzt, aber beide Seiten sind immer noch bockig. Da nutzte der russische Präsident Dmitri Medwedew die Gunst der Stunde und besuchte staatsmännisch eine Insel, die Japan für japanisch und Russland für russisch hält. Japan holte seinen Botschafter heim, auf beiden Seiten wurde viel gezickt, Medwedew sagte, es habe ihm so gut gefallen, dass er vielleicht bald noch ein paar andere Inseln bereisen wolle, deren Zugehörigkeiten unzulänglich geklärt sind.

Aber jetzt schlägt’s 13. Die Holländer halten ein Kaninchen für holländisch, das Japan für japanisch hält. Ein Gericht in Amsterdam hat sich in die Sache eingeschaltet und den Landsleuten recht gegeben. Produkte mit Cathy, einer Freundin von Hello Kitty, dürfen nicht mehr in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg verkauft werden, weil die Figur zu große Ähnlichkeit mit dem holländischen Cartoon-Hasen Miffy (im Original: Nijntje) hat.

Internetrecherchen haben ergeben, dass Cathy eine sanfte Natur hat und immer zuerst an andere anstatt sich selbst denkt. Es liegt aber tatsächlich die Vermutung nahe, dass der Cathy-Erfinder auch zuerst an andere gedacht hat, vermutlich an Miffy. Die Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Möglicherweise könnte man sogar von einer gezielten japanischen Provokation sprechen. Schließlich galt schon Kitty-chan vielen unabhängigen Beobachtern als ein Miffy-Plagiat, das wurde aber nie juristisch bestätigt.

Es bleibt abzuwarten, ob Holland jetzt alle Miffy-Produkte aus Japan abzieht. Es wäre ein schwerer Schlag für die Niedlichkeitskultur, denn Miffy ist drüben durchaus beliebt. Hier ist ein kühler Kopf und diplomatisches Fingerspitzengefühl gefragt.

Apropos Kaninchen

Kürzlich hatte ich selbst Besuch aus Japan (er verlief weitgehend friedlich). Der Besuch wusste um meine Begeisterung für japanische Büroartikel mit deutschen Schriftzeichen und brachte mir u.a. einen Taschenkalender mit diesem wunderbaren Aufdruck mit:

Im Licht der jüngsten Ereignisse hat das Präsent freilich ein wenig von seiner Unschuld eingebüßt.

Japanischer Stehsatz (3): Drag My Mini Munny To Hell

Vor kurzem sah ich die Gruselklamotte Drag Me To Hell im Fernsehprogramm oder von DVD, ich weiß nicht mehr, sie war gut oder schlecht, ich weiß nicht mehr. Ich weiß nur noch eins, Sie haben es bestimmt schon erraten: Die Heldin, wenn man die unsympathische Schnepfe so nennen möchte, hat einen Mini-Munny-Aufkleber auf dem Armaturenbrett ihres Privatwagens. Damit gehört sie wohl zur kleiner als geplanten internationalen Gemeinde der Mini-Munny-Besitzer. Raten Sie mal, wer noch.

Der Mini Munny ist kein japanisches Produkt, aber er passt dort bestens hin. Ich habe meinen während eines spontanen Kurztrips nach Tokio im letzten Jahr gekauft. Nur kurz zur Omotesando, ein bisschen teuren Quatsch kaufen, schnell wieder wegfliegen und rechtzeitig zu Hause sein, bevor Monk anfängt. Ich wollte eigentlich zeitnah hier von meinem Mini Munny erzählen, aber ich kannte damals noch Schamgrenzen. Gekauft habe ich ihn übrigens im MoMa Store, einem wunderbaren Pop-Art-Schnösel-Refugium in Harajuku, wenn man mal genug davon hat, heimlich Lolitas zu knipsen oder im Oriental Bazaar verzweifelt und aussichtslos nach Mitbringseln zu suchen, die nicht so aussehen, als hätte man sie im Oriental Bazaar gekauft.

Ein Mini Munny ist eine potenziell niedliche Figur mit großem Kopf und kleinen Körper, aber ansonsten ohne alles, denn man muss sie selbst anmalen, mit Gesicht und Ausdruck und Kleidung und was ein Mini Munny noch so braucht.

In der optisch und haptisch schönen gelben Pappschachtel befindet sich der Munny selbst in der gewählten Farbe (ich: Pink natürlich, als alter Gruftie), der benötigte Anmal-Stift, ein seltsamer Aufkleber, ein noch seltsameres ‘Hello-My-Name-Is‘-Kontaktanbahnungsnamensschild nach amerikanischen Vorbild (für Gemeindetreffen der Mini-Munny-Besitzer?) und ein Überraschungs-Accessoire (bei mir Mütze).

Vielleicht hätte ich mit dem Anmalen warten sollen, bis ich zu Hause bin und Kaffee getrunken habe und ordentlich am Schreibtisch sitze, anstatt gleich im Suff Reisefieber auf dem Hotelbett liegend den Stift zu schwingen. Vielleicht wäre mir dann was Originelles eingefallen, und ich hätte nicht wieder das gemacht, was ich immer mache. Vielleicht hätte ich dann auch nicht die Rückseite so obszön gestaltet, dass ich sie im Internet unmöglich zeigen kann.

Aber ich muss den kleinen Racker wohl lieben, wie er ist. Er steht heut auf meinem Schreibtisch, mit dem Rücken zur Wand. Zwischen dem WordPress-Buch, das ich nie lese, und der Wagner-The Great-Operas-From-The-Bayreuth-Festival-CD-Box, die ich nie höre.

Die nächste Anschaffung, die ich tätige, überlege ich mir ganz, ganz genau.

Endlich mal die Gute sein!

Nicht lachen, aber ich krauche immer noch im ersten Teil des Weltraumvideorollenspiels Mass Effect herum. Sie erinnern sich bestimmt, als wäre es erst gestern gewesen: Anfang des Jahres hatte ich mich zuerst etwas herablassend zu diesem Quatsch geäußert um kurze Zeit später mit eingekniffenen Schwanz zurückzurudern, weil es gar so großer Quatsch dann doch nicht war. Dass ich nach wie vor nicht den gesamten Weltraum besiegt, besiedelt oder befreit habe, oder worum auch immer es in diesem Spiel gehen mag, liegt nicht daran, dass ich ein so schlechter oder gründlicher Spieler wäre, sondern eher ein untreuer und seltener. Manche Monate wird kein Controller angerührt, in anderen haben andere Spiele größere Strahlkraft als der Mass-Effect-Quatsch. Aber zurück komme ich immer, irgendwann.

Jetzt habe ich etwas Interessantes gelesen: Wie jedes anständige Unternehmen sammelt der Mass-Effect-Erfinder Bioware Kundendaten. Dabei kam heraus, dass nur 20% der Spieler die Hauptfigur Shephard als Weib erschaffen haben. Das wundert mich ein wenig. Es handelt sich schließlich um Science Fiction und ein Videospiel, also ist davon auszugehen, dass rund 100% der Spieler auch so schon männlich sind. Also quasi wie ich. Aber meine Shephard ist selbstverständlich weiblich. In Rollenspielen spiele ich immer jemanden, der so wenig wie möglich mit mir selbst zu tun hat. Ich bin sogar der Meinung, dazu sind sie da. Und eine Frau zu sein hat recht wenig mit mir selbst zu tun, ob Sie es glauben oder nicht.

Warum spielen die meisten anderen Männer lieber mit Männern? Wollen die nicht mal was Neues ausprobieren? Haben die Angst vor starken Frauen wie mir? Und haben die sich im Vorfeld nicht überlegt, dass man in diesen Spielen 80% der Zeit damit verbringt, seiner Figur auf den Hintern zu gucken, während sie hechelnd durch die Gegend läuft?

Das bin jedenfalls ich, als InfiltratorIn der 28. Stufe:

Da habe ich mich in einem schmeichelhaften Winkel getroffen, denn leider hat meine Shephard ein fliehendes Kinn, da die Kinnpartie bei der Charaktererschaffung am schwierigsten hinzubekommen ist, wenn man nicht mit seiner realen Nase am Fernseher klebt. Aber ich mache das fliehende Kinn mit einem hohen Wert in ‚Schmeicheln‘ wett, den meisten Außerirdischen fällt es gar nicht auf.

Wenn ich mich so ansehe, muss ich mir von mir selbst ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen. Zum Beispiel: Wenn es mir wirklich so auf die Andersartigkeit meiner virtuellen gegenüber meiner realen Figur ankommt, warum bin ich dann nicht ethnisch experimentierfreudiger? Warum so blass um das Näschen? Ich kann das beantworten. Aber nicht befriedigend, dafür ist das alles zu lange her. Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube, ich habe damals versucht das Aussehen einer real existierenden Person zu kopieren. Ich weiß noch, dass mir das nicht recht gelungen ist, und ich irgendwann einfach fertig sein und mit dem Spielen anfangen wollte. Ich weiß nicht mehr, wer diese Person war, oder auch nur ob sie eine Person des öffentlichen Lebens oder meines Privatlebens war.

Zweite nagende Frage: Wo ich schon im echten Leben ein begeisterter Gutmensch bin, warum muss ich dann auch in Videospielen immer die barmherzige Schwester geben? Wie Sie sehen, ist mein blauer guter Balken viel größer als mein böser roter. Sollte ich im Spiel nicht mal richtig die Sau rauslassen? Vielleicht. Aber hier kommt eine Protesthaltung zum Tragen: Die Fetischisierung des Bösen in Videospielen langweilt mich zu Tode. Noch immer wird so getan, als sei es ein herrlich frecher, emanzipatorischer Akt, in einem Spiel die Rolle des Bösen zu übernehmen. Dabei ist es längst mürbe Gewohnheit. 1997 hatte es etwas Erfrischendes, dass man in der niedlichen Folterkellersimulation Dungeon Keeper nicht den holden Ritter spielte, der in das düstere Verlies einbricht um Untiere abzumurksen und Gold zu raffen, sondern den Typen, dem die Bude gehört. Seitdem wird für so ziemlich jedes Spiel mit dem Versprechen geworben: „Endlich mal der Böse sein!“ Auch nach 13 Jahren wurde das ‚endlich‘ nicht gestrichen. Ganz so, als spiele man nicht seit Jahren fast ausschließlich Soldaten oder andere Profikiller. Moralische Probleme habe ich damit keine, ist ja nur Spiel. Solange man den Dienst an der Waffe auf dem Bildschirm belässt, soll man ruhig. Nur ist das Böse leider so einfalls- und facettenlos. Böse kann jeder. Gegen die „Endich mal der Böse sein!“-Begeisterung möchte ich anquengeln: „Wann kann ich denn endlich mal wieder die Gute sein?!“

In Spielen wie Mass Effect kann ich es, bis zu einem gewissen Grad. Konflikte löse ich hier am liebsten politisch, also durch gutes Zureden und Spendengelder. Außer, wenn ich so nicht weiterkomme. Dann puste ich ein paar Leuten die Birnen weg. Klappt meistens auch.

Böse ist schon lange das neue Gut. Da sich videospielende Halbstarke seit Jahr und Tag einig sind, dass Gut langweilig ist, müsste doch so langsam der Groschen fallen, dass inzwischen Böse langweilig ist. Im Umkehrschluss ist Gut das neue Böse. Mit anderen Worten: Gut sein ist abenteuerlich und verwegen.

Pädagogischer Auftrag erfüllt, Commander.